Olga Prieb

Konstruktivismus
Überlegungen zu seiner Bedeutung für den Einzelnen





Inhalt

Einleitung
Was ist der Radikale Konstruktivismus?

    Erster Einblick in die Thematik
    Einige wichtige Vertreter und ihre Positionen
      Ernst von Glasersfeld
      Heinz von Foerster
      Paul Watzlawick
    Abschließende Bemerkung
Überlegungen zu seiner Bedeutung für den Einzelnen
    Einige meiner Überlegungen zum Film "Die Matrix"
    Was der Konstruktivismus für mich bedeutet
    "Konstruktivistische" Zukunft?!
Literatur
 
 

Einleitung

Im Folgenden möchte ich mich mit dem Thema "Radikaler Konstruktivismus" beschäftigen.

In dem ersten Teil geht es mir vor allem darum, nachvollziehen zu können, was im allgemeinen unter dieser Theorie – falls man es so fassen kann – verstanden wird. Näher betrachtet werden vor allem die Kernaussagen aus einigen ausgewählten Publikationen zu diesem Thema, die dann in Beziehung zueinander gestellt werden sollen. Dies wird der erste Einblick in die Thematik sein.

Weitere Klarheit sollte anhand der Auseinandersetzung mit einigen wichtigen Vertretern herbeigeführt werden. Leider kann ich im Rahmen dieser Arbeit nur auf drei Konstruktivisten näher eingehen und bin mir dessen bewußt, daß dadurch dem Anspruch einer zusammenfassenden Darstellung dieser Richtung nicht gerecht werden kann. Trotzdem sehe ich dies als wichtig an, um dem Leser einen weiteren Einblick in die konstruktivistische Erkenntnistheorie bieten zu können. Ich beschränke mich auf die drei wichtigen Vertreter Ernst von Glasersfeld, Heinz von Foerster und Paul Watzlawick, Namen, mit denen im allgemeinen der Radikale Konstruktivismus assoziiert wird. Ich werde versuchen, die Schwerpunkte derer Theorien herauszuarbeiten und verständlich auszuführen. Abschließen wird dieser Teil meiner Arbeit mit einem Zitat von Ernst von Glasersfeld, das als zusammenfassender Überblick dienen soll.

Der zweite Teil beginnt mit der Betrachtung einiger konstruktivistischer Ansätze in dem Film "Die Matrix". Es soll lediglich mein Eindruck von diesem Film in kurzer Form vermittelt werden.

Danach werde ich darauf eingehen, was der Konstruktivismus für mich bedeutet und welche neuen Sichtweisen er für mich mit sich bringt.

In dem Abschnitt "konstruktivistische" Zukunft soll dann darauf eingegangen werden, wie es werden könnte, wenn dieses konstruktivistische Gedankengut, das schon länger auf der wissenschaftlichen Ebene diskutiert wird, sich auf die gesellschaftliche Ebene, also vor allem auf den Einzelnen überträgt. Bei einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den konstruktivistischen Gedanken würde dem Einzelnen das Vertrauen in die bestehende Welt, daß alles "wirklich" so ist, wie er es sieht und wahrnimmt, genommen werden. Die sichere Existenzbasis wird ihm damit unter den Füßen weg gezogen. Wie kann er aber trotz dieses Wissens weiter in unserer Gesellschaft leben und vor allem handeln. Welche neuen Möglichkeiten eröffnen sich vielleicht sogar für ihn.

Dieser Teil meiner Arbeit basiert aber hauptsächlich auf meinen eigenen Überlegungen, vielleicht sogar Spekulationen. Zur Verteidigung dieses abschließenden Teils der Hausarbeit kann gesagt werden, daß niemand wirklich wissen kann, wie es kommen würde, denn mit unseren Überlegungen zu diesem Thema stehen wir alle am Anfang und deshalb ist jede unsere Auseinandersetzung damit sinnvoll und wichtig.
 

Erster Einblick in die Thematik

Wie Niklas Luhmann in seinem Aufsatz "Das Erkenntnisprogramm des Konstruktivismus und die unbekannt bleibende Realität" anfangs feststellt, macht ein neuer "radikaler" Konstruktivismus von sich reden. Man erfahre etwas über das Eingeschlossensein des Gehirns und über die Autopoiesis des Lebens und werde darüber belehrt, daß man nicht sehen kann, was man nicht sehen kann. Die Expansion verlaufe "mehr epidemisch als epistemisch".

Im Vorwort zur deutschen Ausgabe von Ernst von Glasersfelds "Radikaler Konstruktivismus" schreibt Siegfried J. Schmidt zu dieser Entwicklung, "der "Radikale Konstruktivismus" ist, folgt man Artikeln in Fachzeitschriften, ja schon in Tageszeitungen zur neuen Modephilosophie geworden". Gegner und Befürworter liefern sich bittere Argumentationsgefechte so Schmidt, in denen aber die bedeutsamen Hypothesen konstruktivistischen Denkens unterzugehen drohen.

Im Folgenden setze ich mich mit diesen bedeutsamen Hypothesen des konstruktivistischen Denkens, von denen Schmidt spricht, auseinander. Ich werde versuchen, diese zusammenfassend darzustellen, um damit ein Verständnis zu gewinnen, was mit diesem "Radikalen Konstruktivismus" im allgemeinen gemeint wird.

Nach langer Suche in zahlreichen Publikationen zu diesem Thema stieß ich immer wieder auf die Schwierigkeit, das, was das konstruktivistische Denken ausmacht, zusammenfassend und verständlich darstellen zu können. Weitergeholfen hat mir dann eine Äußerung von S.J.Schmidt, der ebenfalls diese Problematik erkennt und eine Erklärung dafür bietet:

"Versuche, kohärent darzustellen, was der Radikale Konstruktivismus ist ebenso wie Versuche, den Radikalen Konstruktivismus zu kritisieren, stoßen bald an eine Grenze: Konstruktivismus ist kein einheitliches Theoriegebäude, das von einer homogenen Gruppe von Forschern entwickelt worden ist und bereits in lehrhafter Form vorliegt. Vielmehr handelt es sich eher um einen Diskurs, in dem viele Stimmen aus ganz unterschiedlichen Disziplinen zu hören sind – (K.J.Gergen:"shared consciousness rather than a movement") – und manchmal durchaus dissonant".

Ernst von Glasersfeld nennt es eine bemerkenswerte Erfahrung, auf einer 1978 in San Francisco statt gefundenen Tagung zum Thema "Die Konstruktion von Wirklichkeiten" festgestellt zu haben, daß es "etablierte und hochangesehene Denker in der Biologie, Soziologie, Politikwissenschaft, Logik, Linguistik, Anthropologie und Psychotherapie gab, die alle auf ihre eigene und ganz unterschiedliche Weise zu dem Schluß gekommen waren, daß die traditionelle Erkenntnistheorie nicht länger aufrechterhalten werden konnte". Demnach versuche der Radikale Konstruktivismus "als Theorie des Wissens die traditionellen Fragen der Erkenntnistheorie neu zu beantworten".

Allerdings blieb nur wenig Zeit, so von Glasersfeld, für einen Versuch, grundlegende Prinzipien zu formulieren.

Dennoch kann meiner Meinung nach versucht werden, vor allem anhand neu erschienener Werke, eine gemeinsame Basis zu finden, die eine Sichtweise vermittelt, welche die Vertreter der genannten Disziplinen teilen.

Die Einführungslektüre in das Themengebiet besteht aus Aufsätzen von Autoren, die aus unterschiedlichsten wissenschaflichen Richtungen kommen. Luhmann sieht die Nichtidentität von Autoren und Herausgebern als "ein gutes soziologisches Indiz für die Verbreitungsgeschwindigkeit".

Was also ist dieser Radikale Konstruktivismus, diese "Modephilosophie", die sich "mehr epidemisch als epistemisch" verbreitet?

In einem soziologischen Lexikon läßt sich folgende Definition des Radikalen Konstruktivismus finden:

"In der gegenwärtigen Erkenntnistheorie behauptet der "Radikale Konstruktivismus", daß Kognitionen (Wahrnehmungen usw.) die Wirklichkeit nicht abbilden. Das die Sinnesempfindungen verarbeitende Gehirn repräsentiere nicht die äußere Realität, vielmehr konstruiere es sie".

Zunächst scheint es mir jedoch wichtig, auf den Begriff der Konstruktion näher einzugehen. Vermutlich wird dieser Begriff in der Epistemologie anders und viel differenzierter definiert als er uns im umgangssprachlichen Gebrauch geläufig ist. Arno Ros spricht das Nichtvorhandensein einer expliziten Definition des Begriffs "Konstruktion" in der Fachliteratur zum Konstruktivismus an:

"Daß der Begriff der Konstruktion für die erkenntnistheoretischen Grundannahmen, die von Vertretern des Radikalen Konstruktivismus befürwortet werden, eine zentrale Rolle spielt, gibt bereits der Name der gesamten Richtung zu verstehen. Angesichts dieser Sachlage sollte man erwarten, daß sich in den Schriften radikaler Konstruktivisten besonders detaillierte Auskünfte darüber finden lassen, was mit jenem Begriff gemeint ist. In Wirklichkeit ist dies jedoch keineswegs, oder jedenfalls nicht in dem zu wünschenden Ausmaß, der Fall".

