Bernd Ternes

Zeit des Rhythmus, Temporalität der Operation


"slave to the rhythm" --- Grace Jones
 
"Die datenverarbeitende und zerebrale Maschine [..] ist nicht Herrin über den Schein, sie beherrscht nur die Berechnung, und ihre Aufgabe - wie die aller kybernetischen und virtuellen Maschinen - ist es, diese essentielle Illusion durch die Echtzeitnachahmung der Welt zu zerstören" --- Jean Baudrillard

 

I

Viele Fragen und viel Antwortlosigkeit auch hier.

Was ist Wachstum, und was Schrumpfung? Für nichtbiologische und nichtökologische Sachverhalte, also etwa Organisationen, Märkte, soziale Gesellschaften, aber auch für Vorkommnisse und Strukturen wie Kriminalität, Verelendung, Reichtum und Vertrauen wird in der Regel selbstverständlich das Wort Wachstum benutzt, um eine Änderung, Veränderung, einen Wechsel anzuzeigen. Wachstum gilt als Zentralbegriff nicht nur der ökonomischen Moderne; so zentral, daß sogar das Nichtanwachsen mit Nullwachstum beschrieben wird, ohne Kopfschütteln zu ernten. Und auch Schrumpfungen werden allerseits konstatiert: beim Bruttosozialprodukt, beim Vertrauen, sogar der Welt-Raum schrumpft, und nicht zuletzt: die Hoffnung.

Für die folgenden Seiten ist ausschlaggebend, die Betrachtung der modernen Gesellschaft in zwei unterstellte Pole einzuspannen, die es überhaupt erst mit sich bringen, eine Rhythmuszeit mit der Temporalität der Operation in eine vergleichende Auseinandersetzung zu stellen. Und zwar wird davon ausgegangen, daß einerseits in der modernen technophilen kapitalistischen Gesellschaft tentativ alles operativ Vermittelbare/ Medialisierbare auf die Gegenwartszeit reduziert wird, und daß andererseits auch die Gegenwartszeit selbst schrumpft. Hermann Lübbe beschreibt letzteres folgendermaßen:

"Die Gegenwart schrumpft; die Vergangenheit, die sich zur Gegenwart als eine fremde verhält, rückt, im Abstand von Jahren gemessen, der Gegenwart immer näher, und analog rückt die Zukunft der Gegenwart immer näher, die nach dem Muster der Gegenwart nicht mehr beurteilt werden kann. Damit nehmen zugleich die Zeiträume ab, die uns für die individuelle und institutionelle Verarbeitung des zivilisatorischen Wandels zur Verfügung stehen." Man kann offen lassen, ob der Hang zur Temporalisierung von Weltsachverhalten und der Hang zur Operationalisierung zumindest der sozialwissenschaftlichen Theorien als kausale Effekte der von Lübbe inkriminierten Zeitraumschrumpfung angesehen werden müssen, oder ob in Temporalisierung und Operationalisierung nur die technisch avanciertesten Schrumpfungsagenten sich Gestalt geben. Fest steht hingegen, daß die Zivilisation, die in der Moderne ihre hegemoniale Form erlangt hat, sich selbst immer weniger Zeit zur "Verarbeitung" – sei es kulturell, sei es intellektuell, sei es "sozialpolitisch", sei es ökologisch – ihres eigenen Wandelns und Wandels mitgibt. Entschleunigung, so könnte man plausibel fordern, tut not. Und not tut auch, sich nach anderen "Zeitkonzepten" unzuschauen, die der Irreversibilität von Verarbeitungszeitraumschrumpfung eine Art Zyklidität, Reversibilität, vielleicht gar Reziprozität der gegenstrebigen Attraktionen Wachstum/Schrumpfung entgegensetzen können, in der Annahme, daß sich Wachstum und Schrumpfung als ein und dieselbe Attraktion erweisen. In diesem Zusammenhang kann man sich fragen, was es mit der Zeitorganisationsform "Rhythmus" auf sich hat und in welchem Verhältnis sie zu der Form der Temporalität gedacht werden kann.

