"Wir haben erstaunlich viel geschafft"
Ein epd-Interview mit Christoph Singelnstein


Im Juli 1990, vor fünf Jahren also, wurde Christoph Singelnstein stellvertrender Intendant des DDR-Hörfunks. Einige Wochen später rückte der aus der DDR- Friedensbewegung kommende Singelnstein auf den Intendantensessel auf. Seit der Abwicklung des in der »Einrichtung nach Artikel 36 des Einigungsvertrages« zusammengefaßten DDR-Rundfunks (Hörfunk und Fernsehen) zum 31.12.91 ist er Chefredakteur des Kultur- und Informationsprogramms »Radio Brandenburg« vom ORB. Martin Recke befragte ihn nach seiner heutigen Sicht auf den damals hochkontroversen Abwicklungsprozeß. Dreieinhalb Jahre nach Sendebeginn der neugegründeten ARD-Anstalten in Ostdeutschland zieht Singelnstein eine Bilanz: »Soweit ich das überblicken kann, haben es die allermeisten geschafft, in dieser neuen Struktur wieder Lohn und Brot zu finden.«

epd: Ich kann mich an zwei Auftritte von Ihnen erinnern, im halböffentlichen Raum der Universität. Der erste war Ende Dezember 1991, also kurz vor dem Ende der Einrichtung nach Artikel 36 des Einigungsvertrages. Damals waren Sie - noch - Intendant des nicht-mehr-DDR-Rundfunks. Damals dachte ich: Nanu, so sieht doch kein Intendant aus. Fühlten Sie sich damals auf diesem Stuhl eigentlich deplaziert?

Singelnstein: Nein. Also, ich fühlte mich da auf dem Stuhl ausgesprochen wohl. Wenn man das sagen darf, ohne zynisch zu wirken, weil das ein bißchen vermessen klingt, aber ich glaube, es hat nicht viele Leute gegeben, die da hätten sitzen können. Es mußte dort jemand sein, der auf der einen Seite das Haus von innen kennt, weiß, was da gearbeitet wird, wie da gearbeitet wird, der die Strukturen kennt. Und auf der anderen Seite mußte es jemand sein, der nicht erpreßbar ist durch Vergangenheit. Und von dieser Kombination gab es nicht so sehr viele beim Hörfunk. Und insofern saß ich da goldrichtig. Nicht, daß ich mich immer wohlgefühlt und daß mir das immer Spaß gemacht hätte, das wär nun wirklich Quatsch, aber ich glaube, wir haben es ganz mit Anstand - das gilt ja für Michael Albrecht in ähnlicher Weise - wir haben es mit Anstand über die Bühne gebracht, und auch nicht ohne Erfolg.

Wie sind sie damals eigentlich auf diesen Intendantenstuhl, beziehungsweise zunaechst auf den Sessel des stellvertretenden Sessel gekommen?

Ach, wie die Jungfrau zum Kind. Auffällig wurde ich sozusagen durch meine Tätigkeit im Hörfunkrat, wo ich für die Initiative Frieden und Menschenrechte gesessen habe. Und einer der damaligen stellvertretenden Intendanten hat dann dem Intendanten vorgeschlagen, mich doch auf eine freigewordene Stellvertreter-Position zu setzen. Der Intendant war Manfred Klein damals, und der hat das auch gemacht, im Juli 1990. Und Manfred Klein selbst hat dann drei oder vier Wochen später seine Ämter niedergelegt und mir das Ganze in die Hand gedrückt. Im zweiten Schritt, sozusagen der politische Hintergrund, hat das Medienministerium, also Staatssekretär Becker, über Gottfried Müller, den damaligen Medienminister, de Maiziére den Vorschlag gemacht und der hat mich berufen.

Es gibt ja zwei verschiedene Legendenbildungen über das DDR- Rundfunksystem nach der Wende. Die eine erzählt die Geschichte von alten Seilschaften und roten Socken, und die andere die vom »freiesten Journalisten der Welt«, der senden kann, was er will. Welche kommt der Wahrheit näher?

