bernd ternes

risiko experten?

 
experten sind sachverständige, kenner einer materie, die erprobt wurde. das wort experte fußt auf dem lateinischen experiri, also auf versuchen, erproben. ihnen wird unterstellt, eine außergewöhnliche wissensbasis für einen begrenzten wissensbereich zu besitzen, zu wissen, wie die hintergründe aussahen für bestimmte selektionen und nicht nur die selektionen, ihnen wird unterstellt, mehrere problemlösungsmethoden zu handhaben, mehrere problemdefinitionsweisen einzublicken, bestimmte schlüsse erklärend und umfassend rekonstruieren zu können, ihnen wird weiter unterstellt, daß sie ihr wissen von fakten und regeln erweitern können, daß sie probabilistische ableitungen anstellen können, und, ganz wichtig: ihnen wird unterstellt, daß sie zugeben können, wenn sie sich geirrt haben.

das wort risiko soll sich im 13.jahrhundert als bezeichnung durchgesetzt haben, und zwar im gefolge der handelsschiffahrt von italienischen seestädten. es meint das sich aussetzen einer gefahr, das aufs spiel setzen. faren, ein althochdeutsches wort, also schon unterwegssein bedeutet in gefahren sein. man stellt seine struktur zur disposition um einer chance willen.

die frage heute ist, ob man sich einem risiko aussetzt, wenn wir unsere entscheidungen durch experten fällen lassen, deren aufgabe es sein soll, dem risiko zu entgehen. setzt die moderne gesellschaft strukturen zur disposition um einer chance willen, wenn sie sich auf experten verläßt? ist die hegemonie des expertenwissens für viele bereiche der gesell. reproduktion eine art risiko zweiter ordnung? sind die experten heute das, was früher, auf den handelsrouten der meere, die piraten waren (piraten kommt von griechisch: peira: wagnis). und wer, wenn experten die priraten von heute sind, geht das risiko ein: die piraten oder die handelsgesellschaften?

kurzum: ist die monopolisierung entscheidungtreffenden wissens auf experten ein richtiges risiko, weil es chancen zu ermöglichen vermag, oder die verhinderung und blockierung eines anderen risikos, nämlich das risiko einer tatsächlich demokratisch ausgeweiteten form des entscheidungtreffens, einer form, die keinem wissen mehr die position zuweist, es weiß es besser als anderes wissen (wäre das ein machtloser zustand, von dem habermas gesprochen hat)? [knorr-cetina: anthropologische rekonstruktion der entstehung von wissen im labor nimmt jegliches besserwissen können den wind].

auf den ersten blick ist solch eine sichtweise fast die aufforderung, den gegenwärtigen stand der arbeits-, unterhaltungs-, versorgungs- und denkteilung stark zu unterbieten. mehr noch: die organisiertheit der gesellschaft schlechthin auszuwechseln, ist die doch auch so zusammengesetzt, daß immer nur ein system für sich die hoheit über die anwendung eines bestimmten codes, einer bestimmten leistung, einer bestimmten funktion für sich hat, von keinem anderen ersetzt zu werden vermag, und einem nicht mehr bleibt als: vertrauen. der sachlich aussehende terminus arbeits- oder denkteilung verdeckt, daß die hohe modernität auf nichts anderem beruht als auf glaube, vertrauen und autorität.

