Tagung   

 

Demokratie, Sozialkapital
und die Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure

Tagungsbericht

Dr. Ansgar Klein, Redaktion Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, Bonn, unter Mitwirkung von Sven Reichardt (für Workshop 1) und Eckhard Priller (für Workshop 3)

Auf einer Tagung im Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin diskutierten 150 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sowie Praktiker aus den Feldern des bürgerschaftlichen Engagements am 28./29. Juni im Wissenschaftszentrum Berlin über sozialhistorische, wissenschaftstheoretische, politische und ökonomische Aspekte der Zivilgesellschaft und des Dritten Sektors.

Der Begriff der Zivilgesellschaft, durchaus recht "schillernd" in ganz unerschiedlichen sozialen Kreisen gebraucht, erfährt seit Ende der achtziger Jahre eine bis dahin ungeahnte Konjunktur. Insbesondere seit den umfassenden Transformationsprozessen in den osteuropäischen Staaten, in deren Kontext Bürgerbewegungen eine große Rolle gespielt und wichtige Impulse gesetzt hatten, ist die Bedeutung zivilgesellschaftlichen Engagements stärker in den Blick sowohl politischer als auch gesellschaftlicher Diskurse geraten und in reformpolitische Debatten eingesickert. Der unscharfe Gebrauch des Terminus Zivilgesellschaft führte zu einer breiten Verwendung sowohl innerhalb politisch linker Kreise als auch bei den Liberalen und den Vertretern des sogenannten "Dritten Weges".

Allein schon diese geradezu phänomenale "Mehrfachverwertung" eines für demokratische Prozesse und Zustände wichtigen Aktionsfeldes war den Tagungsveranstaltern - den Arbeitskreisen "Soziale Bewegungen" und "Verbände" der Deutschen Vereinigung für politische Wissenschaft, dem Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen (FJNSB) und dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) - einen umfassenden Kongress zum Thema wert. Mit der Unterstützung der Bundeszentrale für politische Bildung, der Hans-Böckler-Stiftung , der Otto-Brenner-Stiftung, der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Heinrich-Böll-Stiftung hatten sie zu drei parallel laufenden Workshops mit jeweils drei Panels und insgesamt drei längeren Plenarvorträgen eingeladen. Das Interesse an einer Teilnahme sowie einer aktiven Mitgestaltung am Kongress war enorm. Rund 150 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, aber auch Praktikerinnen und Praktiker aus den verschiedenen Feldern des bürgerschaftlichen Engagements hatten sich eingefunden. Die Workshops boten insgesamt mehr als vierzig Vorträge und Referate zu historischen, theoriegeschichtlichen, politischen und ökonomischen Aspekten der Zivilgesellschaft im Spannungsfeld zwischen Demokratie und staatlicher Instrumentalisierung.

Die Workshops oder "Paralleltagungen" deckten dabei drei große Teildiskursbereiche ab. In einem sozialhistorischen Teil loteten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen Fragen der Wertebasis , der Risiken und Ambivalenzen sowie soziale Ungleichheiten von Zivilgesellschaften aus. Ein weiterer Workshop beschäftigte sich mit dem Zusammenhang zwischen Demokratie und Sozialkapital und mit der politischen und sozialen Integration zivilgesellschaftlicher Akteure. Die in jüngster Zeit heftig diskutierten Arbeiten Robert Putnams standen hier im Vordergrund, insbesondere dessen Konzept des "sozialen Kapitals" im Vergleich etwa zu dem Konzept des "sozialen Kapitals" des vor einigen Monaten verstorbenen, selbst zivilgesellschaftlich sehr engagierten französischen Soziologen Pierre Bourdieus. Sowohl die Initierung einer stärker theoretischen Debatte zur Bestimmung der Beziehungen zwischen der Zivilgesellschaft und dem Dritten Sektor bzw. dem Dritten System als auch eher "praxisbezogene" Diskurse über ihre konkreten Funktionen und Leistungen bot der dritte Workshop dieses Kongresses an.

