Gespräch vor dem Anfang
"Worüber reden wir jetzt?"
"Sie meinen, worüber reden wir jetzt?"
"Womit wir anfangen ist egal. Sie können auch das Reden herausgreifen, oder das 'wir'. Oder von mir aus den ganzen Satz, den noch zu schreibenden Text, in dem der Satz wohl einmal aufgehoben sein wird, den Kontext, in dem der Text sich verorten lassen muß, den Kontext, der sich auf seine kulturellen und philosophischen Erbschaften wird abklopfen lassen müssen...- es ist egal: Überall ist anzufangen, wo das Material nichts mehr hergibt (: aus freien Stücken), mit dem was anzufangen ist (: aus Notwendigkeit)".
"Was dann aber bedeutet, Rattenschwänze an Einkreisungen, an Herausfindungen, an Auslotungen und Versprechungen sich aufzuhalsen, um erst den schmalen Korridor auszumachen, in dem wir überhaupt miteinander zu reden vermögen, n'est-ce pas?"
"Nun ja, lassen wir das. Lassen wir uns reden über das Verlorengehen, über das Auslaufen, das Abdriften all dessen, was uns durch sein Heranziehen, sein Feststellen und sein Aufheben über Jahrhunderte das Denken in Kohäsion befindlich erscheinen ließ. Über das, was wir in paradiesischen Momenten des selbstirrenden Denkens im Kessel der Affinität und Universalität von Zeit, Raum und Artefakt dem Wunder des Her-Stellens ohne Wachstum überantworteten, dem nichtglaublichen Projekt, produzieren zu können, was nicht aus der Materie wächst. Lassen wir uns ein in die Schleifen derjenigen Begriffe, die soviel soziale Symbolik vermittelten, daß völlig aus dem Sinn geriet, wie abhängig sie an den "Mythen des Fortschritts und der Revolution" [G. Marramao], an der Futurisierung und der Entwerfbarkeit der Geographie, und an der Pervertierung des "unfertigen Menschen" sowohl zu einer unendlich dehnbaren Masse als auch zu einem rigide reduzierten Automaten befestigt waren".
"Warum sollten wir? Ich kann nicht ganz nachvollziehen, warum wir nur über genealogische, über rekonstruktive Hängebrücken Zutritt finden werden zum Uterus des sagen wir okzidentalen Rationalismus, warum wir überhaupt Anschluß zu suchen haben an eine Begriffs-, eine Ideen-, eine Produktions- oder auch Praxisgeschichte, auch wenn der Anschluß mit einem vermeintlichen Abschluß in eins zu fallen scheint. Warum antwortgebährende, verantwortliche oder gar logische Bezüglichkeit immer wieder herstellen wollen zwischen verschiedenen Welten, Kulturen, Gedanken, Begriffen, Kontinuitäten und Dissonanzen? Warum Ausscheidung als ein Anwendungsfall von Verschiedenheit denken wollen, und nicht als das, was sie bedeutet, nämlich die logische Bedingung der Ermöglichung des Unterscheidens? Wir denken immer noch so, als könnten wir denken, so wie wir immer noch zufuß gehen, als könnten wir uns bewegen. Wir bedenken immer noch Dinge (Kant, Hegel), Sachverhalte (Wittgenstein), Paradoxien (G.Spencer Brown) und Relationen (Kybernetik) so, als könnte man mit dem Erklären des Beschreibungsmediums im Medium des Beschreibens das, was zu beschreiben ist, klären (Strukturalismus). Kaum hat die Transzendenz ihren Thron verlassen, von dem aus sie Raum, Zeit, Mensch und Gesellschaft einigermaßen in und sei es nur imaginierter Konvergenz hielt, schon nimmt die Kontingenz dort Platz und zelebriert die Forderung, daß jeder Zusammenhang, der sich einer "Verschmelzung", einer Symmetriisierung und damit einer gewissen Unabhängigkeit gegenüber den (systemspezifischen) Kontexten (also Umwelten) verdanken soll, der also eine Art teleologische Notwendigkeit für sich beansprucht, sofort zu beweisen hat, "negierte Kontingenz" zu sein. Kaum sieht sich die formale Logik gezwungen, ihren durch sie mit Schließungsprinzipien versorgten Raum faktisch stattfindender Entscheidungen, Entschließungen und Unterscheidungen zu provinzialisieren (etwa induziert durch die Krise des Repräsentationsparadigmas, durch die Krise der