bernd ternes

Verwerben


Woran könnte man erkennen, daß das Reden über Postmoderne nicht einfach nur eine clevere Erfindung verzweifelter Denkerinnen und Denker war, sondern sich, zwar langsam, aber umso nachhaltiger, tatsächlich an entscheidene Überzeugungen und Vorstellungen in der Gesellschaft herangemacht hat, um sie beinahe freundlich auszuhebeln? An der Werbung natürlich. Was jetzt, zur Zeit des politischenWahlkampfes, an nicht eben wenigen Konsum-Werbeplakaten zu sehen ist, läßt sich vielleicht so fassen: Die Wirtschaftswerbung wirbt mit Versatzstücken der politischen Werbung, die sich ja ihrerseits den gängigen Werbebedingungen angepasst hat, für Produkte. Wenn Mercedes ein Exemplar der A-Klasse abbilden läßt, darüber die Aufforderung: "Wählen gehen!"; wenn die Zigarettenmarke Camel eine neue Markenversion beschreibt mit "Wählen Sie die neue Harmonie!", daruntergelegt eine Andeutung des Wahlzettels mit Ankreuzung; wenn Burger King an seine Filialen ein Pfeilhinweisschild kleben läßt: "Zur Wählerwanderung da lang"; oder wenn, schon etwas weniger simpel, die Kaufhauskette Mediamarkt seine Werbeplakete untertitelt mit dem Satz: "Wir sind die Guten" usw.: Was ist das anderes als einfaches Ausnutzen und zugleich Lächerlichmachen der gegenwärtigen politischen Aufmerksamkeit, die eben durch die politische Werbung erzeugt werden soll?

Benettons Kategoriensprung vor ein paar Jahren, nämlich sich zumeist tragischer bis schrecklicher Bilder, die allenfalls in der Tagesschau zu sehen sind, zu bedienen, um sein Label zu bewerben, provozierte noch mehrdeutige Reaktionen von tiefster moralischer Ablehnung bis hin zur Veredlung durch die Aufnahme ins Frankfurter Museum für moderne Kunst. Das, was die kommerzielle Werbung jetzt mit ihrem ironischen Ansaugen politischer Werbung macht, ist nicht mal mehr medioker, wenngleich, mit Optimismus betrachtet, vielleicht dialektisch: Indem sie nämlich die per se plagiate dümmliche Politikwerbung in den Kontext der kommerziellen setzt, setzt sie damit zumindest eine Unterscheidung, die dem Betrachter sofort einsichtig werden läßt, daß sich Produktwerbung und Parteienwerbung doch irgendwie noch wesentlich unterscheiden. Parteien seien doch, so vielleicht die Überzeugung, nicht wie Produkte einfach Lebensmittel, sondern haben einen besonderen Bezug zu Lebensverhältnissen; sie können auch nicht einfach gekauft und konsumiert werden, sondern man muß sie wählen und sie erdulden.

Daß in den Wahlkabinen Wähler plötzlich fragen, wo denn auf der Liste Mercedes steht, oder Käufer im Mediamarkt nach dem Computerspiel "SPD" fragen, scheint trotzdem nicht ganz ausgeschlossen. Ausgeschlossen jedoch, das zeigt diese Verarschung der politischen Werbung durch die kommerzielle, bei der sie vor Zeiten noch in Lehre war, ausgeschlossen ist, daß die Parteien einen ganz eigenen Werbestil kultivieren, der dann wieder als völlig normaler ins mittlerweile unerträgliche kommerzielle Werbeensemble integriert werden kann: Ein Zeichen dafür, daß das Verhältnis zwischen Parteien und Öffentlichkeit grundsätzlich gestört ist.