Beim folgenden Artikel handelt es sich um einen sogenantnen Namensartikel. Nachdruck ist mithin zu honorieren. Berlin, 04.12.94 02:57 Autor: Martin Recke Arbeitstitel: Flügel im Kloster »Vielleicht liegt´s auch am Klavier«, mutmaßt Rolf Dubral. Richtig, der Flügel. Unablässig klimpert er, von einer erstaunlich repertoire-reichen Automatik ange trieben, in der Lobby des Berliner Hilton-Hotels vor sich hin. Denn in diesem Jahr seien eigentlich alle ganz fröhlich, erklärt Dubral, den seine Visitenkarte als Senior Sales Manager ausweist. Seine Firma übrigens nennt sich ZDF Enter prises (ZDFE), ist eine Tochter der gleichnamigen Fernsehanstalt und organi siert in diesem Jahr die German Screenings, wie sich die langjährig etablierte ARD/ZDF-Programmverkaufsmesse heutzutage maskiert. Zwischen all den schicken Anglizismen ist (und bleibt) eines deutscher Zunge, das Programm, das hier in alle Welt verkauft wird aus den öffentlich-rechtlichen Archivschrän ken. Ja, im letzten Jahr, in Hamburg, da habe es eine gewisse Krisensituation gege ben, formuliert der Organisator. Denn die Hotelkosten steigen von Jahr zu Jahr, die Erlöse dagegen nicht unbedingt, man sei nahe an der Schallgrenze heute. Rolf Dubral rechnet auf der Kostenseite mit gut 300.000 DM, die sich am Ende die fünf Gesellschafter brüderlich teilen werden, verursacht durch die Verpfle gung für 260 Gäste und die Miete einer ganzen Hotel-Etage zum Zwecke der Individual Screenings, der Einzel-Vorführungen also. Im dritten Stock. Endlose, gedämpft-graue Hotelflure, von Zeit zu Zeit be schäftigte Menschen darin. Mönchsgleich sitzen sie den ganzen Tag vor der Glotze, Programme begutachtend, Kaufentscheidungen treffend. Doch die di rekte Kaufzusage ist seltener geworden heutzutage: Fast alle müssen erst hei mische Redaktionen, Programmdirektoren oder Kommissionen fragen, bevor sie kaufen dürfen. »Da ist eine Wandlung passiert«, deutet Rosemarie Dermühl (Head World Sales Television/Bavaria) die Zeichen der Zeit. »Früher gab es schnelle Entscheidungen.« Dagegen seien die Sitten des Videomarktes, wo stante pede letters of intent unterzeichnet und Schecks überreicht werden, dem wesentlich öffentlich-rechtlichen Publikum dieser Messe (noch?) fremd. Wenn jemand aber mündliche Kaufzusagen mache, so Rolf Dubral, dann könne man getrost davon ausgehen, daß diese später auch eingelöst würden. Seine Firma jedenfalls habe im vergangenen Jahr über eine Million DM Umsatz, verabredet bei den German Screenings, auch tatsächlich realisiert. Der Videomarkt hat dagegen für ZDFE »noch nicht« nennenswerte Größen ordnungen angenommen. Hauptsächlich Material aus dem Dokumentarbereich käme da zur Zweitverwertung, Scholl-Latour-Produkte zum Beispiel, daneben dann Unterhaltendes wie »Der große Bellheim«. Derrick, der internationale TV- Renner, hingegen nicht. Wer schaut sich schon einen Krimi als Video an, fragt Dubral, der bekennt, noch nie in einem Video-Shop gewesen zu sein. Er hat ja auch seinen eigenen, möchte ich meinen angesichts der zahllosen Videobänder in den »Kassettenräumen« des dritten Geschosses. Am Montag, dem ersten Tag der German Screenings, will er Kaufzusagen für 200.000 DM erhalten ha ben. Außerdem rede man mit der RAI über ein deutlich größeres Paket, wie überhaupt Italien und Frankreich die größten ZDF-Kunden seien. Da dürfte sich die Präsenz doch gelohnt haben, zumal ZDFE am Kostenbündel nur einen der Zahl seiner Räume entsprechenden Anteil zu tragen hat. »Man sieht niemanden«, so bringt Heide Bayer (Telepool) die Liturgie dieser klösterlichen Messe auf einen Nenner. »Alle sitzen in den sechzig Zimmern und schauen von früh bis spät.« Der Telepool, den ZDFE-Mann Dubral zu den bei den lachenden Gewinnern der letztjährigen Screenings-Saison zählt, enthält nicht nur die meisten ARD-Anstalten, er teilt sich mit NDR International auch den Vertrieb des Adlershofer DFF-Materials (unter dem Broschüren-Titel »The Best of the East«). Im Vergleich zu MIP oder MIPCOM in Cannes war die ARD/ZDF-Messe immer die wichtigste für Telepool. Bei weitem die höchsten Umsätze mache man hier: »Denn wer hierher kommt, der sucht deutsche Pro gramme.« Bei der MIP, wo angeblich 8000 Leute herumliefen im Gegensatz zu den 200 diesmal in Berlin, schaut niemand, wie es hier an der Tagesordnung ist, Programme von vorne bis hinten an (»Rolls-Royce-Verfahren« nannte das die Bavaria-Frau Rosemarie Dermühl.). In Cannes hat Telepool gewöhnlich auch nur einen Vorführraum, verschickt statt dessen Cassetten in alle Welt. Mit Ausnahme Rolf Dubrals spricht niemand über seine Umsatzzahlen, jeden falls nicht mit mir. »Vieles kommt erst nacher. Manche machen die Verträge erst, wenn sie dann senden.« (Heide Bayer/Telepool) »...Umsätze können sehr unter schiedlich sein von Jahr zu Jahr. Und es ist schwierig, sie einem konkreten Jahr zuzuordnen, wenn sie am Ende von drei Jahren Verhandlungsarbeit stehen.« (Rosemarie Dermühl/Bavaria) »Es kommt immer darauf an, wieviele neue Pro gramme wir anbieten können. Kein besonders aufregendes Jahr.« (Ulla Lamas- Torres/NDR International) Außerdem verweist Ulla Lamas-Torres auf die durchaus unterschiedlichen Pro grammpreise in Europa. Die gerade neu hinzugekommenen skandinavischen Kommerzsender haben zur Folge, daß ihre öffentlich-rechtlichen Kunden von dort nun auch nach kommerziellerer Ware suchen, die sie »nur in Ausnahme fällen« anzubieten hätten. Ulla Lamas-Torres berichtet von einem Schlüssel erlebnis in Skandinavien, wo bei einem Termin justament ihr WDR-Kollege aus eben jener Tür trat, durch die sie gerade gehen wollte. NDR International trat in Berlin zum ersten Mal gemeinsam mit WDR International auf, seit Jahresanfang kooperieren die beiden »Vertriebsabteilungen« zum Zwecke der Kostenhalbie rung (für Messestände und Reisen) und möglichen Gewinnverdoppelung. Nun ist NDR International für Skandinavien, Italien, Spanien, Portugal, Südamerika und Asien zuständig, das WDR-Pendant betreut Frankreich, Benelux und die englischsprachige Welt. Und den privatkonkurrenzlichen Sündenfall hat NDR International auch schon hinter sich: Zwei Folgen der »Raumpatrouille Orion« gingen an SAT.1, nachdem die Bavaria bereits deren fünf an den Sender mit den Bällen verhökert hatte. Für den Zuschauer wäre nicht einsichtig gewesen, warum ihm zwei der sieben Filmklassiker vorenthalten werden.