Implementierung menschlichen Denkens auf Maschinen), schon steht eine nicht-Aristotelische Logik (G.Günthers), ein polykontexturaler Weltbegriff (der sog. second order cybernetics) und ein Formen- bzw. Indikatorkalkül (G.Spencer Browns) zur Verfügung, um der "neuen" Aufgabe gerecht zu werden, "Formen zu identifizieren, die auch im Chaotischen noch eine Ordnung erkennen lassen". Kaum läuft die Batterie des Menschenbildes aus, das diesen aus seiner sozioanthropologischen, aus seiner gesellschaftlichen und kommunikativen Wirklichkeit verstand, schon erklären uns Theorien der Biologie der Kognition (allerdings nicht biologistisch), daß der geeignete Flaschenhals für das Selbstverständnis des Menschen der sei, ihn als biologisches Lebewesen zu betrachten (und eben nicht mehr zuvörderst als sozialgeschichtliches), das sich in der Bedeutungswelt seiner kognitiven Konzepte bewegt, die mit der Semantisierung dieser Konzepte in der Sprache sowenig zu tun haben wie die neurophysiologischen Perzepte mit den kognitiven Konzepten, die diese erst bedeuten. Und kaum schwindet die Überzeugung, daß Intersubjektivität die Bedingung für Kommunikation ist, zementiert die Systemtheorie den Umkehrschluß, die Kommunikation sei Bedingung für "Intersubjektivität", mit der Konsequenz, auf die übersubjektiven, quasi das Psychische und das Soziale in einem Dritten überordnenden Sprachstrukturen zu verzichten, aus denen erst soetwas wie eine Einheit oder Identität der Gesellschaft in den praktischen Formen gemeinsamer Öffentlichkeiten herleitbar ist. Man könnte gar, vorausgesetzt, man akzeptiert nicht die Ausbildung geistig-kultureller Lebensweisen als `Evolution` einer in der Naturgeschichte des Menschen angelegten Organisationsform, von einer zweiten Vertreibung (andere würden sagen: einer zweiten Menschwerdung) des Menschen sprechen: nach der Dissoziierung von der Natur, wie sie Horkheimer und Adorno trotz vorhandenen Geschichtspessimismus' doch noch dialektisch einfangen konnten in einer Sichtweise des "Ent-fernens von" (Inhibierendem) und nicht nur in einer Sichtweise des "Entfernens von" (dem 'Anderen' des Menschen), nun die Dissoziierung von den gesellschaftlichen, kultuellen und sprachlichen Räumen, in denen Individuation und Sozialisation, Objektivität und Solidarität, Vielheit und Einheit, Besonderes und das Allgemeine, alter und ego disseminiert werden konnten. Zurück bleibt die Einsamkeit des Menschen nicht nur in der Natur, sondern auch in seinem Selbst, das als Selbst dann wohl doch nur die Gestalt eines Auto-Systems konstituiert. Zurück bleibt das niemals abstreifbare Unbehagen des Menschen an seiner zweiten Haut (die wissenschaftlich-technische Zivilisation) und die damit verbundene Einsicht in den Zwang, sich auf das zu reduzieren, was ihn reduziert: auf die Ver-mittlung der Zwecke von Mitteln, auf die Reduktion von Bedeutung auf Funktion. Zurück bleiben (die Begriffe) Beobachter, strukturelle Kopplung und konsensueller Bereich, die sich im "Innen", das sein Außen verloren hat, einrichten bzw. einstellen und nichts übrig lassen außer einer beobachtungsinvarianten Welt, deren Einheit darin besteht, daß Beobachtungen beobachtet werden können, und nicht darin, was die Beobachtungen in einem Dritten, das Beobachtetete, verbindet. Der Mensch bleibt in seinem Innen draußen aus dem vormals eingeschlossenen Dritten (die Sprache, die Gesellschaft), indem das Dritte nur noch als ausgeschlossenes Drittes eingeschlossen wird. Aber wo ist es eingeschlossen? In der Realität, der Wirklichkeit, der Welt? Wie es aussieht wohl nur in der Autopoiese. Und damit wäre die Selbsterhaltung des Subjekts (die jetzt allerdings unter anderem Namen, nämlich Selbsterschaffung, auftritt), die die kritische Theorie Adornos als die Selbstbewegung des Menschengeschlechts ausmachte und zu denunzieren