Die Kernpunkte des sozialhistorischen Diskurses über die Zivilgesellschaft skizzierte der Historiker und Präsident des WZB, Jürgen Kocka, in einem Plenarvortrag. Der Begriff Zivilgesellschaft, so Kocka, reicht bis auf die aristotelische Theorietradition zurück, wurde aber zum ersten Mal in einem breiteren Kontext während der Aufklärung von Thomas Paine, Immanuel Kant, John Locke und anderen analysiert und war zu dieser Zeit im Sinne des "mündigen Bürgers" positiv besetzt. Im späteren 19. Jahrhundert, erfuhr dieser Begriff eine "Verschiebung", in deren Folge die Zivilgesellschaft dem Staat entgegengesetzt und negativ aufgeladen wurde. In der Tradition von Hegel und Marx wurde die "bürgerliche Gesellschaft" als kapitalistische Wirtschaftsgesellschaft Gegenstand der Kritik. In jüngerer Zeit erhielt der Begriff neue Attraktivität für die Bürgerbewegungen Ostmitteleuropas und die neuen sozialen Bewegungen. Dort wurde er als ein Bereich jenseits von Staat und Markt gedacht, der zu ihnen spannungsreiche Bezügre aufweist. Gegenwärtig könne man, so Kocka, dieses Verständnis gerade an dem Spannungsverhältnis zwischen der globalisierungskritischen Bewegung, den Staaten und der Wirtschaft beobachten. Daher sei es auch notwendig, sowohl die normativen, als auch die deskriptiv-analytischen Bedeutungsschichten des Terminus Zivilgesellschaft herauszuarbeiten, sowie bereichslogische und interaktionslogische Kriterien der Zivilgesellschaft zu bestimmen. Wichtige Analysekriterien sieht der Historiker in dem Verhältnis der Zivilgesellschaft zu Staat, Familie und Wirtschaft.

Eine stärkere Ausdiffenzierung der sozialhistorischen Betrachtung nahmen die Historiker Manfred Hettling von der Universität Halle und Thomas Welskopp von der Universität Zürich vor. Sie beschäftigten sich mit den sozialen Trägergruppen der Zivilgesellschaft im Bürgertum und in der Sozialdemokratie. Während Hettling Bürgerlichkeit als Antwort auf den Zusammenbruch der ständischen Ordnung und die mit ihr verbundene gesellschaftlliche Isolierung interpretierte, hob Welskopp die Bedeutung der Zivilgesellschaft in der Arbeiterschaft, vertreten durch die sich herausbildende Sozialdemokratie, hervor. Interessant an dieser Gegenüberstellung ist insbesondere die gegenseitige Verweigerung einer legitimen Inanspruchnahme des Begriffs: Während das Bürgertum der Arbeiterschaft bürgerschaftliche Tugenden absprach, anerkannte im Gegenzug die Arbeiterschaft den bürgerlichen Akteuren keine hinreichende Vertretung des Volkes oder der "Zivilgesellschaft". Allein diese Gegenüberstellung zeigte, mit welcher konzeptionellen Vielfalt und Normativität der Zivilgesellschaftsbegriff historisch aufgeladen wurde.

Mit der Zwischenkriegszeit der US-amerikanischen und der europäischen Zivilgesellschaften befaßten sich die Beiträge von Friedrich Jaeger (Kulturwissenschaftliches Institut Essen), Thomas Mergel (Universität Bochum) und Jürgen Nautz (Universität Kassel). Hiermit wurde eine historische Periode von Zivilgesellschaften behandelt, die gleichermaßen durch ein florierendes Assoziationswesen und eine Integrationskrise gekennzeichnet waren. Dabei wurde ganz unterschiedlich mit der gesellschaftlichen Fragmentierung, Milieubildung oder Versäulung umgegangen. Teilweise wurden, wie etwa in der Weimarer Republik, zu hohe Erwartungen an das politische System gerichtet, teilweise, wie in den USA, wurde das zivilreligiös überhöhte Gemeinwohl zur hegemoniefähigen Integrationsklammer, teilweise konnten, wie in den Niederlanden, staatliche Interventionen die Zivilgesellschaft integrieren. Diese Amivalenzen der Zivilgesellschaft wurden auch am Thema des Klientelismus und der Proteste thematisiert, wobei Dieter Rucht (WZB) die konstruktive Rolle und produktive Funktion von Konflikten und Protesten heraushob.

Im dritten Panel wurde die Rolle von sozialer, geschlechterbezogener und rechtlicher Ungleichheit für Zivilgesellschaften thematisiert. Sowohl Paul Nolte (Inernational University Bremen) als auch Dieter Gosewinkel (FU Berlin) betonen, wie wichtig der Staat zur Sicherung der Zivilgesellschaften ist: Einerseits schützt die wohlfahrtsstaatliche Umverteilung vor zu großer sozialer Ungleichheit und andererseits sichern staatsbürgerliche Rechtsgarantien vor diskriminierender Ausgrenzung. Gunilla Budde (FU Berlin) hob zudem die Bedeutung der Familien als zivilgesellschaftliche Erziehunginstanzen hervor.

