Tagung 15 Jahre FSNSB    

 

Prof. Dr. Joachim Raschke:
Bewegung, Reform, Protest - Blockaden und Veränderungen

Liebe Freunde und Macher des Forschungsjournals,

„Nichts kommt von selbst, und nur wenig ist von Dauer." Das ist nicht der Spruch eines Bewegungsaktivisten. Das sagte Willy Brandt am Ende eines langen politischen Lebens, 125 Jahre Sozialdemokratie im Rücken. Für Euch, die Erfinder und Macher des Forschungsjournals, gilt es auch. „Nichts kommt von selbst" – das ist präzise die Sprache der Ehrenamtlichen. „Nur wenig ist von Dauer" – auf dem Hintergrund sind 15 Jahre schon eine beeindruckende Zeit. Das ist möglich nur durch Transformationen, zumal wenn – wie bei Euch - der Ausgangspunkt soziale Bewegungen sind. Und über Transformationen muss ich sprechen, wenn ich über Bewegung und Reform etwas sagen soll.

Der Sieg bei der Bundestagswahl am 22. September, sagt Gerhard Schröder seinen Genossen, sei nur ihm zu verdanken. Genauso redet Joschka Fischer gegenüber seinen Parteifreunden. Als Politologen würden wir aber sagen: mehr als anderes war es der späte Sieg der sozialen Bewegungen seit den 60er Jahren. Ohne die Studentenbewegung, vor allem ohne die sich anschließenden neuen sozialen Bewegungen wären Schröder/Fischer nicht erfolgreich gewesen. An der rot-grünen Mehrheit wurde 30 Jahre gearbeitet. Wer nach der Wirkung sozialer Bewegungen fragt, muss sich auf lange Zeiträume einlassen.

Erst seit dem 22. September hat Rot-Grün ein ausdrückliches und verbindliches Mandat. Besser erkennbar wird jetzt auch ihr Fundament aus zwei gesellschaftlichen Mehrheiten: einer ökologisch-kulturellen Mehrheit und einer Mehrheit, die für soziale Gerechtigkeit eintritt – gegen eine dritte, ökonomische Mehrheit, die mit den bürgerlichen Parteien in Opposition gegangen ist. Bei den Landtagswahlen in einer Woche werden wir wohl erleben, wie diese andere, die ökonomische Mehrheit zum Zuge kommt. Wegen der jämmerlichen Performance von Rot-Grün auf genau diesem Feld nach der Bundestagswahl. (Noch bei der Bundestagswahl kam Rot-Grün in Niedersachsen auf 56%, 15 Punkte Vorsprung vor Schwarz-Gelb!) Die zwei Mehrheiten, auf denen Rot-Grün aufbaut, wollen: die offene, wirklich plurale Gesellschaft, die ökologische Mäßigung der Ökonomie, das Beharren auf sozialer Gerechtigkeit auch unter Bedingungen globalisierter Konkurrenz, die Ablehnung von Krieg ohne zwingende menschenrechtliche Gründe. Die Spuren der Bewegungen sind darin erkennbar: der nsB und übrigens auch noch die der älteren, der Arbeiterbewegung, aus denen die SPD hervorging – mit den Wertorientierungen Anti-Krieg und Pro-Gerechtigkeit.

Als Zeitgenosse tappt man im Dunkeln. Karl-Werner Brand und andere schrieben Anfang der 80er Jahre ein Buch, Titel: „Aufbruch in eine andere Gesellschaft". Dem Verlag mit einem Fragezeichen abgeliefert. Aber Verlage wollen Eindeutigkeit, jedenfalls bei den Auflagezahlen. Also wurde das Fragezeichen gestrichen. Die „andere Gesellschaft" – geht man nach den hochgestochenen Absichten der Bewegungsakteure – bleibt natürlich aus. Wenn kaum noch jemand weiß, was die „neuen sozialen Bewegungen" (die nsB, wie das Fach sagt) einmal waren, erst dann tritt deren machtpolitisch wichtigste Wirkung ein. Ich werde Spätwirkung und Transformationen dieser Bewegungsinputs zum Ausgangspunkt nehmen für Überlegungen, die dann zu Chancen und Grenzen von Reformpolitik und zu Fragen einer blockierten Republik führen.

