Der >ungeheure Mantelsack meines Geistes voller Bilder<
Von Beobachtung leben:
In Bildern sein jenseits einer Wirklichkeit, die noch
zerstreut werden könnte
0) Fragen
Taucht man in ein Thema ein, ereignet sich meist etwas, das vergleichbar ist dem Moment, in dem man von voller Helligkeit des Raumes in plötzliche Schwärze der Dunkelheit oder umgedreht wechselt: Die Zeit der Pupillenanpassung an die neuen Licht- oder Dunkelverhältnisse ist eine, in der man kaum bis gar nicht zu sehen vermag. Das Synonym fürs Ein- und Ausschalten des Lichtes hier könnte einfach sein, daß man sich einen Begriff länger als gewohnt anschaut und dann feststellen muß, daß sich nichts so feststellen läßt, wie man es bei gewohnter Betrachtung glaubte erwarten zu dürfen.
Fragt man nach Bildern und deren Bedeutung, deren Macht und Realitätsstatus; fragt man danach, ob nach der "Bildung als Überlebensmittel" nun den Bildern dieser Mittelstatus zugesprochen werden muß; fragt man danach, ob die Zunahme von Medien zur Produktion, Generierung und Konsumtion von Bildern einen qualitativen Wechsel der Realitäten von Räumen bewirkt: Dann tuen sich fürs erste schon vier verschiedene Perspektiven auf:
Der Titel des Potsdamer Symposiums im November 1997, Was ist ein Bild?, ließ wohl nicht zufällig an eine andere, sehr bekannte Frage erinnern, nämlich: Was ist der Mensch? - Daß im einen Fall der unbestimmte, im anderen der bestimmte Artikel benutzt wurde, tut, denke ich, hier nichts zur Sache. Kants vierte Frage hatte zusammenfassenden Charakter und war zugleich die ranghöchste; denn letztlich sind die erste Frage (Was kann ich wissen?) und deren Beantwortungsinstanz (Metaphysik) ebenso wie die zweite (Was soll ich tun?; Moral) und dritte (Was darf ich hoffen?; Religion) zu sich kommend in der Frage nach dem Menschen und der dafür ausgesuchten Instanz Anthropologie. Der Frage-Antwort-Radius der Anthropologie sei letzlich derjenige, in dem die weltbürgerliche Bedeutung der Philosophie und die Bedeutung der Kräfte menschlicher Vernunft eingefasst zu werden haben.
Welchen Fragen könnte Was ist ein Bild? als abschliessende und zusammenfassende Frage voranstehen? Mit einer später zu erläuternden Modifikation der vierten Frage könnten die Fragen so gestellt werden:
Wie funktioniert Erinnerung?
Gibt es in der Zeit der Gegenwart Erfahrung?
In welcher Wirklichkeit bin ich in der Welt?
Welche Realität haben Bilder?
Neben der weitläufigen Definitions- bzw. Einschränkungsnotwendigkeit für die Begriffe Erinnerung, Erfahrung, Wirklichkeit und Realität und neben der Notwendigkeit, orthogonal zu den möglichen Aussageradien der Fragen die Begriffe zusätzlich zu temporalisieren, und nicht zuletzt neben der Notwendigkeit, das unübersehbare Verhältnis zwischen Körperbildern im Blick, den Körpern vor dem Blick der anderen und den Körpern als zeichenlose "Seins- oder Habensweisen" in Ansätzen etwas zu entwirren, ergeben sich ohne Mühe weitere Perspektiven und Fragen, die sich sowohl auf die Thematik bzw. auf den Verwendungszusammenhang von Bildern als auch auf den Begriff des Bildes beziehen. Thematische Unterscheidungen:
Festzuhalten sind dennoch folgende Behauptungen, die den Text grundieren:
Will man weiterhin im Modus Erkenntnis-Erkenntnisgegenstand oder im Modus Thema-Problem-Problemlösung schreiben, wird erst einmal unklar, was der Gegenstand ist. Sind es die Bilder, ist es die Realität der Bilder, ist es die Imagination?; sind es also tatsächliche Ausschnitte der realen Welt und als solche dann auch die Grenzen des zu thematisierenden Gegenstandsbereichs? Oder ist das Thema vielmehr eine ‘Problemstellung’? Betrachtet man die Bilder in den Maschinen, den Köpfen, den Träumen, in der Kommunikation?; oder betrachtet man eher die Art und Weise der Betrachtungen, Befragungen, Problematisierungen und Thematisierungen der Bilder? Ist die Erfahrung am Gegenstand oder ist die Form der theoretischen Fassung des Gegenstandes Zentrum des Schreibens? Solch Polarität zu unterstellen mag analytischer Unfug sein, da es wohl unausweichlich so ist, daß die kulturell, wissenschaftlich und traditionell überlieferten Arten und Weisen der Betrachtung von Bildern längst in die Produktion von Bildern und die Bilder längst in die Art und Weise ihres Betrachtetwerdens eingegangen sind. Bilder von Bildern sind eben auch Bilder, gleich ob in schriftlicher, gedanklicher oder filmischer Trägerschaft ruhend. Man kann also nicht über Bilder schreiben, ohne gleichzeitig mit ihnen zu schreiben. Das heißt jedoch nicht, daß das begriffliche Freilegen der Bilderbedeutungs- und Bilderwirklichkeitsschichten gleichsam nur noch mittels ‘Homöopathisierung’ von Theorie zuwege gebracht werden kann. Auch wenn der Ikonoklasmus innerhalb der jüdischen Überlieferungstradition nicht nur (mit welcher Stringenz auch immer) dazu beigetragen hat, daß im Hellenismus und in der Spätantike Idolatrie herrschte, sondern gleichsam durch die selbst durchgeführte Verschriftung und Vertextung von Welt die Folie abgab für das idolatrische Projekt einer Bildwerdung von Welt; und auch wenn der Versuch der sich im 17.Jahrhundert formierenden Wissenschaft gescheitert ist, "alle Bildlichkeit selbst aus der Sprache zu nehmen und sie zu einem eindeutigen Medium wissenschaftlicher Verständigung zu machen"; und auch wenn, in diesem Zusammenhang bleibend, es heute im Gegensatz zur Zeit der beginnenden Schriftkultivierung von Gemeinschaften nicht mehr darum geht, Gesetze, Tradition und Überlieferungswissen aus einer ‘gelebten Performanz’ zu evakuieren resp. zu exkarnieren und in eine performativen Schriftlichkeit hineinzuversetzen (Übergang von gelebter zu gelernter Tradition, von Augenzeugenschaft zu mnemotechnisch eingefassten Erinnerungsformvorschriften, vom Kultbild zur Torah-Rolle), sondern vielmehr darum zu gehen scheint, sich in den Bildern ein auf Zeit angesetztes Vergessen der Eingebundenheit in und Abhängigkeit von Kodifizierungen und Kanonisierungen des Gesetzes, des Wissens, der Tradition und der Autorität zu leisten; wenn man all dies auch in Rechnung stellt, um auf die