Annotativ - mehr können folgende Sätze nicht sein - möchte ich der Frage nachgehen, ob sich das, was man nicht nur in einem musikalischen Sinne mit dem Begriff Rhythmus beschreibt, erklärt und auch hervorbringt, einsenken läßt in das systemtheoretisch angesetzte Erklärungsvolumen des Begriffs Temporalisierung, oder ob Rhythmus für eine besondere Art oder Form der Verknüpfung von Weltsachverhalten steht, die im Gegenteil sich den avancierten Instrumenten eines analytischen Naturalismus/Operationalismus, als welche die kybernetisch instruierte soziologische Systemtheorie zu gelten hat, sperrt und damit als Erklärungssonde zu anderen Ergebnissen in der Wahrnehmung von Sachverhalten führt, vorallem zu dem Ergebnis, daß sich die noch weitgehend herrschende Verhältnismässigkeit zwischen analytischer Erkenntnis eines Gegenstandes und dem Gegenstand selbst als gefährlich naiv herausstellt. Der Gedanke ist, anders gesagt, ob in der von Flusser so bezeichneten Nulldimensionalität (dazu gleich mehr), in die die menschliche Technologie vereinzelt einzutreten scheint und in der es als letzte materiale Distinktion nur noch Punkte, Ereignisse als Operationen und Zeit als Temporalität zu geben scheint, ob also in dieser Nulldimensionalität das, was als Rhythmus bezeichnet wird, ebenso wie alles andere des Verhaltens, des Imaginierens, des Handelns und Entscheidens komputierbar ist; ob es gar einen Rhythmus der Komputation bzw. des Komputierens, also des digitalen Auflösens und Rekombinierens gibt; oder ob das sukzessive Vereinnehmen menschlicher Emissionen, Relationen und Kognitionen in die komputionale Rekonkretisierung des Abstrakten eine letzte Chance verspielt, die paradoxe Chance eines Vorrangs des Objekts gegenüber der Form innerhalb der Erkenntnis, nämlich im sozialen, relationalen, psychischen und umweltlichen "Material" nichtdekonstruierbare Formen(!) von Schwingungen, Balancen, Rhythmen, Energieströmen, Zyklen, Reversibilitäten, gar Athmosphären aufzufinden resp. als fehlende zu rekonstruieren(!) resp. immer dort mit der Gestaltung/ dem Entwerfen von "Welt" aufzuhören, wo sich kein Rhythmus ergeben kann. — Können Punkte fließen?; lassen sich Abweichungen rhythmisieren?; sind bestimmte, nichtsozial generierte Zeitrhythmen auf genuin soziale Relationskomplexe übertragbar (nicht umkodierbar!)?; und hat die artifizielle Gesellschaft (Popitz) selbst Rhythmen der Verknüfung, der Zeit und der psychosozialen Reproduktion anzubieten, die ausschließlich systemtheoretisch aufschließbar sind? Oder, nochmals verdichteter gefragt: Wenn das, was Mimesis und Simulation trennt, der Unterschied ist zwischen Körperlichkeit und Maschinalität, und dieser Unterschied in der Zeit liegt, und das jeweilige Zeitverhältnis sich asymmetrisch zum anderen Verhältnis verhält, und man sagen kann, daß Maschinen zwar Rituale sind, aber Rituale keine Maschinen, obwohl sie eine ähnliche Funktion haben, nämlich die Formung der Zeit: Ist dann weiterhin von der primordialen Referenz der Ritualzeit auszugehen, also von dem "Ritualsein" der Zeit, oder gibt es mittlerweile ein eigenwertiges "Maschinellsein" der Zeit, von der aus nichtmaschinelle Zeiten referiert werden müssen? Das sind die leitenden Fragen fürs Folgende.
 

II

Unter Rhythmus soll verstanden sein eine bestimmte Form der Beschreibung/Generierung von Vorgängen der Bewegung, der Intensität und des Wandelns, die den zeitlich regelmässigen periodischen Wechsel ganz bestimmter Einheiten (Stoffe, Takte, Bewegungen) so zu organisieren vermag, als ob die Einheitsbildungen und die Distinktionen zwischen Einheiten sich implizit aus der Tätigkeit, der Ereignishaftigkeit, dem Passieren schlechthin ergeben, ohne dabei Figur oder Form, also explizit zu werden. Der Rhythmus vertritt, in alten Worten, qua Intensität und Ereignishaftigkeit der einzelnen Bewegungen das "Ganze" als Teil innerhalb des Ganzen, ohne als Teil identifiziert, rekonstriert, instruiert werden zu können, sondern ausschließlich performiert. Dieser Gedanke läßt sich besser verstehen, wenn man sich die Überlegungen Michael Polanyis zum Sujet des impiziten Wissens in Erinnerung ruft. Polanyi unterscheidet das Wissen in explizites und implizites Wissen. Das implizite Wissen ist dasjenige, von dem wir nicht wissen, daß wir es wissen; dasjenige, das sich im Akt der Mitteilung offenbart als Wissen, das wir nicht mitzuteilen wissen; also dasjenige, das sich nur zeigt, aber nicht sagen, nicht explizieren läßt. Für Polanyi ist die Wahrnehmbarkeit von Wirklichkeit in Gestalt von Gestalten zu verstehen "als Ergebnis einer aktiven Formung der Erfahrung während des Erkenntnisvorgangs. Diese Formung oder Integration halte ich für die große und unentbehrliche stumme Macht, mit deren Hilfe alles Wissen gewonnen" wird. Er unterscheidet innerhalb des Begriffs 'implizites Wissen' nun weiterhin zwei in funktionaler Beziehung stehende Terme, den proximalen und den distalen Term. In einem Akt impliziten Wissens wenden wir, so Polanyi, unsere Aufmerksamkeit vom ersten Term auf den zweiten Term jener stummen Relation. Das erste Glied der Beziehung erscheint uns nun "näher", das zweite "weiter weg"; es ist dann der proximale Term, von dem wir ein Wissen haben, das wir nicht in Worte fassen können. Rhythmus nun, um vom kognitiven Sujet weg und wieder auf eine eher organisationelle Dimension zu kommen, Rhythmus wäre nun zu verstehen als derjenige dem impliziten Wissen eines einzelnen Subjekts adäquate "Funktionsträger" für andere Einheiten denn die Einheit eines einzelnen Menschen, also für Organisationen, für Gesellschaften, für physikalische, chemische, klimatologische etc. Prozeßeinheiten; er wäre die Gestalt, der Modus, die Zeitform, der Taktwechsel, in dem ein Wissen gelagert ist, das erst die Bedingung zur Aufschließung analysierbaren Wissens der infrage stehenden Einheit abgibt.