Der Plenarvortrag von Detlev Pollack (Europa-Universität Viadrina) bot eine systematische Einführung in das Verhältnis von Demokratie und Zivilgesellschaft. Um die Bedeutung der Zivilgesellschaft für die Demokratie präzise zu erfassen, sei, so Pollack, eine Entnormativierung und analytische Übersetzung des Konzepts erforderlich. Helmut Anheier (London School of Economics) skizzierte in einem weiteren Plenarvortrag anhand empirischer Daten die sprunghafte Entwicklung der internationalen Zivilgesellschaft in den letzten Jahrzehnten. Beeindruckend machen die empirischen Erhebungen deutlich, dass in zunehmendem Maße multipolare Netzwerkstrukturen entstehen und die europäischen NGOs in der internationalen Zivilgesellschaft mittlerweile den aktivsten Part spielen.

Der Workshop 2 des Kongresses "Demokratie und Sozialkapital" konnte auf diesen beiden Plenarvorträgen aufbauen. Er bot eine gute Mischung aus Theorie und Empirie. In einem ersten Panel standen Fragen der internationalen Zivilgesellschaft (Volker Heins, Universität Essen), der Bedeutung einer europäischen Zivilgesellschaft (Achim Hurrelmann, Universität Essen), der kommunalen Demokratie (Alexander Thumfahrt, Universität Erfurt) sowie der "dunklen Seiten" der Zivilgesellschaft - Korruption, Rassismus, Rechtsextremismus (Roland Roth, FH Magdeburg)- im Mittelpunkt. In Panel 2 debattierten die Teilnehmenden über Robert Putnams Begriff des Sozialkapitals in Abgrenzung zu anderen Konzepten und Begriffsbestimmungen, etwa bei Pierre Bourdieu und Niklas Luhmann.

Adalbert Evers von der Universität Gießen kritisierte, dass der us-amerikanische Sozialwissenschaftler Putnam die Wechwelwirkungen zwischen politischen und gesellschaftlichen Institutionen und zivilgesellschaftlichen Assoziationen unterschätzt. Während Putnam immer wieder auf die Bedeutung der Zivilgesellschaft für die Ausbildung des "sozialen Kapitals" hinweist, unterschätze er die Bedeutung demokratischer, beteiligungsoffener, deliberativer und responsiver Institutionen für die Bildung sozialen Kapitals. Demokratie ist aus der Sicht von Evers nicht der Effekt des sozialen Kapitals, sondern in starkem Maße auch dessen Voraussetzung. Als sehr interessant erwies sich auch die Gegenüberstellung der Beiträge von Evers und Kai-Uwe Hellmann von der Fachhochschule Erfurt, der Putnams Konzept unter dem Blickwinkel von Luhmanns systemtheoretischen Ansatz des Systemvertrauens betrachtete und zu dem Schluss kam, dass der Gemeinschaftsbegriff bei Putnam mit einer nicht zu bewältigenden Integrationsleistung überfrachtet werde und somit romantisch-verklärend wirke. Zum Vertrauen, einer der wesentlichen Faktoren des Sozialkapitals, gehöre auch der Aspekt des Misstrauens, der bei Putnam nicht ausreichend miteinbezogen werde.

Den empirischen Teil zu diesem Fragenkomplex ergänzten Jan Delhey vom WZB und Peter Feindt von der Universität Hamburg. Delhey stellte eine großangelegte Studie, die derzeit am WZB durchgeführt wird, vor. Darin geht es um das Sozialvertrauen in insgesamt neun Ländern, das in dieser repräsentativen Euromodul-Umfrage anhand verschiedener individueller und sozialer Theorien und eines standardisierten Fragebogens erhoben wurde. Erste Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass Strategien zur Vertrauensbildung nicht in allen Ländern gleichermaßen angewendet werden können, da einzelne Determinanten von Vertrauen in den Ländern unterschiedliche Wertigkeiten erfahren. So zeigt sich in den postsozialistischen Ländern ein größeres Vertrauen in lokale Zusammenschlüsse als in westeuropäischen Staaten.