suchte, perfekt: Bis hinein in die biologisch-kognitiven Ausstattungen des nur noch empirischen Subjekts wäre so evident gemacht, daß jegliche Offenheit, jegliche Interaktion und Kommunikation bis hin zu den ausdifferenzierten Formen verständigungsmotivierter intersubjektiver Kommunikation innerhalb der Welt als Zeichen/Bedeutung (also der sprachlichen) nichts anderes seien denn "Wirkungen" der Bedingungen zur Ermöglichung von Fortsetzbarkeit geschlossener Reproduktion geschlossen bleibender Systeme. Jeglicher Austausch, jeglicher Kontakt, jegliche interaktive und kommunikative Strukturbildung, jegliches Überindividuelle Tun, jegliche Kooperationen, jegliche Verschmelzungen, Vereinigungen oder gar Versöhnungen blieben immer eingebunden in der nur einen Wirklichkeit des sich selbst schaffenden Systems, würden niemals eigene, neue Tableaus schaffen zwischen "Mensch" und Realität, wären also letztlich nur Instrument; nicht auch Instrument, sondern nur Instrument einer ausschließlich biologisch-kognitiven und systemgeschlossenen Grundlegung. In gewisser Weise geht dieses neue, systemtheoretisch und kognitionsbiologisch fundierte Vokabular der Selbstvergewisserung und -verortung des Menschen in der Welt (und nicht mehr in der "Welt") über die Menschenweltbilder eines genetisch fundierten biologischen Fundamentalismus hinaus (wenngleich dessen Hegemoniewerdung erheblich grausamere sozialpolitische Konsequenzen mit sich zöge): Während dessen Austreibung des Menschen aus seiner psychischen, sozialen, kulturellen Haut relativ einfach als Resultat einer geschickten Konfusion von Kausalität und Korrelation zwischen bestimmten Genen und psychosozialen Erscheinungsformen nachgewiesen und ad absurdum geführt werden kann, so besetzt der Radikale Konstruktivismus einen Anspruch auf Erklärung der Bedingungen von Welterkenntnis und Weltwissen in derartig umfassender Weise mit den biologischen Bedingungen der Existenz des Menschen, daß sich jede oppositionelle Erklärung der Bedingungen von Welterkenntnis und Weltwissen etwa anhand der sozialen und kulturellen Daseinsbereiche des Menschen unversehens in ihren eigenen biologisch-kognitiven Voraussetzungen verfangen lassen kann, nimmt sie sich nicht vordringlich der Aufgabe an, dieses biologisch-naturalistische Konzept des Menschenweltbildes seinerseits plausibel als nur im Rahmen diskursiver Erkenntnistheorien bzw. diskursiver Rationalität entscheidbar und der Leitdifferenz wahr/falsch unterstellbar zu kritisieren".
"Sie müssen aber jetzt aufpassen, daß Ihr Absehen von jeglicher Wiederherstellung des sozialen Raumes, der sozialen Zeit und einer sozialen Identität unter Berücksichtigung der Unbegründbarkeit von bis dato teleologisch daherkommenden Zukünften der Freiheit, der Gleichheit, der Solidarität und der gerechten Ordnung nicht dort landet, wo Heidegger mit seiner ontologischen Differenz nur noch Seinsvergessenheit ausmachte; in Ihrem Falle wäre die nicht mehr nur auf das Abendland beschränkt, sondern gälte dann wohl für den gesamten anthropologischen Menschen. Sie hätten das Dasein endlich festgestellt. Die Feststellung, die biologischen Parameter des Menschen seien nicht bloß notwendige Bedingungen für die Schaffung sozialer, historischer und individueller Schnittmengen, Synthesen und Räume, sondern "konstituierten" ebendiese als bloße Emanationen ohne Eigenwert und ohne Transzendenz, als bloße Appendizes und Supplements, konvergierte dann etwa mit der Feststellung des geschichtsphilosophischen Adorno, die gewalttätigen Realabstraktionen der Tauschwertproduktion (also einer historischen Formation) seien letzlich nichts anderes als Emanationen der Gewalt der Gebrauchswertproduktion (also einer anthropologisch konstanten Dimension). Beide wären ein Einstehen für die Überzeugung, daß die Zeit, in der Grenzen bloß durch