Auf der Suche nach der Beantwortung dieser Frage stieß ich auf Siegfried J. Schmidt, der in diesem Zusammenhang von einem immer wieder auftauchenden Mißverständnis bei der kritischen Diskussion konstruktivistischer Theorien spricht, denn "umgangssprachlich bezeichnet man planvolle, intentionale Tätigkeiten willkürlicher Herstellung als Konstruktion".

"Ganz im Gegenteil dazu benutzen viele Konstruktivisten – leider meist ohne expliziten Hinweis – dieses Wort, um Prozesse zu bezeichnen, in deren Verlauf Wirklichkeitsentwürfe sich herausbilden, und zwar keineswegs willkürlich, sondern gemäß den biologischen, kognitiven, sozialen und kulturellen Bedingungen, denen sozialisierte Individuen in ihrer sozialen und natürlichen Umwelt unterworfen sind. Über viele dieser Bedingungen kann ein Individuum überhaupt nicht verfügen. Schon deshalb wäre es sinnlos, Wirklichkeitskonstruktion als planvollen und in jeder Phase bewußt gesteuerten Prozeß zu konzipieren".

Wenn also die äußere Realität konstruiert wird, und zwar im Gehirn, kommt konsequent die Frage nach deren realen Existenz auf. Die Antwort darauf ist die zentrale Annahme des Radikalen Konstruktivismus, nämlich daß es keine ontologische Realität gibt. Dieser Schluß wird verständlich, wenn man sich überlegt, daß jedem Subjekt grundsätzlich nur die eigene Realität zugänglich ist und es unmöglich ist, darüber hinaus etwas zu erkennen. Es ist also unmöglich, mit den Augen eines anderen zu sehen und die Realität des anderen zu erforschen. Jeder konstruiert sich selbst seine eigene "Erlebenswirklichkeit", die mit der absolut "wahren" Wirklichkeit nicht verglichen und daher nicht auf ihre "Richtigkeit" hin überprüft werden kann. Die angesprochene "Richtigkeit" einer Wirklichkeit würde uns auf die Abbildtheorie verweisen, bei der sich die Richtigkeit durch den Abstand des Abbildes zur eigentlichen Realität bemißt. Da aber im Konstruktivismus die Existenz der eigentlichen Realität bestritten wird, spricht er gegen jede Form der Abbildtheorie.

S.J.Schmidt formuliert den Kerngedanken des Konstruktivismus folgendermaßen:

"Wir konstruieren durch unsere vielfältigen Tätigkeiten (Wahrnehmen, Denken, Handeln, Kommunizieren) eine Erfahrungswirklichkeit, die wir bestenfalls auf ihre Gangbarkeit oder Lebbarkeit (viability) hin erproben können, nicht aber auf ihre Übereinstimmung mit einer wahrnehmungsunabhängigen Realität. Oder als H. von Foersters sog. Grundprinzip des Konstruktivismus formuliert: "Erfahrung ist Ursache, die Welt die Folge"".

Nun steckt in dieser Formulierung des konstruktivistischen Grundprinzips einiges, was noch zu klären und weiter auszuführen wäre. So impliziert die "Konstruktion durch unsere Tätigkeiten", daß das Wissen über die Welt, in der ein denkendes Subjekt lebt, von diesem nicht passiv aufgenommen, sondern aktiv aufgebaut wird. Das Wissen beruht also grundsätzlich auf eigener Erfahrung, auf den eigenen Konstruktionen und kommt nicht von außen. Dies ist ein wichtiger Punkt für die Vorgehensweise in der konstruktivistischen Erkenntnistheorie, denn diese behauptet,

"[...], daß wir die Operationen, mit denen wir unsere Erlebenswelt zusammenstellen, weitgehend erschließen können, und daß uns dann die Bewußtheit des Operierens [...] helfen kann, es anders und vielleicht besser zu machen".

Hierbei bezieht sich von Glasersfeld auf Piaget, der eine Reihe von Untersuchungen durchgeführt hat, um zu erfahren, wie sich Kinder die Wirklichkeit konstruieren. Bei solchen Untersuchungen tritt der Erkenntnisprozeß in den Vordergrund. Diesen grundlegenden Punkt formuliert Siegfried J. Schmidt folgendermaßen:

"Es empfiehlt sich, von Was-Fragen auf Wie-Fragen umzustellen; denn wenn wir in einer Wirklichkeit leben, die durch unsere kognitiven und sozialen Aktivitäten bestimmt wird, ist es ratsam, von Operationen und deren Bedingungen auszugehen statt von Objekten oder von "der Natur"".

Die Aussage, daß wir die von uns konstruierte "Erfahrungswirklichkeit" bestenfalls auf ihre Viabilität hin erproben könnten, nicht aber auf ihre Übereinstimmung mit einer wahrnehmungsunabhängigen Realität, beinhaltet die Annahme, daß es nur wahrnehmungsabhängige Realität geben kann, die aber nicht mit der "objektiven" Wirklichkeit verglichen werden kann. Denn wie Heinz von Foerster schreibt: "Objektivität ist die Wahnvorstellung, Beobachtungen könnten ohne Beobachter gemacht werden".

Die Auffassung jedoch, daß dem Menschen die Erkenntnis einer absoluten Wahrheit verwehrt bleibt, kann sich innerhalb der europäischen Geistesgeschichte auf eine lange Tradition berufen.

Schon Demokrit behauptete im fünften Jahrhundert vor Christus, daß wir nicht erkennen könnten, wie in Wirklichkeit ein jedes Ding beschaffen oder nicht beschaffen sei.

Xenophanes formulierte zu seiner Zeit (geboren gegen 570 v.Chr.) bereits auf prägnante Weise den Glauben, daß wahres Wissen der realen Welt niemals erreicht werden kann:

"Und das Genaue freilich erblickte kein Mensch, und es wird auch nie jemand sein, der es weiß (erblickt hat) in bezug auf die Götter und alle Dinge, die ich nur immer erwähne; denn selbst wenn es einem im höchsten Maße gelänge, ein Vollendetes auszusprechen, so hat er selbst trotzdem kein Wissen davon: Schein (Meinen) haftet an allem" (Xenophanes, Fragment 34; Diels 1957, S.20)".

Was ist also das Neue und Radikale am Konstruktivismus?

Der Konstruktivismus bricht mit der Hauptströmung der abendländischen Philosophie insofern, daß er behauptet, daß eben keine Realität und keine Ideen hinter den Dingen stecken. Ernst von Glasersfeld formuliert die "Radikalität" des Konstruktivismus wie folgt:

"Der radikale Unterschied liegt in dem Verhältnis zwischen Wissen und Wirklichkeit. Während die traditionelle Auffassung in der Erkenntnislehre wie in der kognitiven Psychologie dieses Verhältnis stets als eine mehr oder weniger bildhafte (ikonische) Übereinstimmung oder Korrespondenz betrachtet, sieht der radikale Konstruktivismus es als Anpassung im funktionalen Sinn".

Daß die Erfahrungswirklichkeit bestenfalls auf ihre Viabilität hin überprüft werden könne, bringt also die anfängliche Überlegung, daß eine subjektive Realitätskonstruktion nicht richtig oder falsch sein kann, mit sich. Um aber die Realitätskonstruktionen im Konstruktivismus bewerten zu können, stellt von Glasersfeld einen eigenen Wahrheitsbegriff auf. Er spricht von Viabilität. Eine Realitätskonstruktion ist dann viabel, wenn sie paßt, das heißt, wenn sie zum erfolgreichen Überleben einer Spezies oder eines Subjekts beiträgt.

Um den Begriff der Viabilität zu veranschaulichen, spielt Ernst von Glasersfeld die beiden Wörter "match" ((überein)stimmen) und "fit" (passen) gegeneinander aus. Sagen wir, daß etwas "stimmt", beispielsweise eine Abbildung, so bedeute dies, daß sie das Abgebildete wiedergibt und mit ihm in irgendeiner Weise gleichförmig ist. Sagen wir andererseits von etwas, daß es "paßt", so bedeute das nicht mehr oder weniger, als daß es "den Dienst leistet, den wir uns von ihm erhofften". So beschreibt das Passen die Fähigkeit des Schlüssels, nicht aber das Schloß. Den Hauptpunkt, um den es hier geht, formuliert von Glasersfeld folgendermaßen:

"Vom Gesichtspunkt des radikalen Konstruktivismus aus stehen wir alle – Wissenschaftler, Philosophen, Laien, Schulkinder, Tiere, ja Lebewesen aller Art – unserer Umwelt gegenüber als Einbrecher dem Schloß, das er aufsperren muß, um Beute zu machen".

Weiterhin bedeute dies, daß unsere Wortbedeutungen durch die ständigen nichtsprachlichen und sprachlichen Interaktionen mit unseren Mitmenschen modifiziert und dem gemeinsamen Gebrauch angepaßt werden. Das Ergebnis derartiger Anpassung könne im besten Falle aber nur relative Kompatibilität und niemals Identität bestätigen, so Ernst von Glasersfeld.

"Das heißt, daß wir in der Organisation unserer Erlebenswelt stets so vorzugehen trachten, daß das, was wir da aus Elementen der Sinneswahrnehmung und des Denkens zusammenstellen – Dinge, Zustände, Verhältnisse, Begriffe, Regeln, Theorien, Ansichten und, letzen Endes, Weltbild –, so beschaffen ist, daß es im weiteren Fluß unserer Erlebnisse brauchbar zu bleiben verspricht".

