Bernd Ternes

Thesen zur möglichen Inkommensurabilität von diskursiver Rationalität und performativ-ästhetisch grundierter Auseinandersetzung mit gedanklichen Abstraktionen


0) Den inkriminierten Übergang diskursiver begrifflicher Themenbehandlung hin zur sinnlichen, erkennenden Wahrnehmung von ausfransenden Themen innerhalb der Sozialwissenschaft gibt es nicht. Ihn gibt es schon deswegen nicht, weil ästhetisches Erkennen niemals eine sog. Substitutionskompetenz für von ihr vermeintlich überholte alte Wahrheiten diskursiv-rational motivierter Weltauseinandersetzungen ausbilden kann; es kann nicht erklären, warum eine Wahrheit falsch ist. Und wenn sie es doch könnte, dann könnte es sich nur um ein Artikulieren der Wahrheit der Stimmigkeit/Unstimmigkeit handeln, denn: um Wahrheit kann es der Ästhetik auf der Ebene des Programms nicht gehen, nimmt man sie denn ernst. Beiden Weltbeziehungen, der wissenchaftlich-begrifflichen als auch der ästhetischen, geht es um eine bestimmte Organisation des Erlebens. Bei dieser Organisation gibt es für beide eine gemeinsame Etage, nämlich die, in der eine Abweichung, eine Neuerung, eine Diskontinuität Platz greift und den gewohnten Gang des sich Wiederholens und des Und-so-Weiters von Erleben zumindest zum Problem macht. Während nun 'künstlerisches' Erleben und Handeln darin besteht, die Abweichung, Neuerung, Irritation zu erzeugen oder schon vorhandene Irritation zu verstärken und dann diesen Zustand des Erlebens differenzlos bezüglich wahr/falsch dem Erleben zugänglich zu machen, setzt der Begriff weniger auf die Seite des Erlebenden denn auf die Rekonstruierbarkeit des Neuen (der Admiratio) aus dem düpierten Kontinuierlichen. Dem Begriff geht es mehr um Anschluß des Erlebten, der "Passion" mehr um die umwahrscheinliche Ermöglichung des singulären Erlebens eines singulären Ereignisses, das, in Idealform, sich darzustellen vermag, als ob es keine Geschichte hat. - Wenn nun der Begriff Selbst- und Fremdbeschreibungen nur in kognitiver Form akzeptiert (für den eigenen Zirkel; zugänglich ist ihm wohl jede Form); und qua Methodologie der kognitiven Formung Regeln gegeben werden, die die Besonderheit des Erlebens entschärfen, also das besondere Erleben des Erlebens vom Erleben wegabstrahieren sollen, um die Erkenntnisgegenstände resistent zu machen gegen die Weisen, mit denen sie der Erkenntnis zugänglich gemacht werden (Objektivierung); und wenn diese Procedere notwendig sind, damit der Begriff Erkenntnis zu produzieren vermag: dann muß man sagen, daß diese Weise, Erkenntnisse über und von Welt zu erlangen, für immer mehr "Bereiche" nicht mehr ausreichend ihre Funktion erfüllt. Auf der anderen Seite geht der "Ästhetik" ihre zugeschriebene Fähigkeit (Baumgarten, Kant) aus, Allgemeines im Besonderen besonders darzustellen. Mit dieser Fähigkeit, so Luhmann, rückte die Ästhetik einst in die Nähe zu neuen Ansprüchen an Individualität; und dies würde erklären, warum das Kunstwerk sich nicht in ein Räsonnement und nicht in eine begriffliche Analyse auflösen ließe, obschon Kunstwerke schon früher auch von kognitiven Operationen her verstanden wurden (Luhmann, Gesell. d. Gesell., Bd.2, p979). Heute, so hat es den Eindruck, hat die Spannung von Besonderem und Allgemeinem im Bedürfnis nach welt- u. alltagsfremden Erleben im Kunstwerk einen immer schwächer werdenden Monitor. Der Zeichenwert sinkt. Dafür aber ist eine neue Unterscheidung sichtbar, die nämlich, ob noch Erfahrung gemacht werden kann oder nur noch Erfahrungen der Bestätigung von Erfahrungsunzugänglichkeit von Welt, oder anders: Die in und durch Medien vermittelte und hergestellte Welt scheint überhand zu nehmen gegenüber der unterstellten vormedialen und beide, Signifikant und Signifikat, in ein neues Verhältnis einzuspannen, in dem das Erleben des Erlebens in dem Maße Beachtung findet, in dem es immer unmöglicher wird (man kann hier an das Verhältnis Aufklärung/Romantik denken). Der Rückzug des Begriffs auf seine harte Organisationskompetenz als Gewähr für Orientierung ist gleichsam eine ebenso nichthinnehmbare Reaktion. Also, so könnte man sagen, steht Mischung an; also auch die Gefahr, sich zu vermischen. Innerhalb der Seiten Erfahrung und Erfahrung der Erfahrungsunzugänglichkeit könnten Performanz und Konstatieren sich auf eine dringlichere Weise gegenseitig stützen, als es eh schon der Fall ist (denn nur aus einer einseitigen Zeitauffassung heraus kann man zwischen Erleben/Wahrnehmen und Erlebenorganisieren/Begriffen einen Keil setzen).