 
risiko experten? meint wohl den gedanken, daß eine bestimmte gruppe von wissensträgern, denen die größte einsicht in die kompliziertheit von vorgängen, techniken und handlungen unterstellt wird, für -ich sage einfach- die gesellschaft zu einem riskanten problem geworden ist, weil die gesellschaft in einem nicht mehr verantwortbaren ausmaß expertenwissen zum monopol hat werden lassen für die herstellung, vorstellung und deutung von gesellschaftswichtigen reproduktionen, so daß das riskantwerden der abhängigkeit der gesellschaft vom expertenwissen sowohl einschließt, keine kontrolle mehr über die zu besitzen, die bestimmen, was sich die gesellschaft zumutet, als auch einschließt, keinerlei kontrolle mehr zu besitzen über die möglichen verhandelbaren alternativen zum expertenwissen. hochspezialisiertes wissen, früher ausweis oder garant der produktion von gewißheit, wird in dieser hier gestellten frage wieder zu einem möglicherweise falschen, riskanten, gefährlichen wissen, nicht, weil das wissen falsch ist, sondern weil sich die rahmen, die dimensionen, die fülle von gleichzeitig zu berücksichtigenden blickwinkeln auf probleme der gesellschaft so geweitet haben, daß das beharren auf einen eng abgesteckten bereich eines problemanschnitts - nur dadurch entstehen experten - grundsätzlich als ungenügende form der generierung und formierung von wissen zur lösung von problemen erscheint.

was sind experten? oder besser: wie werden normale bürger, arbeitsnehmer, tätige experten? oder nochmals anders: wer macht bestimmte personen zu experten? können experten überhaupt von nichtexperten als experten erkannt werden? sicher, könnte man sagen: wenn das auto nicht anspringt, ich es nicht zum anspringen bringe, es daraufhin zur werkstatt bringen lasse und es daraufhin wieder anspringt; dann war da wohl ein autoexperte am werk. oder wenn jemand mir zeigt, wie bilder digital modelliert werden, ohne daß man es sieht,dann habe ich es wohl mit einem experten zu tun. meinen wir hier, wenn wir von experten reden, solcherart experten, also kenner einer materie, die sich in der materie auskennen, aber wohl außerhalb ihrer materie nicht den stellenwert ihrer materie in anderen zusammenhängen kennen. können sich experten eigentlich nur gegenseitig anerkennen? und wenn: ist dann das, was den experten ausmacht (außergewöhnliche wissensbasis; selektionswissen inclusive der selektionsimmanenten kontexte, problemlösungsmethoden zur bestimmung von inferenzen, erklärungsmächtigkeit zur rekonstruktion von schlüssen; erweiterungsfähigkeit der fakten und regeln; probabilistische ableitungsfähigkeit usw.), also ist das, was den experten ausmacht, nicht eher ein soziales, ein kommunikatives produkt und eben nicht ein produkt der möglichst weiten annährung eines wahren wissens an einen gegenstand der welt? man denke nur an die gute untersuchung karin knorr-cetinas die fabrikation von erkennntis. zur anthropologie der naturwissenschaft (suhrkamp 1984; org.: the manufacture of knowledge. an essay of the constructivist and contextual nature of science, oxfort 1981), in der sie die soziologisch angeleitete sicht auf die bedingtheit von wissen und wissensorganisationen von der jeweiligen gesellschaftsstruktur durch eine anthropologisch angeleitete sicht ergänzt. das problem der faktizität bestimmten wissens liegt nicht in der spiegelung der natur durch die wissenschaft, sondern in der beziehung zwischen wissen und sozialer umwelt. und mehr noch: das problem der erzeugung von spezialisiertem wissen ist sogar unter dem blickwinkel der anthropologisch-ethnologisch einzufassenden interaktion der wissenschaftler im labor erst maßgebend einzufangen, also nun wirklich weit ab von irgendartlichen korrespondenzen eines wahren wissens mit der natur des gegenstandes. experten (oder: spezialisten, wenn sie gleichzeitig praktiker sind; oder: eliten, wenn sie gleichzeitig ihr wissen durchsetzen können) sind also hochgradige produkte kommunikativer wirklichkeiten. man könnte fast mit eiem zusatzschwenk sagen: je angewiesener eine gesellschaft ist auf das entscheidungstreffen von experten, desto mehr vertrauen muß sie mobilisieren, wenngleich eine funktion der experten die ist, vorhandenes mißtrauen in der sozialen umwelt zu minimieren (wir kennen die debatten über die toleranz, akzeptanz und anerkennung etwa von großtechnologien).