Auf dieser Grundlage formuliert der Radikale Konstruktivismus mit Hilfe von Piagets Theorie der kognitiven Entwicklung seine Grundprinzipien:

1. (a) Wissen wird nicht passiv aufgenommen, weder durch die Sinnesorgane noch durch Kommunikation.
(b) Wissen wird vom denkenden Subjekt aktiv aufgebaut.
2. (a) Die Funktion der Kognition ist adaptiver Art, und zwar im biologischen Sinn des Wortes, und zielt auf Passung oder Viabilität;
(b) Kognition dient der Organisation der Erfahrungswelt des Subjekts und nicht der "Erkenntnis" einer objektiven ontologischen Realität"
 

Einige wichtige Vertreter und ihre Positionen

Im weiteren Verlauf werde ich auf die drei von mir ausgesuchten Vertreter des Radikalen Konstruktivismus näher eingehen. Es ist schwierig, sich auf die Auswahl nur einiger weniger Vertreter einzulassen, denn eigentlich ist mir dabei bewußt, daß ich durch diese Selektion vieles außer Acht lasse. Sicherlich wären auch andere Vorgehensweisen denkbar, beispielsweise wichtige Begriffe und dazugehörige Begriffsdefinitionen in den Mittelpunkt zu stellen und sich entlang dieser vorzuarbeiten, oder auch sich bei der Darstellung an den konstruktivistischen Denkrichtungen zu orientieren. Ich habe mich aber für diese drei Wissenschaftler, die alle aus verschiedenen Disziplinen – von Glasersfeld (Sprachwissenschaften, Psychologie), von Foerster (Kybernetik, Biophysik), Watzlawick (Psychologie, Psychotherapie) – kommen, entschieden, um zu zeigen, wie diese Vertreter verschiedener wissenschaftlichen Richtungen den konstruktivistischen Ansatz erläutern und dazu Stellung nehmen. Im Rahmen dieser Arbeit kann leider nicht ausführlich genug auf deren Positionen eingegangen werden. Wichtig dabei ist, feststellen zu können, was sie für das Wichtige und Interessante am Konstruktivismus halten und ihre zentralen Aussagen darzustellen.

Ernst von Glasersfeld
Da Ernst von Glasersfeld im allgemeinen als Begründer des Radikalen Konstruktivismus gilt, sehe ich es als sinnvoll an, auf seine Auffassung vom Radikalen Konstruktivismus als erstes näher einzugehen.

Zunächst aber einiges zu seiner Biographie, anhand derer er sein - wie er es selbst nennt - "Heranwachsen zum Konstruktivisten" einsichtig darstellt. Ganz früh schon hat er mit mehreren Sprachen zu tun, durch seine Eltern und durch mehrere Wohn- und Aufenthaltsorte. Dieser lebendige Umgang mit vielen Sprachen ließ ihn früh erkennen, daß der Zugang zur Welt in jeder Sprache ein anderer ist. Schon in der Schule verstand er, daß "das Eindringen in eine fremde Sprache nicht nur andere Wörter und andere Grammatik mit sich brachte, sondern auch eine neue Art des Sehens, Fühlens und somit eine neue Art, Erfahrung begrifflich zu fassen". Damit kam er an den Kern der allgemein bekannten Sapir-Whorf-Hypothese, die inhaltsgemäß besagt, die Struktur der Welt werde durch die Muttersprache geprägt. Menschen müssen also die Welt so sehen und beschreiben, wie es die Muttersprache festlegt und jede Sprache bedeutet eine andere begriffliche Welt.

"Die Befreiung von einer einzigen Muttersprache erleichtert in vieler Hinsicht das unmittelbare Verständnis bestimmter Aspekte des Konstruktivismus, die all jenen sehr viel Mühe bereiten, deren Weltanschauung durch eine einzige Sprache begrenzt wird". Ernst von Glasersfeld betont immer wieder, daß die Aneignung der konstruktivistischen Position erfordere, daß man fast alles umbaut, was man vorher gedacht hat. Der Konstruktivismus bedeute einen "radikalen Umbau der Begriffe des Wissens, der Wahrheit, der Kommunikation und des Verstehens" und könne daher mit keiner traditionellen Erkenntnistheorie versöhnt werden. "Vor allem scheint es enorme Schwierigkeiten zu bereiten, daß der Radikale Konstruktivismus keine Weltanschauung ist, die beansprucht, das endgültige Bild der Welt zu enthüllen. Er beansprucht nicht mehr zu sein als eine kohärente Denkweise, die helfen soll, mit der prinzipiell unbegreifbaren Welt unserer Erfahrung fertig zu werden, und die – was vielleicht besonders wichtig ist – die Verantwortung für alles Tun und Denken dorthin verlegt, wo sie hingehört: in das Individuum nämlich". Das als letzteres Angesprochene ist ein wichtiger Punkt für die Konsequenzen, die man aus der konstruktivistischen Auffassung ziehen könnte, nämlich, daß diese Verantwortung impliziert.

Nach Ernst von Glasersfeld ist der Radikale Konstruktivismus

"[...] ein Versuch, eine Theorie des Wissens aufzubauen, die keinerlei ontologische Ansprüche erhebt und darum auch nicht von der Annahme einer vom Wissenden unabhängigen Realität ausgeht. Der Konstruktivismus möchte menschliches Wissen einzig und allein auf die Erlebenswelt beziehen und erkunden, wie man aus der eigenen Erfahrung Dinge aufbauen kann, die man dann als Wissen betrachtet". Daher beschäftigt sich der Radikale Konstruktivismus mit der zentralen Frage, wie Erfahrungen gemacht, Wissen gewonnen, Schemata und Strukturen abstrahiert und Bedeutungen begrifflich konstruiert werden.

Ernst von Glasersfeld kommt vor allem durch seine sprachanalytischen Forschungen zu der Überzeugung: "Wortbedeutung wird auf Grund subjektiver Erfahrung aufgebaut". Dies macht er am Beispiel eines kleinen Kindes verständlich, das die visuelle Wahrnehmung eines Gegenstandes mit der auditiven Wahrnehmung des Wortes assoziiert. Daher sei es völlig klar, so der Autor, "daß die beiden Wahrnehmungen, die das Kind da assoziiert, Erlebnisse des Kindes sind und nicht etwa die Vorstellungen der Erwachsenen, die das Kind zu seinen Erlebnissen führen".

Diese Einsicht kann uns helfen, die Probleme des "Verstehens" zu verstehen, denn was wir im allgemeinen "Verstehen" nennen, geht oft nicht so vor sich, wie man oft glaubt. Denn wenn A zu B etwas sagt, so gibt es für B keine Möglichkeit zu erfahren, was sich im Kopf von A dabei abspielt. Es ist unmöglich, zu überprüfen, wie die vom "Sender" ausgegangene Information bei dem "Empfänger" wirklich ankommt.

"Wenn ich behaupte, ich hätte verstanden, was jemand zu mir sagt, dann heißt es keineswegs, daß ich mir in meinem Kopf ein Begriffsnetz aufgebaut habe, das dem des Sprechers genau gleicht. Es heißt nichts anderes, als daß es mir gelungen ist, in der gegenwärtigen Situation ein Begriffsnetz zu konstruieren, das mit meiner Auffassung von dem Sprecher in eben dieser Situation vereinbar ist und nicht zu Schwierigkeiten führt. Es scheint mir in die Situation zu passen, und meine Reaktion führt nicht zu Reibungen oder Unstimmigkeiten seitens des anderen Sprechers. Wie wir alle wissen, kommt es oft vor – und nicht nur bei Kindern – , daß wir beim nächsten Gebrauch eines Wortes oder Ausdrucks darauf kommen, daß das vorher angenommene Verstandenwerden nur scheinbar war". Aus diesen Überlegungen folgert Ernst von Glasersfeld: "Wenn dem so ist, dann kann man sagen, die Sprache übermittelt nicht, sondern wie Humberto Maturana es ausdrückt, sie orientiert. Das deutet darauf hin, daß die Sprache kein Transportmittel ist, sondern daß man eben durch Sprechen bestenfalls die begriffliche Konstruktion der Zuhörer einschränken und in gewünschte Richtungen leiten kann. Aber man kann ihnen durch Wörter nie das vorschreiben, was man sie denken machen möchte". Wahrscheinlich mögen wir deshalb eher Hörspiele, da wir dort unserer Phantasie und Kreativität freien Lauf lassen können und uns die beschrieben Helden selbst "ausmalen" können. Genauso ist es beim Lesen eines Buches, denn dort konstruieren wir uns die beschriebene Handlung mit eigenen Bildern. Daher ist auch die Diskrepanz nachvollziehbar, die man spürt, wenn das gelesene Buch verfilmt wird, denn meist entsprechen die im Film dargestellten Helden und Situationen nicht den unserigen, die wir uns beim Lesen vorstellten, wie auch.