1) Es geht also nicht an, und sei es als Warnung, einer Stimmigwerdung des Begriffs und einer Wahrwerdung des Werks das Wort zu reden (denn: beide Formen sind zeitlich verschieden zu gebrauchen). Wissenschaft ist selbstsubstitutiv geordnet, Kunst (Ästhetik) ebenso. Was nicht heißt, daß Kants These von der Komplementarität beider hinfällig sei (KrV, B29). Beide können nur durch sich, nicht aber durch den jeweils anderen Pol ersetzt werden. Wenngleich A.G. Baumgarten heutzutage die besseren Karten hat im Vergleich zu Kant, da das sog. "untere Erkenntnisvermögen" (Sinnlichkeit) eine breitere anthropologische Basis besitzt und also auch noch in der Wüste intakt bleibt, während Sinn rasch an seine Grenzen der Ermöglichung seiner gerät. In der Tat könnte man den Eindruck haben, sinnliche Wahrnehmung wiederhole in ihrem Unterlaufen diskursiver Themenbehandlung genau das voluminöse Unterlaufen sinnlicher Wahrnehmung durch rationale Procedere der Erkenntnis, ersetze also Differenzierung durch Entdifferenzierung. Das mag fürs Fernsehn gelten, nicht aber für Sozialwissenschaft. Hier ist es kein Ersetzen, sondern eher ein Komplettieren, oder besser: ein Ausprobieren von neuen Dosierungen unterschiedlichster Vermögen und Denkungsarten zwecks Auffindung neuer, tragfähiger Unterscheidungen, denen methodisch nicht die Angst im Gesicht stehen bleibt. - Aufmerksamkeit für eine antizipierte Verschmelzung zu schüren ist allenfalls da sinnvoll, wo ein bestimmtes wissenschaftspolitisches Interesse alle Kognition darstellende und ergründende Semantik als Fiktion ausweist und die Grenze zwischen Literatur (man schreibt zuerst einen Roman, also fürs Schreiben und Lesen) und Sozialwissenschaft (man schreibt zuerst über Gesellschaft, also fürs Außerhalb des Schreibens und Lesens) einebnen möchte zwecks Nachweis der Obsoleszenz einer Geld zum Fenster herausschmeissenden Sozialwissenschaft. - Dieses angebrachte Schüren ist nicht wissenschaftlich, sondern nur politisch zu begründen. Allerdings gilt: Der Begriff ist in Besitz einer größeren Toleranz gegenüber Einflüssen der Ästhetik denn umgekehrt die Ästhetik gegenüber dem Begriff: der Begriff kann sich weit länger in ästhetischen Spielen halten und dortige Regeln akzeptieren, weiß er doch, daß am Ende keine gepfiffene Melodie, kein Tanz und kein Farbklecks, sondern Diskursivität stehen wird. Will das Werk verständlich und begrifflich begriffen werden, riskiert es seinen Status als Kunstwerk. Zur Debatte steht denn auch etwas anderes, nämlich: ob Wissenschaft weiterhin ihre Vorrangposition über der Gesellschaft behaupten kann (nur sie klärt die Bedingungen zur Ermöglichung wahren/unwahren Erkennens von Sachverhalten in der Welt), also auf Code-Reinheit besteht, um ihre Funktion erfüllen zu können, oder ob sie ihre Funktion weiterhin nur erfüllen kann, wenn sie von dieser Position läßt, sich einer Code-Vermischung öffnet, um damit gleichsam performativ die sich gewandelt habenden Sachverhalte in den neu zu erarbeitenden Bedingungen zur Ermöglichung des Erreichens von Sachverhalt-Erkenntnissen einzubauen. - Angesichts der Tatsache, daß (Sozial-) Wissenschaft zum überwiegenden Teil in der Reihung von Texten an Texte besteht und Mündlichkeit allenfalls den Status eines Expressionsmodus für schriftlich verbürgte Errklärungen, Begründungen und Inbeziehungssetzungen innehat, scheint mir eine Theatralisierung von Oralität innerhalb der Wissenschaft zugunsten der möglichen Eröffnung von Erkenntnisweisen jenseits der (aber: letzlich für) rein schriftlichen Analyse von Erleben nicht in das Oppositionsverhältnis einspannbar zu sein, wie es Walter J.Ong für Oralität und Literarität als zwei verschiendene Denkweisen und nicht bloß verschiedener Medien entwarf (additiv vs. subordninativ, konservativ vs. innovativ, anthropomorph vs. begrifflich, einfühlend vs. distanziert, situational vs. kategorial, personal vs. sachlich, narrativ vs. kausal, mythisch vs. historisch).
 