Die stimmen beide. Sowohl Fernsehen als auch Radio waren nach der Wende - zu unterschiedlichen Zeitpunkten übrigens, Fernsehen etwas früher als Radio - die freiesten Medien der Welt, aber auch die anarchischsten. Das kann man eigentlich schon gar nicht mehr als frei bezeichnen, das war schon Wildwuchs. Es gab auch keine Qualitätskontrolle mehr, weil ja jeder sozusagen vor sich her trug das Schild »freie Meinungsäußerung«. Da gab es dann auch ganz viel, ja, eigentlich falsche Vorstellungen, was Meinungs-, was Presse-, was Rundfunkfreiheit ist, das war schon abenteuerlich.

Auf der anderen Seite hat es genauso diese Seilschaften im besten wie im schlechtesten Sinne des Wortes gegeben, also wo Leute versucht haben, sich gegenseitig zu schützen, sich gegenseitig zu decken, den Absprung in Bereiche zu finden, wo sie dann möglichst überleben können. Es wär gelogen, wenn man sagen wollte, im freiesten Rundfunk oder Fernsehen nach der Wende hätte es dann nur noch geläuterte Menschen gegeben. Es waren halt auch Menschen.

Es gibt die Darstellung, daß die beiden »Kirchenfreunde« Singelnstein und Albrecht an der Spitze der beiden Mediensysteme umstellt blieben von allzuvielen »Fachleuten« des alten Regimes, die mit ihrer Fachkompetenz die Bürgerbewegung eingewickelt hätten. Und daß dies der Grund gewesen sei, warum de Maiziére die Hoffnung auf Selbstreinigung von Rundfunk und Fernsehen verlor und die Strategie fuhr, die Sender von außen aufzubrechen und daher dem Artikel 36 des Einigungsvertrages zugestimmt hat.

Das ist kompletter Blödsinn. Das ist deshalb Blödsinn, weil es gar keine andere Fachkompetenz gab als die vorhandene. Da kann man nicht von Umstellung reden, das ist einfach... (lacht). Es gibt bis heute keine andere. Der Ostdeutsche Rundfunk hat zu 95 Prozent Mitarbeiter aus der ehemaligen Einrichtung, der Mitteldeutsche Rundfunk in ähnlicher Größenordnung. Also das ist einfach Quatsch.

Tatsächlich ist ja die Lage ganz anders gewesen. Da kann ich jetzt aber nur für das Funkhaus Berlin reden, weil ich die Verhältnisse im Fernsehen nicht genau genug kenne und nicht dabei gewesen bin. Ich habe, als ich Intendant wurde, die gesamte Leitung entlastet, komplett, und habe alle Leitungspositionen ausgeschrieben. Und ich behaupte bis zum heutigen Tage, daß ich - mit einer Ausnahme, da hab ich mich dann acht Wochen später noch mal korrigiert - samt und sonders Leute um mich herum gesammelt habe, die integer sind. Das waren nicht immer die besten Führungskräfte. Das mag sein. Das hat was mit Charakter zu tun und mit vielen anderen Dingen. Aber sie waren in jedem Falle integer.

Ich sag mal, daß die Umstrukturierung im Hörfunkbereich so gelaufen ist, wie sie gelaufen ist - also relativ erfolgreich, ja wirklich eher eine Umstrukturierung als eine Abwicklung gewesen ist -, das hätte nicht geklappt, wenn ich diese Leute nicht um mich herum gehabt hätte.

Daß es den Artikel 36 gegeben hat, hat eine ganz andere Ursache. Das hat erstens die Ursache, daß tatsächlich die CDU - die übrigens eine Blockpartei gewesen ist, darf man ja mal dran erinnern in dem Zusammenhang - sich nicht gut repräsentiert fühlte in den Medien, weder beim Fernsehen noch beim Radio. Ich denke, auch nicht ganz zu Unrecht hatte sie dieses Empfinden, daß sie da nicht so gut wegkommt, da ist schon was dran. Das heißt, da hatten wir keine Lobby, und bei den Sozialdemokraten war das nicht ganz so eng, zumindest was die Führung der SDP anging oder dann der späteren SPD, aber in der Basis war der Vorbehalt gegen diese Medien, die ja auch ´ne Geschichte haben, doch relativ groß. Also, während das Volk das irgendwie ganz gut mitgenommen hat, mindestens mal die Länderkette, die doch eine erhebliche Akzeptanz auch in der Bevölkerung hatte. Die Genossen waren eher kritisch.