Ernst von Glaserfeld zitiert dazu Silvio Ceccato, der schreibt, daß unter der Annahme, daß Wahrnemung und Erkenntnis unter keinen Umständen ontische Objekte widerspiegeln, als "kreative" Tätigkeiten zu betrachten seien. Demzufolge sei "ein Bild, das wir sehen nicht weniger das Ergebnis eigener Handlungen als ein Bild, das wir malen, ein Loch, das wir graben, oder ein Haus, das wir bauen". Diese konstruktivistische Auslegung gehe auf Giambattista Vico zurück, der bereits 1710 schrieb: "... wenn die Sinne (aktive) Fähigkeiten sind, so folgt daraus, daß wir Farben machen, indem wir sehen, die Geschmäcke, indem wir schmecken, die Töne, indem wir hören, das Kalte und Heiße, indem wir tasten".

Um zu studieren, wie Wissen aufgebaut wird, interessiert sich Piaget – in erster Linie Biologe und in zweiter Linie Epistemologe – für die kognitive Entwicklung bei Kindern. Er ist der Ansicht, daß Wissen von jedem einzelnen aufgebaut werden müsse. Ernst von Glasersfeld schreibt dazu:

"Von seinem biologischen Gesichtspunkt aus sah er (Piaget) die Funktion der kognitiven Fähigkeit nicht im Repräsentieren einer ontologischen Realität, sondern als Instrument der Anpassung an die Erlebenswelt. Biologische Anpassung hat nichts mit Abbilden zu tun. Sich anpassen heißt da, Möglichkeiten und Mittel finden, um zwischen den Widerständen und Hindernissen der erlebten Umwelt durchzukommen. In meiner Ausdrucksweise nenne ich das gangbare oder viable Handlungs- und Denkweisen aufbauen". Mit dieser grundlegenden instrumentalen Auffassung des Wissensbegriffs setzt sich Piaget von der herkömmlichen Erkenntnistheorie ab und beginnt, seine "genetische Epistemologie" aufzubauen. Als Wissenschaftler interessierte ihn vor allem der Aufbau des rationalen Wissens. "Da er die Erkenntnis im Sinne der "Entdeckung" oder "Widerspiegelung" einer unabhängigen, absoluten Realität verwarf, sich aber auch klar darüber war, daß begriffliche Strukturen nur indirekt mit der Aufgabe der biologischen Anpassung zusammenhängen, suchte er eine andere Triebfeder für den Wissensdrang. Er fand sie in dem Begriff der Äquilibration. Die intelligenten Strukturen, die ein Organismus sich aufbaut, entstehen als Ergebnis der Selbstregulierung – wobei "Regulierung" im Begrifflichen auf Zusammenhang und Widerspruchslosigkeit abzielt, und im biologischen auf Lebensfähigkeit. Im Rahmen seiner revolutionären Wissenstheorie schuf Piaget eine Reihe von Schlüsselbegriffen – Assimilation, Akkommodation, Handlungsschema, reflektierende Abstraktion, usw. [...]. Mit diesen Begriffen umriß er die Werkzeuge, mit deren Hilfe wir die Vorstellung von unserer Wirklichkeit aufbauen". Da durch die Betonung der "Selbstregulierung" die Kybernetik mit Piagets genetischer Epistemologie verwandt ist, wären wir schon bei dem nächsten wichtigen Vertreter, nämlich bei Heinz von Foerster.
 

Heinz von Foerster
Mit Hilfe der Kybernetik hofft Heinz von Foerster wie auch andere Vertreter des Radikalen Konstruktivismus, daß die Brücke von den Natur- zu Geisteswissenschaften geschlagen werden könnte. Hans Rudi Fischer schreibt dazu:

"Der Radikale Konstruktivismus sucht als Theorie des Wissens die traditionellen Fragen der Erkenntnistheorie neu zu beantworten. Die genuin philosophischen fragen danach, was Erkenntnis ist, wie sie erlangt und wie sie gerechtfertigt werden kann, verwandeln sich dabei in die Frage, wie das Substrat aller Erkenntnis, unser Gehirn, Erkenntnis erzeugt. Der Radikale Konstruktivismus vollzieht also die Dichotomie von philosophischer Erkenntnistheorie als Metadisziplin und den empirischen Wissenschaften, die sich mit Kognition beschäftigen, nicht mit". Heinz von Foerster zitiert Margaret Mead, die in einem ihrer Vorträge für die American Society of Cybernetiks sagte: "Insbesondere möchte ich auf die Bedeutung der interdisziplinären Begriffe hinweisen, die wir anfangs als "feed-back", dann als "teleologische Mechanismen" und dann als "Kybernetik" bezeichnet haben – eine Form interdisziplinären Denkens, die es den Mitgliedern vieler Disziplinen ermöglicht hat, miteinander in einer Sprache zu kommunizieren, die alle verstehen konnten". Was ist unter Kybernetik zu verstehen?

Man spricht im allgemeinen von Kybernetik, wenn "Effektoren, wie z.B. ein Motor, eine Maschine, unsere Muskeln usw. mit einem sensorischen Organ verbunden sind, das mit seinen Signalen auf die Effektoren zurückwirkt. Es ist diese zirkuläre Organisation, die die kybernetischen Systeme von anders organisierten Systemen unterscheidet".

Heinz von Foerster zitiert auch Gregory Bateson, der folgendes zu Kybernetik sagt: "Kybernetik ist ein Zweig der Mathematik, der sich mit den Problemen der Kontrolle, der Rekursivität und der Information beschäftigt."

Es werden noch weitere Auffassungen von Kybernetik zitiert, was aber diesen gemeinsam ist, so von Foerster, ist das Thema der Zirkularität. Denn Vertreter verschiedener Disziplinen sahen sich immer stärker "in eine größer werdende Zirkularität eingeschlossen, ob in der Zirkularität ihrer Familie, der ihrer Gesellschaft und Kultur oder sogar in eine Zirkularität kosmischen Ausmaßes". Dies verstieß aber zu damaligen Zeit – vor ungefähr einem halben Jahrhundert – gegen die Grenzen des Erlaubten, nämlich gegen das Prinzip der Objektivität im wissenschaftlichen Diskurs, das die Trennung von Beobachter und Beobachtetem gebietet. Um die "Unsinnigkeit" dieses Prinzips zu demonstrieren schreibt von Foerster: "wenn die Eigenschaften des Beobachters, nämlich die Eigenschaften des Beobachtens und Beschreibens, ausgeschlossen werden, bleibt nichts mehr übrig, weder die Beobachtung noch die Beschreibung". Es vollzog sich also ein Wechsel von der Beobachtung dessen, was außerhalb liegt, zur Beobachtung des Beobachtens. Neu an den Bemühungen heutiger Kybernetiker ist die Einsicht:

"[...], daß es eines Gehirns bedarf, um eine Theorie über das Gehirn zu schreiben. Daraus folgt, daß eine Theorie über das Gehirn, die Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, dem Schreiben dieser Theorie gerecht werden muß. Und, was noch faszinierender ist, der Schreiber dieser Theorie muß über sich selbst Rechenschaft ablegen. Auf das Gebiet der Kybernetik übertragen heißt das: indem der Kybernetiker sein eigenes Terrain betritt, muß er seinen eigenen Aktivitäten gerecht werden: die Kybernetik wird zur Kybernetik der Kybernetik, oder zu Kybernetik zweiter Ordnung". Die zentrale Behauptung, die Heinz von Foerster als Postulat formuliert, lautet: "Die Umwelt, so wie wir sie wahrnehmen, ist unsere Erfindung".

Der Autor macht an einer Reihe von Experimenten deutlich, daß man nicht sieht, daß man nicht sieht. Das Paradebeispiel dazu ist der "blinde Fleck" des menschlichen Auges, den man im alltäglichen Handeln gar nicht wahrnimmt, denn das Sehfeld scheint überall zusammenhängend und geschlossen, man sieht ja nirgendwo ein schwarzes Loch oder ähnliches. Wir bemerken also das Existieren des blinden Flecks nicht, da wir selbst, falls ein Fragment des Wahrgenommenen fehlt, es selbstverständlich konstruierend ergänzen. Nur mit allgemein bekannten Experimenten kann festgestellt werden, wie ein Punkt verschwindet, während man versucht, mit dem linken Auge den neben dem Punkt vorhandenen Stern auf bestimmtem Abstand zu fixieren. Hierbei bemerkt man erst, daß man nicht sieht, daß man nicht sieht.

Ein sehr guter Bekannter von mir, der leider nur ein Auge hat, erzählt mir immer wieder von seinen Erlebnissen, die ihn immer wieder daran erinnern, daß er durch das Nichtvorhandensein seines linken Auges räumlich nicht sehen kann, also nur flach sieht. Das fällt ihm in der Regel gar nicht mehr auf, obwohl er es natürlich genau weiß. Es ist ihm wieder bewußt geworden, daß da was fehlt, als er es nach mehreren Versuchen nicht schaffte, mit einem Akkuschrauber eine Schraube gerade rein zu bekommen. Denn er sah immer nur, daß er den Schrauber genau vertikal zu dem Brett hielt, ohne feststellen zu können, ob der Schrauber vielleicht zu weit nach vorne oder nach hinten positioniert war. Fast keine der Schrauben ging richtig ins Brett rein. So hat ihm der Akkuschrauber, der eigentlich die Arbeit erleichtern sollte, das Leben nur noch schwerer gemacht. Außerdem hat dieser Bekannte in dem Sehfeld des anderen Auges einen größeren Bereich, mit dem er nichts sehen kann. So war er mehrmals überrascht, als er auf der Straße gehend keinen Menschen sah, bis jemand plötzlich aus dem "nichts" genau vor ihm auftauchte. Als es ihm öfter passiert ist, ging er zum Augenarzt, und ließ ihm die Ursache des Erlebten erklären.