was sind experten? experten, so könnte man sagen, sind die anspruchvollste version des normalen marketings und der werbung: deren zweck besteht bekanntlich darin, ein zufälliges exemplar einer gattung als begriff der gattung zu verwandeln. nicht tempo ist ein papiertaschentuch, sondern papiertaschentuch ist tempo; nicht sony ist ein walkman, sondern walkman ist sony; nicht mercedes ist ein auto, sondern auto ist mercedes. übersetzt in die sphäre der gesellschaftspolitischen diskussionen der letzten jahrzehnte wäre gleichlautendes: nicht atomstrom ist eine möglichkeit der energiegewinnung, sondern energiegewinnung ist atomstrom; nicht unternehmenssteuersenkung ist eine möglichkeit der arbeitsplatzsicherung, sondern arbeitsplatzsicherung ist steuersenkung; und, ein letztes beispiel: nicht repräsentative demokratie ist eine möglichkeit demokratischer herrschaft, sondern demokratie ist repräsentative demokratie. natürlich ist die umdrehung des besonderen zum allgemeinen und des allgemeinen zum besondern nie in dieser reinheit vorhanden: in den arenen der auseinandersetzung herrschen immer mehrere stimmen zugleich, eben die stimmen der experten (und, bei der atomkraft nachhaltig die der sog. laien). und bekanntlich herrscht zwischen denen auch tiefstes nicht-in-eins-kommen außer der uneingestandenen gewißheit, daß sie eigentlich auch viel zu wenig über das in frage stehende thema oder problem wissen. ich glaube nicht, daß sich experten über unterschiedliche fakten nicht verständigen können, sondern: dissens unter experten herrscht vor, wenn es darum geht, die kriterien und bedingungen der herstellung von fakten zu bestimmen. sei es die bestimmung eines höchstwertes, sei es die bestimmung der merkmale zur bestimmung eines trinkwassers, sei es die bestimmung der kriterien zur bestimmung des bruttosozialprodukts, sei es die bestimmung sonstiger unweltverträglichkeiten, sozialverträglichkeiten, sei es die kosten der freiheit des individuums und der investitionsentscheidung und dergleichen mehr. das ist nicht verwunderlich: nimmt man nämlich die verschiedenen bereiche oder systeme einer gesellschaft und betrachtet sie unter dem blickwinkel, wiederholt sich dieses uneinssein zweiter ebene sogar innerhalb eines systems selbst: die moral will sich selbst als kriterium in der wirtschaft, die wirtschaft will das nicht (und hat gewonnen); das recht will keine moral als kriterium des rechts (und hat gewonnen); die politik will politik als kriterium in der wirtschaft (und beginnt zu verlieren); das erziehungssystem will keine ökonomie als kriterium in sich (und hat verloren); die wirtschaft will diziplinierte, kontrollierte, folgsame arbeiter als auch hedonistische, verschwenderische, unvernünftige, unkontrollierte konsumenten (und hat es geschafft). man kann sich, wenn dieses uneinigsein sogar gesellschaftsstrukturell bestimmbar ist, fragen, warum es dennoch geht, der alltag, das tägliche arbeiten, das rechtbekommen. es geht, weil sich die gesellschaft alternativlos auf bestimmte systeme eingelassen hat, die die jeweils einzigen sind, um das zu machen, was sie machen. um zu wirtschaften, um recht zu sprechen und zu geben, um zu erziehen, um mehrheitlich entscheidungen zu fällen, um wahrheiten zu produzieren usw., hat sich die gesellschaft den luxus erlaubt, jeweils immer nur ein system, oder nur einen code, oder nur eine form sich selbst zur verfügung zu stellen. wenn man das wieder rückübersetzt auf die ebene der experten als personen oder vieleicht organisationen, dann könnte man sagen, ein experte ist erst dann ein experte, wenn kein anderer sein wissen zu ersetzen bzw. zu konkurrenzieren vermag. ist dem so? innerhalb der ebene von experten sicher nicht. aber innerhalb der ebenen der gesellschaft. denn daß eine durch experten getroffene entscheidung von anderen stimmen überholt werden würde, ist mehr als zweifelhaft; und wenn ja, dann ist dies ebenfalls seihr zweifelhaft, wie man an mobartig populistischen aufwallungen etwa bei der faktischen asylrechtsabschaffung mitbekommen mußte.