2) Nun war Ausgangspunkt hiesiger Diskussion das eigeninitiierte Ausprobieren eines Übergangs von Begriff zu sinnlichem Begreifen von Problemen und Themen, oder zumindest das Ausprobieren eines Verstehensergänzungspotentials sinnlichen, performativen Wahrnehmens; also weit entfernt von Baudrillards Forderung, Theorie habe sich selbst zu verdrehen. Es ging, anders gesagt, darum, auszuprobieren, das Fortsetzen des Produzierens von gegenwartsbefreiten Zeichen durch Anschluß an gegenwartsbefreite Zeichen nicht mehr auschließlich als Erkenntnismodus gelten zu lassen, sondern Erkenntnis auch in der Gegenwart der Produktion gegenwartsbefreiter Zeichen aufzusuchen. Die Begründung dieses Aufsuchens war, wie immer schematisch, folgende: Sozialwissenschaft spricht mittels Begriffe, Theorien usw. über Wirklichkeiten der Gesellschaft, also über Erleben, Handeln, Entscheiden, Strukturen, Systeme und Entwicklungen in der Gesellschaft. Innerhalb der Gesellschaftswirklichkeiten sei nun festzustellen, daß immer mehr Aktome sich so ereignen, daß eine Ja/Nein-Stellungsnahme nicht mehr erforderlich ist. Frithjof Hager nennt dies "ästhetische Regeln der Wahrnehmung von Wirklichkeit"; Hermann Bausinger sprach vor einiger Zeit davon, daß Fernsehn, vormals Funktion in der Gesellschaft, nun selbst Gesellschaft wird. Oder anders: Fernsehn und andere Medien vermitteln nicht ein Stück Wirklichkeit, indem sie, medial gebrochen, auf diese reagieren oder von ihr reportieren, sondern Wirklichkeit wird vielmehr zusammengesetzt aus medial Vermitteltem und anderem und konstruiert sich jeweils neu. Sollte sich Kulturwissenschaft der Sprache der Bilder und Klänge telekommunikativer Vermittlungen öffen, gar, um weiterhin den Anspruch ihrer Aussagen als Aussagen über Wirklchkeit zu erhalten, sich den ästhetischen Regeln subordinieren, um weiterhin derjenigen Wirklichkeit auf der Spur sein zu können, die darin besteht, medial, ästhetisch und begriffslos Bilder von realen und fiktiven Wirklichkeiten zu erzeugen und zu konsumieren? Vollzieht sich hier weiterhin Gesellschaft wie eh und je, oder vollzieht sich hier eine Transformation des Vollziehens von Gesellschaft, die eine Sozialwissenschaft zur Reflexion über ihre Formen der Beschreibungen zwingt? Ruhig Blut, sagt die skeptische Seite, und verweist aufs Arsenal der Werkzeuge und Kurzschließungsanweisungen fürs Dual Begriff und Wirklichkeit, verweist auf Potentiale der Konstruktion konstativer Äußerungen, die von den Experimentierenden zumeist ignoriert, schlimmstenfalls gar nicht gekannt werden.
 

3) Die `Rezentrierung` der Kommunikation, die `Renaissance` der Deixis, des Kontextes, der Sprecher, des Ortes, der Zeit, also die konkrete Gebundenheit des Informierens einer Kommunikation durch ihre Performanz, die der situative Hintergrund gewährleistet, ist nicht erkauft durch ein schwaches, unterkomplexes Symbolsystem, sondern im Gegenteil Produkt einer überkomplexen Kommunikation, die ihre Referenzen semantisch nicht mehr in der notwendigen Fülle zu entfalten weiß.
 