Rhythmus läßt Abweichungen der Wiederholung zu, nicht jedoch Abweichungen innerhalb der Wiederholung. Es gelingt ein Wechsel, der nicht mehr über die jeweils kleinsten oder elementaren Komponenten, nicht mehr über die musikalischen, biologischen, interaktiven usw. Figürlichkeiten verläuft, sondern über - jetzt wird schlecht formuliert - den Hintergrund der jeweils an der semantischen, akustischen, chemischen Front stehenden und prozessierenden Elemente. Zeit des Rhythmus bedeutet nun nicht, wie zuerst naheliegend, eine Zeit der Reversibilität, eine des Zyklischen, des Kreises und der Wiederholung, sondern im Gegenteil: Die Zeit des Rhythmus ist zu verstehen als diejenige, die sich 'nach vorne bewegt', die zu einem "Zeitpfeil" werden kann, die derjenigen vielleicht entspricht, die Ilya Prigogine und Isabelle Stengers aus der Chaostheorie entnehmen, um sie der physikalischen Theorie der Zeit als Erklärungsgröße beizustellen. Erst die Zeit des Rhythmus dynamisiert in einem bestimmten Größenmaß Systeme, Bewegungen, Stoffwechsel und immaterielle Einheiten jenseits der ebendiese ausmachenden Komponenten, Elemente, Aktome und läßt so erst eine Reibung, eine Friktion, eine Irritation, eine Perturbation, letztlich: eine wirkliche Instabilität zu; nicht im Innenverhältnis der Einheit oder des Systems, sondern im Außenverhältnis, im Bereich der Ökologie.

Die für diesen Sachverhalt sich anbietenden Begriffe wie Interpenetration, strukturelle Kopplung, Wechselverhältnis oder Interdependenz treffen, so die These, nicht richtig zu, da die Zeit des Rhythmus für das in Frage stehende System oder für die rhythmisierte Einheit selbst nicht zur Verfügung steht im Sinne einer Zeit, die verbraucht, gebraucht oder auf sich angewendet wird (wie es bei der operationellen Beobachtung geschieht). Vielmehr kann es plausibel sein anzunehmen, daß der Rhythmus genau an einer bestimmten Stelle der Theorie Platz greift, an der Systemtheorie Offenheit verlangt, nämlich die Stelle, die fragen läßt, ob es eine Einheit/Unterscheidung gibt der unterschiedlichsten System/Umwelt-Beziehungen und der 'Systeme in der Umwelt anderer Systeme-Beziehungen', die von seiten der Umwelt gebildet/getroffen wird; also ob die Ökologie von ihrer Seite aus zu einem sog. re-entry der Unterscheidung von System und Umwelt fähig ist, nun allerdings mit Blick auf eine Art "Protosystemik" der unterschiedlich in Unterschiede eingesetzten Umwelten von Systemen. Und genau dafür stünde dann der Rhythmus: Nicht als Modus der Temporalisierung/Reduktion von Komplexität der Ökologie, sondern als Modus des Einlaßes tatsächlicher ökologischer Komplexität in die Sondendimensionen von Systemen. Hier verneint die Systemtheorie dezidiert, u.a. deswegen, da ihr zufolge Komplexität Effekt der Reduktion von Komplexität ist, also keine Eigenschaft der Umwelt selbst, sondern produzierter Effekt einer System/Umwelt-Differenz, die nur von der Seite des Systems aus 'erfahrbar' ist. Welt teilt sich nicht mit, so die Überzeugung; sie läßt sich nur einteilen.
 

III

Damit sind wir beim zweiten Teil des Titels. Unter Operation wird verstanden die kleinste und letzte basale Einheit der Beobachtung von Systemen wie auch von beobachteten Systemen. Operationen sind die kleinsten Distinktionseinheiten, die im Moment ihres Passierens auch schon wieder entschwinden. Es sind Punkte, die, wenn aus ihnen Linien, Flächen, Dreidimensionalitäten geformt werden, als solche Linien, Flächen und Dreidimensionalitäten wiederum nur beobachtet werden können aus einer operativen Beobachtung, die aus einzelnen Operationen besteht, die in sich paradox grundiert sind (sie müssen nämlich in einer Operation - das Beobachten - sowohl die Operation Bezeichnung als auch die Operation Unterscheidung unterbringen, und zwar instantan, was unmöglich ist und deswegen die permanente Operationalität erst gewährleistet).