Mit den praktischen und politischen Seiten des Sozialkapitals hat sich Peter Feindt (Universität Hamburg) beschäftigt. Er analysierte ein Politiknetzwerk, die Arbeitsgemeinschaft "Soziale Probleme am Hamburger Hauptbahnhof". Innerhalb dieses Netzwerks kam es zu "Tendenzkoalitionen" zwischen sich jeweils näher stehende Akteuren, die einem liberalen Umgang mit Drogenabhängigen eher positiv oder negativ gegenüber standen. Sozialkapitaleffekte zeigten sich zwar innerhalb der jeweiligen Politiknetzwerke, dock kam es nach Außen zu Abgrenzungen und Misstrauen und gegenseitigen Vorwürfen der "Kungelei". Insgesamt machte dieses Panel unterschiedliche Konzepte und Verständnisse des Terminus "Sozialkapital" deutlich und verwies mit den vorgestellten empirischen Studien auch auf den künftigen Bedarf einer differenzierten theoretischen Betrachtung.

In einem dritten Panel des Workshops wurde die Bedeutung des Engagements in ethnischen Gemeinschaften debattiert. Im Mittelpunkt stand die Kontroverse, ob dieses Engagement zu mehr sozialer und politischer Integration oder aber zur Ausbildung von "Parallelgesellschaften" führt. Theoretisch war auch hier das Konzept des Sozialkapitals von zentraler Bedeutung. Die Entwicklung zivilgesellschaftlicher Strukturen in ethnischen Gemeinschaften von Migranten ist, wie die Referenten deutlich machten, entscheidend für die soziale und politische Integration, doch warnten sie auch vor vorschnellen Generalisierungen. Erforderlich seien vielmehr genaue empirische Studien, um Integrations- und Segregationseffekte zivilgesellschaftlicher Strukturbildungen in ethnischen Gemeinschaften kenntlich zu machen. Erfreulicherweise liegen mittlerweile mehrere solcher empirischen Studien vor oder sind derzeit im Gange. Methodische Herangehensweisen und empirische Ergebnisse aus der Forschungswerkstatt präsentierten Jürgen Fijalkowski von der FU Berlin, ein Forschungspionier in diesem Themenfeld in Deutschland, Jean Tillie (Universiteit van Amsterdam), Valentin Rauer (Universität Konstanz), Heiko Geiling (Universität Hannover), Ruud Koopmans (WZB) und Maria Berger (Universiteit van Amsterdam) sowie Claudia Diehl (Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung).

Unter dem Blickwinkel "Zivilgesellschaft" richtete der dritte Workshop seine Schwerpunkte auf die theoretische Fundierung der Konzepte zum Dritten Sektor bzw. zum Dritten System, auf die multiple Funktionslogik der Nonprofit-Organisationen sowie auf die Spezifik von ökonomisch ausgerichteten Projekten in diesem Bereich.

Das Spektrum der im ersten Panel vorgestellten Theorieangebote für den Dritten Sektor erwies sich als recht breit und vielschichtig. Es reichte von der Anknüpfung an die Theorien der Zivilgesellschaft und an vertragstheoretische Überlegungen (Vertrag im Sinne des Rechtsgeschäfts, der Legitimation politischer Herrschaft und als Form der Regelung kooperativer Zusammenarbeit) im Beitrag von Annette Zimmer und Eckhard Priller (Universität Münster bzw. WZB) über zivilgesellschaftliche und wirtschaftstheoretische Ansätze zur theoretischen Fundierung des Dritten Systems bei Karl Birkhölzer (TU Berlin), über ein Konzept der "Solidarität" im Sinne soziologischer Steuerungstheorie als Grundlage des Dritten Sektors bei Holger Backhaus-Maul und Gert Mutz (Universität Halle bzw. Munich Institute for Social Science) bis hin zur "Intermediarität" als theoretisches Paradigma für den Dritten Sektor bei Rudolph Bauer (Universität Bremen). Im Ergebnis des Panels lässt sich konstatieren, dass trotz der in den Beiträgen vorgestellten unterschiedlichen Ansätze weiterhin Defizite in der theoretischen Diskussion vorhanden sind. Es blieb offen, ob es durch die Erweiterung des Blickwinkels in Richtung der Zivilgesellschaftsdebatte eine "große" Theorie des Dritten Sektors geben kann oder ob die in den letzten 15 Jahren vorgelegten theoretischen Aussagen zu verschiedenen Details dieses Bereichs nicht als ausreichend anzusehen sind.