Logik, Arbeit, Sprache und Zeit gezogen wurden und doch durch diese überschritten werden können, vorbei ist. Die Odyssee des Helden Mensch durch die Zeitgestalten "rationales Tier", "arbeitendes Wesen" und "kommunizierendes Subjekt", zusammengehalten bzw. verdinglicht durch List, Herrschaft und Eigentum, entpuppte sich nicht als Sichtung nach Stützpunkten des Sinns, der Vernunft und des Glücks, sondern als das, was sie war: ein Unterwegs-Sein (P.Sloterdijk) auf den Meeren der Kontingenz (und eingebettet vom Rauschen der Meere), mögen die Deutungen, Unterscheidungen und Erklärungen der Künste und der Wissenschaft auch noch soviele empirische Bedingungen der Möglichkeit dieser "Unentwegtheit" erfolgreich zur "Landung" bringen. Die Deutungen und Erklärungen wären nichts anderes als Anfertigungen von Beschreibungen der Odyssee durch Mitreisende, quasi Auszugsgestalten, die für eine bestimmte Zeit die Permanenz der Operation Reise (oder, moderner gesprochen: der Operation Anschluß) verunsichtbaren, um (semantisch) festzuhalten, was es nur als Unhaltbares gibt. Sie wären nichts anderes als Versuche, im Fallen herauszubekommen, was der Fall ist: der Fall ist dann zwar semantisch der feststehende Fall, empirisch aber nur im Zustande des Fallens. Es gibt keinen Fall des Falls, sondern nur noch Fälle des Fallens. Vergleichbar ist dies mit einer anti-philosophischen Bestimmung des Bewußtseins: Die Einheit des Bewußtseins ist nicht mehr verankert in der letzten, sich selbst transzendierenden Synthese desselben, nämlich dem transzendentalen Subjekt (Kants), sondern die Einheitlichkeit des Bewußtseins besteht in der generellen Verfügbarkeit der Information. Nicht das Ich, sondern die Information konstituiert das Bewußtsein. Erkennen und Empfinden liegen nicht deswegen vor, weil es ein Subjekt gibt, vielmehr ist das Subjekt des Erkennens damit gegeben, daß überhaupt eine Empfindung vorliegt. Die bahnbrechende und das bis spät ins 19.Jahrhundert hinein wirksame Repräsentationsmodell ablösende Erkenntnis der Wissenschaften, es nicht mit der Natur, sondern nur mit unserer Kenntnis der Natur zu tun zu haben, steht nun ihrerseits davor, abgelöst zu werden von der Erkenntnis, daß die Kenntnisse nicht einem in der Realität stehenden Subjekt, sondern ausschließlich der (jeweiligen) Wirklichkeit eines Beobachters "zukommen"; zurück bleibt, als letztes gemeinsames Drittes, nur noch die Operation Beobachtung, eingezwängt in eine rigide zeitliche Sequenz."
"Nun ja, ich weiß nicht, ob ihr implizites Unbehagen implizit nicht wieder einen blinden Aktionismus der Theorie favorisiert, der entweder wie wirr nach neuen Subjekten der Geschichte, der Erkenntnis, der Gattung Mensch, der sozialen Bewegung oder nur gar der Bürgerlichkeit sucht, oder der sich ins Reich des Schattens begibt, um im Verdrängten, Ausgestoßenen und inkommmensurabel Gemachten Anschluß an eine neue Plattform namens Subjekt bzw. Identität versucht. Beides halte ich für Verstärker eines turbulenten Stillstands, für ein Zucken der Glieder im Zustande der Verletzung, die den Schmerz noch nicht voll ausgebildet hat. Wir stehen nach der neolithischen, kopernikanischen, darwinschen, freudschen, nach der linguistischen und soziologischen Entzauberung des Menschen nun mit einem Wissen über seine Stellung in und seine Beziehung zu der Natur, in und zu der Kultur, zu und mit Seinesgleichen und seine Beziehung zu sich da, das seiner eigenen Entzauberung harrt, aber, wohl aus einer noch nicht einsehbaren Finalität heraus, bis jetzt in Ruhe gelassen wurde. Vielleicht ist aber auch der gewohnte Modus der Entzauberung müde bzw. selbstreflexiv geworden. Das Fugenlosmachen bzw. das Fugen-Losmachen in Tateinheit mit der Besetzung leerer Sinn- und Gefügestellen durch Techik und Technologie, also Dekonstruktion des In-der-Welt-Seins und Konstruktion