(epd) Der Förderalismus, von vielen gern für tot erklärt, ist allenfalls scheintot. Im komplizierten Gebälk der föderalen Machtmaschine knirscht es zwar zuweilen gewaltig, sie funktioniert jedoch unverdrossen und völlig unbeschadet der auf allen Ebenen grassierenden politischen Phantasielosigkeit. Ein brillantes föderalistisches Schauspiel bieten Bund und Länder im Schaukampf um die Kompetenzverteilung für das heraufziehende digitale Zeitalter.
Als die Länder im Frühjahr aus der Vorhand ihren Entwurf eines Mediendienste-Staatsvertrages präsentierten, mit dem das angejahrte und inzwischen weitgehend bedeutungslose Btx-Vertragswerk beerdigt werden soll, da glich das Bonner Rüttgers-Ministerium sofort aus und verkündete die multimediale "Gewerbefreiheit". Das begleitende Papierchen, als "Eckwerte" betitelt, war mehr als dünn. Dennoch stand der Bund plötzlich als multimedial liberal da, die Länder galten als regelungswütig und provinziell. Dabei unterschieden sich die beiderseits verkündeten Regulierungsabsichten allenfalls in Nuancen.
Was jedoch beiden fehlt, ist die Frage der Öffentlichkeit: Spannen die neuen Dienste eigentlich einen neuen öffentlichen Raum auf? Steht die öffentliche Rede im Cyberspace unter dem Schutz des Grundgesetzes, Artikel 5? Braucht der neue öffentliche Raum, sofern es ihn gibt, selbst grundrechtlichen Schutz, oder gilt dort das digitale Faustrecht? Die beiden Kontrahenten haben sich Anfang Juli auf die Faustformel geeinigt, nach der alle Dienste, die sich an die "Allgemeinheit" wenden, in die Zuständigkeit der Länder fallen, während der Bund für den Rest zuständig ist.
Ob die "Allgemeinheit" hier für "Öffentlichkeit" steht, wird sich erst im Gang der laufenden Detailarbeiten an beiden Entwürfen zeigen. Jedoch dient das Stichwort "Öffentlichkeit" ohnehin nur als Staffage. Worum es tatsächlich geht, und auch den Ländern, hat der Chef der Bayerischen Staatskanzlei dankenswerterweise in völliger Klarheit erläutert: "um die Entwicklung neuer Märkte, um Investitionen und Arbeitsplätze einer Zukunftsbranche", so Kurt Faltlhauser. Der Standort also, Lieblingsschlagwort vieler und komfortables Totschlagsargument, mit dem sich grundsätzlichere Fragen kommod unter den Teppich kehren lassen.
Wo das privat-kommerzielle Fernsehen nach rund zwölf Jahren seiner Existenz hierzulande endlich angekommen ist, dort sollen die neuen, digitalen Mediennetzwerke gleich beginnen: in der Sphäre der Wirtschaft. Mit der Ökonomisierung der TV-Publizistik hat die Wirtschaft die Medien-Macht übernommen. Fernsehen ist Wirtschaftsgut; und dem öffentlichen Gut der Sender öffentlichen Rechts droht mehr und mehr die Marginalisierung.
Die für die neuen Mediennetze ausgerufene Freiheit heißt logischerweise Gewerbefreiheit - und nicht Redefreiheit oder Meinungsfreiheit. Vom gleichen Geist ist auch das neue Telekommunikationsgesetz durchdrungen, das Anfang Juli nach langem Hin und Her in Kraft trat. Hier gelang es der Bundes-Postpolitik am Ende doch, gegen Länderwiderstand die faktische Enteignung der Kommunen durchzusetzen: Kommunale Wegerechte, gang und gäbe für Strom oder Gas, wird es für die Goldadern des digitalen Zeitalters nicht geben.