die frage ist also jetzt, wie man den stellenwert von experten in der gesellschaft, also die gesellschaft kritisiert. eine solche kritik an der form von wissen und seiner monopolistischen stellung innerhalb der gesellschaft kann sich heute nicht mehr der vorstellungen bedienen, die leibnitz - u.a. in reaktion auf den europäischen bürgerkrieg des 17.jahrhunderts - zu seinen versuchen einer darstellung universalen wissens, der charakteristica universalis, und einer scienta generalis brachte. es gibt heute nicht nur nicht - außer dem geld - eine art universalsprache als ars communicativa, in der alle vernunftwahrheiten auf eine art von kalkül zurückgeführt würden, so leibnitz (die philosophischen schriften, bd.7, p21), im gegenteil: das kalkulieren, algorithmisieren, das berechnenbarmachen von wirklichkeiten, in denen probleme zu lösen sind, hat dazu geführt, daß die angebotenen lösungen nichts mehr oder nur noch in einigen wenigen bereichen der gesellschaft mit den wirklichen problemen zu tun haben, sondern nur noch aufschluß geben über die bewährtheit oder nicht-bewährtheit der theoretisch-kognitiven übersetzung von wirklichkeit in formal oder formalistisch organisiertes wissen. die letzte stimme, so peter ustinov, die man hört, bevor die welt untergeht, wird die stimme eines experten sein, der versichert, daß dies gar nicht möglich ist. der letzte versuch, leibnitz' vorstellung einzulösen, war der in den 60er jahren kursierende gedanke innerhalb der künstlichen intelligenzforschung, einen sogenannten general problem solver zu erfinden. schnee von gestern.

wie gesagt, kritik an dem wissen von experten, vorallem an dem wissen der experten über das riesenreich der getätigten nichtentscheidungen und unterlassungen, kritik an der zunehmenden borniertheit von expertenwissen zur lösung oder zumindest entdeckung von gesellschaftlichen problemen des handelns und unterlassens, kritik am monopol der handlungsanleitungs und -deutung bei gleichzeitiger degradierung andersartig organisierten wissens kann sich nicht auf eine alternative zurückziehen; sie kann nur zu bedenken geben. und auch ist es so, daß auch kritiker eingestehen müssen, in manchen bereichen der gesellschaft nicht auf experten vezichten zu können, etwa der intensivmedizin, der landwirtschaft oder der philosophie (als spezialisten des zusammenhangs). und auch ist zu berücksichtigen, daß sich bestimmte gesellschaftliche wirklichkeiten hartnäckig einer expertisierung sperren, eben weil diese wirklichkeiten noch nicht genügend möglichkeitsraum zum experimentieren an sich ziehen konnten, sondern im selbstvollzug schon per se experimente sind, etwa die liebe oder die familie. es hat sich sogar bei versuchen der übersetzung von wissen menschlicher experten in datenmodelle und inferenzmaschinen computionaler expertensysteme herausgestellt, daß vieles, was den experten zum experten macht, implizites wissen ist, das sich reflexion und repräsentation entzieht, man könnte auch sagen: sich der bezeichung entzieht und also nur als performatives, situational geistesgegenwärtiges wissen tätig werden kann. die meisten von uns kennen das, wenn sie sich erinnern, welche schwierigkeiten es machte, plötzlich schriftlich der grammatik ansichtig zu werden, die man schon längst beherrschte, und die sichtbar gemachte grammatik nicht mit dem in verbindung gebracht haben zu können, was man tuend schon längst konnte. nun gut.

