bernd ternes

Der Blasebalg


Jürgen Roth vernahm Ende September 1998, als das Buch herauskam, in seiner gutgelaut bösartigen Kritik nur das Blubbern eines geschwätzigen Dummkopfs, baumlangen Narren und idiotischen Aufschneiders; in der Januar-Sachbuchbestenliste der Süddeutschen Zeitung und des NDR empfahl hingegen Matthias Bröckers ganz besonders diesen ersten von insgesamt drei Bänden Peter Sloterdijks. Titel: Blasen. Das gesamte Werk kümmert sich um eine Theorie der Sphärologie: Mit dem ersten Band sind die mikrosphärischen Einheiten gemeint, die "Intimformen des gerundeten In-Form-Seins und die Basismoleküle der starken Beziehung". Der zweite Band blättert die geschichtlich-politische Welt auf, so Sloterdijk: Er will die wahre Geschichte der Globalisierung erzählen und zeigen, warum die uranische Globalisierung in ihrem neuzeitlichen Scheitern sich zur terrestrischen Globalisierung wandeln mußte. Der abschließende Band versucht sich an der neuzeitlichen Katastrophe der runden Welt, am "Sphärenfrevel": der sphärologische Ansatz soll die Weltform-katastrophen der Moderne in Ausdrücken unrunder Sphärenbildungen charakterisieren.

Nun ja.

Ein gewisser Duchamps-Effekt ist bei Sloterdijks Unternehmen nicht zu übersehen: Stellte dieser ein Urinoir ins Museum und behauptete, dies sei Kunst, eben weil es im Museum hängt, so könnte man schnell auf den Gedanken kommen, in "Blasen" ein (nach)wissenschaftliches Werk zu erblicken, denn schließlich steht Sloterdijk drauf und es erscheint im Suhrkamp Verlag. Eine Brise dadaistischer wäre es freilich gewesen, Sloterdijks sphärologisches Werk in der Suhrkamp Wissenschaftsreihe (stw) zu veröffentlichen, so wie drei Jahre zuvor den Sloterdijk-Teilvorarbeiter im Geiste, Wolfram Hogrebe, mit seinem Buch "Ahnung und Erkenntnis", in welchem (bloß) die "epistemische Verfassung" unseres nätürlichen Erkennens, die "Vorsprünglichkeit unserer erstfündigen Selbstauslegung in Gefühl und Gestimmtheit" genauer unter die nichtvorhandene Lupe gelegt wurde.

Sloterdijk hingegen greift ins ganze Sein hinein, ins In-Sein, ins Dasein, ins Dort, ins Mit, ins Zweie: Seine informativen bildlichen und textlichen Exkursen hin zu einer "allgemeinen Theorie der autogenen Gefäße" startet er von einer grundlegenden Überzeugung aus: daß nämlich alle Großprojekte wie die großtechnische Zivilisation, der Wohlfahrtsstaat, der Weltmarkt und die Mediasphäre auf die "Nachahmung der unmöglich gewordenen imaginären Sphären-sicherheit" zielen. Das kann nur schief gehen, da sich moderne Gesellschaften in "schalenloser Zeit" aufhalten. Unbehagen allerorts: Netze und Versicherungen ersetzen nicht die "himmlichen Schalen"; die Telekommunikation nicht "das Umgreifende". "In einer eletronischen Medienhaut will sich der Menschheitskörper eine neue Immunverfassung schaffen": zu spät. Was bleibt, so Sloterdijk, ist die vergewissernde Erinnerung, daß wir alle gehauchte, inspririerte, pneumatisierte, kurz: sphärophile Geschöpfe sind, die noch der Sphären entbehren. Also betätigt sich Sloterdijk als Blasebalg, um die nie ausgehende Sphärenglut wieder anzuheizen, auf daß sie die schlechte Form des abstrakten Individualismus, in der sich der Westen verfangen hat, verzehre.

Sogar für die, die spätestens hier nur noch mit dem Kopf schütteln, hat Blasebalg Sloterdijk noch Trost parat: "Wer keinen Freund hat, kann immerhin eine Bettdecke haben". Werden wir also schläfrig.