Die Betrachtung von unterscheidbaren Einheiten in der Welt (Einzeller, Fabriken, Seminare, Gespräche usw.) unter dem Blickwinkel der Operationalität will darauf hinaus, daß alle Formen, die sich in bestimmten Medien (der Sprache, der Luft, der Kunst, der Eiweiße etc.) zu bilden vermögen, diese die Operationszeit überdauernden Formen nur deswegen sind, eben weil sie im Rahmen von Evolution immer bis hinunter zu den basalen Elementen, den Operationen, dekliniert werden können. Das liegt daran, so zumindest ist die Theorie der Autopoiesis zu verstehen, daß die Organisation von Elementen eines Systems wichtiger ist für die Aufrechterhaltung eines Systems denn die je besonderen Elemente des Systems selbst. Formen, so könnte man es vielleicht illustrieren, die resistent sind gegenüber der Ereigniszeit ihrer sie ausmachenden Operationen, sind wie Kleidungsstücke: Auf das jeweilige Stück kommt es nicht so sehr an als auf die Gewährleistung des Bekleidens selbst. Kurz: Die Wirklichkeit von geformter Realität gehört dem "Reich" der wirklichen Möglichkeiten an; nicht Möglichkeiten haben sich den Einschränkungen der je vorliegenden physikalischen, chemischen, biologischen, soziokommunikativen Realität anzupassen, vielmehr gehört ebendiese Realität als aktualisierte Potentialität dem Kontingenzkontinent an und wird das Attribut nicht los, jederzeit wieder deaktualisiert bzw. repotentialisiert zu werden. Formen sind intermediär, Formung hingegen ist feste Welt.

Unter Temporalität soll verstanden sein eine unmittelbare Reaktion eines jeden Systems auf das systemtheoretisch ausgewiesene Problem der Komplexität der spezifischen Umwelt. Temporalisierung von Komplexität besteht in der laufenden Wiederherstellbarkeit (Operationabilität) und Wiederherstellung (Relationabilität temporalisierter Operationen) reduzierter Komplexität. Systeme sind folglich "basal unruhig (wegen temporalisierter Elemente) und strukturell ruhig (wegen relationierter Elemente) und unruhig (wegen re-relationierbarer Elemente) zugleich". Die Verzeitlichung bzw. Verzeitlichbarkeit des systemischen Operierens rührt aus dem irreduziblen Komplexitätgefälle zwischen System und dessen Umwelt: Systembildung erfolgt immer selektiv. Die Umwelt des Systems enthält aus der Sicht des Systems immer mehr Ereignismöglichkeiten, als jemals im System aktualisiert werden können. Es hätte demnach keinen Sinn, wenn das System das Tempo der Schläge (Tactus) innerhalb einer bestimmten Ereigniszeit, die die Umwelt vorgibt, erhöhen würde, also die Bewegung innerhalb einer bestimmten Zeitverbrauchseinheit forcierte, um der Komplexität der Umwelt gerecht zu werden; auch nicht, wenn es die Zeit der Verknüpfung einer Operation mit einer nächsten durch die Modulisation des Verknüpfens in Gestalt eines Rhythmus erheblich reduzierte. Anstelle einer Rhythmisierung der Operationen im Sinne von: Gliederung der Dauer einzelner Operationen bzw. Gliederung des Verhältnisses der Dauer einzelner Operationen sowie des Zeitmaßes, das das Tempo des Verknüpfens der einzelnen Operationen bestimmt, tritt nun die "Taktung" der aufeinanderfolgenden Operationen auf den Plan, in eins mit der gleichsam pausenlosen (rekursiven) Zuweisung diskreter Codewerte auf diskrete Zeitpunkte.

Wäre also der Rhythmus hier noch zu verstehen als letzte operationable "Re-Generation" (anstelle einer Re-Präsentation) der nichtfassbaren Komplexität der Umwelt und damit "Produkt" von Erfahrung mit einer systemexternen Unmöglichkeit, so zieht die diskrete Operationsverzeitlichung jegliche, besser gesagt: die wesentlichen Erfahrungsformen für ihre Umwelt ein und basiert die Gewähr des anhaltenden Operierens der Verknüpfung von Operationen auf die systeminterne Unmöglichkeit, die, wie schon erwähnt, in dem Zwang zur Gleichzeitigkeit zweier Operationen besteht, die nicht gleichzeitig sein können, da nur eine Operation zur Verfügung steht, aber gleichzeitig sein müssen, und genau durch diese Paradoxie überhaupt erst die Operationabilität eines Systems entfalten.
 