Schwierigkeit hinzuweisen, über Bilder zu schreiben, ohne in Bildern zu sein, so gibt es vielleicht doch einen Unterschied zwischen theoretischem und okularem Bildersehen, der nicht an der jeweiligen Form, am jeweiligen Code und am jeweiligen Medium festgemacht werden kann, sondern bloß in einer ‘menschlich’ bewußt-unbewußten Verfasstheit der Wirklichkeitsbeziehung, nämlich: Wer theoretisch sieht, will nicht getäuscht werden; wer Bilder sieht, will getäuscht werden (auch dann noch, wenn er weiß, daß das Geheimnis eines wahren, authentischen, reinen, ungetäuschten Etwas hinter der Täuschung erloschen ist). Unter der Abschnittüberschrift ‘Seligkeit ist Freude an der Wahrheit. Man kennt sie, läßt sich doch verblenden’ im 10. Buch der Bekenntnisse des Augustinus wird der Versuch unternommen, den Gedanken zu zerstreuen, daß nicht alle selig sein und zu Gott kommen wollen: Alle wollten letztlich doch das glückselige, das freudige, das wahrhaftige Leben, denn:
Neben dieser eher erkenntnistheoretischen gibt es eine zweite, eher ideologiekritisch zu adjektivierende Ambivalenz, die sich zwar nur an der Dimension der telematischen Bilder (und nicht etwa an der Dimension der Einbildungskraftbilder) und der damit verbundenen technisch-sozialen Infrastruktur des gesellschaftlichen Verkehrs entzündet, aber doch die Frage in ihrem Kern trifft, wie klar man von noch so vorsichtigen beschreibenden Bewertungen weg- und zu einfach beobachtenden Beschreibungen von Bildern hinzukommen vermag. Gundolf S. Freyermuth wirft den meisten kulturkritischen Analyisten, die von Medienwirklichkeit "faseln", vor, sie haben keine Ahnung, wovon sie reden; die Referenz der Kritiker seien bloß diejenigen Wirklichkeitsausschnitte, die als einzige von der industriellen Epoche den Stempel Realität aufgedrückt bekommen haben. Diese Ausschnitte der enstandenden modernen Massengesellschaft erlebten mit der digitalen Revolution einen Bedeutungsverlust: Die digitale Revolution mache die Entwicklungen der modernen Massengesellschaft "nicht rückgängig, sie hebt sie im Hegelschen Sinne auf eine höhere Stufe. Die industriellen Massen, uniform und von bürokratischen Identifikationsverfahren gezeichnet, weichen Individuen, deren Identität so festgelegt nicht mehr ist. Der Zuwachs an Freiheit kommt nun nicht, weil die Menschen sich von den Zwängen der industriellen Wirklichkeit emanzipieren wollten - im Gegenteil, die meisten hängen an ihren Fesseln - , sondern weil die neuen, digitalen Produktionsverhältnisse es verlangen." Die sozialökonomische Reformierung gesellschaftlicher Wirklichkeiten lasse also zum einen vieles bis dato Uniforme individualisieren; zum anderen aber schrumpfe sie die Verwirklichungsräume der Gesellschaft ein. Daraus zieht Freyermuth den Schluß: "Für die Befriedigung der vereinzelten Bedürfnisse ‘entmasster’ Millionen ist die ‘Realität’ der widerständigen Atome [..] kein idealer Ort, so sehr man ihr auch mit künstlichen ‘Erlebeniswelten’ auf die Sprünge hilft". [...] Was ‘Medienwirklichkeit’ heißt, ist in den analogen Massenmedien nur Täuschung, eine Mogelpackung, in der stets dieselbe Illusion von der Stange steckt. Digital gelingt jedoch das Doppeldesign: die subjektive Zurichtung ‘unserer’ Welt wie auch der beständige Neuentwurf der eigenen Person in Rollen-Ichs und Avatars." Diese anfänglich durchaus nicht affirmative Beschreibung des Umstandes, daß die Realität der widerständigen Atome, also der mindestens dreidimensional seiende Raum, immer ungeeigneter wird für die massenhafte Entfaltung von sich individualisierenden Individuen, und daß das Ausweichen in digital hergestellte Bilderräume von den Produktionsverhältnissen her erzwungen wird, also auch gesellschaftstrukturell und nicht bloß motivational zu erkären sei, wird dann aber doch zutiefst ideologisch, und zwar dann, wenn für die Befriedigung der Bedürfnisse weiterhin die analytische Einheit Individuum, seine autonome Selbsteinwirkmächtigkeit, seine Souveränität subjektiver Weltkonstruktion und seine Fähigkeit der Ich-Inszenierung impliziert wird. Und eigenartigerweise sind diese basics bürgerlicher Verfasstheit, die auf das alleinige Recht alleiniger Verfügung über die eigene Person abzielen, innerhalb der Bilderwirklichkeit wohl bestens anzubringen. Denn erst hier verliert der Freiheitsbegriff des bürgerlichen Liberalismus seine ihn konterkarierende materielle Verankerung ("Freiheit, unter den Brücken zu schlafen") und kann nun, bloß noch eingeschränkt durch die Phantasie von software-Entwicklern und den Leistungsgrenzen der hardware, die bildliche Welt vom Kopf aus und mit dem Kopf gestalten, verändern, durchqueren, sehend erleben. Und mit der wohl nicht mehr lange auf sich warten lassenden massenindustriellen Fertigung von cyberspace-Equipements wird gar die bei Hegel noch historisch schwerwiegende, langandauernde und Vermittlung brauchende Arbeit des absoluten Geistes, Welt in Gänze zu durchherrschen, operationabel und instantan zugleich: Jeder noch so kleinen Bewegung und Änderung des residualen Körpers, der in Sensormatrixen eingepackt ist, folgt sklavisch und gleichzeitig eine vollständig neue Berechnung der (Zentral)-Perspektivität des gesamten Bilder-space. Was bei Hegel noch eine Arbeit des Begriffs war, die Aufhebung von Welt in der Reflexion als Negation mit anschließender Negation des Negativen und dann endgültiger Entlassung dieser so bearbeiteten Wirklichkeit als Wirklichkeit des Geistes ins Außerhalb seiner selbst, das passiert in der space-Bilderberechnungstechnik qua unmittelbaren Reflexes in sogenannter ‘Echtzeit’. Man kann auch sagen, daß nach dem Scheitern der Unterbringung transzendentalen Weltverhältnisses in der räumlichen Wirklichkeit (hier das Ich - dort die ganze übrige Welt) nun "nur noch" in der errechneten Bilder-Wirklichkeit dieses elementare Gegenüber-Verhältnis möglich ist, möglich im Sinne einer Realität der faV ade, die nur beim Ein- und Ausschalten der dafür notwendigen Apparaturen als solche erkannt werden kann, nicht mehr jedoch während des Aufenthalts in der (platonischen) Höhle der Bilder.