Das war so die Gemengelage auf der Ostseite. Auf der Westseite gab es da eine ganz andere Gemengelage, die heißt nämlich Studio Hamburg und Bavaria. Zwei Produktionsstandorte, die schon in der alten Bundesrepublik zäh gegeneinander gerungen haben um Aufträge, und plötzlich stand in Adlershof ein noch größeres und sehr funktionables Produktionszentrum. Das war einfach eine Konkurrenz, die sie nicht wollten, und das führte schnurgerade - das kann man bedauern, aber das ist so die Spielregel ja auch dieser Bundesrepublik - das führte schnurgerade zu einer großen Koalition im Westen, weil also sowohl das sozialdemokratisch regierte Hamburg als auch Nordrhein-Westfalen mit dem sich entwickelnden Medienstandort als auch das CSU-regierte Bayern da einfach auch eine Gefahr sahen.

Dann kommt dazu, daß Herr Kohl das richtig einschätzte, daß seine Regierung in diesen Medien wirklich nicht gut wegkommt. Das ist mal ganz klar. Und damit war sozusagen die politische Gegnerschaft völlig natürlich gegeben, und da das Kräfteverhältnis auch klar ist, haben die dann halt den Artikel 36 gezimmert und haben aus der vorher beschriebenen Gemengelage im Osten heraus auch keinen Widerstand erlebt.

Hätte man das System so von innen reformieren können, da hätte man keine Probleme bekommen?

Man hätte das anders machen können, man hätte es in der Struktur, wie es war, nicht belassen können, weil es ordnungspolitisch nicht in die Bundesrepublik gepaßt hätte, mit dem föderalen System. Insofern war es in der Form, wie es dastand, nicht haltbar. Da habe ich auch gar kein Problem mit. Aber den Abwicklungsparagraphen hätte es nicht geben brauchen, das war eigentlich ein unnötiges Instrument. Ich will mich aber auch nicht Spekulationen hingeben, wie es gekommen wäre, wenn es diesen Abwicklungsparagraphen nicht gegeben hätte, es ist auch müßig, im Nachhinein darüber zu spekulieren.

Im Herbst 91 zogen Sie eine Bilanz des DDR-Rundfunks - was bleibt wo, welche Sender bleiben erhalten, also im wesentlichen die fünf Landeswellen, der Deutschlandsender und der privatisierte Berliner Rundfunk - und schätzten das doch als einen relativen Erfolg ein. Wie würde denn so eine Bilanz mit Blick auf die letzten vier Jahre heute aussehen?

Immer noch als Erfolg. Also für den Hörfunk, muß ich sagen, haben wir erstaunlich viel geschafft. Wir haben ja am 1. Januar 1992 ein Programm mehr in der Nalepastraße produziert als am 31. Dezember 1991. Soweit ich das überblicken kann - und ich denke, ich überblicke das ganz gut - haben die Mitarbeiter, die nun nicht wirklich politisch völlig diskreditiert waren oder die Mitarbeiter, die es natürlich im Rundfunk der DDR auch gegeben hat, die einfach schlecht waren, also die mal ausgenommen, haben es die allermeisten geschafft, in dieser neuen Struktur auch wieder Lohn und Brot zu finden. Es gibt sogar Bereiche, wo es einen ausgesprochenen Mangel gibt an Kollegen.

Nachrichten zum Beispiel.

Zum Beispiel. Also insofern ist aus solcher Sicht die Bilanz durchaus positiv, auch wenn nun inzwischen beim Berliner Rundfunk längst nicht mehr so viele Ostmitarbeiter sind wie es am 1. Januar 92 waren, dafür ist ein ganzes Teil dann zu Radio 50 plus gegangen, inzwischen Spreeradio. Muß man sehen, wie lange das hält. Aber sie sind jedenfalls auf dem Markt und können sich auch verkaufen.