IV

Wenn es plausibel ist zu unterstellen, daß die letzte große übertechnologisierte Aktion des Menschen, nämlich absichtsvolle Beschleunigung des Zufalls, nicht grausamer ausfallen muß als die nun über 400 Jahre dauernde versuchte Ausrottung des Zufalls durch Rigidisierung des Codes sozialer (Funktions-)Systeme, dann könnte es sinnvoll sein, Prozessualitäten zwischen Menschen, Menschen und Natur und zwischen Menschen, technischen/sozialen Systemen und Natur unter dem Blickwinkel des eingehaltenen bzw. nicht eingehaltenen Rhythmus und nicht mehr unter dem Blickwinkel der sich immer noch naturwissenschaftlich definierenden Wiederholung zu betrachten. Können, das ist die abschließende Frage, bestimmte "Körperschaften" nicht des Rechts, sondern des Sozialen und des Technischen sowie der Stoffwechsels zwischen Natur und Gesellschaft auf Rhythmus als Modus des Interagierens, Zusammenwirkens und Prozessierens angelegt werden, oder muß man akzeptieren, daß diese Zeitorganisationsform nur auf natürliche, biologisch körperliche und musikalische Zusammenwirkprozessoren gespannt werden kann und für die komplex aggregierten Dimensionen der Gesellschaft keine vergleichbaren "internen" Grenzziehungen und Markierungen bestehen außer denen des Kaputtgehens, des Unfalls, des entweder Ein oder Aus, des operationalen Schliessens und der zufälligen Emergenz von Abweichungen?

Den Rahmen dieser Fragestellung kann man von Vilém Flusser ableiten. Nach ihm sei mit dem Umkodieren des Denkens aus Buchstaben in Zahlen ein Dimensionswechsel vorgenommen worden. Das buchstäblische Denken fasst den Menschen und die Welt linear auf, als Prozeß, als ein "Geschehen", das numerische hingegen fasst beide punktuell, mosaikartig auf, zersetzend und wiederzusammensetzend; Zusammenhalt weicht dem temporären Zusammensatz; und auch die Tätigkeit des Auseinandernehmens und Zusammensetzens bildet keine eigene Trace, kein Teritorium, keinen Eigenwert, keine emergierende Systemqualität: "Mit dem Umkodieren des Denkens aus Geschichtlichkeit in Systemanalyse und Systemsynthese ist das Denken abstrakter geworden. Es ist aus der Unidimensionalität in die Nulldimensionalität zurückgetreten. [...] Das numerische Denken hat zwar eine der ausgedehnten Welt nicht adäquate Struktur, aber es ist seltsamerweise trotzdem geeigneter als das buchstäbliche, um die Dingwelt in den Griff zu bekommen." Zu dieser Dingwelt gehört jetzt natürlich auch der Mensch. Er wird kalkulierbar als physische, physiologische, mentale, soziale und kulturelle 'Sache'; er zerfließt in sich überschneidende Netze von physiologischen, psychischen, sozialen und kulturellen Relationen. Der Mensch als Subjekt des Kalkulierens, so Flusser, löst sich im Kalkulieren selbst auf und befindet sich damit in der vierten Phase seiner kulturellen Entwicklung, und gleichsam am Endpunkt eines evolutiven Prozesses, der mit dem Zurückweichen von der Lebenswelt begann (Entstehung des Behandlers und Instrumentenerzeugers), mit dem Zurückweichen von der Dreidimensionalität der behandelten Dinge sich fortsetzte (Entstehung des Beobachters und Bildermachens), in das Zurückweichen von der Zweidimensionalität der Imagination einmündete (Entstehung des Beschreibers und der alphabetischen Schrift), und nun - im vierten Schritt - angekommen ist: Dem Zurückweichen von der Eindimensionalität der Schrift (Entstehung des Kalkulators und der modernen Technik) und dem Eintritt in die Nulldimensionalität. Daher, so Flusser abschließend, "wenden wir uns sozusagen um 180 Grad und beginnen, ebenso langsam und mühselig, in Richtung des Konkreten (der Lebenswelt) zurückzuschreiten. Daher die neue Praxis des Komputierens und Projizierens von Punktelementen zu Linien, Körpern und uns angehenden Körpern."