Heinz von Foerster schildert mehrere Situationen, um deutlich zu machen, daß wir sehen oder hören, was nicht "da" ist, oder in denen wir nicht sehen oder hören, was da ist, sofern nicht das Zusammenspiel von Sinneseindruck und Bewegung uns begreifen läßt, was da zu sein scheint.

Untermauert wird diese Behauptung durch das folgende "Prinzip der undifferenzierten Codierung":

"In den Erregungszuständen einer Nervenzelle ist nicht die physikalische Natur der Erregungsursache codiert. Codiert wird lediglich die Intensität dieser Erregungsursache, also ein "wieviel" und nicht ein "was"". Auch Gerhard Roth formuliert einen ähnlichen Gedanken: "Das Gehirn kann zwar über seine Sinnesorgane durch die Umwelt erregt werden, diese Erregungen enthalten jedoch keine bedeutungshaften und verläßlichen Informationen über die Umwelt. Vielmehr muß das Gehirn über den Vergleich und die Kombination von sensorischen Elementarereignissen Bedeutungen erzeugen und diese Bedeutungen anhand interner Kriterien überprüfen. Dies sind die Bausteine der Wirklichkeit. Die Wirklichkeit, in der ich lebe, ist damit ein Konstrukt des Gehirns". Heinz von Foerster schreibt weiter, daß die Sinneszellen, seien es die Geschmacksknospen der Zunge, die Tastsinneszellen oder all die anderen Rezeptoren, die mit einer Empfindung wie Geruch, Wärme und Kälte, Schall oder anderem verknüpft sind, sämtlich "blind" für die Qualität der Reize seien und sprächen lediglich auf deren Quantität an. "Das mag erstaunlich sein, sollte aber nicht überraschen, denn tatsächlich gibt es ja "da draußen" weder Licht noch Farbe, es gibt lediglich elektromagnetische Wellen; es gibt "da draußen" weder Schall noch Musik, es gibt nur periodische Schwankungen des Luftdrucks; "da draußen" gibt es weder Wärme noch Kälte, es gibt nur Moleküle, die sich mit mehr oder minder großer mittlerer kinetischer Energie bewegen, usw. ...

Schließlich gibt es "da draußen" ganz gewiß keinen Schmerz".

Die grundlegende Frage wäre demnach, wie unser Gehirn die überwältigende Vielfalt dieser bunten Bilder hervorbringt. Dies ist die Frage nach dem Verständnis der Erkenntnisprozesse.

Die Prozesse der Erkenntnis werden von Foerster als "unbegrenzte rekursive Errechensprozesse" aufgefaßt. Auf das Nervensystem angewandt, bedeutet es folgendes:

"Das Nervensystem ist so organisiert – oder organisiert sich selbst so –, daß es eine stabile Wirklichkeit errechnet.

Dieses Postulat bedingt "Autonomie", das heißt "Selbst-Regelung", für jeden lebenden Organismus. Da die semantische Struktur von Hauptwörtern mit der Vorsilbe "Selbst-" einsichtiger wird, wenn man diese Vorsilbe durch das Hauptwort ersetzt, ist "Autonomie" gleichbedeutend mit "Regelung der Regelung". Und genau das vollbringt der doppelt geschlossene, rekursiv errechnende Torus: Er regelt seine eigene Regelung".

Hans Rudi Fischer formuliert zusammenfassend, welche relevanten Implikationen der Konstruktivismus für die Kognitionswissenschaft hat: "(1) Repräsentation ist keine Abbildung der Umwelt im kognitiven Apparat; weil (2) der Zugang zur "Umwelt" nur über Repräsentation im neuronalen Substrat laufen kann, ist die Repräsentation der Umwelt von der Struktur des kognitiven Systems determiniert und nicht von der objektiven Struktur der Umwelt (Strukturdeterminismus, Autonomie der kognitiven Organisation); da das kognitive System nur mit eigenen Systemzuständen interagiert (Rekursivität, Selbstbezüglichkeit) dringt (3) keine Information von "außen" ins System ein, sondern Information wird nach Maßgabe der Strukturdeterminanten des Systems aus den über die sensorischen Oberflächen eingehenden Daten (Perturbationen) erst erzeugt (kognitive und semantische Geschlossenheit). Die im neuronalen System verkörperte Dynamik ist (4) von daher kein unabhängiges, "objektives" Wissen über die Außenwelt, die Wirklichkeit, sondern abhängig von der Struktur des neuronalen Apparats im erkennenden Subjekt". Da der Anspruch auf Objektivität unsinnig ist, stellt Heinz von Foerster eine neue Frage auf: Welches sind die Eigenschaften eines Beobachters?

Diese Frage impliziere eine eigenartige Logik, so der Autor. Welche Eigenschaften wir auch feststellen, es sind wir, die diese Beobachtung vorzunehmen haben, d.h. wir müssen unsere eigene Beobachtung beobachten und letztendlich in unsere Bilanz miteinbeziehen.

"Es ist mir eine Genugtuung, Ihnen mitteilen zu können, daß die wesentlichen Begriffssäulen einer Theorie des Beobachters erarbeitet wurden. Die eine ist die Errechnung unendlicher Rekursionen, die andere ist eine Errechnung der Selbst-Referenz. Durch diese Rechnungsarten sind wir nun in der Lage, mit aller Strenge ein Begriffssystem zu erschließen, das sich mit dem Beobachten und nicht nur mit dem Beobachteten befaßt".


Paul Watzlawick
Hier möchte ich auf einen weiteren wichtigen Vertreter eingehen, nämlich auf Paul Watzlawick, einen Philosophen und Psychologen, der sich mit den Möglichkeiten beschäftigt, die der Konstruktivismus hauptsächlich für die Psychotherapie mit sich bringt. Auch erwähnt er die Möglichkeiten der Anwendbarkeit auf größere Bereiche, die allerdings noch zu erarbeiten wären.

Für Watzlawick ist die sogenannte Wirklichkeit das Ergebnis von Kommunikation. Damit nimmt er Abstand von der für viele selbstverständlichen Ansicht, daß die Wirklichkeit das ist, was wirklich der Fall ist und die Kommunikation nur ein Mittel, diese zu beschreiben. Er schreibt:

"[...], daß der Glaube, es gäbe nur eine Wirklichkeit, die gefährlichste aller Selbsttäuschungen ist; daß es vielmehr zahllose Wirklichkeitsauffassungen gibt, die sehr widersprüchlich sein können, die alle das Ergebnis von Kommunikation und nicht der Widerschein ewiger, objektiver Wahrheiten sind". Daraus ergibt sich die Grundthese, daß es keine absolute Wirklichkeit gibt, sondern "nur subjektive, zum Teil völlig widersprüchliche Wirklichkeitsauffassungen, von denen naiv angenommen wird, daß sie der "wirklichen" Wirklichkeit entsprechen". Daher, so schreibt Watzlawick, liegt "der eigentliche Wahn in der Annahme, daß es eine "wirkliche" Wirklichkeit zweiter Ordnung gibt und daß "Normale" sich in ihr besser auskennen als "Geistesgestörte"".

Watzlawick unterscheidet zwei Wirklichkeiten, die Wirklichkeit erster Ordnung und die Wirklichkeit zweiter Ordnung. Der Wirklichkeit erster Ordnung werden jene Wirklichkeitsaspekte zugeteilt, die sich auf den Konsensus der Wahrnehmung und vor allem auf experimentelle, wiederholbare und daher verifizierbare Nachweise beziehen. Am Beispiel des Goldes sind es seine physikalischen Eigenschaften, die als bekannt und jederzeit verifizierbar gelten. Die Bedeutung, die Gold für Menschen hat und sein Wert, der ihm zugeschrieben wird, bilden die zweite Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit zweiter Ordnung erweist sich als "Resultat von Kommunikation" und wird durch die Zuschreibung von Sinn, Bedeutung oder Wert an die betreffende Wirklichkeit erster Ordnung konstruiert. Die Regeln der Konstruktion dieser Wirklichkeit zweiter Ordnung sind "subjektiv, arbiträr und keineswegs der Ausdruck ewiger, platonischer Wahrheiten".

In der Psychiatrie spielt die Frage der Wirklichkeitsauffassung als Gradmesser der Normalität eine besondere Rolle. Dabei ist die Wirklichkeit zweiter Ordnung von großer Bedeutung.

Welche Anwendung finden nun diese konstruktivistischen Überlegungen in der Psychotherapie?

Zweck aller Therapie, so schreibt Watzlawick, ist der therapeutische Wandel. Aufgrund des bisher Dargestellten sei diese traditionelle Auffassung nicht haltbar, wonach der Patient an mangelnder Wirklichkeitsanpassung leidet, und ihm daher durch Herbeiführung von Einsicht in die in der Vergangenheit begrabenen "wahren" Zusammenhänge geholfen werden müsse.