der Welt als die maßgebenden Beschäftigungen des Menschen mit der Welt, scheinen sich schon längst abgekoppelt zu haben von ihrem (metaphysisch gesprochen) agens, der Sorge (als Sein des Daseins), um nun, als "Wirkungen" auf Suche nach ihren Ursachen, richtungs-, visions- und horizontlos ihre durch sie selbst initiierten Prozesse der Beschleunigung, der Verwertung, der Sichtbarmachung und der Vernichtung nicht nur auf den genuin menschlichen Raum loszulassen, sondern mittlerweile den planetarischen mit ins Vernichtungsspiel einzuschliesen. Der Mensch als eingeschlossener auf der Erde schließt diese Erde in sein Spiel mit ein, da er sich aus den Kreisläufen dieser entfernt hat, in denen es kein Anfang und kein Ende gibt, sondern nur verschiedene Stadien der Transformation. Aus solch einer planetarisch-ökologischen Sichtweise wären dann etwa alle Versuche, den Sinn des Menschen durch Interpretation seiner "Abfälle" zu erkunden, hinfällig: Die Stellung des Menschen als einziges Lebenwesen der Erde, das Abfälle produziert, behielte auch durch Rekonstruktion derselben ihre vollständige Alienation. Die Leere, die man spürt, schaut man in Richtung Zukunft oder in Richtung Vergangenheit (für viele, für immer mehr sogar scheint diese Vergangenheit der letzte Halt zu sein), diese Leere nicht nur an alternativen Formen des Zusammenlebens, Zusammenwirtschaftens, Zusammenverkehrens, sondern auch an kollektiver Phantasie, an Imaginationskultur, diese Leere gewinnt mit der Systemtheorie und der Theorie der Kognition ihre erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Fassung: beide gehen aus vom Nichts, aus dem heraus sich etwas selbst schafft, aber auch (bis es stirbt) selbst bleibt. Beide riegeln lebende bzw. kommunizierende Systeme hermetisch ab in ein jeweils als primordial zu verstehendes autopoietisches System der Kognition bzw. der Kommunikation, von wo aus entweder über das Erlangen von strikt eigener Geschichte bestimmter rekursiver Organisationen strukturelle Kopplung mit der Umwelt entsteht, oder über das Erlangen einer eigenen Geschichte bestimmter rekursiver Organisationen der zeitlichen Kopplung von Bewußtsein und Kommunikation soetwas entsteht wie Konsens, Konsens allerdings, der niemals als Identität einer Differenz (von System und System, von System und Umwelt) herhalten kann, sondern imaginäre Institution bleibt: für den einen und für den anderen. Jede Zusammenfassung des einen und des anderen ist eine Zusammenfassung durch eine Beobachtung, die als Beobachtung hermetisch in der Geschlossenheit (aber nicht: Abgeschlossenheit) des einen oder des anderen verbleibt. Was immer auch an Gemeinsamkeiten durch Sprache, durch Bedeutungen, durch Handeln erzeugt werden mag: es bleiben Gemeinsamkeiten, die dem System systemimmanent aneignungsfremd bleiben: "Wahrnehmung und Wahrnehmungsräume spiegeln folglich keinerlei Merkmale der Umwelt, sie spiegeln vielmehr die anatomische und funktionale Organisiation des Nervensystems in seinen Interaktionen". Als Konsequenz dieser Stellungsgabe des Menschen in der Natur und in der Welt verlören bestimmte Begriffe und Metaphern zur Bestimmung des Menschen ihren Halt: das "Du", das "Wir", das Bild des Spiegels (entweder der Natur oder des Selbst), der Begriff der Sozialisation, der des generalisierten Anderen, der der (holzkampschen) "Je-Meinigkeit" als Resultat einer objektiv gesellschaftlichen Wirklichkeit... . Zurück bleiben also, träfen kognitionsbiologische und systemtheoretische Beschreibungen (die als Erklärungen auftreten) des Menschen zu, auf ewig unverbunden bleibende Systeme des Lebens, der Sprache und des Handelns, deren jeweilige Zwecke nur Emanation der Zwecklosigkeit der Autopoiese lebender Systeme wären, also Konstruktionen, die nur im Raum der Beobachtung, nicht aber in "der" Realität wirklich sind".