Damit umgehe ich Spekulationen über die Zukunft der vielleicht ersten eigenständigen Bewegung nach den nsB, die globalisierungskritische Bewegung. Zwar war die 68er Studentenbewegung die erste globalisierte Bewegung in der Geschichte moderner Sozialbewegungen, die ungefähr zeitgleich fast weltweit auftrat. Aber die heutige Bewegung macht Globalisierung selbst erstmals zum kritischen Thema und sie agiert erstmals als globalisierter Akteur. Für die nsB- Forscher endlich mal wieder eine Bewegung, die sich noch bewegt. Bei der alles offen ist. Als empirisch-analytischer Zeitgenosse weiß man nur wenig über die Zukunft. Aber man kann erzählen und analysieren, wie es der Vorläuferbewegung ergangen ist. Vielleicht lässt sich daraus ja etwas lernen über die Wirkungsweise dieses neuen Typs postindustrieller Bewegungen, mit dem wir es spätestens seit den 1960er Jahren zu tun haben.

Es ist nicht einfach, Genaueres zur Wirkung sozialer Bewegungen zu sagen. Und die Wissenschaft hat die Frage, was dabei letztlich herauskommt, bisher weitgehend umgangen. Einen Pfad für die Wirkungsgeschichte sozialer Bewegungen weisen die Alterskohorten. Erstmals 1972 schlug die Schubkraft der 68er zu Buche: damals wählten 55 Prozent der 18- bis 24-jährigen die SPD. Viele von ihnen zugleich Willy- und APO-Wähler. Das waren fast 20 Prozent mehr als die Union bei den Jungwählern erreichte, 8 Prozent mehr als die sozialdemokratische Wählerschaft insgesamt. Der kurze Weg der Bewegung führte zur SPD.

In den 80er Jahren wandten sich die von den nsB Inspirierten den Grünen zu. Die holte bei den unter 35-jährigen zweistellige Erfolge. Die abflachende Erfolgskurve der Grünen bei den Jüngeren in den 90ern ist auch Ausdruck nachlassender Mobilisierung der nsB seit der zweiten Hälfte der 80er Jahre. Die Wahrscheinlichkeit, dass Jungwähler ihre erste Parteipräferenz beibehalten, ist generell sehr groß. Das erklärt, dass Rot-Grün heute in allen Altersgruppen bis 60 die Mehrheit stellt. Am meisten bei den 35-50jährigen, deren Generationen durch Bewegungen geprägt wurden. Erst die Kumulation solcher Generationen über einen längeren Zeitraum schafft eine neue Mehrheit. Das „Ergrauen" der Grünen ist – so gesehen - kein Schwächezeichen, sondern eine Bedingung für die Spätwirkung der nsB.

Ein zweiter Ursachenfaktor für rot-grüne Mehrheiten ist der postmaterielle Wertewandel. Im Zeitverlauf zeigt sich eine parallele Entwicklung zum Auf und Ab der nsB: ansteigend in den 70ern, Höhepunkte erreichend in den 80ern, abflachend in den 90ern, als Brot-und-Butter-Fragen auf dem Hintergrund von Massenarbeitslosigkeit wieder dominierten und zum Beispiel Umweltschutz aus der politischen Agenda weitgehend verschwand. Postmaterieller Wertwandel ist zwar zu erklären durch längere Phasen materieller und physischer Sicherheit und ist deshalb in prosperierenden Gesellschaften ein verbreitetes Phänomen. Starke Bewegungen – wie in Deutschland – tragen aber zusätzlich zu seiner Stärkung bei. Nur relevante Bewegungen schaffen die Intensität öffentlicher Konflikte, die es braucht, um politisch geprägte Generationen hervorzubringen. Dies hat 20 Jahre lang, zwischen Ende der 60er und Ende der 80er Jahre, stattgefunden. Und das ist heute die Kernwählerschaft von Rot-Grün.