Nun ist es ein Leichtes, auch diese Betrachtung, also die ideologiekritische Betrachtung der "digitalen Revolution" als nun endlich sich ‘regionalontologisch’ ausweisende wirkliche Heimstatt für fundamentale Weltinbeziehungssetzungsmuster der bürgerlichen Menschenfassung, selbst als ideologische und zudem ikonoklastische zu bestimmen: Ideologisch, weil sie den Eigengesetzen dieser neuen Wirklichkeit jenseits der ‘Realität widerständiger Atome’ nicht nachkommt, sondern in der Weiterentwicklung dieser Sparte der Bewußtseinsindustrie bloß eine Fortsetzung der politökonomischen Zwänge und Formen mit anderen Mitteln erkennt; ikonoklastisch, weil sie das jüdische Verbot, sich ein Bild von Gott zu machen, um sich nicht mit der dem Schöpfer geschuldeten Anbetung im Geschaffenen zu verfangen (J.Assmann), einfach auf gehobener Stufenleiter perpetuiert: ‘Du sollst nicht in Bildern verkehren’ resp. ‘Du sollst nicht mit Bildern verkehren’. Das gegenwärtig abhebende Sich zu Bildern machen bzw. Sich in Bildern (von sich) ab-machen (im Sinne von: darin verschwinden und von: sich einer anderen "Körperschaft" überstellen) wäre also immer noch auf die grundlegende Beziehung zwischen Gott und den Menschen zurückzuführen, nach der das Bildermachen ein Privileg Gottes ist: Gott, so Herbert Neidhöfer, macht sich ein Bild von sich, den Menschen. Dieses Bild Mensch darf sich aber kein Bild Gottes machen, und zudem, da Gottesbild, auch kein Bild von sich selbst. "Der Mensch hat aber ständig ein Bild Gottes vor Augen, nämlich das Bild seines alter ego (das - als Eva - gleichfalls von Gott kommt). Damit ist das Bild nicht nur ein Privileg Gottes, sondern - und dies vor allem im Verlauf der Geschichte - die Todsünde, in die Gott den Menschen unauflöslich verstrickt hat, indem er ihn nach seinem Bilde geschaffen hat."
— Wie man sieht, bleibt auch hier eine Ambivalenz der thematischen Engführung
des Themas, was die Realität der Bilder ist, bestehen, solange man
nicht klar die theoretischen Prämissen angeben kann, die es einem
erlauben, etwas als gut/schlecht, regressiv/progressiv, dem Menschen zukommend/dem
Menschen abträglich usw. zu bestimmen. Interimistisch, aber auch das
ist extremer Optimismus, bleibt einem nur, daran festzuhalten, daß
die Zunahme von Abhängigkeiten und die Zunahme von Unabhängigkeiten
- um es aseptisch neutral zu formulieren - gleichzeitig passieren. Oder
anders formuliert: Das, was die Epistemologie in mehr als 2000 Jahren nicht
geschafft hat, nämlich herauszubekommen, was der "Nexus" ist, der
die Berührung des menschlichen Bewußtseins mit Realität
ermöglicht, wird auch nicht durch die Hyperpräsenz der Bildermedien
und deren expansives Einkassieren einfacher Realitätskontakte gelöst;
wenngleich alles daran gesetzt wird, dies Enigmatische des Mensch-Welt-Kontaktes
vergessen zu machen bzw. alles dafür getan wird, technisch-praktisch
zu demonstrieren, daß das Imaginieren nicht Effekt ist eines uneinsehbaren
Verhältnisses des Menschen zu den Körpern, die sie haben, sondern
internes Vermögen einer Einbildungskraft, für die alles Nichtscheinhafte,
alles Materiale etwas ist, das keinen Unterschied macht.
2) Versuchungen, es sich einfach zu machen
Der Frage nach der Realität (oder sind es Realitäten?) der
Bilder nachzugehen heißt zu bedenken, daß eine bestimmte Versuchung
immer wieder nach vorne drängt: die nämlich, von der Sozialität
menschlicher Interaktion als eine Art motherboard für alle
weiteren Überlegungen auszugehen. Im sozialen Raum der Interaktion
zu handeln und zu erleben heißt nämlich, nicht angewiesen zu
sein auf technisch produzierte Bilder, weil man weiß, daß man
im Erleben, Erinnern und Sprechen des anderen mitaufgehoben ist. Passierende
Sozialität also als der (vierdimensionale) Raum, in dem ich schon
mitgeteilt bin, also nicht nur auf mich selbst zurückgreifen muß
als einzige Garantie dafür, daß etwas, auch ich selbst, war;
als Raum, in dem ich mir die Vergewisserung des In-der-Welt-Seins außerhalb
meiner selbst besorgen kann, besser: in dem mir meine Vergewisserung besorgt
wird. Diese Versuchung wird eigenartigerweise umso stärker, je bewahrheiteter
sich bestimmte Theorieteile von G. Anders, Th.W. Adorno, K. Marx, J. Baudrillard
und neuerdings von V. Sigusch betreffs des Standes der Verquickung von
Verstofflichung des Menschen mit der Entstofflichung von Dingen plus
der Entstofflichung von Menschen mit der Verstofflichung von Dingen heutzutage
ausnehmen. D.h.: Je nachhaltiger die Versuche werden, Vergewisserungen
des Selbst nicht mehr über die Soziabilität des In-der-Welt-Seins
zu ‘besorgen’, sondern man demgegenüber vermehrt über die angebotenen,
technisch konfigurierten "Welten-im-Selbst" Selbstbegegnung zu ermöglichen
sucht, desto stärker wird die Versuchung, die technische Ermöglichung
des In-den-eigenen-Bildern-Lebens als Enttäuschung und Sozialitätsverlust
verarbeitendes Kompensat aufzufassen, als derivatiöse Projektion,
als Erinnerung. Daraus entspringt eine zweite Versuchung für eine
bestimmte Interpretation, die sich auf die erkenntnistheoretische bzw.
erkennenstheoretische Dimension der Information (als Überbegriff für
den Begriff des Bildes) bezieht. Sie geht davon aus, daß in der Instantanisierung,
in der Ephemerisierung, der Temporalisierung und Volatilität der Wirklichkeit
des (digital generierten oder digital präsentierten) Bildes ein Verständnis
von Wirklichkeit sich endlich zuspitzt, das erstblicklich im Gegenteil
dazu alle Bestrebungen darauf richtete, die Wirklichkeit festzustellen
und als unveränderliche jederzeit wiederholbar zu machen. Dieses Wirklichkeitsverständnis
wird gemeinhin virulent in dem abendländischen und von der griechischen
Tradition weiterhin beherrschten Begriff des Wissens: das Wissen ist das,
was ich gesehen habe. "Wir haben ein Wissen von etwas, wenn wir es gesehen
haben und von daher nicht noch einmal hinschauen müssen. Dieses
Verständnis von Wissen impliziert also die Nichtveränderung des
beobachteten Objekts. Von daher leitet sich auch das Ziel abendländischer
Wissenschaft ab, das Sein zu erkennen, indem man auf das Unveränderliche
fokussiert und Konstanten aufzudecken sucht. Die Realität als der
Bereich, dem wir wirkliches Sein zuschreiben, hängt von daher von
unserer Erwartung ab, daß das Beobachtete sich nicht verändert."
Zwar ist nun in der virtuellen Bilderraumwelt rein gar nichts mehr unveränderlich
und fest, da ja jetzt die Dreidimensionalität imaginierenden Bilderflächen
die Anpassungprozesse der Akkommodation und Assimilation übernommen
haben (besser gesagt: natürlich die Computer), die sonst ein sich
bewegendes Subjekt in der (nicht nur) dreidimensionalen Wirklichkeit tätigt.