"Ich bin eigentlich nicht so skeptisch wie Sie. Gewiß, es sind naturwissenschaftlich generierte und codierte Modelle, die sich allmählich als Avantgarde der Reformulierung dessen geben, was man einst Sozialwissenschaft nannte. In gewisser Weise wiederholen wir die Anfangszeit der Aufklärung des 15. und 16.Jahrhunderts, in der die naturwissenschaftliche und auch die technische Revolution die Vorgaben fürs genuin soziale Entwerfen von Modellen machten. Schufen damals jedoch Decartes, Bacon, Locke und der aufkommende Industrialismus erst die semantischen und materialen Voraussetzungen für eine wissenschaftlich-technische Zivilisation, innerhalb derer neue Formen und Interpretationen des Menschen erst ausprobiert werden konnten (bis hin zu Marxens Bild der Industrie als das aufgeschlagene Buch der menschlichen Wesenskräfte), so stehen wir heute vor der Aufgabe, Formen und Interpretationen des Menschen jenseits seiner technologischen Welt zu denken (und zu kreieren): Ein Unterfangen, daß zur Voraussetzung hat, daß sich der Mensch in Distanz zu bringen vermag zu seiner zweckrationalen, zu seiner maschinisierten Zurichtung (etwa der abendländischen Logik), also sich zu befreien wüßte aus seinen Hüllen als Markt-, Waren-, Funktions- und Subjekt-Objekt-Subjekt. Die Frage ist nicht mehr entlang einer neuen Sondierung des Kommensurabelmachens von anthropologischem und technologischem Sein des Menschen zu beantworten, die weiterhin innerhalb der Logik der Dissoziation Assoziation suchte, sondern entlang der Frage Godela Unselds: Maschinenintelligenz oder Menschenphantasie? Menschenphantasie wäre der letzte ernstzunehmende Gegner einer sich technisch und gesellschaftlich ausbreitenden Digitalisierung der sprachlichen und kulturellen Bezüglichkeiten des Menschen, vorausgesetzt, es ließe sich nachweisen, daß die (nun technologisch durch den gesamten anthropologischen Raum hegemonial hindurchgreifen könnende) Digitalisierung als Auslöschung jeder materialen Identität nicht ihrerseits einer bereits durch die Koordinaten subjektiver Selbsterhaltung zurechenbar gemachten Phantasie entsprungen ist.
Dazu müssten bestimmte begriffliche Dyaden oder auch Leitdifferenzen aufgebrochen werden, die bis heute das Selbstverständnis des Menschen und seiner Bezüglichkeiten sowohl koordinieren als auch moderieren, wie etwa Ausnahme/Regel, Zufall/Notwendigkeit, Sinn haben und Sinn machen, Interaktion/Kommunikation, System/Umwelt, Rationalität/Irrationalität, Kultur/Natur, Zweck/Mittel und Selbsterhaltung/Selbstverwirklichung. Aber auch dann bleibt die Frage, ob man mit diesen Unselbstverständlichkeiten der Begriffe, mit dieser nötigen Sichtbarmachung der Blindheit bisheriger Sichtbarmachungsweisen im Handgepäck tatsächlich bis zu den Dimensionen vorankommt, in denen anzusetzen ist, um zu verstehen, was heute in den Menschen, zwischen den Menschen, in und zwischen Kulturen, in den Städten, den Gruppen, den Gesellschaften, den Umwelten und den Zukünften passiert respektive passieren kann. Die Frage ist, ob man mit einer neuen Architektur der Begrifflichkeiten, wie sie etwa bereits der biologische Kognitivismus und die Systemtheorie ausgebildet und sich damit bewußt jenseits einer "alteuropäischen Semantik" in Stellung gebracht haben, das Fugenloswerden wirklich wird verstehen können, ohne wieder neue Gefüge und Gefügigmachungen unterderhand mit auf den Weg zu bringen, die das Fugenlos-Fremde in seinem Fremdsein enteignen: Identifizierung bliebe damit auf einem erweiterten Verhältnisniveau erhalten, Berechenbarkeit weiterhin möglich, nur eingebettet in einem größeren Raum der Unordnung, kurz: Die vor dem Hintergrund der okzidentalen Rationalität logisch erscheinen müssende Beziehung zwischen Begreifen und Ergreifen unter Abspaltung des Loslassens (dieses Loslassen wurde transformiert in ein Einlassen in technische Artefakte, deren Funktion es ist, Ergriffenes auf Dauer in ein Verfügungsverhältnis zu stellen, um Greifen zu können, ohne mehr begreifen zu müssen, um überhaupt dem noch Unbegriffenen seine eigentümliche Maßstäblich- und Wertigkeit zu entreißen und es vollständig am Maßstab der Verfügbarmachung abzugleichen). Man sieht, die Situation eines Denkens, das zwischen Mimesis und Abstraktion, zwischen dem Besonderen und dem Allgemeinen, zwischen Verstehen und Fest-Stellen changiert, um der eigenen Verkettung an das Prinzip Aneignung zu entgehen, läßt sich nicht anders beschreiben als: 'Das Alte geht nicht und das Neue geht auch nicht'.