die frage wird sein, ob experten ein wissen besitzen, das ein wissen ist von der normal nicht einsehbaren gleichzeitigkeitsfülle bestimmter bzw. bestimmbarer ereignisse, oder eher ein wissen ist, das in normal nicht vorhandener stringenz aus einer überfülle von gleichzeitigkeit einen roten faden extrahiert, der die ereignisse überhaupt erst einer entscheidung zugänglich macht.
 

ich möchte zuerst etwas zur gefahr sagen, dann zum begriff risiko, danach zum begriff des experten und abschließend fragen, ob die gesellschaftspolitische aufwertung des begriffs risiko verstanden werden kann als anpassungsprozeß an die für unverrückbar gehaltene sicht, daß menschen in gesellschaft nicht mehr ihre maßgebenden sorgen der existenz allgemein zu organisieren im stande sind.

 
gefahr erkannt, gefahr gebannt. hört man diesen reim, dann überkommt einen vielleicht ein nostalgisches gefühl ob der darin ausgedrückten überzeugtheit, daß es zwischen erkennntnis von welt und der entbedrohlichung von welt einen internen zusammenhang gibt. neben der gefahr, die dem menschen qua zivilisation mitgegeben wurde - zu verdursten, zu verhungern, zu erfrieren usw.-, bezog sich der begriff gefahr, so das etymologische wörterbuch, immer auf das gewahrwerden einer absicht eines anderen oder von anderen. nachstellen, hinterlist, betrug, von anderen geplant, machten eine situation gefährlich. aber nicht nur das: auch schon das einfache althochdeutsche wort faren, das rückzuführen ist auf das griechische peira (versuch, wagnis; pirat) und auf das lateinische ex-periri (versuchen, prüfen), siedeln gefahr schon dort an, wo es drum geht, überhaupt etwas zu unternehmen, und das heißt: die existenz als handelnde, als bewegte und bewegende, ist per se gefährlich, weil sie durch ihr tun in kauf nimmt, nicht mehr abschätzen zu können, wie und was das in bewegung gesetzte selbst in bewegung setzt, wie es das ziel zu erreichen vermag, und wie es das ziel überhaupt als solches in der zeit weiterhin zu identifizieren vermag.

der begriff risiko, der meist als komplementärer oppositionsbegriff zur gefahr eingesetzt wird, meint gleichsam auch einen zustand oder eine situation der wagnis, der gefährlichkeit. nur wird jetzt der versuch unternommen, die unbegrenzte fülle von handlungen, die mit ungewißheit und schäden verbunden sein können, einzuschränken, benennbar zu machen, abgrenzbar, abwägbar, berechenbar: dem reich der möglichkeit, der zukünftigkeit, der antizipation soll ein eigener denk- und bestimmbarkeitsgestus gegeben werden, weil das handeln bzw. der handel immer mehr ungewisse, unbekannte zukunft ins gegenwärtige handeln einfliessen lassen muß. nicht zufällig, so evers und nowotny, haben sich der risikobegriff zuerst im gefährdungsbereich der handelsschifffahrt entwickelt, wie sie im 13.jahrhundert in den italienischen seestädten betrieben wurde. die eigendynamik des handelskapitalismus evozierte die notwendigkeit, stabilität in der dynamik zu gewinnen: durch abgrenzungsversuche der zeiträume und geltungsbereiche der unternehmung, durch benennung, durch die festlegung einer bestimmten wahrscheinlichkeit von gefahr und mit der valorisierung von möglichen schäden, also durch die monetarisierung möglicher abweichungen der zukünftigen zukunft im vergleich zur antizipierten gegenwärtigen zukunft. - heute macht der börsenhandel mit sog. futures, optionen, derivaten und swabbs (das sind instrumente zur minimierung von verlusten durch schwankungen der geld- und währungspreise) einen wesentlichen teil des umsatzes von brokergesellschaften aus. den rahmen riskanten verhaltens hat ottwin rammstedt einmal beschrieben als bewußtes zur disposition stellen um einer chance willen.