Die Logik der postindustriellen Bewegungen ist doppelpolig. Sie ist zugleich auf Politik- und Gesellschaftswandel gerichtet. Wertwandel, Selbstveränderung, revidierte Lebenspraxis in der Gesellschaft, Einfluss- und Machtgewinn im politischen System. Am Anfang läuft alles durcheinander, mit der Zeit aber sind Differenzierungen notwendig, weil insbesondere das politische System über eine – machtgestützte – Speziallogik verfügt. Trotz aller Durchmischungen drängen sich Unterscheidungen in macht- und kulturorientierte Bewegungen auf. Die Friedensbewegung beispielsweise operiert eher staatszentriert, weil zur unmittelbaren Erreichung ihrer Ziele die staatliche Militär- und Außenpolitik geändert werden müsste, die Frauenbewegung orientiert sich stärker auf sozio-kulturelle Veränderungen, weil wichtige ihrer Ziele nicht durch Gesetzesänderung erreicht werden können. Das Strategieproblem stellt sich für Bewegungen am stärksten dort, wo macht- und strategieorientierte Akteure das Feld bestimmen, im ausdifferenzierten politischen System. Dazu gleich.

Zunächst zum Pfad, den kulturorientierte Bewegungen nehmen. Die antiautoritäre Studentenbewegung hatte einen kurzen Sommer von gut zwei Jahren, vollgepackt mit politischen Absichtserklärungen und Aktivismus. Es war leicht, sie hinterher besser zu verstehen als sie selbst sich verstehen konnte. Von ihren Hauptakteuren als hochpolitisch-machtorientiert deklariert, hatte sie ihre wichtigste Wirkung als kulturorientierte Bewegung.

Die Initialzündung wurde durch eine Verbindung von alternativem Praxisbeispiel und Konflikt ausgelöst. Ich greife nur ein Beispiel heraus. Ende der 60er Jahre, einige wenige Kinderläden hier in Berlin, eine provozierende Störung deutscher Ordnungsvorstellungen, es kommt zu breiten Debatten über anti-autoritäre Kindererziehung (ein Begriff, der 1972 70% der Bevölkerung geläufig war, 45% dafür) – ein paar Dutzend Akteure mit einer kulturrevolutionären Wirkung. Gefragt nach ihren Erziehungszielen hatten die Menschen jahrzehntelang der Antwort „Selbständigkeit und freier Wille" einen niedrigen Stellenwert gegeben. In drei Jahren sprang die Zustimmungsrate von 31% auf 45% (1969) – das ist bei Wertfragen wirklich sensationell. Seit den 70er Jahren ist dies der klare Mehrheitswert, „Gehorsam und Unterordnung" wollte niemand mehr.

Die Millimeterarbeit des alltäglichen Feminismus, die Ökologisierung des Alltags, die gesellschaftliche Legitimierung gleichgeschlechtlicher Lebensformen lange bevor daraus ein Gesetz wurde, Formen kritischen Konsums... Der Wandel am Staat vorbei ist eine höchst effektive Wirkungsweise der postindustriellen Bewegungen, gerade wegen ihrer beträchtlichen kulturorientierten Anteile.

Allerdings kommt es auch auf dieser Ebene mit der Zeit zu Abschwächungen und Kompromissbildungen. Institutionalisierung hebt zwar die Bewegungen nicht auf, verringert aber ihre Dynamik. Kooperation wird wichtiger als Konflikt. Auch der postmaterielle Wertwandel selbst wandert, durch Abschwächung, vom Rand in die Mitte der Gesellschaft, wie zuletzt die Shell-Studie 2002 gezeigt hat. Wertsynthesen mit ökonomischen Eigeninteressen werden stärker seit den 90er Jahren, aber der Postmaterialismus behält seinen Einfluss auf das gesellschaftliche Wertprofil.

Der kulturorientierte Wärmestrom der Bewegungen stärkt die Zivilgesellschaft. Gleichzeitig forciert er die Entkopplung und Entfremdung zwischen Zivilgesellschaft und politischem System. Zivilgesellschaft wirkt weder subversiv noch konformistisch gegenüber der organisierten Politik, sie geht ihren eigenen Weg. Klammer bleiben die nach wie vor hohe Wahlbeteiligung und gemeinsame Wertbezüge. Im übrigen verstehen sich Zivilgesellschaft und Politik immer weniger. Die gesellschaftliche Praxis der einen wird nicht Politik genannt, die etablierte Politik dagegen überzeugt die Bürger immer weniger. Konsequenz ist eine Doppelstrategie der Bürger, die in beachtlichem Umfang aktiv sind, sich aber aus den Organisationen des politischen Systems, den Parteien und Verbänden, zurückziehen. Auf der anderen Seite eine Doppelstrategie der etablierten Politik, die ihre umstrittenen Problemlösungen verschwinden lässt hinter Personalisierungs- und Kommunikationsstrategien.