4) Gewiß, dem Ansturm der (An-)Ästhetisierung und der Symbolisierung von allem und nichts ist damit Tür und Tor geöffnet. Es liegt am Leser, welche er verschlossen hält und welche er ganz öffnet (etwa dem Kulturismus bzw. der Kulturphilosophie). Es liegt ebenso an ihm, ob er die Materialästhetisierung noch aufklärerisch fundieren möchte (à la E.CASSIRER), oder eher als Möglichkeit der lockeren Archivierung dessen ansieht, was einmal als befreit galt. Fest steht nur die Annahme, daß bestimmte Materialien nicht per se bestimmte Medien affizieren oder andere ausschliessen; das tun sie nur, wenn sie auf einem Markt zu reüssieren haben. H.MÜLLER brachte zur Demonstration, das dem nicht so sei, gerne die Anekdote über eine Tänzerin namens Ulanowa an, die nach der Bedeutung ihres Tanzes gefragt wird und darauf antwortet: "Wenn ich das anders sagen könnte als mit diesem Tanz, hätte ich nicht vier Monate hart gearbeitet an diesem Tanz...".
 

5) Man kann davon ausgehen, daß Neuheit, ob in Kunst oder (Sozial-) Wissenschaft, nicht mehr aus der Spannung zwischen `Poiesis` und `Mimesis` hervortritt; daß also die Arbeitsteilung zwischen kulturellen, sozialen und wissenschaftlichen Gattungen (Medien) zugunsten einer `Grenzöffnung` für bis dato unbezügliche Materialien aufhört und in ein televisionäres Verarbeitungsparadigma einmündet, das alles zuläßt (und deswegen kein Paradigma mehr sein kann). Grenzen wären dann nur noch erinnerlich oder, wenn erforderlich, rechtlich-politischer Natur, etwa dann, wenn das Genre Werbung sich aufmacht, den letzten großen Gesten-, Moden-, Symbol- und Zeichensteinbruch, der noch unbearbeitet ist und dies auch hoffentlich bleibt, nämlich den des deutschen Faschismus, für die Produktion `neuer` Werbemuster zu bearbeiten.
 

6) Es geht nicht darum, alles mit allem zu mixen, zu kreuzen, alles beliebig einander anzuschliessen. Es geht darum, sich dies unbeschränkt und ohne intellektuelles Illegitimitätsgefühl einbilden zu können, darum, Inkommensurabilität anders zu denken denn als bloße Nichtkommensurabilität; sie von einem eigenen, noch zu schaffenden Standpunkt aus zu erkennen und nicht von dem der Kommensurabilität: Etwa MARCEL PROUSTSCHES Vokabular in Comic-Heften, Wahrheitstheorien in Skulpturen, RILKES Gedichte als fraktale Geometrien, Romane als Computerprogramme, Alltagsgesten als wissenschaftliche, Unterhaltungssendungen als historische Quellen, Musik als Farbe, Philosophie als Talkshow, Ideogramme als Diagramme, Texte als Dinge, Dinge als Subjekte usw. Dieses Materialgefüge der Über-Texte steigert, so läßt sich vermuten, seine Entropie in dem Maße, wie In-Texte (zumeist naturwissenschaftlich-technischer Systeme) ihr mathesisches Konstruktionsprinzip immer unangreifbarer, immer unbegreifbarer machen, d.h.: Je unverbindlicher Unverbundendes zusammenhänglich gedacht und beredet wird, desto restriktiver organisieren und konstituieren technische Texte unsere Realitäten, die als solche immer weniger für uns, sondern nur noch für sich stehen, wenngleich kein `sich` vorhanden ist.

Je prinzipieller wahrheitsfähige oder sagen wir intersubjektivitätsorientierte Verständigung prinzipiell als unmöglich gedacht wird, desto forcierter stabilisiert sich Gesellschaft in ihrer soziokommunikativen Dimension nur noch im Modus der Technokratie. Das ist der mögliche Preis.
 