ein teil des themas heute ist die frage, ob diese unterscheidung zwischen risiko und gefahr noch wirklich eine unterscheidung ist und ob riskantes verhalten und handeln in bestimmten bereichen der gesellschaft - technik, sozialpolitik, kulturpolitik - nicht mehr nur struktur zur disposition stellt, sondern vielmehr leben (gutes leben?).

 
risiko experten?

so heißt die veranstaltung heute abend. des fragezeichens hätte es eigentlich, auch als rhetorisches, nicht mehr bedurft: denn natürlich würde man oder selbst experten ein risiko eingehen, wenn man vernachlässigte, sich selbst als risiko in den blick zu nehmen. jeder experte wäre keiner, hätte er nicht auch zu bedenken, welches risiko es birgt, wenn das, was er als handlungs- oder deutungsanleitung der wirklichkeit übergibt, wirkungen, bewirkungen, folgen zeitigt. die möglichkeit, mit dem begriff risiko als einer art sonde in die wirklichkeiten der gesellschaft hineinzugehen und dort vorgänge prospektiver oder auch gegenwärtiger Realisierungsdichte zu beobachten, scheint unbegrenzt zu sein. manche, besonders politiker, behaupten gar, daß die meisten risiken, die in den letzten 30 jahren zu bewußtsein und in die öffentlichkeit kamen, keine risiken der wirklichkeiten sind, sondern schlicht artefakte der entdeckungs-, mess- und begriffsinstrumente: risiken existieren nur im kopf, nicht aber in der welt, in welcher dieser kopf mit körper zu leben gezwungen ist. das reden und das zunehmende betrachten von handlungen, verkehrs- und vermittlungsformen in der gesellschaft unter der perspektive des risikos sei also nichts anderes als paranoia; nur da, wo einer mehrheit der bevölkerung die gleiche einsicht ins risikohafte gegeben ist, etwa das risiko des arbeitsplatzverlustes, das risiko, unbeliebt oder gar ungeliebt zu sein, das risiko, der geforderten leistung nicht gerecht zu werden, nur das also gilt die konvention, dies alles seinen öffentliche probleme und keine privaten. adalbert evers und helga nowotny haben in ihrem 1987 veröffentlichten buch "über den umgang mit unsicherheit" (die entdeckung der gestaltbarkeit von gesellschaft) eindringlich die strecke nachgezeichnet, die zurückgelegt werden mußte, damit der sozialpolitische tatbestand arbeitsplatzverlust sowohl aus einer privatistischen bedeutungsform evakuiert und als gesellschaftspolitisches risiko schlechthin in die position eines erzeugers von handlungsnotstand umgewandelt werden konnte. oder abstrakter formuliert: um von einer vermeintlich selbstreferentiellen beschreibung in eine fremdreferentielle übersetzt und als solche fremdreferentielle beschreibung ein dispositiv der unterlassung erzeugte, in das hinein praktische handlungen zu erfolgen hatten.

der begriff risiko ist ein universell verwendbarer begriff; er läßt nichts, was es auf der welt gibt, ob material oder immaterial, aus. nicht einmal sich. man kann sich durchaus zu recht fragen, welch risiko es birgt, eine tätigkeit, ein technisches vorhaben, ein gefühl, ein prospekt unter dem gesichtspunkt des risikos zu betrachten. man könnte fast sagen, es geht nicht mehr, nicht nicht riskanz im blick zu haben; momente vollen vertrauens, der ekstase oder der melancholie einmal ausgenommen. daß dieser aus der kommunikationstheorie herkommende topos - man kann nicht nicht kommunizieren - aufs risiko anwendbar ist und dort zu einer art dauerreflexion führt, die doch eigentlich zum entscheidungsstillstand führen müßte, scheint einsichtig. aber dem ist wohl nicht so, zumindest für die größten teile der bevölkerung. warum? mit dem system der organisation gesellschaftsrlevanten wissens durch experten wird nämlich soetwas erzeugt wie der gleichzeitige aufbau und abbau von vertrauen und gewißheit, wird sowohl anästhetisiert als auch verunsichert.

