Das Grünen
Gerne sähe man die Grünen als parteigewordene Verkörperung der Aufforderung, es grünen zu lassen; als realkapitalistisches Überbleibsel der maoistischen Forderung "Laßt tausend Blumen blühen!" Doch jetzt, nach dem Bundestagswahlsieg, nach Erfurt, vor den sicher kommenden nächsten Niederlagen, sind sie eher das, was nicht so ernährungsbewußte Esser gerne auf dem Teller übrig lassen: Grünzeug.
Überzogene Erwartungen, personelles Hickhack oder überstrapazierendes Reden statt Entscheiden dafür verantwortlich zu machen ist natürlich falsch und fällt auch nur denen ein, die noch nie verstanden haben, daß Linkssein (wollen) und regieren (müssen) von der Struktur her schlechter zusammenpassen als Rechtssein und Macht. Gewiß haben das Fischer und mittlerweile auch Trittin mehr als nur eingesehen: Die Grünen bleiben nur an der Macht, wenn sie nicht mehr grünen. Wer sich vor einem halben Jahr, beinahe unmittelbar nach der gewonnenen Bundestageswahl, die Pressekonferenz von Schröder und Fischer in Washington nach dem Quasi-Antrittsbesuch bei Clinton ansah, mußte feststellen: Hier west immer noch der Charme der 50er Jahre, der sich einstellt, wenn der Vater dem Sohn den Betrieb übergibt und dieser streng, ernst und glücklich ein "Ich werde Dich nicht enttäuschen" in die Runde ruft. Daß viele Grüne noch glauben, sie könnten auf ihre Schulter satteln, was längst durch eine schon seit Jahren ausfallende neue soziale Bewegung hätte in Bewegung gebracht werden müssen, macht die gegenwärtige Situation so fatal. Den Umstand, daß Helmut Schmidt unter anderem mit seinem Nato-Doppelbeschluß der eigentliche Ziehvater der Grünen ist, werden diese nicht los. Und sie dürfen ihn, diesen Umstand, auch nicht loswerden, da sonst der letzte psychopolitische Halt verloren ginge, der die Grünen davor bewahrt, doch nur als Generationsschwalbe in die Mentalitätsgeschichte der Bundesrepublik einzugehen.
Fischers Erfurter Gerede von der 68er Tradition, die Gesellschaft wirksam zu verändern, war nicht mehr ernstzunehmen. Mit seiner ungemein raffinierten Ansammlung von Sprödigkeit, Schleimerei und kleinbürgerlich daherkommenden Souveränitätsgehabe hat er, pars pro toto, nun auch das level von solchen Politikerdarstellern erreicht, die sich ohne Scham und mit Stolz ihre konservative Bürgerlichkeit zugute halten; allen voran Eberhard Diepgen, von Martin Buchholz fürsorglicherweise als "das Diepgen" bezeichnet und damit einem Subjektstatus überstellt, der nur noch Achtung für die hilfsbedürftige Kreatur ermöglicht.
Nun also auch auf Seiten der Alternativ-Bürgerlichen ein solches Exemplar, das zudem noch aus unerfindlichen Gründen als linkes in den Medien gehandelt wird: Ist das schon eine Form der Hilfestellung?
Was hat der erfolgreiche Revolutionär davon, nach der Revolution Direktor der Wasserwerke zu werden?, fragte einmal Matthias Beltz mit der zur Zeit einzig ernsthaften weil adäquaten Einstellung zur gegenwärtigen Politik, also der kabarettistischen Einstellung. Will sagen: Den Grünen ist zu wünschen, daß sie in Würde verwelken. Der Boden ist eindeutig nicht mehr fruchtbar.