Und also geht es auch nicht mehr um ein Feststellen einer feststehenden
Objektwelt, die bleibt, auch wenn ich nicht bleibe ("Horizont"). Und es
geht auch nicht mehr darum, wegsehen zu können von der Welt, nachdem
man sich sehend davon überzeugt hat, daß sie so ist, wie man
es sah. Aber, und darin sehe ich die ausgereifte, quasi sich in sich aufhebende
Form des Weltverhältnisses beobachtenden Feststellens: Die digitalen
Bilder
im virtuellen Raum erlauben es nicht mehr, wegzusehen: Man kann, ist man
denn ausgestattet mit dataglove und head mounted display,
in der Interaktion mit 3D-Umgebungen und 3D-Objekten nur noch beobachten,
jetzt nicht verstanden als Verunmöglichung des Riechens, Berührens
usw., sondern als Verunmöglichung des Nichthinschauens, des Blickabwendens,
des Changierens dessen, was Figur, was Hintergrund der angeschauten Welt
ist. Das Feststellen der Realität nichtveränderter Objekte macht
also soetwas durch wie einen Sprung von Quantität zu Qualität:
Dasjenige, was bis dato gesehen werden konnte und deswegen als etwas aufgefasst
wurde, das jenseits des Operationsradius des Sehens ‘ist’, wird jetzt in
den Operationsradius des Sehens eingezogen. Es existiert nicht mehr als
etwas, zu dem das beobachtende Subjekt sich verhalten muß in der
Art, daß es sich erfährt in einer Beziehung mit etwas, in der
es nur einen Teil ausmacht, also nur Bestandteil ist, und dementsprechend
verbunden ist mit etwas, was es nie weiß, was es nie einnehmen und
erreichen kann. Der operative Konstruktivismus hatte daraus noch Konsequenzen
gezogen und gesagt, daß kognitive Systeme nicht zu unterscheiden
vermögen zwischen den Bedingungen der Existenz von Realobjekten und
den Bedingungen ihrer Erkenntnis, weil ihnen kein erkenntnisunabhängiger
Zugriff auf ebendiese Realobjekte zur Verfügung stehen würde.
Nichts desto trotz blieb das Unverfügbare, das Andere als Umwelt bzw.
als Horizont anerkannt. In der sog. Interaktion mit 3D-imaginierenden Bildern
ist diese Unterscheidung aufgelöst: Die wenn auch nur als focus imaginarius
angenommene Existenz von Realobjekten und Realumgebungen ist nun vollständig
Effekt der Bedingungen zur Ermöglichung von Verbildlichung sehender
Erkennntnis; ist nun vollständig in die Realität der Verbildlichung
der Bedingungen des Erkennens eingezogen. Oder anders: Das ausgerüstete
Subjekt okkupiert in Gänze den Bereich des Beobachtetwerdenkönnens,
es selbst "wird" das, was sonst das ist, in und mit dem es ist, nämlich
Welt, Horizont, Umwelt, und bleibt zugleich dasjenige, das beobachtet,
sieht, erkennt. Das Beobachtete und der Beobachter sind eins geworden,
wenngleich auf der Ebene visueller Aisthesis noch Verschiedenheit imaginiert
werden kann (solange man nicht bemerkt, daß man gar nicht mehr die
Möglichkeit hat, nicht zu sehen). Ist man im Sehen dieser Bilder,
also in der Interaktion mit 3D-Umgebungen, dann ist das ausgeschlossen,
was sonst als theoretischer Kniff möglich ist: Das sog. re-entry.
3) Versuchungen, es sich schwer zu machen
Nach dem Umschreiben der Versuchung, für das Nachdenken über Bilder sich die Referenz der Soziabilität des Menschen auszusuchen und diese quasi zu anthropologisieren, um von da aus den Status der Bilder als erinnernder Abfall zu beschreiben, und dem Umschreiben der zweiten Versuchung, in den Bilderverhältnissen trotz Widerschein eine zentrale abendländische Matrix zu sich kommen zu sehen, nämlich das beobachtende Feststellen von "Sein" im Subjekt-Objekt-Gefüge, nun allerdings auf qualitativ höherer Stufenleiter, steht jetzt die Versuchung an, es sich schwer zu machen. D.h., den noch konkreter zu erläuternden Bedeutungsgewinn der Bilderproduktion und -konsumtion für die gesellschaftlichen Verkehrsformen und Reproduktionen auf etwas zurückzuführen bzw. von etwas abzuleiten, das nicht auf den ersten Blick verrät, was es mit den Bildern generativ, motivational, anthropologisch usw. zu tun hat. Jenseits der Versuche, die Bilder, deren Macht und Wirklichkeitsaufsaugpotenz als menschliche Versuche der Selbstvergöttlichung bzw. als Versuche der Unsterblichkeitswerdung zu deuten, und jenseits der Versuche, in Bildern eine Strategie des Vergessens zu sehen, soll der Gedanke ausprobiert werden, ob der wohl behauptbare gesellschaftliche Zug der Verbildlichung realer Welt bis hin zur Verweltlichung realer Bilder sich aus dem Bestreben nährte, endlich auch über die bis jetzt dem Menschen unverfügbare Grenzeinziehung zwischen wachem und schlafendem Sein zu verfügen. Bilderproduktion, Bilderkonsumtion und schließlich "Bilderbewußt-seinung", verstanden als Rangfolge, hätten also nichts anderes zum Ziel als die technisch-operative Verwirklichung des willkürlichen Einsetzens von Hypnose. "Interaktion" mit Bilderberechnungsräumen also als Illusion der Verfügbarkeit des wachen Bewußtseins als Wachheit im virtuellen Raum als Traum. Bilder also als Abkehr von Versuchen, Thanatos in den Griff zu bekommen, und Hinwendung zum ‘kleineren’ Bruder Hypnos. Wenn die Träume des Menschen (etwa von Unsterblichkeit) nicht in der realen Welt unterzubringen sind, dann muß die reale Welt in den Träumen untergebracht werden. Oder: Wenn die Träume vom Aufwachen aus dem anthropologischen Schlaf (Foucault) die Selbstreflektion nicht mehr ausschalten können, daß jeglichen Aufwachen immer nur im Schlaf passiert und also das Aufrechterhalten einer Erinnerung an ein Schlafjenseitiges nicht mehr weiß, was es noch hält, dann soll wenigstens das Schlafen und Träumen etwas sein, was sich keiner Unterscheidungseinheit verdankt, etwas sein, was differenzlos ist. Oder: Wenn Träume nicht mehr wahrgemacht werden können, dann soll wenigstens das Träumen wirklich werden. Oder: Wenn der Schlaf der Vernunft Ungeheuer gebiert und man davon ab will, dann könnte man versuchen, nicht mehr die Vernunft schlafen zu lassen, sondern den Schlaf zu "vernünften" bzw. zu "bewußtseinen". Oder, auf Baudrillard verweisend: Wenn Unmäßigkeit nur der Welt, nicht aber uns gehört, und dies uns vor der Illusion des Willens bewahrt, dessen Extrapolation in die Geschäfte der Welt nur die des Verlangens oder die des Schmerzes im Phantomglied ist, und zudem die Träume uns ebenfalls die Illusion vermitteln, wir könnten sie dirigieren oder ihre Laufzeit unterbrechen; ja daß sie sogar die Illusion der Bewußtheit des Traumes vermitteln, und wir also sowohl mit dem Willen als auch mit dem Traum als auch mit der Existenz nicht einverstanden sei dürfen: Was wäre dann für den Umgang mit der unmässigen Welt passender als ‚außerhalb zu schlafen‘ und dieses Außerhalbschlafen zu handhaben, indem man sich selbst somnambul macht und dies noch in einem Anschauungsverhältnis zu sich in