 
wir leben in großen daseinsbereichen unseren lebens deswegen relativ ohne "gewärtigung" des um-uns, weil wir für bestimmte räume, tätigkeiten und dinge nur ganz bestimmte sicht- bzw. sehweisen zur verfügung stellen, an denen normalerweise nicht gerüttelt werden darf. im großen, gesellschaftsevolutiven rahmen wurde das einmal mit dem begriff der sublimation zu fassen gesucht, also die tatsache, daß bestimmte, nichteliminierbare daseinsweisen des menschen wie z.B. agressivität einfach dem projekt der invisibilisierung überantwortet wurden, also der verdrängung, die dann ihrerseits die erzeugung des (lacanschen) realen dermaßen promotete, daß es mittlerweile den eindruck hat, als ob wir nicht verdrängten, um (zivilisiert) zu leben, sondern daß wir leben, um verdrängen zu können (gewiß ist dies eine doppelte verkehrung: der korrelation zur kausalität und der wirkung zur ursache).

bestimmte materiale und kommunikative vorhandenheiten und tätigkeiten besitzen also in ihrem gewahrwerden rigid festgelegte weisen, zu ihnen zugang zu finden bzw. sie zu interpretieren. der traum, verstanden als prozeß, der seinen selbstbezug nicht mitvollzieht, also kein verhältnis zu sich hat, kann als profiteur dieser reduzierten "gestaltwahrnehmung" von welt gelten, aber auch die künste (der film besonders) und das, was wir philosophie nennen.

gewiß ist hier an heideggers unterscheidung von zuhandenheit und vorhandenheit zu denken. vorhanden ist einem nichtbeobachtenden in-der-welt-seienden nur das, was nicht mehr zuhanden, sprich: nicht mehr zu händen ist, also, wie heidegger meint, zusammenbricht (also, um das alte beispiel zu erwähnen, der hammer, der plötzlich auf den daumen schlägt und nicht mehr auf den nagel; solange er den nagel trifft, ist er nicht vorhanden, sondern vorhanden ist dann nur das hämmern). das selbstverständliche also ist nichts anderes als eine art bereits vollzogene inkorporation des außen, sei dieses außen nun ein gegenstand, gegenstände, verhaltensweisen oder beziehungsweisen. in dem moment, wo sich diese inkorporation als nicht gegeben erweist, wird das außen wieder zu dem, was es (oft nur für einen kritischen beobachter) eigentlich schon immer war: zu dem außen. man ist dann nicht mehr in der welt, nicht mehr draußen oder außen, wo man ist, sondern man ist eigentlich nicht mehr, da es jetzt aufgabe wird, wieder in die welt, in das draußen, in das außen zu kommen, also eine entfernung zu überwinden, die sich einstellte durch das zerbrechen der selbstverständlichkeit. wie ist selbstverständlichkeit wieder herstellbar? im momente des zusammenbruchs der konstruktionen von bezüglichkeit meiner und der welt (sozialer art, kausaler art, intuitiver art) und dem abhandenkommen meines in-der-welt-seins durch das überflutetwerden von (jetzt vorhandenwerdender) welt wird nicht mehr auf eine eigene einsichtnahme in die selbstverständlichkeit des jetzt unselbstverständlich gewordenen gesetzt, sondern auf die vorstellung, daß andere diese einsicht besitzen. man läßt die einen bedrängende welt als unverstandene in der vorstellung als für andere selbstverständlich, für andere erklärbar erscheinen, setzt sie also in der vorstellung anderen menschen vor, von denen man annimmt, daß sie die für einen selbst fremd gewordene welt als selbstverständliche inkorporiert halten. das erfordernis, selbst zu verstehen bzw. verständlichkeit zu schaffen (also welt zu invisibilisieren), wird delegiert an die selbstverständlichkeit der annahme (des vertrauens), daß das in actu nichtverständliche von anderen verstanden wird (erklärt wird). der vorteil dieser verfahrensweise ist es, bestimmte zusammenbrüche der welt aus dieser herauszuziehen und einer rein quantitativen ebene (etwa des wissens, der informationen) zuzuführen, in der es per se eine selbstverständlichkeit gibt, die aber nicht notwendigerweise nur durch mich bewerkstelligt werden muß: das wissen (ob des selbstverständlichmachens von welt) wird somit überindividuell, intersubjektiv gar und damit selbst welt. kurz: so wie ich nicht weiß, warum die mich bedrängende welt so ist, wie sie ist (weil sie ihre selbstverständlichkeit "verloren" hat; verlorenes ist wiederfindbar!), so weiß ich doch, daß andere wissen, warum sie so ist (also im akt des zusammenbruchs), wie sie ist.