"Ich bin da nicht so fundamental skeptisch wie Sie. Die Sprache läßt doch immer noch erheblich Raum für Ambivalenz, die wir zur Zeit mehr denn je nötig zu haben scheinen. Sie selbst haben eben doch ein Beispiel gegeben mit dem Fugenloswerden. Ohne jetzt im vorneherein (wenn überhaupt) die Frage nach Subjekt und Objekt zu entscheiden: Aber Sie können schon fragen, ob die Welt fugenlos wird, oder ob sie - endlich, möchte man hinzufügen - die Fugen los wird. Die erste Interpretation evoziert sagen wir traditionelle Kritik, die zweite 'postmoderne' Affirmation. Die erste Sicht klammert wohl noch Verfügen an Vermögen - verstanden als Bedingung zur Ermöglichung von noch nicht vorhandenen Handlungen -, die zweite verbindet die Befreiung aus den Gefügen der Welt mit der nun erst möglichen Verfügung über das Leben, wohlgemerkt das Leben als ein der Existenz sehr nahe gerücktes Dasein, und nicht als artifiziell herzustellendes gesellschaftliches Produkt".
"Und was passiert mit Ihrer Ambivalenz, wenn sich herausstellen sollte, daß das Ungefügigwerden der Welt die letzte, vielleicht am weitesten entwickelte und brillanteste Ausdrucksweise des Gefügig-SEINS von Welt darzustellen trachtet; wenn sich herausstellen sollte, daß etwa kultureller Antitechnologismus, Antiinstitutionalismus, Antirationalismus bloß unter Erlaubnis einer systemtechnologisch rigid gewordenen Welt allerlei Oppositionalismen und Alternativen in die theoretischen und empirischen Lebenswelten hineinstreuen; daß also letztlich die Funktion sich in einem Stadium befindet, in der sie sich im Nichtfunktionieren aller noch technikperipheren Sphären wie Sozialisation, Kultur und "Selbst" nicht bloß manifestiert, sondern wohl schon zu konstituieren ansetzt?"
"Was sie jetzt mit dieser Fragestellung versuchen, ist, jegliche Spuren von Redialektisierung, von Immanenz der Widersprüche zu verwischen, die man, so man nicht endgültig mit dem Herauswurf der Vernunft aus der Geschichte einverstanden ist, an den vielfältigen Fronten eines postmodernen Elends ausfindig machen könnte, das sich nun als Theorie ohne Bewußtsein und ohne Subjekt gestärkt in der Systemtheorie wiederfindet, die nun endlich die "Zumutung" (speziell der Handlungstheorien) eliminiert zu haben glaubt, daß vor ihr ein Begriff des Individuums gewissermaßen nur durch Zeigen auf Menschen expliziert wurde.
Okay, Sie können sagen, daß das Krisenmodell für die Konstituierung des modernen Bewußtseins einen wohl idealen Rahmen abgegeben hat, heute aber, angesichts der weltweiten Entleerung von Dissonanzen, Brüchen, Krisen und Problematisierungen, ja, angesichts der Krise der Krise und des Repräsentationsprinzips (von der Politik bis hin zur Erkenntnistheorie) kaum noch herhalten kann, um der postmodernen "Mein-Gesicht-ist-meine-Maske-Attitüde" eine Korrespondenz zu eröffnen zum Kontinent der ganz normalen modernen Entzweiungen, die erst den Blick freigeben auf einen untergründigen Universalismus, der bisher nur als Totalitarismus einer Vernunft des Subjekts in den Zeiträumen subjektiver, sozialer und objektiver Welten und deren Beziehungen untereinander vertikal hindurchgriff.
Man kann dann hingehen und über die lachen, die noch in der Wirklichkeit einen nicht nur empirischen, sondern auch logischen Unterschied machen wollen zwischen sagen wir libidinaler Ökonomie und einer Ökonomie der Begierde, zwischen Bedürfnis und Begierde, zwischen agonistischen Diskursen und Diskursen über Agonie, zwischen Autonomismus und Autismus, zwischen Vernunft und Mythos, Metadiskurs und Umgangssprache.