Längerfristig und bei linearer Entwicklung ist in der Entkopplung von politisierter Zivilgesellschaft und politischem System ein Krisenpotential angelegt. Die berufsmäßigen Politikakteure, die ihre Mehrheit früheren Bewegungsmobilisierungen verdanken, sind bewegungsvergessen. Eine wesentliche Leistung zur Unterstützung von Bürgerengagement ist der rot-grünen Bundesregierung nicht zuzuschreiben. Sie reklamiert die Bürgergesellschaft für sich und nutzt sie für sozialpolitische Entlastungsstrategien, sie selbst hat aber kein wirkliches Förderungsprogramm für eine „aktive Gesellschaft".

Zurück zum Pfad machtorientierter Bewegungen. Das Geheimnis des späten rot- grünen Erfolgs der Bewegungen heißt Konflikt und Transformation. Zuerst sind es die produktiven Konflikte. Es müssen natürlich die richtigen Themen sein, Themen mit lebensweltlicher Präsenz und dem Potential, in die ganze Gesellschaft zu reichen. Dazu gehört aber auch die breitere Mobilisierung gegen ein nicht nur verständnisvolles, sondern auch repressives Establishment.

Neben den Konflikten braucht es für den Erfolg Transformationsstrategien. An der Transformation wird von zwei Enden gearbeitet: von pragmatischen Bewegungsakteuren, die sich stärker auf die Bedingungen des politischen Systems einlassen, um Bewegungsziele durchzusetzen, am anderen Ende von innovativen, etablierten Politikakteuren, die ihre Macht im politischen System mit Hilfe der Bewegungen verbreitern wollen.

Man kann solche Tranformations-Akteure benennen: Bewegungsorganisationen, die in den Grenzbereich zu Pressure-groups hineinwachsen (z.B. BUND). Oppositionsgruppen in etablierten Parteien (Beispiel: SPD-Linke). Parteiführer von im Wertehaushalt verwandten Parteien, die eine strategische Öffnung zu den Bewegungen betreiben (z.B. Willy Brandts Einladung an die APO, später an die Friedensbewegung). Schließlich eine neu gegründete Partei (wie die Grünen). Da die neuen Bewegungen ohne Zentrale sind, gibt es auch keine Möglichkeit zu einer vereinheitlichten Strategie. Aktivisten und Sympathisanten der Bewegungen gehen deshalb auf eigene Faust alle diese unterschiedlichen Wege in das politische System. Revisionismus in Permanenz ist einer der Preise für erfolgreiche Transformation. Die Grünen, wenn man sie als typisches Beispiel heranzieht, sind als Gegner – unter anderem - von Kapitalismus, Industrialismus, Repräsentativdemokratie, staatlichem Gewaltmonopol, Militär (und vielem anderem) gestartet. Heute würden sie all diese Strukturen schützen gegen Versuche, sie abzuschaffen.

Ohne eigene Partei kann ich mir eine längerfristigen Interventionsversuch starker Bewegungen immer noch nicht vorstellen. Die „Bewegungspartei" stabilisiert sonst flüchtige, mit den Bewegungen verbundene Potentiale. Vor allem verbreitert sie die Mobilisierungsbasis, arbeitet an Bündnissen und schafft Durchsetzungschancen - auch durch Verdünnung der Bewegungsziele. Sie verrät die Bewegungen, um zu retten, was von ihnen zu retten ist.

Transformation erfolgt in Schritten von der Bewegungspartei über die parlamentarische Oppositions- zur Regierungspartei. Allerdings sind es andere Personen, die sich dabei durchsetzen. Authentische Bewegungseliten, die anfangs noch die Grünen bestimmten, wurden verdrängt von politischen Machteliten. Dabei hatten Vertreter dezidiert machtorientierter Bewegungsorganisationen einen besonderen Vorteil. Noch heute, 30 Jahre später, kommen von den sieben Spitzenvertretern der Grünen fünf aus dem Bereich der K-Gruppen bzw. des Frankfurter „Revolutionären Kampfes".