Diese neue Praxis, deren Herleitung sicher nicht zufällig an die Strenge der Hegelschen Konzeption der Herausbildung des absoluten Geistes als Überwachung eines Reiches vollständig aufgehobener negierter Negationen denken läßt, schöpft also aus dem Nichts, um das, was geschöpft wird, als Entwurf des Schöpfens zu kreieren, und kehrt dabei, gleich Baudrillard, die rhetorische Masterfrage der Philosophie, "Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts"?, einfach um und wandelt sie ab in eine konstative Aussage plus Frage: "Es ist nichts. Wie konstruiert/komputiert man überhaupt (also jenseits des Bewußtseins) etwas"? Die Adäquatheit eines solchen Satzes und solch einer Frage mit der gegenwärtigen Wirklichkeit technophiler kapitalistischer Gesellschaften hat nun nicht genuin mit der gegenwärtigen Wirklichkeit zu tun, sondern allenfalls mit der Realisationsmächtigkeit der modernen Technik, die im Anthropologium anzusiedelnden Potenzen des Maschinellen, des Logischen, des Virtuellen und Algorithmischen nun auch reel, d.h. als technologisch disponible Virtualität zu fügen. Abstraktion, Virtualität sind nichts menschennaturjenseitiges: Sie sind Kultur und Zivilisation, die erst konkrete individuelle Menschen sekretieren. Sprache und dann Schrift (ich belasse es bei diesen beiden Trägern) eröffneten dem Menschen die Möglichkeit, orginäre, individuelle und zeiträumlich abhängige Verknüpfungen und Synthesen anderen mitzuteilen, ohne daß dabei erforderlich war, daß der die Mitteilung Erfahrende die Erfahrung des Mitteilenden teilen mußte; teilen mußte er jetzt nur noch die gemeinsame Deixis des Mittelungsaktes resp. die Grammatik der Schrift. Ausdruck als Modus der Kommunikation wurde entlastet und dann weitgehend ersetzt durch Zeichen der Bedeutung; die Kultur des Eindrucks (Einfühlungsvermögen, Empfindungen, Wahrnehmungen; also als das, was das "äußere-Spuren-Hinterlassen" fürs Innere evakuieren konnte) wurde zusehends irrelevant fürs Verstehen als immer noch monopolartiger Indikator des Erfolgs oder Mißerfolgs einer Kommunikation. Oder kurz: Die Dynamik des Ausdrucks, des Wahrnehmens als beinahe mimetisches Korrelat zur Dynamik der Welt wurde zum Stehen (lat.: stare), zum Verstehen gebracht; der Garant für die nun notwendige Stabilität (denn erst jetzt konnte soetwas passieren wie das Fallen) wurde der Buchstabe, der Garant fürs Berechnen der Welt wurde die Zahl, und als Organon des kein Organ besitzenden Lebens wurde eingesetzt: die Wiederholbarkeit.

Man kann aber auch an die Maschine denken, die seit der frühesten Zivilisation schon immer als mathematische und symbolische Maschine existierte und im Laufe der Geschichte in immer gewaltigeren Schüben apparativ wurde. Kurz: Die behauptete vierte Phase der Nulldimensionalität, der eine Verhältnis-Umwerfwucht zugeschrieben wird vergleichbar der Wucht des Kapitals im Kommunistischen Manifest ("Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die Bourgeoisepoche vor allen anderen aus. Alle festen eingerosteten Verhältnisse mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen und Anschauungen werden aufgelöst, alle neugebildeten veralten, ehe sie verknöchern können"), zeichnet die Geschichte der Freistellung des freigestellten Tieres namens Mensch von der Natur aus. Hat nun diese Abstraktionbewegung, diese expansive Virtualisierung, dieses Distanzräume- und Entfernungsnähe-Schaffen selbst Rhythmus? Oder besser: Ist Rhythmus in Information zu übersetzen und als informierter, geplanter, konstruierter Rhythmus einspeisbar in die Verkehrsflüsse etwa von Organisationen, in die zwischen Institutionen, in solche zwischen Funktionssystemen, schließlich einspeisbar in das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Umwelt? — Diese Frage ist so absurd nicht, wenn davon ausgegangen wird, daß Rhythmus nicht gegenstandsbezogen, nicht anhand ganz speziell materialer Kreisläufe und Prozesse identifiziert werden muß, sondern ein Begriff ist im reinsten Sinne des Wortes. Allein die unzähligen Welttatbestände, die unzähligen Dinge, Einheiten und Vorgänge, denen Rhythmus unterstellt wird, läßt vermuten, daß Rhythmus keine Eigenschaft von besonderer Materie/Energie/Information ist (wenngleich mit der Kraft, genau dies zu imaginieren), sondern vielmehr eine Abstraktion oder zumindest das strukturell Implizite eines Ereignisses oder Vorgangs. Mit großer Evidenz unterstellt werden der Atmung, der Musik, dem Herz, dem Tanz, der sportlichen Bewegung, dem Vortrag, dem Beischlaf, dem Körper, der Seele und dem Geist Rhythmus; es gibt mittlerweile Rhythmus-Trainer (entweder als Maschine oder als Therapeut), eine Unmenge an Forschung über die menschliche Fähigkeit, Rhythmus und Takt in Musikstücken zu erkennen (mit dem Ziel der automatischen Erkennung von Rhythmen qua in den musikalischen Frequenzbereich hineinkonvertierbarer konstruierter Algorithmen), eine immer ausdifferenziertere Beobachtung klimatographischer, geologischer, physikalischer, biologischer und sozietärer Rhythmen, Zyklen, Schwingungen und Kreisläufe, die nicht esoterisch durchherrscht ist; sowie eine wachsende Reflexion auf die Bedeutung des Begriffsvolumens "Rhythmus" in unterschiedlichsten Diskursen, nicht zuletzt den rassistischen und faschistischen.
 