Und so wie der Artikel 36 angelegt war und auch erklärtes Ziel einiger jedenfalls, wäre am Ende überhaupt nichts übrig geblieben. Und das ist, Gott sei Dank, nicht zustande gekommen, woran Mühlfenzl übrigens einen erheblichen Anteil hat, das soll man nicht unterschätzen.

Ungefähr ein Jahr später, damals waren Sie schon fast ein Jahr Chefredakteur von Radio Brandenburg (ORB), da vertraten Sie die Meinung, es hätte keine Alternative gegeben zum Artikel 36.

Das habe ich gesagt? Unmöglich. Gut, wenn ich das gesagt habe, kann schon sein, das sehe ich heute anders. Also es hätte schon Alternativen gegeben. Es hätte keine Alternative gegeben zu einem föderalen Rundfunkprinzip. Es wäre nicht möglich gewesen zu sagen, Rundfunk der DDR und Fernsehen der DDR bleiben so, wie sie sind. Schließlich ist es Ländersouveränität, aber es hätte den Artikel 36 nicht gebraucht.

Er hat allerdings - ja, doch, ich erinnere mich so dunkel - er hat natürlich eine ganz gute Funktion gehabt: Er hat Zeitdruck geschaffen. Das heißt, die Länder waren genötigt, bis zum 31.12.91 das irgendwie zu regeln. Und es hätte sein können, daß sie es sonst sehr lange vor sich her geschoben hätten, daß es sozusagen die Qual für alle Beteiligten verlängert hätte. Insofern war der Artikel 36 aus heutiger Sicht nicht nur eine Katastrophe.

Sie waren damals in der Öffentlichkeit auch als Mühlfenzl-Kritiker hervorgetreten. Ich habe im FAZ-Magazin ein Zitat gefunden von Ihnen, nach dem sie sie gesagt hätten, durch die Art und Weise, wie Mühlfenzl und seine Mitarbeiter den Deutschen Fernsehfunk abwickelten, werde die friedliche Revolution beleidigt.

Stimmt.

Was heißt das? Was hieß das?

Es gibt für mich so zwei Zeitabschnitte in dieser ganzen Mühlfenzelei: Der erste Zeitabschnitt geht von seinem Amtsantritt bis zum Juni 91, und der zweite Zeitabschnitt geht vom Juni 91 bis zum Ende der Abwicklung. Und in dieser ersten Hälfte, oder in diesen ersten zwei Dritteln hat Mühlfenzl schon agiert in einer Weise, wie das Jörg Hildebrandt ja viel drastischer beschrieben hat mit der Formulierung: »Die verhalten sich hier wie die conquistadores.« Da war schon was dran. Mit der Art und Weise, wie die Herren da plötzlich einmarschierten und das Terrain besetzten, das war schon nicht ohne. Sie kamen sozusagen als Bosse und fühlten sich auch so. Diejenigen, die aber überhaupt erst möglich gemacht haben, daß sie da hinkommen können, das waren die anderen, nämlich die, die da arbeiteten, unter anderen. Und deshalb, habe ich gemeint, ist es eine Beleidigung der friedlichen Revolution, weil sie auch nur Diener gewesen sind, und ohne die friedliche Revolution hätten sie überhaupt nicht einen Fußbreit da hin gekriegt. Das hatte schon was Entwürdigendes, keine Frage.

Der Mitteldeutsche Rundfunk - das ist eigentlich schon fast ein Allgemeinplatz - wurde relativ stark in den Führungspositionen von Westdeutschen dominiert, fast ausschließlich aus Westdeutschland besetzt. Aber auch beim ORB sind ja doch einige Westdeutsche in die Führungspositionen gekommen. Kann man sagen, daß die Parteienlandschaft, so wie sie aus dem Westen importiert wurde, sich auch der neuen Rundfunkanstalten, sprich des ORB, bemächtigen konnten?