Trotz aller Anreize für Transformationsstrategien, immer gibt es auch Kräfte, die die Autonomie der Bewegungen hochhalten. Sie am ehesten verfolgen die ursprüngliche Bewegungsstrategie, Konfliktmobilisierung und Aufbau externen Drucks. Je stärker allerdings Transformationsakteure innerhalb des politischen Systems am Werke sind, desto dringender wird auch für Bewegungsakteure eine bündnispolitische Orientierung. Mit der Zeit verschiebt sich der Schwerpunkt auch bei den Bewegungen in Richtung auf Kooperations- und Verhandlungsstrategien.

Der richtige Schritt zur richtigen Zeit ist auch hier Ausdruck klugen strategischen Handelns. Fast hätte man schon 1966 eine neue Partei gegründet, sie wäre erbärmlich gescheitert. Wütend über die Bildung der Großen Koalition in Bonn kamen am 29. November 1966 hier in der Nähe, in der Neuköllner „Neuen Welt", mehr als tausend enttäuschte SPD-Linke, Falken, Gewerkschafter, aber auch viele Akteure aus der frühen Studentenbewegung um Rudi Dutschke zusammen. Man war kurz davor, eine neue USPD zu gründen, um der SPD von links Beine zu machen. Es blieb beim Plan. Dutschke versprach sich mehr von einer unkonventionell operierenden, autonomen außerparlamentarischen Opposition. Die sozialdemokratische Linke wollte sich doch nicht von der Partei trennen. Noch hatte der Postmaterialismus nicht seine kritische Masse erreicht, die Bewegungsbasis war noch schmal, das Linkssozialistische war ein altes Thema – all das hatte sich geändert, als man in den späten 70er Jahren an die Bildung grüner und alternativer Listen, dann auch der grünen Partei ging. Die Ahnung, dass man auch eine Partei zur Intervention in das politische System braucht, war schon 1966 richtig. Aber es stimmt: die Situation muss reif dafür sein. 1980 war sie es.

Bewegungen sind der Rohstoff von Politik. Erst durch Bearbeitung kann die für die gesamte Gesellschaft verträgliche Produktivkraft einer Bewegung entfaltet werden. 1:1-Umsetzungen von Bewegungszielen sind selten wünschenswert. Manchmal müssen schon die Themen der Bewegungen übersetzt werden. Was war denn das Thema der 68er Studentenbewegung? Nun endlich der wahre Sozialismus – davon sprachen die Hauptakteure vom SDS. Das Rätesystem– Sie wissen, dass Christian Semler, Rabehl, Dutschke 1968 wirklich glaubten, kurz vor dem politischen Zusammenbruch Westberlins und vor der Einführung der Räterepublik - zunächst mal auf Berliner Boden! - zu stehen. Willy Brandt hat sich mit solchen Neuinszenierungen aus dem sozialistischen Fundus nicht aufgehalten. Er hat von sich aus „Demokratisierung" als den Hauptnenner der gesellschaftlichen Bewegung definiert: „Mehr Demokratie wagen". Das war seine Transformationsleistung, angesichts reichlich diffuser Motive gerade der außerparlamentarischen Opposition. Übrigens nicht in direkter Auseinandersetzung mit der APO, sondern nach der Lektüre eines Aufsatzes über Demokratisierung in der konservativen Zeitschrift „Die Politische Meinung". Dort fand er die These, Demokratie sei nicht ausweitbar, sie sei ebenso wenig in Gefängnissen wie in Betrieben möglich. Autor war Bruno Heck, damaliger Generalsekretär der CDU.

Man kann es auch an einem aktuellen Thema sagen: der Irakfrage. Von einer 1:1- Umsetzung der Ziele der Friedensbewegung durch die rot-grüne Bundesregierung kann überhaupt nicht die Rede sein. Es ist natürlich keine pazifistische Position, kein Regierungs-Pazifismus, sondern eine mit den konkreten Folgen in diesem spezifischen Fall argumentierende, bedingte Ablehnung der Regierung. In anderen Fällen wird auch eine rot-grüne Regierung sich wieder an einem Krieg beteiligen. Es ist eine Position, die – so kann man hoffen – im Kern hart, die aber jetzt schon an den Rändern weich ist (Überflugsrechte, Awacs-Debatte und vieles andere. Man könnte sogar sagen: Die Position ist gleich weit von den Amerikanern wie von der Friedensbewegung entfernt. Und dennoch: Es gäbe selbst diese Form des Nein nicht ohne eine kumulative Geschichte von Friedensbewegungen in Deutschland.

