Krieg - ja und?
Stellen wir uns einmal dumm. Glauben wir, daß es wirklich die alten Menschen, die kranken Männer und Frauen, die Kinder sind, deren Gefährdung durch die Serben den Ausschlag gegeben hat für diesen Nato-Krieg gegen die serbische Regierung. Nehmen wir für einen Moment die Politikdarsteller ernst, die ohne mit der Wimper zu zucken von moralischer Verpflichtung sprechen und vom Verhindern einer humanitären Katastrophe. Seien wir auch contre coeur überzeugt, daß da kein Pathos, kein nationales Glänzen, kein Genuß in den Gesichtern des Bundeskanzlers und der Reporter zu sehen war, als von unseren Soldaten gesprochen wurde und der Pflicht, daß wir alle ihnen beistehen sollen in dieser gefährlichen Stunde. Vertrauen wir unter Mühen unsererm Verstand und erblicken keinen unverholenen Stolz in den Stimmen der Berichterstatter, daß es die deutschen Tornado-Flugzeuge sind, die die Vorhut des Angriffs bildeten. Unterstellen wir dem Außenminister, daß er noch andere Gesichtszüge denn diese schmerzhaft verzerrten auf Lager hat und er also authentisch sein Betroffensein über die Kriegsentscheidung zum Ausdruck brachte. Unterstellen wir auch, daß in den außergewöhnlich wenigen Filmbeiträgen, in denen flüchtende Menschen und brennende Häuser zu sehen waren, es sich immer um Kosovo-Albaner und deren Häuser gehandelt hat und nicht um Serben, die vor den Soldaten der UCK flüchteten. Überhören wir, daß der Serbenführer Milosevic just in den letzen Tagen zu einem Diktator Milosevic mutiert ist, der er ja schon immer war; und daß die erst vor kurzem gescheiterten Friedensverhandlungen auf Schloß Rambouillet bei Paris Verhandlungen und kein Dikat gewesen sind.
Wir gehen selbstverständlich von der Richtigkeit des Fischer-Statements aus, daß sich Aggression nicht lohnen darf. "Ein Aggressor muß wissen, daß er einen hohen Preis zahlen muß. Das ist die Lehre des 20. Jahrhunderts." Und wir tun einmal so offen, daß wir in der vollständigen Abwesenheit von Protest oder Demonstration gegen den Krieg ein Zeichen politischer Reife erkennen. Wir lassen uns höchstens etwas verwirren durch Skeptiker aus der eher rechten Polit-Szene; den Protest der PDS tun wir einfach als nostalgische Reminiszenz ab. Aber das macht nichts. Wir geben auch nichts auf die Bedeutung, daß sich die Nato zum ersten Mal in ihrer 50jährigen Geschichte zu einem Angriff auf einen souveränen Staat entschlossen hat. Was heißt schon Souveränität im Zeitalter der Globalisierung? Andererseits fassen wir es als Akt der Souveränität und nicht als rituelles Gesichtwahren auf, daß sich die Nato 5 Monate in Drohgebärden übte: So ist das, so werden wir denken, nun mal mit Demokratien, die dem Skrupel eine Chance geben. Wir stellen uns keine Fragen, die davon ausgehen, daß etwas völlig anderes hinter dem Kriegseinsatz steckt als in der veröffentlichten Meinung kundgetan wurde. Wir verneinen alle Mutmaßungen, dieser Krieg bediene ein schon lange angestautes Bedürfnis nach einem richtigen Ausnahmezustand in diesem Europa, das doch mit seinen Themen (Finanzen, Subventionen, Geld) eher langweilt. Und wir weisen empört alle Stimmen von uns, die eine gewisse Freude ob des Krieges ausgemacht haben.
Fällt es Ihnen schwer, sich so dumm zu stellen? Sehen Sie, so einfach ist das.