Auf- und Zuhören!


Wer die Skandalisierung (mittlerweile) der Person Sloterdijk verfolgt, sich die Beiträge Assheuers, Mohrs, Greiners, Nutts, Stephans u.a. noch einmal vor Augen hält, kann einsehen, daß selbst der ironisch gewendete Dank Sloterdijks in seinem Antwortbrief an Assheuer, er habe mit seinem Artikel endlich wieder vor großem Publikum auf aktuelle Probleme hingewiesen, noch deplaciert war. Hier wird nichts vor großem Publikum zur Sprache gebracht, und schon gar nicht dasjenige, was die Gemüter und Mentalitäten so aus der Reserve brachte.

Sloterdijk hätte es wissen können: In seinem zweiten Sphärenband, im Kapitel 'Wie durch das reine Medium die Sphärenmitte in die Ferne wirkt', handelt er u.a. vom Verhältnis zwischen dem Präsenz-gläubigen Christentum, das sich in volle Abhängigkeit begeben habe von den Autoritäten der Vertretung messianischer Seinszeichen, und dem aufs Nein verpflichteten Judentum, für das Zeichen und Gottesgegenwart für immer durch einen Majestätsabstand geschieden bleiben. Die Gewaltträchtigkeit dieser unterschiedlichen Auffassungen, so Sloterdijk, sei durch die Verweltlichungsprozesse der Neuzeit gemildert und zu Jedermannsfragen abgeschliffen worden. Aber: "Die moderne Missionsrechtsformel – daß jeder und jede mit allen legitimen Mitteln das vertreten möge, das ihm oder ihr richtig und würdig scheine, solange damit niemandem Gewalt angetan werde, und daß auch jeder und jede reden dürfe, ohne etwas zu vertreten – hat das Problem nur zum Schein gelöst und es in einer halbklugen Entspannung unsichtbar werden lassen. Deswegen fahren alle regelmäßig erstaunt auf, sobald irgendwer mit einem gefährlichen Wort an die alten Geheimnisse der bevollmächtigten Rede und ihrer Anwesenheit in den profanen Medien rührt" (p767f.).

Das erstaunte Auffahren ist passiert - und weiterhin am passieren. Der Irgendwer, der mit einem gefährlichen Wort an die alten Geheimnisse nicht der bevollmächtigten Rede, sondern des gewußten Unausgesprochenen rührt, ist Sloterdijk selbst. Nur die profanen Medien machen nicht mit. Wie sollten sie auch. Mitbeteiligt und Mitverursacher einer permanten inflationierten Überrepräsentation, die viele noch mit Reizüberflutung verwechseln, können sie es nur lächerlich finden, wenn jemand behauptet, im Namen eines modifizierten Heideggerschen Seins zu sprechen. Aber nicht, daß hier jemand in durchaus kritisier- und skandalisierbarer Weise meint vertreten zu können, was des Seins ist, wird in den Feuilletons verhandelt, sondern das Was: Sloterdijk habe also behauptet, die Zähmung des wilden Tieres namens Kultur (H. Mühlmann) müsse nun mit anderen als den (foucaultianisch verstandenen) humanistischen Mitteln betrieben werden, und zwar durch die avancierten Anthropo-Technologien, deren chromosomatisch-generativen Effekte durch eine philosophisch-kulturanthropologisch belehrte Steuerungscrew in Kultur übersetzt zu werden hat: Am Ende habe eine operationsfähige Ethik des anthropotechnischen Machtgebrauchs zu stehen, die nicht mehr bloß darüber entscheidet, wie jemand lebt (Politik), sondern darüber, ob (Rassismus).

– Es fällt äußerst schwer, Sloterdijk in diese Liga des Lebenmachens und Sterbenlassens (Foucault) resp. Sterbenmachens und Lebenlassens einzukeilen, in dieses Entweder-Oder, vorallem, wenn man meint, seine beiden Sphären-Bände nicht ganz mißverstanden zu haben und sich im "chromosomatischen Diskurs" (H.P. Weber) schon einwenig umgesehen hat. Wer nicht ganz eine materialistische Perspektive hat sausen lassen, bekommt mit, daß 'die riesigen und nuklearen Kapital-, Wissens- und Kompetenz-Ströme menschheitlich konsolidierend wohl nur in einer kulturalen, passionaren Produktion-des-Menschen eingefangen werden können' (Weber), und zwar: ausschließlich für die Verstärkung der neurocerebralen Programme von Glückskompetenz und Eudämonie. – Es fällt leicht, Sloterdijks Philosophie in diese Orientierung zu stellen. Wenn auch nicht allen.