V

Dem Nachgehen des Verhältnisses von Rhythmus und Temporalität, ihren jeweiligen Bedeutungen und Kapazitäten, liegt natürlich eine altbekannte Problemstellung unter, die in der Geschichtsphilosophie und der Rationalitätstheorie ungefähr folgendermaßen formuliert wurde: Rächt sich Natur an Gesellschaft und Mensch deswegen, weil die geschichtliche Emanzipation des Menschen von Natur durch Natur nicht radikal genug vorangetrieben wurde resp. noch im Status des Projekts weilt (Projekt der Moderne), oder weil sie zu radikal betrieben wurde? Ist der Zustand gegenwärtiger kapitalistischer Gesellschaften, in denen sich das Geld, die Funktionssysteme, letztlich die Gesellschaften selbst von den Menschen zu emanzipieren scheinen, ein Zustand, der herzuleiten ist aus einem Exzeß der Rationalisierung der 'Lebenswelt', oder eher aus einer nicht konsequent durchgeführten Rationalisierung der Lebenswelt, also aus einer "halbierten Vernunft" (Habermas)?

Man kann im Rahmen einer theoretischen Ökologie und mit Blick auf den ökologischen Zustand der Gesellschaftumwelten (und natürlich der Gesellschaften und kommunikativen Kulturen darin) das Problem auch so variierend formulieren: Erreichte der "Stoffwechsel" zwischen warenproduzierenden technophilen Gesellschaften und Umwelt deswegen diese zerstörerische Wucht, die sie hat und noch lange haben wird, weil sich die Technologie, verstanden als Verstofflichung abendländischer/griechischer Logik, extrem distanziert hat von den "Eigenwerten" ökologischer Entitäten (etwa: Kreisläufe, Zyklen, Rhythmen, Interferenzen, Zeitlimits), oder deswegen, weil Technologie noch zu wenig distanziert von Natur ist, noch zuviel an Natur in ihrem Operationalismus beinhaltet? — Auch in dieser Frage geht die Luhmannsche Systemtheorie weiter und verschiebt die Perspektive, die einen bestimmten Zusammenhang zwischen Technologie und Natur denken läßt. Ihr zufolge gibt es etwa kein erkenntnistheoretisches Argument, das auszuschliessen vermag, "daß eine Technologie auf Grund einer falschen Theorie konstruiert wird und trotzdem funktioniert. [...] Es geht bei Technik, anders gesagt, [..] um kombinatorische Gewinne. Daß es funktioniert, wenn es funktioniert, ist auch hier der einzige Anhaltspunkt dafür, daß die Realität soetwas toleriert. Wir kehren, mit anderen Worten, die übliche Annahme um: Nicht die Technik wird isomorph zur Natur konstruiert, sondern die Natur in dem jeweils relevanten Kombinationsraum isomorph zu dem, was man technisch ausprobieren kann." Mit dieser Sicht ist jeder Prospekt, der eine rücksichtsvollere Technologie und einen weniger zerstörerischen Umgang der Technik mit Umwelt (umweltfreundliche Umwelttechnologie) entwirft, theoretisch verunmöglicht. Auch bestehenden und augenscheinlich umweltfreundlichen Technologien wird mit dieser Sicht die Möglichkeit genommen, für sich zu beanspruchen, wirklich besser auf Umwelt und Natur zu passen denn augenscheinlich schädlichere Technik. Die Umwelt resp. Natur kann von sich aus kein Maß, keine Grenze, keinen Umschlagpunkt angeben, der Inkompatibilität zwischen ihr und ihrer rekombinierten und aufgelösten Form anzuzeigen vermag; was in solch einem Falle angezeigt wird, ist nur auf seiten der jeweils so geformten Technik feststellbar: der Unfall, das Kaputtgehen, die wuchernde Nebenwirkung, das Nichtstarten.

Was aus dieser Sicht systemtheoretisch gezogen werden kann, ist ein nichtemphatisches Plädoyer dafür, die sogenannte Abweichungsverstärkung (Devianzamplifikation), zu der alle rekursiv und operational geschlossenen Systeme fähig sind, wenn nicht zu forcieren, so doch konsequent weiterzuverfolgen, ohne dabei moralische oder sonstige ökologische Hindernisse einzubauen. Wenn "ökologische Kommunikation" resp. Kommunikation mit Ökologie nicht möglich ist, dann, so die Annahme, muß sich das technologische System an den eigenen Formen und Operationen orientieren; muß sich selbst in Vibration, in Spannung, in Irritation versetzen. Und dies gelingt durch eine behinderungsfreie, sprich: von jeglicher Rücksicht auf Natur befreite Exekution der Verstärkung von Abweichungen als das Oppositionelle schlechthin zur Einhaltung eines bestimmbaren Kreislauf-Rhythmus.