Damit ist die Chance für's erste vertan, mit Tauschgeschäften neuer Art den Zugang öffentlicher Einrichtungen wie Schulen oder Bibliotheken zu all den schönen Leitungen zu sichern, wie es der Bremer Informatiker Herbert Kubicek vorgeschlagen hatte: Wegerechte gegen kostenlosen Anschluß. Und was hätten die alte Telekom und die neuen Konkurrenten sich dabei schon vergeben, sind doch die allermeisten Netz-Kosten fix und machen Abrechnungskosten einen erheblichen Teil davon aus.
Doch das Wohl der carrier, so der neudeutsche Ausdruck, ging dem Allgemeinwohl vor; nichts, was dem abstrakten Standort auch nur ahnungsweise schaden könnte, hat Realisierungschancen. Obwohl das Telekommunikationsgesetz ansonsten nicht zimperlich und gerade kein Beispiel für Deregulierung, sondern für Re-Regulierung eines nach dem Ende der Monopole erst zu schaffenden Marktes ist. Und obwohl solche Kompensationsgeschäfte zwischen Firmen und Kommunen in den USA zum Beispiel an der Tagesordnung sind, dort nicht nur als Werbung, sondern auch als Zukunftsinvestition begriffen werden: Zugang für die Kunden von morgen.
Ausgerechnet Bayern hat dies im Ansatz begriffen, das Land des jodelnden High-Tech, wie es der Münchner Soziologe Ulrich Beck gern nennt. Unter dem Schlagwort "Bayern Online" wird dort über Bürgervereine vor Ort ein Zugang zum "Bayernnetz" und damit zum Internet geschaffen. Zunächst kostenlos, wenn auch mit Kommerzialisierungs-Perspektive. So oder ähnlich könnten klare Reaktionen auf die veränderten Knappheitslagen des digitalen Zeitalters aussehen. Nicht mehr Frequenzen werden knapp sein, nicht mehr an Kanälen wird es mangeln - der Zugang zu den digitalen Pipelines wird die entscheidende Engstelle.
Damit geht eine Umkonfigurierung der Öffentlichkeit selbst einher: Die neuen digitalen Produktionsmittel entprivilegieren - jedenfalls tendenziell - diejenigen, die bisher mit privilegiertem Zugang zur Öffentlichkeit versehen waren. Die klassischen economies of scale, Triebkraft hinter den zahllosen Fusionen, werden digital zunichte; der Vorteil großer Programm-Stückzahlen schlägt in den Nachteil erhöhter Reibungsverluste innerhalb der Medienkonzerne selbst um.
Die allenthalben flugs gebildeten und teils mit extrem kurzen Halbwertszeiten ausgestatteten Großallianzen laufen insofern einem Popanz hinterher, als sie immer mehr und mehr (Medieninhalte und -Technik, Abspielstätten und Distributionswege) kontrollieren wollen, während die fluide digitale Welt ihnen durch die Finger fällt. Es gibt jedoch keine Garantie dafür, daß dies so bleibt und deswegen auf regulative Sicherheitsnetze verzichtet werden könnte.
Am vergangenen Sonntag startete Kirch - die Ministerpräsidenten aller Länder machen's durch Untätigkeit möglich - sein Digitales Fernsehen 1 (wieviele wohl werden noch folgen?) und damit eine weitere Recyclinganlage für die mediale Siloware. Diese Angebotsexplosion nimmt sich im Vergleich zu den Wachstumsraten des Internets und der digitalen Mediendienste eher mau aus. Das World Wide Web zum Beispiel, die elegante Oberfläche des Internets, gab es vor drei Jahren, als Kirch und die Bertelsmänner vom digitalen Fernsehen zu schwärmen begannen, praktisch noch gar nicht. Während die Netzvielfalt boomartig wächst, kommen die Möchtegern-Monopolisten nicht recht voran, die Digitaldecoder, vor bald einem Jahr lautstark annonciert, gelangen jetzt erst mühsam in den Handel.
Und auch die Vielfalt der via Internet vermittelten Mediendienste selbst wächst beharrlich. Alte Medien schaffen sich selbst Internetpräsenz und werden im Internet kopiert: Radio via Internet gibt es schon heute, Fernsehen ist nur noch eine Frage der Zeit. Und hier fangen die Definitionsprobleme erst an. Die Media-Box der Multimedia-Betriebsgesellschaft (MMBG) wird im Grunde die gleiche Technik verwenden wie das Internet, die TCP/IP-Protokollfamilie. Wird das Digital-TV dadurch zum Online-Dienst?