Distanz bringt, verstanden als ein Verhältnis, das nicht mehr auf Sinn angewiesen ist, sondern nur noch in Zeit ‚gearbeitet‘ ist, nichtsdestotrotz aber nicht in reine Operationalität aufgeht (also noch irgendartliche Verbindung zum Zeichensein erinnert), sondern eben in diesen eigenartigen Zustand des Somnambulen, Hypnotischen, Dämmernden mündet? Die Frage ist nicht nur rhetorisch gemeint; es ist eine Frage danach, ob die erstblickliche Unmöglichkeit eines Sich-Somnambulmachens wirklich das letzte Wort ist. "Keineswegs", so Christoph Weismüller, "auch kann es sich in bezug auf das Statthaben des Somnambulismus um eine bewußte oder koordinierte Entscheidungsfindung handeln, so als ob zwischen Traum und Schlafwandeln eine freie Wahl bestehen würde. Für die Unmöglichkeit einer bewußten Entscheidung oder freien Wahl steht die Konstanz des Tiefschlafes ein, auch wenn dieser möglicherweise an eine innere Grenze gerät. Vielmehr scheinen Grundkonditionen der Möglichkeit zur differenzierenden und die Repräsentation eröffnenden Traumbildung einbehaltend ausgesetzt, das heißt korporal rückbezogen zu sein, wodurch der Traum im Sinne der Traumarbeit selbst in den Körper zurückfällt, so daß sich hier die Parodie der unsterblichen Seele zu ereignen anhebt. Die Bewußtlosigkeit in ihrer von der Vorstellung abgekoppelten Dimension steht so als die korporelle Hyperbewußtheit ein, wie als das eigene Gedächnis ihrer selbst." Die These nun, daß sich das In-den-Bildern-Leben am Focus einer Verfügung über den (Tief-)Schlaf ausrichtet, ist nur plausibel, wenn der Traum eben nicht mehr in den Körper zurückfällt, sondern wenn vielmehr der Bildertraum herausfällt aus dem Bewußtsein, das sich seinerseits evakuiert hat aus dem Träger Körper, der seinerseits nicht mehr ist als die reine Perturbation der Umwelt des Systems Bewußtsein, das seinerseits bloß System ist in der Binnen-Umwelt der Systemimmanenz der Bildererrechnungsmaschinen. Im Somnambulismus, so Weismüller, handele es sich um die Wandlung des Körpers zur Aufzeichnungsfläche, auf der die Inskriptionen des funktionalen Phänomens, seiner ihn schwinden machenden und wie erfüllenden Darstellung, vorgenommen werden, denen er negentropisch mit der Bewegung des nächtlichen Umhergehens begegnet. Im hiesigen Verständnis des körperlosen Somnambulismus wäre der Körper nicht Aufzeichnungsfläche, sondern vielmehr die "eigene Schnittstelle" für die visualisierten Perspektiven und Perspektivbewegungen innerhalb der Bilderräume innerhalb der Vorstellungen; also im Grunde soetwas wie die Bedingung zur Ermöglichung einer beim Umhergehen mitlaufenden Kamera seiner selbst, die im Gegensatz zum richtigen Wandeln den eigenen Körper nicht mehr verwenden muß (wirkliches Gehen und Wandeln), sondern ihn nur noch zu erwähnen braucht (da das körperliche Bewegen als Zentralperspektive der errechneten Bilderumgebungen nicht im Raum, sondern im "Augenblick" passiert). — Wenn es stimmt, daß der Schlaf (inklusive der Emotionen) fürs Bewußtsein das ist, was das biologische Immunsystem für den Körper ist, wäre also die behauptete Ausrichtung der Bilder, dem Menschen die Verfügung über seinen Schlaf in die Hände zu geben, nichts anderes als der Versuch, sich als bewußtes System vor sich selbst zu schützen, indem das Ambulante der Existenz, also das Ortlose und Umherirrende in der wirklichen Raumzeitwelt, das immer in einem Spannungsverhältnis zum Bedürfnis nach Stationärem steht, verlegt oder ausgetauscht wird durch eine ambulante Existenz in der Immaterialität von Bildern: nur dort ist das "planlose Irren", das bis jetzt den Zivilisationsprozeß unendlich viele Blutspuren hat ziehen lassen, unblutig und zudem kongruent zur Grenzenlosigkeit der Imagination. Der Preis? Der Preis ist die Notwendigkeit zu vergessen, daß das Imaginäre vollständig hermetisch und immanent ist; und dies umso mehr, je weitgehender die Imagination in Sprache umgearbeitet wurde, deren konstitutionelle Differenz zwischen Tautologie und Paradoxie eigenartigerweise das Bedürfnis nach rein tautologischer "Weltverarbeitung" verstärkt hat. Aber vielleicht ist diese Bedingung des notwendigen Vergessens keine Notwendigkeit mehr, sondern vielmehr das eigentliche Ziel oder Movens des Sich-in-Bilder-Versenkens geworden, weit über den theoretischen Topos des Vergessens als Strategie des Erinnerns weisend und in Ansätzen ein Profil gesellschaftlichen Lebens zeigend, das so gefasst werden könnte, wie Solvej Balle in ihrem Buch "Nach dem Gesetz" einen ihrer Protagonisten beschreibt: "René G. war glücklich. Jeden Tag näher dran, niemand zu sein, und binnen kurzem vielleicht so dicht am Nullwert, wie es einem Menschen möglich ist, ohne daß er aufhört, Mensch zu sein. René G. war beinahe niemand. Eine Glasscheibe, ein zufälliger Wind." Wie könnte man dieses touchierte Profil erklären? Vielleicht mit einem kleinen Rekurs auf Augustinus´ Auslassungen über das Problemensemble Erinnerung, Gedächnis und Bild im 10. Buch von Confessiones.
Das 10. Buch handelt von der Innenschau, der Liebe zu Gott und den Gefahren und Mängeln, also von bestimmten Schwierigkeiten, die ein Gottsucher sich bewußt zu machen hat, damit er Gott findet. Nachdem Augustinus feststellt, daß der Gottsucher auch das sinnliche Seelenleben unter sich zu lassen hat, um ins "Innere" einzukehren, beginnt er das Gedächnis zu erforschen. Die Fülle der Bilder beindruckt Augustinus derart, daß er seinen Expeditionsbericht mit folgenden Worten beginnt, die auch heute noch das Verständnis vieler Bilderkonsumenten den digitalen und analogen Bildern gegenüber zu umschreiben vermögen:
Die Eigenartigkeit des Gedächnisses, nicht die Dinge selbst, sondern, so Augustinus, nur die "Abbilder" der wahrgenommenen Dinge zu erinnern, da nur die Abbilder der Dinge durch die verschiedenen Sinne einzutreten vermögen, sowie seine Eigenartigkeit, das Erinnern selbst transmodal zu halten (man muß nicht riechend erinnern, um sich eines Geruchs zu erinnern), wird komplett durch eine bestimmte Indifferenz des Gedächnisses gegenüber dem Besitz-Status des Erinnerten; denn alles im Gedächnis sei erinnerbar, "ob ich´s nun selbst erfahren oder es gläubig aufgenommen habe. Aus diesem Vorrat nehme ich die Bilder von allerlei Dingen, mag ich sie selbst wahrgenommen oder auf Grund eigener Erfahrung andern geglaubt haben [...] «Dies oder jenes will ich tun», so sage ich und greife hinein in den ungeheuren Mantelsack meines Geistes voller Bilder, unzählig vieler und großer, und dies oder jenes geschieht auch." Augustinus beendet diesen Expeditionsabschnitt im Buch mit der Überzeugung, genau zu wissen, welcher körperliche Sinn ihm ein jedes Bild eingeprägt habe.
