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Dirk Naguschewski (Berlin)


Heidrun Pelz (1996): Linguistik. Eine Einführung. Hamburg: Hoffmann und Campe.


1975 erschien zum ersten Mal diese Einführung in die Linguistik der Freiburger Romanistin Heidrun Pelz. Gut zwanzig Jahre später liegt nun eine neu bearbeitete und erheblich erweiterte Fassung dieses Standardwerkes vor, das tatsächlich auch heute noch (zumindest in Auszügen) der einführenden Lehre von Universitätsdozenten in die moderne Sprachwissenschaft zugrunde liegt. Dem Umstand, daß sich auch die Linguistik in dieser Zeit weiterentwickelt hat, will die Neuausgabe Rechnung tragen.

Zwölf Kapitel enthält das Buch: nach einem einleitenden Kapitel folgen die Kapitel Funktionen von Sprache, Funktionieren von Sprache, Grundbegriffe des de Saussureschen Strukturalismus, Phonetik/Phonologie, Morphologie, Suprasegmentalia, Syntax, Semantik, Modifizierung der Homogenität des sprachlichen Systembegriffs, Stilistik, Pragmatik. Die Anordnung ist nicht zufällig: Obwohl sich die Kapitel auch für sich lesen ließen (unter Einbeziehung der Querverweise), spiegelt die Anordnung doch auch eine "Entwicklung der Sprachwissenschaft von de Saussure zur Pragmatik" wider (277), die Pelz am Ende zusammenfassend skizziert. Nachdem das wissenschaftliche Interesse zuerst dem signifiant galt, kam bald darauf die Dimension des signifié hinzu und schließlich die Situation.

Die Annahme einer solchen historischen Entwicklung liegt dem Buch zugrunde, dem man seine eigene geschichtliche Herkunft trotz der Ergänzungen und Erweiterungen noch deutlich anmerkt. Das läßt sich zum einen an Einzelheiten festmachen, zum Beispiel wenn sie ein Phonem wie in frz. parking als dem französischen Phoneminventar nicht zugehörig betrachtet. 1975 ließ sich eine solche Position noch vertreten, heute ist sie überholt.

Das liegt zum anderen an dem deutlichen Akzent, den sie auf das Programm einer von Saussure angestoßenen Linguistik setzt. So sind denn auch die Kapitel zu Saussure, zur Phonetik/Phonologie und zur Morphologie die schlüssigsten. Momente der Unzufriedenheit stellen sich hingegen ein, wenn im Kapitel zur Syntax beiläufig und kommentarlos auf Fortentwicklungen verwiesen wird, wie z.B. die Textlinguistik, zu der sich in der entsprechenden Fußnote aber nur einige ältere weiterführende Titel finden. Etwas mehr Zeit verwendet Pelz zwar auf die Darstellung einiger Positionen Chomskys und der generativen Transformationsgrammatik, deren Scheitern sie pauschal postuliert, doch bleiben ihre Ausführungen derartig knapp, daß dem unbedarfteren Leser sich der Sinn dieser Unternehmungen kaum zu erschließen vermag. Und auch hier verweist sie für "genauere und vollständigere Information [...] auf entsprechende Fachliteratur." Gegen dieses Verfahren kann bei einem einführenden Werk grundsätzlich nichts einzuwenden sein, doch hätte sich hier sicherlich die Mühe gelohnt, zusätzlich einige aktuellere Titel in die Bibliographie aufzunehmen.




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Auf diesem Wege hätten sich auch andere Zweige der Linguistik eleganter relegieren lassen. Populäre Gebiete der Sprachwissenschaft wie zum Beispiel die Soziolinguistik werden entweder nur gestreift oder tauchen, wie die Psycholinguistik, nicht einmal Sachregister auf. Auf diese Weise fallen gegenwärtig vieldiskutierte Phänomene wie Zwei- bzw. Mehrsprachigkeit gänzlich aus dem Rahmen dieser Einführung. Auch wenn jedem klar ist, daß bei einer Einführung in die Linguistik inhaltliche Grenzen gezogen werden müssen, ist das doch bedauerlich. Vor allem für ein Werk, das sich explizit an neusprachliche Philologen (Romanisten, Anglisten, Germanisten, Slawisten) wendet und auch nicht mit Anregungen für Sprachdidaktiker spart.

Alles in allem ist diese Einführung - mit Ausnahme der Passagen zu Chomsky - jedoch ausgesprochen gut lesbar, neue Fachtermine werden kurz erläutert, wo nötig werden Querverweise gegeben. Der Textfluß wird leserfreundlich durch verständliche, der unmittelbaren Verstehensprüfung dienende Aufgaben, Beispiele und Schaubilder graphisch unterbrochen. Allerdings finden sich unter den Beispielen einige, deren Sinn sich nicht unmittelbar erschließt bzw. die nicht plausibel erscheinen: Warum ist das stilisierte Wollknäuel (das sogenannte Wollsiegel), ein Zeichen und kein Symbol (42)? Warum sind "die menschliche Sprechtätigkeit und Sprechfähigkeit [...] in ihrem Ablauf nicht beobachtbar" (43)? Ein wenig bizarr auch die folgende Anekdote: "[...] zwei Personen befinden sich in einem Zimmer, und der eine stellt plötzlich fest, daß es draußen regnet." Warum veranlaßt diese Feststellung den Hörer, "einen Schirm zu holen oder ein Taxi zu bestellen oder dergleichen mehr" (47)? Nebensächlichkeiten vielleicht, die aber dennoch irritieren. Bedenklicher ist da schon die Behauptung Pelz', daß die geschriebene Sprache "Grundlage jeder Kultur" (64) sei? Haben Gesellschaften mit oraler Tradition keine Kultur?

Um den Leser vor Enttäuschungen zu schützen gilt es also, einen distinktiven Akzent (s. Kap. 7, Suprasegmentalia) zu setzen: Nicht: "Linguistik. Eine Éinführung" muß es heißen, sondern: "Linguistik. Éine Einführung". Denn als Einführung in die Problematik der Saussureschen Sprachwissenschaft entwickelt es seine größte Überzeugungskraft.

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