"Der Konstruktivismus dagegen legt nahe, daß die leidvollen Auswirkungen einer bestimmten gegenwärtigen Als-ob-Fiktion (die ihren Ursprung natürlich irgendwann in der Vergangenheit hatte) durch jene einer anderen Als-ob-Fiktion ersetzt werden müssen, die eine erträgliche Wirklichkeit erschaffen. An die Stelle von Wirklichkeitsanpassung im Sinne einer besseren Anpassung an die vermeintliche "wirkliche" Wirklichkeit tritt also die bessere Anpassung der jeweiligen Wirklichkeitsfiktion an die zu erreichenden, konkreten Ziele". An zahlreichen Beispielen zeigt der Autor, wie den Patienten geholfen werden kann, wobei die Wirklichkeit erster Ordnung unverändert bleibt und in der Wirklichkeit zweiter Ordnung ein Wandel eintritt.

Der Ausgangspunkt der Behandlung sei dabei eine leidvolle Situation, die im Rahmen der betreffenden Wirklichkeitsfiktion unlösbar erscheine. Angenommen das sei der erste Pfeiler, der mit dem zweiten seiner Sorte durch eine irrationale Brücke der Als-ob-Fiktion, der Wirklichkeit zweiter Ordnung verbunden wird. Im Sinne des Konstruktivismus ist dies eine andere Wirklichkeitskonstruktion, die genauso wenig Anspruch auf Wirklichkeit, Richtigkeit oder Wahrheit erheben kann als irgendeine andere. Konsequent ergebe es sich, daß "es auf Erklärungen als solche nicht ankommt, daß Hypothesen und Theorien nur insofern Bedeutung haben, als sie fiktive Brücken zu praktischen Resultaten schlagen.

Zitat einer Patientin macht das Resultat deutlich: "So wie ich die Lage sah, war es ein Problem; nun sehe ich sie anders und es ist kein Problem mehr." Die neue Sichtweise ist nicht "wahrer" oder "richtiger" geworden, sondern sie verursacht nur weniger Leid. Mit den von Ernst von Glasersfeld eingeführten Begriffen würde es heißen, daß die neu konstruierte Sicht der Frau besser "paßt" im Sinne der Viabilität und nirgends schmerzlich anstößt.

Diese Interventionen, so Watzlawick, beruhen auf dem Gegenteil der klassischen Auffassungen therapeutischen Wandels:

"Statt zuerst Einsicht in der Natur des Problems zu gewinnen und dann auf Grund dieser Einsicht sich schließlich anders verhalten zu können, ist der entscheidende Faktor in jeder erfolgreichen Verhaltensverschreibung ein bestimmtes neues Verhalten, das rein sekundär und durchaus nicht notwendigerweise zu einer anderen Als-ob-Fiktion führt. Heinz von Foerster hat diesen Sachverhalt schon vor Jahren zu einem ästhetischen Imperativ verdichtet: Willst Du erkennen, lerne zu handeln".


Abschließende Bemerkung

Zum Schluß meiner Darstellung des Konstruktivismus möchte ich die abschließenden Sätze aus dem Aufsatz "Einführung in den radikalen Konstruktivismus" von Ernst von Glasersfeld zitieren, denn diese bringen meiner Meinung nach das Ganze sehr gut auf den Punkt.

"Der Punkt, in dem der Radikale Konstruktivismus aus dem herkömmlichen Szenario der Epistemologie eben herausführt, ist die Definition des Verhältnisses zwischen Wissen und Wirklichkeit. Sobald Erkenntnis nicht mehr als Suche nach ikonischer Übereinstimmung mit der ontologischen Wirklichkeit, sondern als Suche nach passenden Verhaltensweisen und Denkarten verstanden wird, verschwindet das traditionelle Problem. Wissen wird vom lebenden Organismus aufgebaut, um den an und für sich formlosen Fluß des Erlebens soweit wie möglich in wiederholbare Erlebnisse und relativ verläßliche Beziehungen zwischen diesen zu ordnen. Die Möglichkeiten, so eine Ordnung zu konstruieren, werden stets durch die vorhergehenden Schritte in der Konstruktion bestimmt. Das heißt, daß die "wirkliche" Welt sich ausschließlich dort offenbart, wo unsere Konstruktionen scheitern. Da wir aber das Scheitern aber immer nur in eben jenen Begriffen beschreiben und erklären können, die wir zum Bau der scheiternden Strukturen verwendet haben, kann es uns niemals ein Bild der Welt vermitteln, die wir für das Scheitern verantwortlich machen könnten.

Wer das verstanden hat, wird es als selbstverständlich betrachten, daß der Radikale Konstruktivismus nicht als Abbild oder Beschreibung einer absoluten Wahrheit aufgefaßt werden darf, sondern als ein mögliches Modell der Erkenntnis in kognitiven Lebewesen, die imstande sind, sich auf Grund ihres eigenen Erlebens eine mehr oder weniger verläßliche Welt zu bauen".
 

Einige meiner Überlegungen zum Film "Die Matrix"

Als ich mich anfänglich für den Konstruktivismus interessierte und dazu einiges gelesen habe, lief im Kino "Die Matrix". Ich wußte überhaupt nicht, was mich da erwarten würde und schaute mir den Film an. Es war ein angenehmes Wiedererkennungsgefühl einiger konstruktivistischen Ansätze, mit denen ich mich zu dieser Zeit auch auseinandergesetzt hatte. Somit konnte ich eine Brücke schlagen, von dem Neuen, was ich über den Konstruktivismus gelesen habe, zu dem, was in dem Film thematisiert wurde. Ich hatte das Gefühl, mit meinem vor kurzem erworbenen Wissen mehr zu verstehen, als die anderen aus dem Kinopublikum. Trotzdem muß ich gestehen, daß ich erst nach einigen Malen den Inhalt des Films wirklich verstanden zu haben glaubte.

Ganz kurz zu dem Inhalt: Thomas Anderson arbeitet bei einer angesehenen Computerfirma, die im Jahr 1999 Software entwickelt. Er ist unauffällig und erfolgreich. Wie es sich herausstellt, führt er ein Doppelleben: In der Hacker-Szene ist er bekannt als Neo, derjenige, der alles hacken kann. Er hat die Theorie, daß hinter allem, was er erlebt, etwas viel größeres steckt, etwas, das sein Tun und Handeln absolut beherrscht: Die Matrix. Auf der Suche nach ihr verbringt er Nacht um Nacht vor dem Computer. Als eines Tages Morpheus Kontakt mit ihm aufnimmt, erfährt er die erschreckende Wahrheit: In Wirklichkeit lebt er im 23. Jahrhundert, in dem die Menschen von intelligenten Maschinen unterdrückt werden. In riesigen Farmen halten diese die Menschen zu ihrer eigenen Ernährung, während den menschlichen Gehirnen mit der Matrix ein "normales" Leben vorgegaukelt wird.

Im weiteren werde ich mich hier lediglich auf einige interessanten Äußerungen konzentrieren, die mich an den Konstruktivismus erinnert haben.

So ist im "Konstrukt", dem Ladeprogramm der Mensch nur ein "Restselbstbild" – "die mentale Projektion des digitalen Selbst". Matrix bedeutet Kontrolle, eine computergenerierte Traumwelt, um die Menschen unter Kontrolle zu halten.

Es waren Fragen wie "Hattest Du schon mal einen Traum, der Dir vollkommen real schien? Was wäre, wenn Du aus diesem Traum nicht wieder aufwachst, woher würdest Du wissen, was Traum und was Realität ist?", die mich nachdenken ließen.

Ich fühlte mich an die Ausführungen von Heinz von Foerster erinnert, als Morpheus auf einen leeren Raum zeigte und sagte: Das ist die Wirklichkeit. Denn wie ich den Autor schon im vorherigen Teil zitiert habe, schreibt er sinngemäß, daß es da draußen weder Licht noch Farbe, weder Schall noch Musik, weder Wärme noch Kälte gäbe.

Der Film thematisiert, so würde ich es ausdrücken, das Vorhandensein einer "wahren" Welt hinter der "Scheinwelt", also einer ontologischen Wirklichkeit, deren Existenz der Radikale Konstruktivismus abstreitet. Morpheus spricht von einer Scheinwelt, die den Menschen vorgegaukelt wird, um sie von der Wahrheit abzulenken.

Natürlich gibt es auch einen bösen Helden, der aus dieser "Scheinwelt" zwar "befreit" worden ist, damit aber gar nicht glücklich ist und, um wieder in die Scheinwelt eingegliedert zu werden, die anderen verrät. Er will nichts mehr wissen, sondern alles vergessen. Er will das Essen genießen, obwohl er genau weiß, daß wenn er ein Stück von seinem Steak in den Mund steckt, die Matrix seinem Gehirn sagt, daß es saftig und ganz köstlich ist. Er will nichts mehr wissen, denn ihm ist klar geworden, daß Unwissenheit ein Segen ist. Er will seine Existenz in der Scheinwelt fortsetzen und das Leben dort genießen und ruhig leben. Dies erinnert mich an die Überlegungen zum Höhlengleichnis von Heinz von Foerster, die etwas weiter führen. Wenn dieser Mensch die "wirkliche" Welt da draußen gesehen hat und den anderen Gefangenen davon erzählt, glauben sie ihm nicht und lachen ihn aus. Sie wollen es gar nicht wissen und gingen womöglich sogar soweit, um das Vorhandene zu beschützen, daß sie ihn zusammenschlügen, um über die "wahre" Welt da draußen, die er gesehen zu haben glaubt, nichts zu erfahren. An dem Vertrauten wird also so fest gehalten, daß man die "Wahrheit" gar nicht wissen will.
 

