Während westdeutsche Zuschauer im vergangenen Jahr pro Tag durchschnitt lich 171 Minuten fernsahen, nutzten die Ostdeutschen im Schnitt 207 Minuten Fernsehen täglich. In Ost wie West sehen die Zuschauer am Tag 78 Minuten öffentlich-rechtliche Programme. In Westdeutschland kommen dazu noch 85 Minuten für kommerzielles TV, während in Ostdeutschland 123 Minuten Kommerz-TV pro Tag gesehen werden. Daraus folgt der Studie zufolge die unterschiedliche Verteilung der Marktanteile (West: ZDF 18,1 %, ARD 17,5 %, RTL 16,6 %, Sat 1 14,2 %; Ost: RTL 20,2 %, Sat 1 17,1 %, ZDF 13,5 %, ARD 12,5 %)
Für den »stärker eskapistischen« Fernsehkonsum nennt die Untersuchung eine Reihe von Ursachen. So sei etwa der Informations- und Unterhaltungsbedarf größer als im Westen, während Freizeitmöglichkeiten fehlten. Im Osten seien 42 Prozent der Bevölkerung Arbeitslose oder Rentner, zwei Gruppen mit hohem Fernsehkonsum, denen im Westen 20 Prozent angehörten. Das durchschnitt liche Haushaltseinkommen liege um etwa 1000 Mark niedriger als im Westen, 23 Prozent der Ostdeutschen lebten in kleineren Gemeinden unter 2000 Einwoh nern, gegenüber 6 Prozent im Westen. Die Zuschauer im Osten der Republik seien weniger kritisch im Umgang mit dem Fernsehen. Nachrichten und Politiksendungen würden genauso intensiv gesehen wie Infotainment und Sensationssendungen. Die Erwartungen an öffentlich-rechtliche und kommerzielle Programme deuteten auf eine Arbeitsteilung hin: Die Zuschauer erwarteten von ARD und ZDF Information, von RTL und Sat 1 Unterhaltung. Beim Image der beiden Fernsehsysteme gebe es eine »deutliche Polarisierung« zwischen ARD und ZDF - »zuverlässig, glaubwürdig, kompetent, aber auch sympathisch und vielseitig« - und den kommerziellen Sendern, die als »etwas beweglicher und mutiger«, aber auch »deutlich anspruchsloser« eingestuft wurden. ARD und ZDF sollten aus Sicht der Ostdeutschen ihre »hohe Informationskompetenz« erhalten und gleichzeitig unterhaltender werden.
Die dritten Programme der ARD werden im Osten nicht nur stärker genutzt als im Westen, sie nehmen durch ihre regionale Orientierung auch eine wichtige Identitätsfunktion wahr. Die Zuschauer schätzten die Berücksichtigung ost deutscher Sichtweisen, die kompetente Darstellung Ostdeutschlands und das »Bekenntnis zur ostdeutschen Fernsehvergangenheit« und bezeichneten die Programme häufig als »unsere Programme« oder als »Ostprogramme«. Der Untersuchung zufolge wirkte sich die Art und Weise, wie Ost- und West deutsche mit den unterschiedlichen Lebensverhältnissen umgingen, auf die Fernsehnutzung aus. Die Ostdeutschen seien generell wesentlich unzufriedener mit ihren Lebensverhältnissen als die Westdeutschen. Vielseher seien im Osten unzufriedener als Durchschnittsseher oder Wenigseher. Die Bewertung der eigenen Lebenslage sei nicht primär durch die Medien, sondern durch die eige nen Erfahrungen bestimmt. Der hohe Fernsehkonsum der Vielseher in West deutschland habe hingegen nicht zu einer differenzierten und kritischen Sicht des Umbruchs im Osten geführt.
Im Herbst 1994 waren nur noch 21 Prozent der Ost-Haushalte auf terrestrische Fernsehverbreitung angewiesen, im Herbst 1991 waren es noch 70 Prozent. 27 Prozent empfangen heute Satelliten-Fernsehen, 21 Prozent sind ans Kabelnetz angeschlossen. RTL und Sat 1 erreichen inzwischen im Osten über 90 Prozent der Haushalte.
Der Vorsitzende der ARD/ZDF-Medienkommission und ZDF-Intendant Dieter Stolte räumte ein, daß die Ergebnisse der Studie ihn irritierten. In Gesprächen mit den Programm-Mitarbeitern würde nun über Schlußfolgerungen nach gedacht. Die Zuschauerbefragungen könnten, so ORB-Intendant Hansjürgen Rosenbauer, »bewußte Entscheidungen« über das Programmprofil nicht er setzen. Rosenbauer hob hervor, daß die öffentlich-rechtlichen Sender sich »als einzige verantwortungsbewußt« der Themen und Konflikte im Osten annähmen. Es sei eine »schwierige Gradwanderung«, wenn die Ostzuschauer einerseits nicht auf die Darstellung der »Ost-Milieus« verzichten wollten, andererseits aber die anhaltende Unterscheidung zwischen Ost- und Westdeutschen beendet sehen möchten. Für die Privaten, die diese Themen nicht behandelten, entstehe hier auch kein Konfliktpotential. (mr)