Abweichungen und Kreisläufe, Abstände und Pausen, Entwicklung und Evolution, reversible und irreversible Zeit können als derivatiöse Begriffspaare des Leitpaars Rhythmus und Temporalität verstanden werden. Gemeinhin wird das Kreisläufige, das Rhythmische, das Zirkulierende der Ökologie als dasjenige angesehen, das nicht zur linearen, zeitintensiven Progression von Entwicklungen führt oder maßgebend beiträgt, sondern eher als Gewähr dafür, daß sich in der 3-Phasen-Evolution (Variation, Selektion, Re-Stabilisierung) immer wieder eine stabile dynamische Instabilität, ein unregelmäßiger rhythmischer "Fluß" einfindet, der das Veränderte mit soviel Zeit versorgt, daß sich auch die Ökologie des Geänderten verändert (und natürlich vice versa). Garantiert wurde dies durch die unvorstellbar viele Zeit, die dafür zur Verfügung stand, man kann auch sagen: durch den sich ergebenden Rhythmus der Abweichungszeit der Ökologie der Systeme. Die Zeitextension ist Effekt des Umstandes, daß die Ökologie der Systeme selbst nicht als System organisiert ist, sondern im wahrsten Sinne Umwelt ist. Die Zeitintensität temporalisierter und sequentialisierter Veränderungen resp. verstärkter Abweichungen ist dagegen Effekt der Geschlossenheit des zur Auflösung und Rekombination von Wirklichkeit befähigten Systems. Dieser Unterschied ist, so denke ich, maßgebend für die Bestimmung des Verhältnisses von Rhythmus und Temporalität, auch wenn die Kybernetisierung systemtheoretischen Beschreibens keine Polarität "hier Leben, dort Maschine" innerhalb des Verhaltens-Feldes zuläßt.

Um das Annotieren abzuschliessen und dem vielfach oppositionellen Gegenüberstellen von Rhythmuszeit und Operationstemporalität auszuweichen, möchte ich die folgende Annahme machen, nämlich: daß die stabile Form der ménage à trois (Körper, Geist, Gesellschaft) nicht nur temporal bzw. historisch eine intermediäre Form ist, sondern auch material bzw. evolutionär. D.h.: Dieser Zustand der Ungeteiltheit von Körper und Geist (gemeinsamer Träger: Mensch), dieser Zustand der Ungeteiltheit von Natur und Gesellschaft (gemeinsamer Prozeß: Stoffwechsel), und dieser Zustand der Ungeteiltheit von "Individuum" und Gesellschaft (gemeinsamer Horizont: Lebenswelt) sind Gestalten eines vorübergehenden Prozesses von nun reflexiv gewordener Evolution, der ebenfalls vorübergeht. Evolution mutierte Geschichte; Geschichte (Geist und Gesellschaft) kommt an ihre Grenze, den Zeitraum der natürlichen Evolution gemeinsam mit Natur und Körper teilen und sich reproduzieren zu müssen; zugleich kommen Natur und Körper an ihre Grenze, im "alten" Herr-Knecht-Modus (Herrschaft) und Knecht-wird-Herr-Modus (Selbstzucht, Selbstdiziplin) ausgebeutet, deformiert und eliminiert zu werden; Geschichte beginnt, Evolution zu produzieren, nicht verstanden als Bedeutung der Geschichte der Produktion von Welt für die natürliche Evolution des Lebendigen auf der Erde, sondern als radikal anderer Modus der Grundlagen des Selegierens, Variierens und Kondensierens evolutionärer Prozesse; die von Geschichte produzierte Evolution (zweiter Ordnung?) koppelt den Geist, den Körper und die Gesellschaft zunehmend ab vom gemeinsamen Bedingungsensemble der ersten Evolution, und schafft jeweilige, wohl nicht nur operational abgeschlossene "Wohineins", in denen jeweils für sich Körper, Geist und Gesellschaft ihre Selbsterhaltung und Selbstproduktion autopoietisch wiederholen. Geistloser Körper (Kreatur), körperloser Geist (Dämon), menschenfreie Gesellschaft (System), gesellschaftsloser Mensch (Monade) - auf eine Art technologischer Realisation emergenzfähiger "Entmischung" der bis dato evolutions- bzw. geschichtstheoretisch als verwoben und unselbständig beschriebenen Wirklichkeitskomponenten namens Natur, Geist, Körper und Gesellschaft scheint also die Evolution der Evolution, die historische Produktion von Evolution als Fortsetzung der Evolution von Geschichte, hinauszulaufen.

Nichts, wenn diese nicht ganz diziplinlose Annahme plausibel würde, wäre dann dringender zu erreichen denn die Verwortwörtlichung des Pausemachens, des Aufhörenmachens, des Entschleunigens. Und das erfordert eine recht ungewohnte Präzision der Ambivalenz, der "Unreinheit", denn man kann, abstrakt gesagt, nicht ernsthaft unterlassen, wenn nicht auch das Unterlassen unterlassen wird. Alles zu unternehmen, um zu unterlassen (zu pausieren, aufzuhören, zu entschleunigen), perpetuierte nur den Exzeß der Zeit-Produktivität in ihr intendiertes Negatives hinein. – Diese präzise Ambivalenz, die vielleicht in abstrakter Form die Selbstattraktion des vermeintlich homöostatischen Wachsens und Schrumpfens aufbewahrt, kann man, soweit ich es sehe, bisher nur hören, etwa bei den letzten Stücken Luigi Nonos, bei Mathias Spahlinger, Arvo Pärt, Jakob Ullmann, John Oswald.

Wer nicht mehr "verarbeiten" kann, muß hören.