Was der Konstruktivismus für mich bedeutet

Was mir persönlich der konstruktivistische Ansatz bringt, ist die Einsicht, daß es in der Welt, in der ich lebe, keine "wahren", gegebenen Regelmäßigkeiten, Größen und Regeln gibt. Dies bringt eine veränderte Sicht auf die Dinge, die um mich herum passieren, mit sich.

Zuerst möchte ich auf die Bedeutung der Sprache eingehen, die zweifellos einen sehr großen Einfuß auf unsere Wahrnehmung hat. Ich hatte schon ausführlich Ernst von Glasersfeld dazu zitiert. Mir selber ergeht es oftmals so, daß ich bestimmte Ausdrücke in eine andere Sprache nicht übersetzen kann, diese müssen dann beschrieben werden, da es sie nicht gibt. Die Überlegung wäre dann, daß es den Sprechern dieser Sprache dieser Ausdruck einfach nicht wichtig war, um die vorhandenen Dinge zu beschreiben, und es heißt nicht, daß es diese Dinge nicht gibt. Denn wie sonst würde man sich die Entstehung neuer Wörter erklären, ohne, daß sich groß etwas verändert.

Wir nehmen die Umwelt mit unseren begrifflichen Strukturen wahr und können diese nur mit Hilfe des Wortschatzes der Sprache ausdrücken. Oftmals passiert es, daß wir bestimmte Gefühle nicht ausdrücken können, denn der vorhandene Wortschatz reicht dazu einfach nicht aus. Wir denken immer in den von der Sprache vorgegebenen Strukturen und können einfach nicht anders. Ich will es an einem Beispiel verdeutlichen, an dem Ausdruck der Liebe. Im Deutschen gibt es verschiedene Ausdrücke, um die Zuneigung zu einem anderen Menschen auszudrücken. Es geht von "mögen" zu "gern haben" über "verliebt sein" zu "lieb haben" und zu "lieben". In vielen anderen Sprachen – wie Englisch, Russisch und sicherlich noch andere – gibt es diese differenzierte Unterscheidung nicht. Aufgrund dieser Unterscheidung ist man aber immer wieder der Überlegung ausgesetzt, wie gern man den Menschen nun hat, oder ob es schon mehr sein könnte, wir versuchen also, unbewußt oder manchmal auch bewußt, unsere Gefühle in diese begrifflichen Strukturen einzuordnen. Da es aber nicht wirklich festgelegt ist, ist diese Einordnung subjektiv verschieden und kann nicht mit der "richtigen" Bedeutung verglichen werden.

Regelmäßigkeiten wie zum Beispiel die Abfolge der Jahreszeiten ist erfunden worden, weil man vor längerer Zeit die Wiederholbarkeit festgestellt hat, daß nach dem Winter der Frühling kommt, dann der Sommer folgt und der Herbst wieder zum kalten Winter führt. Aber genauso wäre es möglich, nur die Unterscheidung kalte Jahreszeit und warme Jahreszeit zu treffen oder die vier vorhandenen Jahreszeiten noch zu unterteilen. Wir haben aber nun unsere vier Jahreszeiten und dies ist eine der vielen Denkstrukturen, die wir erfunden haben, um die Welt in diesem Falle im Hinblick auf die Wetterverhältnisse zu strukturieren. Sonst würden wir jede Veränderung dieser als eine neue Situation auffassen und müßten dementsprechend immer wieder neue Begriffe dafür finden. Die Tatsache jedoch, daß wie diese Aufeinanderfolge entdeckt haben und diese auch erklären können, heißt keineswegs, daß diese wirklich existiert. Diese Abfolge hilft uns lediglich, uns im alltäglichen Leben zu orientieren.

Größen, wie beispielsweise Zeit ist ebenfalls zur Orientierung da. Damit wir uns pünktlich zu einem Seminar einfinden zum Beispiel. Aber eigentlich merkt man immer wieder, wie subjektiv das Zeitverständnis bzw. das Zeitgefühl bei den einzelnen Menschen ist. Eine Woche, die man sehr intensiv verlebt hat, kann nach Gefühl wie ein Monat lang gewesen sein, wüßte man nicht, auf Kalender schauend, daß es sich dabei "wirklich" um einen Tag gehandelt hat. Es gibt aber auch Wochen, die vergehen, und es passiert so wenig, daß man denkt, es sei nur ein Tag gewesen. Oder natürlich kann eine Minute ewig dauern oder auch wie eine Sekunde verfliegen, hätte man da nicht die Uhr am Arm als Orientierung, und damit man sich mit den anderen Mitgliedern der Gesellschaft nicht jedesmal aufs Neue darüber auseinandersetzen muß, wie lang nun eine Minute oder Sekunde dauert. Außerdem hab ich noch nie einen Menschen getroffen, der mir genau sagen konnte, was Zeit ist. Und ich selber kann mir unter Zeit nichts konkretes vorstellen, denn sie ist nicht greifbar. Zum ersten Mal hab ich das Vorhandensein der Zeit gespürt, als ich nach mehreren Jahren an einen Ort zurückkehrte und feststellte, wie sehr sich alles verändert hat. Kinder, auf die ich früher aufgepaßt habe, waren einen Kopf größer als ich, meine früheren, gleichaltrigen Freunde waren verheiratet und hatten schon selbst Kinder und ältere Menschen, denen ich früher über die Straße, oder beim Einkaufen geholfen habe, waren nicht mehr da. Da habe ich die sonst unbemerkbar verschleichende Zeit gemerkt, in Form einer Zeitspanne, in der sich sehr vieles getan hat. Jedenfalls habe ich mir so die Zeit anschaulich konstruiert, an ihren Auswirkungen auf das menschliche Dasein.

Die Regeln sind zwar da und diese bemerkt man, wenn man an die Grenzen seines Handelns stößt, diese sind aber keinesfalls von Natur aus gegeben und durch unser Verstand entdeckt worden und müssen so sein, sondern diese wurden von den Menschen erfunden bzw. konstruiert und meist im gemeinsamen Einverständnis festgelegt, aber das bedeutet nicht, daß es nicht auch anders sein könnte. Der Gedanke ist, hätte es bestimmte Einflüsse in der geschichtlichen Entwicklung nicht gegeben, wären auch bestimmte Theorien nicht aufgestellt worden, dann hätten wir ein anderes Verständnis von der Welt mit anderen Denkschemata. Demzufolge würden wir die Welt auch ganz anders aufnehmen. Ich will damit nur sagen, daß diese Theorien und Modelle zwar notwendig sind, um die Wirklichkeit zu beschreiben, was aber nicht heißt, daß sie nicht ersetzbar sind.

Als nächstes möchte ich auf unsere allgemeine Vorstellung von der Erde eingehen. Vor einigen Jahrhunderten war sie für uns noch eine Scheibe und keinen Menschen hat es gestört, denn diese Auffassung war viabel, sie hat ihre Funktion erfüllt. Es mußte erst behauptet – unter Androhung der Todesstrafe – und bewiesen werden, daß es sich um eine Kugelform handelt. Diese Behauptung wurde damals auch als Angriff auf das ganze System angesehen, denn damit wurde ja das vertraute, lang und mühsam erworbene Wissen, das bisher allen Prüfungen standhalten konnte und deshalb für das einzig richtige gehalten wurde, in Frage gestellt.

Seit Kurzem gibt es, soviel ich weiß, auch Anzeichen dafür, daß man sich die Erde etwas ovaler an den Polen vorzustellen hätte. Wir fassen es gewöhnlich als wissenschaftlichen Fortschritt auf, was darauf basiert, daß wir annehmen, dem absolut "wahren" Bild der Erde immer näher zu kommen, das es allerdings laut Konstruktivismus nicht geben kann, zumindest wüßten wir es nicht, wenn wir es bereits hätten. Unsere jetzige Auffassung ist lediglich viabel, sie paßt und gerät nicht in Widerspruch zu unserem sonstigen Verständnis. Wie die Erde aber "wirklich" ist, können wir nicht erfahren, wir können nur aus der Erfahrung wissen, wie sie nicht sein kann, oder vielleicht sogar nicht mal das. Und wenn wir es wüßten, könnten wir es womöglich mit unseren begrifflichen Strukturen gar nicht nachvollziehen und ausdrücken. Es ist etwas desillusionierend. Normalerweise, im Alltag, würde man im Falle solch einer Einsicht sagen, diese Einsicht bringe uns wieder auf den Boden der harten Realität zurück. Darin steckt eine interessante Ironie, daß gerade der Konstruktivismus uns auf den Boden der Realität bringt, die er ja eigentlich abstreitet.