Ach, wissen Sie, das kann ich mir ganz einfach machen. Ich kann mich hinstellen und sagen: Ja. Und es ist alles ganz schrecklich. Und Nordrhein- Westfalen, und dann haben wir auch noch einen Intendanten aus Nordrhein- Westfalen gekriegt, und der Hörfunkdirektor kommt auch aus Nordrhein- Westfalen. Alles fürchterlich und alles fremdbestimmt und so.

Das ist mir einfach zu billig. Selbst für den Mitteldeutschen Rundfunk wär mir das zu billig, obwohl da das noch alles einen Zahn schärfer ist als bei uns. Das hängt auch immer von der Zivilcourage einzelner Leute ab. Ich habe nicht das Gefühl - ich bin ja nun immerhin Chefredakteur eines Programms -, daß das Programm von außen bestimmt wird, sondern ich und die anderen Kollegen bestimmen, was in dem Programm vorkommt. Also abgesehen von den programmpolitischen Richtlinien, die das Haus vorgibt, das ist klar, aber was dann in diesem Rahmen täglich passiert, ist nicht fremdbestimmt. Bei mir ruft keine Staatskanzlei an und sagt: »Möcht´ ich aber gerne das und das.« Oder beschwert sich über dieses oder jenes, mit dem Hintergedanken, das sollte dann möglichst anders sein. Ich bin mit dem, was ich dort an Freiheit habe, ausreichend ausgestattet, und wann immer es Versuche gibt, daran rumzurütteln, da muß ich dann wirklich sagen, hängt es davon ab, ob die Leute den Arsch in der Hose haben zu sagen, nein, mit mir nicht. Gilt übrigens auch für mich. Weiß ich nicht, es ist ein theoretischer Fall, deswegen weiß ich nicht, ob ich dann die Zivilcourage habe, und man soll sich auch nicht selber loben.

Das sind auch zwei verschiedene Dinge. Da ist auf der einen Seite ein - in diesem Fall öffentlich-rechtlicher - Rundfunk, den ich zumindest für das beste halte, was mir bisher bekannt ist von Rundfunkstrukturen auf dieser Erde. Und dann gibt es die praktische Durchführung einer solchen Struktur. Und das hängt immer von Leuten ab. Wenn die Leute schlecht sind oder abhängig oder kein Kreuz haben, dann ist die beste Struktur nicht hilfreich. Und wenn das anders ist, dann ist so eine Struktur sehr hilfreich. Insofern blase ich ungern in so ein Horn, nach dem Motto, die Parteien haben sich bemächtigt und überhaupt alles nur noch fremdbestimmt und so. Das ist mir a bissel einfach.

Mag sein. Ich denke mir, wenn ich einen Chefredakteur eines beliebigen westdeutschen Radioprogramms fragen würde, würde der natürlich auch die Unterstellung zurückweisen, er sei da ein Büttel einer Partei. Gleichwohl ist es ja Allgemeingut, daß die westdeutschen Rundfunkanstalten sehr stark unter Parteieinfluß stehen, unter Einfluß auch des versammelten Parteienproporzes. Was ist denn da bei Ihnen anders? Oder ist überhaupt etwas anders?

Das ist in gewisser Weise richtig. Das hat aber auch zu tun mit 40 Jahren Geschichte der Bundesrepublik und der Parteien in der Bundesrepublik. Das ist insofern bei uns ganz anders, das fängt schon beim Rundfunkgesetz an: Im Ostdeutschen Rundfunk sitzt im Rundfunkrat lediglich ein Vertreter der jeweils im Landtag vertretenen Parteien, das sind im Moment nur drei. Ansonsten sind das wirklich sogenannte gesellschaftlich relevante Gruppen, und da nun allerdings im Unterschied zur alten Bundesrepublik kann man diese gesellschaftlich relevanten Gruppen nicht unbedingt immer gleich parteipolitisch zuordnen. Also der Arbeitgeber ist nicht notgedrungen gleich ein CDU- Parteigänger und der Gewerkschafter ist nicht notgedrungen gleich ein SPD- Parteigänger, der Vertreter der Künstlerverbände ist nicht notgedrungen gleich ein Parteigänger von Bündnis90/Grüne und so fort. Sondern das sind relativ unabhängige Persönlichkeiten, die dort sitzen und ihr Amt wahrnehmen. Und von daher ist es einfach noch eine andere Situation als in den alten Bundesländern, wo einfach durch die 40jährige Geschichte manches vielleicht sich ein wenig verschoben hat, das mag schon sein.