Bekanntlich bleibt einem das Lachen im Halse stecken; aber auch das bliebe einem erspart, da ja nicht mehr auszumachen ist, ob über Multicodiertes eindeutig Traurigkeit oder Lustigsein, Nachdenklichkeit oder Zerstreuung, Sinn oder Unsinn, Wirklichkeit oder Fiktion angebracht ist.
Was Sie aber nicht mehr können ist, Ihren Denkhorizont zu erreichen, und das heißt: ihn zu entgrenzen. Auch wenn die Postmoderne, Sektion Philosophie, die zeitgemäße Formgebung der Erfahrung einer äußersten Grenze jener Logik des Zerfalls ist, die schon von Hegel als modern bezeichnet wurde: Wie soll sie je ihre Verunmöglichung einer rationalen Analyse der Zerstörung der Vernunft als Chiffre bedeuten können, die vernünftig, d.h. hier universell und der Totalität verpflichtet, das Ende der Vernunft proklamiert? Einzig möglich bliebe nur noch eine bestimmte epikuräische Attitüde des Abwinkens. 'Die Liebe erregt und ermüdet, das Handeln verzettelt sich und geht fehl, niemand gelangt zum Wissen, und das Denken färbt alles trübe. Besser ist daher, unser Wünschen und Hoffen einzustellen, den vergeblichen Anspruch, die Welt erklären zu wollen und das törichte Vorhaben, zu verbessern und zu regieren, fahren zu lassen. Alles ist nichts oder, wie es in der griechischen Anthologie heißt: Alles kommt aus der Unvernunft, und es ist ein Grieche und also ein rationaler Mensch, der das sagt. Wir werden gleichgültig bleiben für Wahrheit oder Lüge aller Religionen, aller Philosophien, aller umsonst nachprüfbaren Hypothesen, die wir Wissenschaften nennen. Ebensowenig wird uns das Schicksal der sogenannten Menschheit kümmern, das, was sie in ihrer Gesamtheit erleidet oder nicht erleidet.' Wir werden..."
"...Ja, wir werden heiter sterben, ich weiß. Und doch genügt diese Einsicht nicht, wenn man den Zeitpunkt verpasst hat, sich aus dem Leben zurückzuziehen. Es bleibt, und sei es ganz krude gesehen bloß als Ausfluß unseres Mangels an Phantasie, nichts anderes übrig als festzustellen, daß wir noch übrig sind. Wir leben noch zuwenig als daß wir uns schon vom Leben verabschieden oder es hinter uns lassen könnten. Und darüber müssen wir reden. Wir müssen darüber reden, warum wir noch da sind, obwohl wir uns nie verwirklichen werden - nicht im Leben, nicht im Reden, nicht im Selbst und schon gar nicht im Anderen. Wir müssen darüber reden, warum wir den Frieden wollen, obgleich wir die Fähigkeit verloren haben, den Unterschied zwischen Krieg und Frieden zu hören. Wir müssen...- das ist unsere Freiheit."
"Wir müssen, wir müssen - das ist mir zu kryptisch. Sterben? Geschenkt. Leben? Geschenkt. Hoffen, arbeiten, verzweifeln, lieben? Unmögliches machen? Gemachtes verunmöglichen? Paradoxien als aushaltbare zu Boden zwingen? Geschenkt. Den Tod beschwatzen lernen anstatt ihn zu praktizieren? Vielleicht. Vielleicht ist es unsere Aufgabe, den Tod in ein Gespräch zu verwickeln, bis sie uns fragt, ob wir auch noch etwas zu Trinken bestellen wollen, bis sie uns sagt: Oh, heute habe ihre Wahrheit vergessen, mit Fleischermessern eure Schlafzimmer aufzusuchen, bis sie uns fragt: Zu dir oder zu mir? - Freiheit!? Freiheit heißt jetzt Kontingenz, denn wozu noch fragen: Freiheit wovon oder Freiheit zu was? Daß weniger Menschen unnötig sterben? Daß möglichst alle frei sind, über sich zu bestimmen? Selbst nachdenken, selbst sprechen, selbst arbeiten und selbst lieben? Geschenkt, weil zu teuer erkauft. Die Arbeit beginnt im Alten aufs neue. Alles Gegebene wird..". [hier langsam ausblenden]