7) Die Arena sozialwissenschaftlicher Auseinandersetzung ist der Diskurs. Dieser Diskurs kann als eine spezifische Form des Argumentierens verstanden werden, die erzwingt, daß Teilnehmer strittige Geltungsansprüche thematisieren und versuchen, diese mit Argumenten einzulösen oder zu kritisieren. Lernen, falsifizieren, sich nach rationalen Gründen für Geltungen und nach rationalen Geltungen rational umzusehen für behauptete Propositionen, ist Zentrum; Zentrum eines Diskurses, dem es um konstative Sprechhandlungen geht, nicht aber um normregulierte Handlungen, expressive Selbst/Fremddarstellungen und evaluative Äußerungen. Habermas, der anhand der Argumentationstheorie seinen Begriff kommunikativer Rationalität zu explizieren suchte (TdkH, Bd.1, p34ff.), unterschied Argumentationsformen in den theoretischen Diskurs (kognitiv), den praktischen (moralisch), in die ästhetische Kritik (evaluativ), die therapeutische (expressiv) und in die explikative. Die drei letzten Formen, wenngleich an Rationalität angeschlossen, verdienen nach Habermas nicht den Titel Diskurs, weil der von ihnen generierbare "Hof intersubjektiver Anerkennung" nicht bedeutet, zugleich einen Anspruch auf kulturell allgemeine oder gar universelle Zustimmungsfähigkeit erheben zu können. Die Geltungsansprüche der 5 Formen teilt sich obiger Reihenfolge gemäß in Wahrheit auf Propositionen, Richtigkeit von Handlungsnormen, Angemessenheit von Wertstandards, Wahrhaftigkeit des Ausdrucks und in Verständlichkeit symbolischer Konstrukte. Nun ist orthogonal dazu die Argumentation selbst, gleich in welcher Form, wieder in ein Unterscheidungstripel unterbringbar, dessen einzelne Aspekte variieren je nach Form der Argumentation. Das Tripel besteht in der Sichtweise auf die Argumentation als Prozeß (Rhetorik), als Prozedur (Dialektik) und als Ort der Argumentproduktion (Logik). Zum ersten könnte die Absicht gehören, ein universelles Auditorium zu überzeugen; zum zweiten die Absicht, einen Streit um Geltungsansprüche mit rational motiviertem Einverständnis zu beenden; und zum dritten die Absicht, einen Geltungsaspekt mit Gründen zu begründen und/oder einzulösen. Kommunikative Rationalität im argumentativen Diskurs könne nicht, das ist eine conclusio Habermas', auf eine einzige dieser analytischen Ebenen reduziert werden; nur die permanente Beachtung der Dreifaltigkeit von Argumentation gewährleiste es, Faktizität nicht ins Gültige (normativistisch), das Gültige nicht ins Faktische (empirizistisch) abgleiten zu lassen, beide nicht miteinander zu verschmelzen (Metaphysik), sondern sie in einer nicht ruhig zu stellenden Spannung zu lassen.

Ist diese Beschreibung, akzeptiert man sie als implizite Forderung an den wissenschaftlichen Diskurs, vom wissenschaftlichen Diskurs noch einlösbar? Ist sie überhaupt schon eingelöst gewesen?
 

8) Man kann über alles reden: diese universelle Zugänglichkeit von Erkenntnisgegenständen im Rahmen einer spezifischen Form (Logos) beanspruchte und beansprucht auch weiterhin einen Primat innerhalb der kulturell entstanden Formen, sich mit der Welt erkennntnisorientiert ins Benehmen zu setzen. Daß sich nun andere Formen melden, die darauf hinweisen, wieviel nicht erkannt wird, wieviel verlernt wird, wie tendeziell partiell das Instrument namens Begriff wird, ist alles andere als beunruhigend. Die Wissenschaft selbst weist sich seit Jahrhunderten immer wieder darauf hin. Letztlich scheint ein mehr als nur korrelativer Zusammenhang zwischen Basis und Überbau, zwischen Gesellschaftsstrukturen und Semantik nur dann weiterhin plausibel behauptet werden zu können, wenn die genuin sozialwissenschaftliche Benutzung des Logos sich ihrer ausdifferenzierten Form zwar nicht entledigt, aber bewußt wird als ihrem Anspruch nicht mehr genügende. Die Pole "Klare Sicht aufs Verschwommene versus verschwommene Sicht aufs Klare" scheinen in einer Transformation begriffen; und ich denke, bevor die nicht nur systemtheoretisch ableitbare Konsequenz in den Sozialwissenschaften Fuß fasst, daß nämlich am Ende nur noch Erkenntnistheoretiker über das Reden über die Wissenschaft reden (Krohn/Küppers), sollte man vielleicht ausprobieren, ob nicht eine verschwommene Sicht aufs Verschwommene der klarste Blick ist, den man sich heute leisten kann. Oder weniger brüsk: Im Zentrum der Kommunikation der Wissenschaft steht nicht mehr zuvörderst der Austausch von Informationen über wiss. Ergebnisse, sondern der Informationsfluß in der kooperativen/antagonistischen Erzeugung von Ergebnissen - "eine Differenz, die folgenreich ist, da durch sie die Diziplin [selbst] zur Umwelt der Forschung wird" (Krohn/Küppers).