An der Stelle bin ich wirklich relativ rigide, da lasse ich mir auch meinen Laden nicht kaputtschwätzen. Es gibt kein Unternehmen, in dem es reibungs- oder konfliktlos zugeht. Und ein Laden ist immer so gut wie die Leute, die das Sagen da haben.

Ich möchte noch einmal ein Zerrbild vorführen, mit der Aufforderung, es gerade zu rücken. Beim ORB, so lautet es, habe die Nähe zu Berlin, die Fortnutzung der alten Rundfunk-Einrichtungen und der unmittelbare Zugriff der Staatskanzlei auch auf kleinste Entscheidungen ohne besondere Kenntnisse von Personen und Zusammenhängen dazu geführt, daß alte Seilschaften sich der neuen Organisation von innen bemächtigen konnten. Das Ergebnis sei eine zum großen Teil katastrophale politische Einseitigkeit der Berichterstattung. In ihrer Ausrichtung auf die Lobhudelei über das Wirken der Potsdamer Staatskanzlei seien hier durchweg noch Rudimente des alten Staatsrundfunks in alter Herrlichkeit erhalten.

Und dazu würde ich aus meiner Hörer-Sicht noch ergänzen: Daß das Wirken der Potsdamer Staatskanzlei in den Programmen des ORB sehr positiv wegkommt, war zumindest am Anfang doch sehr stark zu sehen.

Also, das tut mir leid, das kann ich nicht bestätigen. (lacht) Das glaube ich auch erst, wenn mir das jemand an Beispielen vorführt und erträgt, daß ich ihm auch Gegenbeispiele vorführe.

Ich kann selbst nur den letzten Teil der Aussage beurteilen. Und meine Erfahrung als Hörer ist durchaus, daß es da in den letzten drei Jahren eine Entwicklung gegeben hat. Also am Anfang würde ich dem Bild, daß da das Regierungshandeln sehr, sehr wohlwollend behandelt worden ist, durchaus zustimmen.

Also erstens: Das sind ja nun auch wieder verschiedene Dinge. Regierung und Staatskanzlei sind zwei verschiedene Dinge. Ich kann mich nicht erinnern, daß irgendein Programm des Ostdeutschen Rundfunks Brandenburg das Wirken der Staatskanzlei in besonderer Weise hervorgehoben hätte, also das halte ich für Schwachsinn. Daß es schon eine besondere Affinität zu dem Ministerpräsidenten gab und gibt, ist etwas, was der Ostdeutsche Rundfunk leider auch mit der großen, überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung teilt. Da kann man nun also als Privatmensch zu dem Ministerpräsidenten stehen, wie man will.

Aber ich hätte auch überhaupt keine Mühe, Ihnen aus dem Programm herauszuziehen all die kritischen Beiträge, die das Programm zu der Tätigkeit der Landesregierung in Brandenburg gemacht hat. Ich glaube, sowas ist auch eine Form von autistischer Wahrnehmungsweise. Also es ist absurd, und in dieser pauschalen Formulierung, wie Sie sie eben gebraucht haben, da kann ich nur sagen, es ist Quatsch.

Und in einer weniger pauschalen Formulierung?

Ja, notgedrungen gibt es im Ostdeutschen Rundfunk eine größere Beschäftigung mit der Landesregierung Brandenburg als beispielsweise mit der Landesregierung in Sachsen. Das hat einfach etwas mit dem Auftrag des Programms zu tun, und - mit Verlaub - nicht alles, was die Landesregierung macht, ist der Kritik würdig.


Martin Recke <mr94@zedat.fu-berlin.de>