Der Beitrag von Antonin Wagner (New School University, New York) "Der Dritte Sektor in gesellschaftsvertraglicher Sicht" knüpfte im Panel 2 "Wandel von Funktion und Dynamik von Dritte-Sektor-Organisationen" nahtlos an die Theoriedebatte aus dem ersten Panel an. Im Ergebnis wurde hervorgehoben, dass den Dritte-Sektor-Organisationen im gesellschaftlichen Integrationsprozess auf unterschiedlicher Ebenen spezifische Funktionen zukommen können - auf nationaler Ebene (Dienstleister), auf sub-nationaler Ebene (Integrationsleistungen in der städtischen Lebenswelt und in der assoziativen Demokratie) und auf supra-nationaler Ebene (Konfliktregelung). Der Beitrag von Sebastian Braun (London School of Economics and Political Science) beschäftigte sich ebenfalls mit der Integrationsfunktion von Dritte-Sektor-Organisationen; er differenzierte im Rahmen eines empirischen Forschungskonzepts zwischen drei elementaren Integrationsdimensionen: der Sozialintegration, der Systemintegration und der Integration über sozialstrukturelle Bindungen. Während bislang die Beiträge der beiden Panels weitgehend auf eine Präsentation von Daten verzichteten, standen empirische Analyseergebnisse zur arbeitsmarktpolitischen Funktion des Dritten Sektors auf der Grundlage des IAB-Betriebspanels im Mittelpunkt des Beitrages von Dietmar Dathe/Ernst Kistler (internationales Institut für empirische Sozialökonomie). Neben einer weiteren Zunahme von Arbeitsplätzen zeigten sich weitere Eigenschaften, die den Dritten Sektor arbeitsmarktpolitisch interessant machen - hohe Anteile von Frauen, Älteren, Qualifizierten, starke Aus- und Weiterbildungsaktivitäten sowie verbreitet Arbeitszeitflexibilisierung.

Mit den Schwierigkeiten und Herausforderungen zivilgesellschaftlicher Akteure, ökonomisch tragbare Projekte aufzubauen und zu betreiben, setzte sich das letzte Panel des dritten Workshops des Kongresses auseinander. U.a. stellte hier stellte Mel Evans von der Middlesex University in London ein transnationales Forschungsprojekt, das Conscise-Project, vor, in dem versucht wird, Unternehmen und Projekten des Dritten Sektors ökonomisch zu begleiten sowie ein Konzept zu entwickeln, in dem Sozialkapital, soziale Unternehmen und soziale Ökonomie zusammengebracht werden. Sozialkapital sei, betonte Evans, eine wichtige ökonomische Ressource und damit auch Teil der Kapitalbildung. Dieser Zusammenhang müsse einerseits den Akteuren sozialer Unternehmen selbst, andererseits aber auch staatlichen und wissenschaftlichen Stellen verdeutlicht werden. Die Forschung stehe in dieser Hinsicht noch ganz am Anfang, pflichtete auch Kai Birkhölzer von der TU Berlin bei. Im Panel selbst wurden der Ansatz und die Probleme der Sozialökonomie anhand eines Fallbeispiels, der "Werkstatt" in Heidelberg, erörtert. Dieses "Sozialunternehmen" arbeitet einerseits marktorientiert (die "Werkstatt" baut Spielplätze), agiert aber andererseits im gemeinnützigen Bereich, in dem sie schwervermittelbaren Jugendlichen, Langzeitarbeitslosen und Schwerbehinderten Arbeitsplätze bietet.

Über die Schwierigkeiten, aber auch die Erfolge der Unternehmensführung berichtete Ulrike Kalb. Soziale Unternehmen unterliegen dem Nachteil, über keine Kapitaldecke zu verfügen, dadurch schlecht planen zu können, teilweise widersprüchlichen Förderkriterien etwa von Stiftungen und staatlichen Stellen ausgesetzt zu sein und oft mit schwierigerem Personal zurecht kommen zu müssen. Das werde von staatlicher Seite bisher zu wenig in Augenschein genommen, pflichtete auch Lothar Binding, Mitglied des Bundestages und der Enquete-Kommission "Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements", bei, aber auch von den Akteuren selbst oft unterschätzt. Konkrete Ergebnisse wurden in diesem Workshop nicht präsentiert, vielmehr scheint der "Dritte Sektor" in dieser Hinsicht in einem Aufbruch zu stecken, in dessen Verlauf es noch viel theoretisch, praktisch, ökonomisch, sozial und politisch zu bewältigen gibt. Immerhin aber, so Birkhölzer, ist dieser Workshop ein Anfang, denn in der Zusammenstellung von theoretischen, funktionalen und ökonomischen Aspekten zum Dritten Sektor habe eine solche Veranstaltung zum ersten Mal stattgefunden.


Die Ergebnisse der Tagung werden in einem Themenheft des Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen (Verlag Lucius & Lucius) im Frühjahr 2003 dokumentiert.