Bernd Ternes

Tyrannokrat


Ist man der Nachrichten in Zeitung und Fernsehen müde geworden, dieser bemühten Ernsthaftigkeit einer Sache gegenüber, die schon längst jeglicher nur sachlichen Berichterstattung flieht; ist man nicht mehr gewillt, den Absurditäten und Dummheiten der gegenwärtigen Politik zu lauschen, ohne daß ebendiese mit zum Vorschein kommen: Was macht man dann?

Als sich die Nato vor kurzem einfach mal so die Erlaubnis gab, nun endlich explizit den strafenden Gott auf Erden zu vertreten: Wer anders als Gerhard Polt könnte darauf schon einen Kommentar gegeben haben, wenn auch nicht direkt auf diese Nato-Entscheidung bezogen, sondern auf die Haltung, die dahinter steht.

Polt spielt in seinem Programm Der Standort Deutschland einen bayerischen Politiker, der neben vielem auch das sagt: "Ich brauche keine Opposition, weil ich bin bereits Demokrat". Nun sind Weltsicherheitsrat, UNO und weitere Organisationen beileibe keine Opposition der us-amerikanisch beherrschten NATO. Aber sind könnten es sein bzw. hätten es sein können, wenn nicht die USA sich die Position Gottes gegeben hätten, eine Position, von der aus alles zu sehen, die aber selbst nicht zu sehen, sprich: protodemokratisch zu kontrollieren ist.

Für Feingeister könnte das etwas von einer Resurrektion der Metaphysik haben; für standhaft gebliebene linke Antiamerikanisten scheint dieser Coup allenfalls eine Bestätigung zu sein für die Theorie des Imperialismus; und jung gebliebene Altleninisten könnten mit einem Lächeln auf Lenins Schriften verweisen. Für einen Staatsverfassungstheoretiker schließlich könnte mit der neuen Immunität der NATO eine politische Evolution hindurchschimmern, die es in sich hat: Gemischte Verfassungen, wie sie die Weltgesellschaft nun mal hat, sollten vor einem sogenannten Verfassungkreislauf geschützt sein, sagt Aristoteles. Dieser Verfassungskreislauf geht so: Eine ursprüngliche Königsherrschaft verkommt zur Tyrannis, diese wird von einer Aristokratie gestürzt, die sich alsbald in eine Plutokratie wandelt, gegen die sich die Armen erheben und eine Demokratie bilden, die aber durch Parteienkämpfe und Politikverlust in eine Anarchie münde, in der sich dann wieder ein Tyrann zur Herrschaft aufschwinge. Der Kreislauf ist geschlossen.

Nun haben natürlich die meisten mündigen Bürger Probleme mit dem Begriff Tyrannis, wenn sie davon ausgehen, daß der Westen durchherrscht ist von Demokratie. Das macht aber nichts, wenn man sich die Karriere des Begriffs militärischer Moralismus (oder war es moralischer Militarismus?) anschaut. Wenn töten moralisch sein kann oder Moralischsein töten erfordert, wie jetzt behauptet wird, dann können doch auch Demokraten tyrannisch sein.

Ob Tyrannischsein Demokratie erfordert? Diese Frage hat die NATO beantwortet.