Die Indifferenz gegenüber der Selbsterfahrenheit und Fremderfahrenheit des Erinnerten kann sich Augustinus erlauben, da ihm das Gedächnis ein Mittel ist nicht nur zur Selbstverständigung, sondern, wie schon gesagt, auch eines zum Auffinden Gottes. Zudem koppelt er die Gedächnisleistungen an das aktive Involviertsein des sprechenden Erzählens; und schließlich sind ihm die geistigen Wahrheiten nicht bildlich (und auch nicht durch die Pforten des Leibes ins Gedächnis gekommen): alles Punkte, die ihn ganz selbstverständlich davor schützen, im Mantelsack des Geistes voller Bilder zu "ersticken" resp. nicht mehr zwischen selbst und fremd oder real und fiktiv unterscheiden zu können. Zu guter Letzt ist ihm Gedächnis die eigentliche Arena, in der sich das Verstehen abspielt, und offen bleibt nur, ob das Gedächnis auch durch sein eigenes Abbild vergegenwärtigt wird oder einfach durch sich selbst. Augustinus kann sich an der Fülle der Gedächnisbilder erfreuen und ihre Vielfalt begrüßen, weil er sie gedanklich dem Denken, der bilderlosen Wahrheit und dem Willen Gottes subordiniert. Bilder sind schon immer im Geschirr des Denkens, das zwar Zerstreuung braucht, um zu binden (cogo, ago, facio), und als Denken zu passieren, aber sie sind niemals etwas vom Denken Nichteinsammelbares. So ist auch gewährleistet, daß Augustinus Gott im Gedächnis zu finden vermag und daß als Nebeneffekt alles, was aus den Blicken geraten ist, im Gedächnis festgehalten werden und also wiedergefunden werden kann.
Man könnte nun versucht sein, diese "intrapsychische" Beschreibung
des Verhältnisses zwischen denkendem Subjekt, seinem Erinnerungsvermögen
und den Informations- und Mitteilungsträgern namens Bilder als weiterhin
gültigen Ansatz zur Beschreibung des Verhältnisses zwischen etwas
weniger denkenden Subjekten, den material apparativen Medien und der Bildersoftware
zu deuten, nicht zuletzt deswegen, weil die Fülle der Welt wie schon
zu Augustinus´ Zeiten weiterhin nur 2 Ohren, 2 Augen usw., eine Haut
und ein Hirn als Abnehmer zur Verfügung hat. Die Dimensionen dessen,
was der Mensch aufnehmen, verarbeiten und vergessen kann, dürften
sich wohl nicht qualitativ geändert haben (so sind diejenigen immer
noch seltene Exemplare, die sich tatsächlich auf zwei Dinge gleichzeitig
konzentrieren können). — Es so zu sehen hieße aber, einen nichtzurechtfertigenden
Hiatus zwischen der einstürmenden und vielfältigste Wandlungen
ihrer Formen mitmachenden Welt und einer sich davon völlig unbeeindruckt
zeigenden stabilen Weltverarbeitungsstruktur des kognitiven Menschen zu
setzen in der Tradition des gespaltenen res. Es hieße zudem,
einem hardcore-anthropologischen Ansatz zu folgen, dem die Diversitäten
der Kultur, der Sprache und auch der Erfahrungsverarbeitungsformen selbst
bloß variierendes Material wäre für eine Handvoll essentieller
anthropologischer Handlungsnotwendigkeiten. Es scheint daher vielleicht
hilfreicher, davon auszugehen, daß die maßlos gewordene Extraktion
des Bildhaften aus den bis dahin nur möglichen Formaten des Bewußtseins
und des Gedächnisses (und natürlich des Traumes) und die ebenso
maßlose wie weiterhin unklare "Verkörperung" der Bilder in apparativen
"Trägern" für die Formen der Verarbeitung von Welt und die Formen
der Weltkontaktaufnahme einen permanenten Anpassungsdruck verursachen,
der sich zur Zeit priviligiert zur Gestalt bringt in einem wahrnehmungslosen
Sehen, in einer sich selbst äußerlich gewordenen Erinnerung
und in einem noch schleichenden Zerfall der direkten und indirekten (Ver-)Bindungen
des einzelnen Menschen mit den maßgebenden gesellschaftlichen Verkehrs-
und Vermittlungsflüssen. Und genau hier, an der Stelle, an der nicht
mehr gesellschaftlich verbürgt ist, daß man an der Gesellschaft
so ohne weiteres im Sinne der Inklusion beteiligt ist, stellt sich eine
Komplementarität ein zu dem Verhältnis des einzelnen Individuums
und den ihn vereinnehmenden Bildern: So wie der Gedanke einer Einheit erst
den anderen einer Vielheit produziert und Vielheit überhaupt erst
als reduzierbar erscheinen kann durch "Vereinheitlichung", so werden die
maßlosen Bilder erst dann zeichenhaft und also für etwas anderes
da, wenn sie mittels Kognition, also erinnerndem Referieren mit etwas jenseits
ihrer selbst verbunden werden können, nicht im Sinne des Abbildens,
sondern im Sinne des Interferierens, des Inspirierens, des Anschliessens.
In beiden Dimensionen scheint dieses Ozillieren nicht mehr wie gewohnt
machbar zu sein: Weder der Staat als Sozialisationsinstanz, als Pazifizierungs-
und Unterdrückungsinstanz, als Einheit, weder die sogenannten höheraggregierten
intersubjektiven Öffentlichkeiten auf der einen Seite, noch das Bewußtsein,
der Wille, das Selbst, Ich, die Vernunft als transmodale Verfügungsmacht
auf der anderen Seite schaffen es weiterhin, die jeweils spezifizierte
Unterscheidung Einheit/Vielheit in sich selbst grenzüberschreitend
zu lassen. Wenn aber die Fähigkeit des Bündelns (von Gewalt,
Macht, Informationen, Erinnerungsbildern, Vorstellungen) allmählich
verloren geht, dann auch der Tatbestand der Zerstreuung, der Unordnung,
der Auflösung, des Gestaltlosen, Ungebildeten, des Mannigfaltigen.
Das Verhindern des Verlorengehens einer privilegierten Beziehung zwischen
(dem Bedürfnis nach) Vielfältigem und (dem Bedürfnis nach)
Einheit funktioniert genau so lange, wie es die Begriffe System, Kommunikation
und Information schaffen, als höchst abstrakte Einheitsordnungen zu
gelten. Denn sie behaupten weiterhin, daß es das Dual Vielheit/Einheit
gibt, sei es in Gestalt der angenommenen Unterscheidungseinheit Umwelt/System,
in Gestalt der Unterscheidungseinheit Sinnpotentialität/Sinnaktualität
oder in Gestalt der Unterscheidung noise/order. Immer ist ein Mehr im Spiel,
ein Komplexeres, ein Noch-nicht-Dazugehöriges, das erst ein Vermitteln,
ein Erfassen, ein Vereinnehmen und Aneignen überhaupt möglich
macht. Hier ist die These Baudrillards, daß uns nur noch qua eines
kollektiven Reflexes der Leichgläubigkeit ein gigantisches Prinzip
der Ungläubigkeit, der heimlichen Gefühlskälte und der Ablehnung
jeder gesellschaftlichen Bindung nicht jetzt schon in den Haß und
die erlebte Indifferenz treiben, genau treffend. "Wir befinden uns in einem
schlafwandlerischen sozialen Zustand: abwesend, ausgelöscht, in unseren
eigenen Augen ohne Bedeutung. Zerstreut, verantwortungslos, entnervt. Man
hat uns den Sehnerv belassen, aber alle übrigen hat man entnervt.