Durch den Konstruktivismus habe ich gelernt, die Welt nicht als gegeben wahrzunehmen, sondern die Dinge, über die ich mich wundere, zu hinterfragen und damit mir darüber klar zu werden, warum dies oder jenes so ist. Dies bedeutet, den sebstverständlichen Prozeß der Wahrnehmung unterbrechen zu können. Dadurch kann uns bewußt werden, wie sehr wir in bestimmten Strukturen denken, fühlen, handeln und die Welt erfassen. Dazu fallen mir die Krisenexperimente von Harold Garfinkel ein, deren Bedeutung leider von anderen Wissenschaftlern nicht zugenüge gewürdigt wurde. Seine Krisenexperimente bestanden darin, seine Mitmenschen zu "irritieren". Beispielsweise, wenn er gefragt wurde, wie es ihm gehe, und eigentlich eine Antwort wie "gut" oder "schlecht", je nachdem, von der Seite des Fragenden erwartet wurde, so antwortete er sinngemäß wiedergegeben: wie meinst Du das eigentlich, im psychischen oder physischen Sinne. Und schon war der Fragende vollkommen verwirrt, denn er hatte, ohne sich dessen wirklich bewußt zu sein, einen bestimmten Erwartungshorizont, was Antwortmöglichkeiten betrifft, aber die gegebene Antwort erfüllte diesen keineswegs.

Wenn wir also in einigen Situationen den selbstverständlichen Verlauf unterbrächen, und uns fragten, warum wir gerade dies oder jenes gesagt oder gedacht haben, dann könnten wir erfahren, wie sehr wir eigentlich in diesen Strukturen "gefangen" sind und könnten zu interessanten Ergebnissen kommen. Natürlich muß dieses auch gewollt sein.
 

"Konstruktivistische" Zukunft ?!

Wir alle versuchen, die Welt zu verstehen, indem wir uns bestimmte Schemata davon konstruieren, die viabel sind, solange sie in unser gesamtes Konzept passen. Daher ist verständlich, daß wir zwar versuchen, die Welt "aufzuschlüsseln", d.h. einen passenden Schlüssel zu finden, und dann wissen können, ob dieser paßt oder nicht, aber dies nur aufgrund interner Konstruktionen – also aufgrund einer Entscheidung rein subjektiver Natur –, die mit der Außenwelt wenig zu tun haben, und wenn diese doch damit zu tun haben, sind wir nicht imstande, dies zu wissen. Dies ist eine Sicht, die das Vertrauen in die Wirklichkeit, daß sie nämlich so ist wie ich sie wahrnehme, in Frage stellt. Was bedeutet es also für den Einzelnen, wenn ihm dieses Vertrauen genommen wird? Wie kann er ohne diesen sicheren Glauben an das Vertraute weiter existieren?

Sicherlich werden viele Menschen den konstruktivistischen Ansätzen keinen Glauben schenken oder schenken wollen, da sie ihr so oft durch Erfahrungen belegtes Wissen nicht aufgeben wollen würden. Ähnlich wie der Bösewicht aus der "Matrix", der nichts mehr von der "Wahrheit" wissen will und nur ruhig und das Leben genießend in der "Scheinwelt" existieren will.

Ich will aber hier darauf eingehen, welche Möglichkeiten der Konstruktivismus für unser Verständnis von der Welt und von uns selbst und auch für zwischenmenschliche Beziehungen impliziert. Er ist keineswegs ein Grund für Resignation, sondern bietet neue Möglichkeiten des Verständnisses unseres Erkennens und Handelns.

Manchmal wünschte ich mir, wir wären den Kindern ähnlich. Denn wie in "Sofies Welt" nahegelegt wird, sind Kinder die besseren Philosophen, da sie sich über vieles wundern und nichts als selbstverständlich hinnehmen, sondern immer wieder fragen, warum das so ist. Sie stecken noch nicht in diesen festgefahrenen Strukturen, die durch mehrere Erfahrungen uns im Laufe der Zeit klar gemacht haben, wie bestimmte Sachverhalte sind, so daß wir uns nicht mehr wundern können. Es sei denn, es kommt zu Störungen, die mit unseren gemachten Konstruktionen nicht übereinstimmen. Dafür ist es aber notwendig, daß man diese Störungen nicht ignoriert, sondern diese als Bereicherung ansieht. Zu sagen, "so habe ich das noch gar nicht gesehen" oder "das wußte ich noch gar nicht" ist keine Schande, sondern ein Zeichen dafür, daß wir imstande sind, Neues zu lernen und neuere Sichtweisen zu reflektieren. Es scheint mir wichtig, nicht in den festgefahrenen und sicherlich verläßlichen Strukturen stecken zu bleiben, sondern für Neues offen zu bleiben, d.h., daß man imstande sein muß, über das Alte nachzudenken und wenn das Neue viabel erscheint, es auch anzunehmen und nicht zu ignorieren. Dadurch können wir unseren Horizont erweitern und vieles womöglich besser verstehen.

Für zwischenmenschliche Beziehungen bedeutet dies, daß wir uns gegenseitig als selbständige Individuen akzeptieren und wissen, daß jeder sich seine Wirklichkeit selbst konstruiert. Dies bringt mit sich, daß wir dann wissen, daß jede Konstruktion subjektiv ist. Wenn jemand sich aus unserer Sicht "sonderbar" verhält oder anders denkt als wir, heißt es nicht, daß sein Verhalten oder sein Denken richtig oder falsch ist. Wir können es lediglich mit unseren Einstellungen vergleichen, aber nicht mit den "objektiven" Richtig- oder Falschkategorien. Dies erfordert Toleranz, denn sein Verhalten ist lediglich für seine Lebensführung viabel, nicht richtiger oder falscher als unseres.

Wenn es kein "richtig" oder "falsch" gibt, führt es für mich zu dem Schluß, daß zum Beispiel der Streit überflüssig wird. Man streitet sich im allgemeinen, weil man der Meinung ist, man hätte Recht und möchte es dem anderen nahelegen. Es geht also um das Rechthaben oder nicht haben. Wenn dieses aber weg fällt, dann geht es eher darum, die gedanklichen Konstruktionen des anderen in der Kommunikation nachvollziehen zu können. Die Kommunikation ist deshalb wichtig, weil man nicht mit den Augen des anderen sehen kann, so sehr man es manchmal auch wollte. Es geht also darum, seine Gefühle und Gedanken dem anderen zu erklären, da dieser andere es ja sonst einfach nicht wissen kann.

Für die Schulbildung hat es die möglicherweise die Folge, daß den Kindern nicht festgelegte Inhalte vorgehalten werden, welche die Kinder dann auswendig lernen müssen, sondern, daß ihnen die Fähigkeit beigebracht werden sollte, selbständig zu konstruieren und dadurch zu eigenen Ergebnissen zu kommen. Sicherlich ist es schwierig zu realisieren.

Ich kann mich noch erinnern, welche Schwierigkeiten ich hatte, als ich im Mathematikunterricht beigebracht bekam, daß das Ergebnis der Division durch Null nicht definiert sei. Natürlich gab ich dies in meinen Taschenrechner ein und es kam "Error". Ich wußte zwar, daß es nicht definiert ist, aber ich verstand es nicht, ich konnte es mir nicht erklären, und es paßte nicht zu meinem restlichen Mathematikverständnis. Lange blieb es dabei, ohne, daß ich Schwierigkeiten im Schreiben der Klausuren hatte, denn ich wußte ja die Antwort, ohne sie wirklich zu begreifen. Nach langer Zeit versuchte ich mir das selbst klar zu machen, denn auf meine Fragen erhielt ich keine mich zufriedenstellende Antwort. Ich überlegte, wie es passen könnte, bis ich darauf kam, daß durch Null teilen bedeutet, daß man dabei eine Zahl durch eine extrem kleine Zahl teilt und die geteilte dann ins Unermeßliche steigt. Angenommen, sie wird durch Null geteilt, dann geht sie ins Unendliche und deshalb ist sie nicht definiert. Diese Gedankenbrücke mußte ich mir aber erst selbst bauen. Deshalb ist es wichtig, die Kinder das Konstruieren zu lehren, damit die gelernten Inhalte nicht einfach nebeneinander existieren, sondern, damit sie wie Puzzleteilchen zueinander passen und damit sich demzufolge ein nachvollziehbares Bild ergeben kann. Die Unendlichkeit aber, um nochmals auf das Beispiel zurückzugreifen, konnte ich mir nie richtig vorstellen, und die Tatsache, daß eine Funktionskurve gegen die x-Achse strebt, diese aber nie erreicht, dafür fehlt mir die Vorstellung, trotz des Verstehens der mathematischen Erklärungen.

Wie soll man sich die Unendlichkeit vorstellen, wenn man in dieser endlichen Welt nie die Unendlichkeit erfahren wird? Jean Paul spricht von Humor, wenn das Endliche auf das Unendliche angewandt wird.

Wittgenstein beschreibt eine interessante Lösung des Problems des Lebens, die der Viabililätsauffassung von Glasersfeld ähnelt. Er schreibt sinngemäß folgendes: Die Lösung des Problems des Lebens, das Du im Leben siehst, ist eine Art zu leben, die das Problemhafte zum Verschwinden bringt. Daß das Leben problematisch ist, heißt, daß Dein Leben nicht in die Form des Lebens paßt. Du mußt dann Dein Leben verändern, und paßt es in die Form, dann verschwindet das Problematische.

Soviel zum Problem des Lebens in unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit.

Ich möchte meine Ausführungen mit Niklas Luhmann, den ich zu Anfang zitiert habe, auch beenden, und zwar mit seiner folgenden Aussage:

"denn hinter der Gesellschaft steckt weder Moral noch Vernunft, sondern gar nichts!"
 

4. Literatur