Der Bund, namentlich das Forschungsministerium (BMBF), löst das Problem mit dem Federstrich der "Gewerbefreiheit", die für alle neuen Mediendienste gelten soll. Die möglichen Probleme werden dadurch jedoch nur verschoben: Was, wenn die deregulierten Telekommunikations- und Medien-Monopolisten, im Verein mit den ebenfalls eher wettbewerbsfeindlichen Stromriesen, sich anschicken sollten, auch die neue Netzwelt zu monopolisieren? Was setzt das neue Recht den Bestrebungen entgegen, die Monopolmärkte auf alle Formen elektronischer Information und auf die elektronisch verbreiteten Inhalte auszudehnen? Wer könnte in Zukunft die ordnungsrechtliche Notbremse ziehen, wenn, sagen wir, die Telekom sich beeilen würde, RTL oder gleich die CLT-Ufa zu erwerben?
Ist das Internet tatsächlich nicht käuflich? Ist die wirtschaftliche Dynamik der neuen "Mediendienste" wirklich so stark, daß ihr die geballte Macht der Monopolisten nichts anhaben kann? Und wo bleiben eigentlich die Regeln, um den Kirchs und Bertelsmännern die Lust am "Packaging", also am Verkauf ihrer Ware in Zwangspaketen, zu vermasseln, wie es der Berliner Medienwächter Hans Hege fordert? Reichen die Regeln des Kartellrechts aus?
Der Länderentwurf, auf dem nach der vorgeblichen Bund-Länder-Einigung nun die ganze Last ruht (der Bund will ja öffentliche Mediendienste nicht regeln), hält im wesentlichen am von der Realität längst überholten Bildschirmtext-Paradigma fest und spricht von "Anbietern", die "im Rahmen von Mediendiensten Angebote zur Nutzung" bereitstellen. Ob dies der wuchernden Angebotsvielfalt im Internet gerecht wird, ist jedenfalls fraglich.
Umgekehrt ist mit der Übertragung presserechtlicher Regeln in den Cyberspace, wie sie der neue Medienstaatsvertrag plant, wenigstens etwas gewonnen: Rechtssicherheit in Digitalien. Die ermüdenden Debatten um den Rundfunkbegriff und seine Weiterungen könnten damit mangels Gegenstand auslaufen. Was heute wie Rundfunk aussieht, bleibt auch künftig und auf neuen Trägertechniken Rundfunk. Für den großen digitalen Rest gilt der Mediendienste-Staatsvertrag; für elektronischen Post- und Bankverkehr das Teledienste-Gesetz aus dem Hause Rüttgers. Das ist besser als nichts.
Mit der schubladenförmigen Trennung zwischen den Bereichen Telekommunikation, "Teledienste" und Rundfunk, die sich nun abzeichnet, ist den grundsätzlicheren Fragen jedoch nicht beizukommen. Hier werden die Claims der legislativen Kompetenzen abgesteckt und neue Brandmauern eingezogen. Von einem einheitlichen Kommunikationsrecht, wie es Anfang dieses Jahres vielfach gefordert wurde (Kifu 3, 8 und 12/96), ist zur Sommerpause und Halbzeit dieses Jahrs der Weichenstellungen wenig zu erahnen.
Für den großen Schritt zu einer Grundgesetzänderung, mit der ein einheitliches Kommunikationsrecht und eine Regulierung von Medien und Telekommunikation aus einer Hand möglich geworden wäre, haben die politischen Kräfte offenbar nicht gereicht. Was jetzt entsteht, ist nicht die beste aller möglichen Medienrechts-Welten, aber ein fein ziseliertes und austariertes Stück Föderalismus auf kleinstem gemeinsamen Nenner und weitgehend ohne Blechschäden auf den Ritterrüstungen der beiden Schaukämpfer. (mr)
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