Dies hat die Information mit dem Sezieren gemeinsam: sie isoliert einen
Wahrnehmungskreislauf, unterbricht aber die aktiven Funktionen. Es bleibt
nur noch der mentale Bildschirm der Indifferenz, welcher der technischen
Indifferenz der Bilder entspricht."
4) Die gesellschaftliche Realität der Realität der Bilder
Die letzte der zu Beginn gestellten vier Fragen,
Wie funktioniert Erinnerung?; Gibt es in der Zeit der Gegenwart Erfahrung?; In welcher Wirklichkeit bin ich in der Welt?; Welche Realität haben Bilder?, war bis hierhin die Ausrichtung des Gesagten. Antworten liesse sich nun, daß Bilder keine Realität haben, sondern vielmehr qua technischer Perfektionierung die Unangewiesenheit des einzelnen auf eine festgelegte Realität (des Sozialen, des Kommunikativen, des Interagierens) in einer bestimmten Art steigern, so daß eine Affinität sich einzustellen beginnt zwischen der zunehmenden Unmöglichkeit konsensierter sozialer Bindungen, der zunehmenden Unmöglichkeit sozioökonomischer Sicherheit, der zunehmenden Unmöglichkeit, Handlungen, Verhalten, Empfindungen und Objektivationen von sich und anderen durch Sinn fürs Verstehen zu sichern, der zunehmenden Unmöglichkeit, das Selbst nicht als nichtig und überflüssig wahrzunehmen, und der zunehmenden Möglichkeit, sich somnambul in Bildern zu absentieren und dies zugleich immer noch mit der ganzen psychosozialen Ausstattung (Bewußtsein, Erleben, Handeln) vergegenwärtigbar zu halten. In Bildern leben heisst implizit Abschied genommen zu haben von Vorhaben, in den Dimensionen des anthropologischen und sozialen Raumes geschichtlich zu arbeiten, gleichsam aber noch darauf angewiesen zu sein, sich seiner eigen anthropologischen und sozialen Verfasstheit zu subordinieren, solange es kein Substitut gibt für die besondere Materie des menschlichen Lebens. Die hier behauptete Bedeutung der Bilder steht in engem Kontakt zu einem Wechsel der Bedeutung von Körper und Wissen, wie ihn Konrad Cramer anbietet: "Und so sind wir der Überzeugung, daß unser Wissen darüber, daß wir ein materieller Körper sind, wie all unser Wissen, von der Existenz dieses materiellen Körpers und seiner spezifischen Organisationsform abhängt. Hingegen sind wir durchaus nicht der Überzeugung, daß die Existenz dieses oder einen anderen materiellen Körpers davon abhängt, daß wir wissen, daß sie existieren." - Könnte es sein, daß die Verkörperung von Wissen, als die die sozio-kulturelle, also wissenschaftlich-technologische Zvilisationierung vordringlich betracht werden kann, den materiellen Körpern, die in dieser Zivilisationierung hausen, ihren Gewißheits- und Überzeugungsbonus für Existenz entrissen haben? So daß, umgedreht oder vielleicht auf einer höheren Emergenzstufe, die Existenz materieller Körper abhängig zu werden beginnt von einer spezifischen Organisationsform des Wissens? Um so zu fragen, muß angenommen werden, daß das, was im Gefolge Durkheims und Luhmanns konstatiert wurde, nochmals einen Sprung von Quantität zu Qualität gemacht hat resp. im Springen begriffen ist. Konstatiert wurde, daß die Sozialität namens Gesellschaft als Entität, als eigenes Reich, als eigenwertig sich organisierendes System aufzufassen sei, zu dem Menschen keinen Zugang haben, auch und gerade wenn sie durch Gesellschaftlichkeit ihrer Interaktionen und Kommunikationen hindurch in dieser Sozialität unrekonstruierbar verwoben sind. Marxistisch und vielleicht etwas zu abstrakt wird dieser eigentümliche Sachverhalt dadurch rekonstruiert, indem das primäre und sich fortentwickelte Ausbeutungsverhältnis zwischen solchen, die leben, ohne zu produzieren, und solchen, die produzieren, ohne zu leben, als Daseinszusammenhang identifiziert wird, insoweit die Aneignung die durch die Ausbeutung gebrochene Praxis im Modus des Daseins wiederherstellt, sodaß geschlußfolgert werden kann: Die Wiederherstellung der praktischen Wirklichkeit des menschlichen Seins einzig nur im Modus der Negation seiner Wirklichkeit als Praxis ist die Grundkonstitution der Daseinsverflechtung der Menschen in ihrer quasi individualistischen 'Vergesellschaftung'. Gesellschaft also als existierendes Derivat des Prozessierens der Negation von Wirklichkeitspraxis zugunsten der Wirklichkeit des Praxisnegierens, innerhalb der der einzelne durch die Gesellschaft angesaugt wird als vergesellschafteter Einziger. Nach Auflösung des fragegenerierenden Hiatus Individuum vs. Gesellschaft zu einer nicht mehr relevanten soziologischen Fragestellung blieb in der Folgezeit dennoch diese Form des Hiatus gewahrt in Gestalt der einige Begriffsetagen tiefer anzusetzenden Unterscheidungsseiten Körper vs. Geist. Auch Konrad Cramer rekurriert auf diese Mutterunterscheidung Decartes'; begeht dabei aber (unbeabsichtigt?) eine Uneindeutigkeit in der Terminologie, die schon erste Abstriche in der Überzeugungsqualität materieller Körper für ihre Existenz und die ihres Gewußtwerdens durchschimmern läßt. Denn: Die Rede von Existenz materieller Körper und ihren spezifischen Organisationsformen als Bedingung der Möglichkeit von Existenz unseres diesbezüglichen Wissens läßt unklar, ob vom materiellen Körper als einer besonderen und nur so seienden Materie gesprochen wird, oder eben vom materiellen Körper als einer spezifischen Organisation von Materie. Könnte es sein, daß der materielle Körper (des Menschen) in seiner bisherigen Gestalt als nicht weiter zu reduzierendes "Ding" in der Welt beinahe lückenloser Verkörperung von immateriellen Dingen (Virtualität?) nun in eine Ableitungsposition rutscht? Also sich selbst in einem neuen Verweisungszusammenhang wiederfindet, in dem die Materialität der Verkörperung materieller Körper nicht mehr dasjenige Merkmal oder diejenige Eigenschaft ausmacht, um das unter dem Begriff Körper Subsumierte begrifflich ausreichend zu fassen? Also zu sich selbst als materieller Körper ein neues Distanzverhältnis gewinnt dadurch, daß seine Materialität und seine Körperlichkeit nur eine Möglichkeit und nicht mehr eine Notwendigkeit dafür ist, von einer Existenz sagen zu können, daß sie gewiß und nicht abhängig von ihrer Kognitivierung, mentalen Verkörperung und Reflexion ist? Und daß also schließlich die Körperlichkeit des Körpers nicht mehr als irreversible Bedingung für die Existenz der Verkörperung von Wissen gilt, sondern daß die Existenz je-weiliger, also temporärer Körperlichkeit des Körpers hundertprozentiger Effekt wird einer jeweiligen temporären Verkörperlichung von Wissen? - Vielleicht darf man es auch so spekulativ sagen: In dem Moment, wo die kapitalistische Gesellschaft beginnt, ihre orginäre Konstitution, nämlich abstrakte Vermittlung, nicht mehr nur als Unmittelbarkeit darzutun, sondern via hyperformatiger Technologisierung von Virtualität sich eine Art materielle Infrastruktur der unkörperlichen Verkörperung von Wissen zulegt, in diesem Moment entsteht das Phantasma einer erneuten Sozialität resp. einer erneuerten Form von Soziabilität, das Bild einer Organisation von gesellschaftlicher Organisation (von Wissen), also die Vorstellung des Organismischwerdens gesellschaftlicher Organisation, kurz: Der Wunsch, daß die gesellschaftspenetrierende Verkörperung von Unkörperlichkeit selbst einen Körper generiert, der er dann ist; und dieser Wunsch (salopp: daß der Weltgeist, die weltweite kapitalistische Konkurrenz der Wertverwertung, sein eigener Körper wird) bezieht seine Strenge aus der immer größer werdenden Vereinnahmungskraft der hochtechnologischen Bilder, die damit ihre bisherige Funktion der Abbildung von etwas zugunsten der neuen Funktion der blinden Zeitvernichtung auszuwechseln beginnen.