diese Art, selbstverständlichkeit "sein" zu lassen, lebt allerdings gesellschaftlich davon, daß diese anderen (meist autoritäten, experten, funktionäre, aber auch a-subjektive strukturen wie das politische system, das geldsystem, die sprache usw.) verschweigen, daß sie ebensowenig wissen ob der selbstverständlichkeit des wissens von welt (einzig im technischen system hat sich der mensch ein system geschaffen, wo er vermeintlich in der lage ist, auch jenseits der selbstverständlichkeit sich aufhalten zu können; dies schlägt bis hinunter in den alltag unmittelbar in unsere bewußt- und einsichtlose art des umgangs mit technischen artefakten durch: wir sind mit ihnen nur im verhältnis der zuhandenheit zusammen; funktionieren sie einmal nicht, sind sie plötzlich vorhanden, also fremd, und man ist gezwungen, mit denen kontakt aufzunehmen, die für ihr vorhandensein zuständig sind: den reparatur-spezialisten).

der kaiser ist nackt, doch alle bewundern seine neuen kleider. und dabei sind die kleider nicht das einzige, was unsichtbar ist. unsichtbar ist auch die überzeugung aller, daß sie kleider sehen. eine überzeugung, eine vorstellung über einen der öffentlichkeit zugänglichen sachverhalt darf nicht sichtbar, ja muß sogar unsichtbar bleiben, denn sie bildet sich nur durch das gegenseitige unterstellen, daß auch der andere unterstellt: ich beobachte alter, wie er nicht reagiert (etwa auf die tatsache, daß der kaiser nackt ist) und weiß, daß alter auch mich bei meiner nichtreaktion beobachtet. wir wissen, daß der kaiser nackt ist und denken zu wissen, daß es alter auch weiß, so wie wir unterstellen, daß alter das gleiche wissen ego unterstellt. - dies Spiel, diese art der möglichen wiedereinsetzung von gesellschaftlicher selbstverständlichkeit durch autorität, ist heute nicht mehr gangbar; man sieht es alleine daran, daß die allenthalben produzierten parodien auf und ironischen imitationen von autorität sowie die antithetisch vorgestellte infantilisierung in der massenkultur auch schon ihre zeit hinter sich haben. manch einer setzt demgegenüber auf einen gesellschaftlichen neustart, der in seiner art den maßgebenden prozeß innerhalb sozialwissenschaftlicher und philosophischer reservate kopiert, nämlich: autorität gewinnen durch destruktion von autoritatismen (bekannt unter dem namen dekontruktivismus). auch das scheint gesellschaftswirksam nicht übersetzbar zu sein.

vielleicht scheint jetzt erst, am beginn des dritten jahrtausend, etwas zu beginnen, das all die zeit immer schon behautet wurde: nämlich die klärung der frage, ob der mensch ein bestimmtes lebewesen ist. zur zeit jedenfalls vermehren sich die anzeichen, er sei es nicht, sondern bloß eine historisch überfällige und variable inkorporation der spezifischen organisation von materie, energie und information.