Ist das der technologische Kommunismus, vom dem Robert Kurz einst sprach, oder ist die gesamte telekommunikative Infrastrukturierung spätkapitalistischer Gesellschaften nur die letzte Form einer Explosionskontrolle, die mit dem Beginn der bürgerlichen Gesellschaft, verstanden als Beginn einer Katastrophe resp. einer Verarbeitung von Todesangst, ihren Anfang nahm?; eine letzte Form, nicht die Erde als Raumschiff aufzufassen und dementsprechend zu handeln, und auch nicht ein Raumschiff für die Flucht in den Weltraum zu bauen, sondern mit dem telekommunikativen Vernetzungskörper ein Raumschiff für die unbewohn- und unlebbar gemachte artifizielle Gesellschaft, die vor 10000 Jahren ihren Anlauf nahm (Popitz), konstruiert zu haben, um nun im Information-Zeitschiff vollständig in die Beobachtung zweiter Ordnung aufzugehen und also abgekoppelt zu sein von der Beobachtung erster Ordnung, in der es weiterhin Krieg, Ausbeutung, Überlebensamokläufe, gebrechliche Körper und das allgegenwärtige Sterben gibt? Was das selbsterhaltungsorientierte kalkulierende Bewußtsein mit seinem je-weiligen Körper tat, das wiederholt sich jetzt im Verhältnis der infrastrukturierten Virtualitätskörperschaft mit den noch die räumliche Dimension benutzenden weltlichen Körperschaften namens Menschen, Gesellschaft und Erde. Die Entwicklung geschichtlicher Gesellschaft bestand wesentlich darin, immer mehr Umwege in Kauf zu nehmen, um das zu erreichen, was gewollt oder nötig war. Mit Übergang der Technik von Instrument zu Werkzeug wurden die Vermittlungen vielfältiger und komplexer. Man produzierte Mittel für Mittel für Mittel... für Zwecke, die ihrerseits wieder als Mittel für Zwecke eingesetzt wurden. Die zunehmende Angewiesenheit einzelner Handlungen, Ereignisse und Menschen auf ein sie zusammenbindendes und auch zusammenhaltendes Ziel erforderte es, dem vielfältig, disparat und zudem gleichzeitig Passierenden außerhalb der konkreten Gegenwart eine einheitverbürgende Gestalt zu geben. Für die Technik wurde dies der Plan, für die produzierende Gesellschaft die zukünftige Zeit. Die beginnende Vergesellschaftung des Sich-Ernährens, Sich-Wärmens, Sich-Sozialisierens, Sich-Bildens, Sich-Erhaltens und Sich-Schaffens umfasste eine Masse an zu koordinierenden Parametern, die nicht mehr in der gegenwärtigen Zeit zu organisieren war: Erwartungs-, Antizipationshorizonte mussten an den Erfahrungsraum "angebaut" werden, da die Bewirtschaftung der nun gesellschaftlichen Daseinssorge nicht mehr ohne Bewirtschaftung und Rationalisierung von Zeit möglich war. Dabei geht die Abstraktion/Reduktion unendlich vieler verschiedener Zeiten und Zeitrhythmen auf ihre Uhr-Zeit-Kompatibilität in eins mit der Abstraktion raumausfüllenden Welt-Materials auf analyse- und synthesefähige Bestandteile; Verläßlichkeit der Zeit und Verläßlichkeit kontrollierter Welt bedingten sich.
Mit der im Text behaupteten Bedeutung von Bildern als konkurrenzierende Aufenthaltsorte zu denen des Raumes hören Verläßlichkeit und Kontrolle zumindest in Ansätzen auf; sie sind nicht mehr notwendig. In Bildern leben heißt, mit seiner eigenen Verlassenheit verbunden zu sein, heißt Unkontrollierbarkeit (im Sinne der contre-rôle), heißt unwissende permanente Obacht ohne jemals sich einstellendes Obdach. Die Kapseln sind geschlossen. Sie öffnen sich, wenn überhaupt, nur noch in einer unzugänglichen Dunkelheit. In Bildern leben heißt, eines von den Glanville´schen Objekten geworden zu sein, das zugleich ein Kein-anderes-Objekt-Beobachtendes und ein Von-keinem-anderen-Objekt-Beobachtetes "ist". Ein solches Objekt, so Glanville, bewohnt das Universum anderen unbekannt. Es weiß nicht, daß es das Universum bewohnt, noch weiß das Universum, daß es ein Bewohner ist. Das wäre etwas unterhalb von Gott, der nicht da ist, nicht gesehen wird, und dennoch sieht, und etwas oberhalb vom Tod, der nichts mehr sieht, aber voll und nur noch da ist; es wäre der Bereich, in dem der gesellschaftliche Mensch (nicht die biologische, lebendige, Schmerz, Freude, Angst empfinden könnende Kreatur namens Mensch) endlich kurzschliessen würde mit der Voraussetzung seiner geschaffenen Welt, nämlich mit der Blindheit und Taubheit als Voraussetzung für die Realität seiner Welt. Die bisher tätige Übersetzungsmaschine, die die Wirklichkeit des Weltseins an der Referenz des Blind-und-taub-in-der-Welt-Seins ausrichtete und die Übersetzungsprodukte als Realität ausmachte, wurde Bewußtsein genannt (ob als objektiver Geist, Selbstbewußtsein oder als intersubjektiv kommunizierendes Bewußtsein). Das Bewußtsein hat sich, so hier die These, zurückgezogen auf die Funktion, sich beim Von-Bildern-geträumt-werden-Lassen zuzuschauen.
Was, nach diesem Höhepunkt elenden Vergeudens einer kurz von Sorge befreiten Zeit, kommt danach? Also nach dem exzessiv dominohaften Ins-Bild-Holen zuerst des Denkens, dann des Fühlens, des Begehrens, des geistig-kulturellen Lebens? Der Körper? Aber gerade der Körper bzw. seine Organisation der Selbststeuerung (sowohl nach innen wie nach außen) ist für eine bestimmte Form der Wissenschaft gerade das Bedingungsensemble dafür, daß alles in Bildern gearbeitet wird.
Was also kommt nach den Bildern?