Die Bewegungen haben Rot-Grün gemacht, aber was macht Rot-Grün mit seiner Mehrheit? Konflikt und Transformation waren das Geheimnis des Erfolgs, aber was ist der Schlüssel für Reform? Was bedeutet es für eine Regierung, wenn sie ihren Stammbaum auch auf soziale Bewegungen zurückführen kann? Es gibt ihr Unterstützung – das haben wir gesehen – die nicht nur aus Treibsand, sondern einem gemeinsamen Werthorizont besteht. Es liefert ihr zwei, drei Themen. Und es befrachtet sie mit eher hohen Erwartungen. Aber sonst?

Die feste Überzeugung der 70er Jahre, dass eine Reformregierung nur unter dem Druck sozialer Bewegungen erfolgreich sein könne, war eine Verkürzung, um nicht zu sagen, sie war falsch. Die Variation von Reform und Bewegung ist viel größer. Es gibt ohne soziale Bewegungen erfolgreiche Reformpolitik, und unter dem Druck starker sozialer Bewegungen stehende Regierungen, wie die von 1918/19, können scheitern.

Soziale Bewegungen können günstige Voraussetzungen der Reform schaffen, für die Durchsetzung von Reformen bieten sie meist wenig Hilfe. Selbst wenn man, scheinbar bescheiden, nur „Definitionsmacht" als die wichtigste Wirkungsebene sozialer Bewegungen betont, bleibt offen, wieweit ihnen damit Problemdeutung, Problemlösung oder doch vorzugsweise nur die Thematisierung eines Problems gelingt. Der Atomausstieg ist ein Beispiel dafür, dass es eine Bewegung schafft, Begründungen für das Thema, aber nicht die Kriterien für die Behandlung oder gar die Lösung des Problems durchzusetzen. Von der Atomenergie als (Über- )Lebensfrage mit möglichst kurzen Ausstiegsfristen zu einem „entschädigungsfreien" Ausstieg über sehr lange Zeiträume führt, bei Lichte besehen, keine Brücke.

So ungewiss also der Wirkungsradius, so offenkundig ist das negative Erbe sozialer Bewegungen für die aus ihnen – in langen Zeitketten – hervorgehenden Regierungen. Struktur-, Orientierungs- und Kommunikationsprobleme der Grünen haben hier ihre Wurzel. Noch Jahrzehnte später schwächen sie beim Regieren. Über die Grünen weiß jede und jeder Bescheid in diesem Raum. Das ist alles richtig, was Sie wissen... Dem ist nichts hinzuzufügen.

Schließlich könnten auch Ambivalenzen rot-grüner Führungsstile auf Bewegungen zurückgeführt werden. Sozialdarwinismus unter Altersgleichen, Situationismus, Überredungsrhetorik wären solche Beispiele. Robustheit und Glaubwürdigkeitsdefizite gehen dabei Hand in Hand. Ein weites Feld. (Aber dies ist ein „Festvortrag", wie ich im Programm gesehen habe, da wird keine schmutzige Wäsche gewaschen.)

Das alles war noch der Blick zurück, auf den positiven und den negativen Input von Bewegungen für Reformregierungen. Beim Blick nach vorn, auf die ganze Gesellschaft, die durch die Reformregierung verändert werden soll, wechseln – für Akteure, die aus Bewegungen kommen - erst einmal die relevanten Referenzpunkte. Bewegungen verlieren an Bedeutung bis hin zur Irrelevanz. Wie eng das aktive Bewegungssegment war, wird erst jetzt klar.

Aus der Bewegungsperspektive erscheinen die Herrschenden als die Leute mit dem falschen Bewusstsein und dem schlechten Willen, unfähig, richtig zu regieren. Später lernt man, dass die Bundesrepublik, schon aus institutionellen Gründen, ein Land mit geringer Reichweite der Reformpolitik ist. Immer schon und ganz unabhängig von sozialen Bewegungen oder Rot-Grün. Ein „Staat der großen Koalition", wie Manfred Schmidt analysiert hat, ein „halb-souveräner Staat", so Peter Katzenstein. Immer wieder zu Reformen fähig, aber nie zu grundlegenden Veränderungen in einem Zugriff. Der deutsche Reformweg heißt: kleine bis mittlere Reformen über längere Zeit.

Nichts hat sich seit 1998 geändert am parteipolitisierten Föderalismus, an der Bremswirkung des Verfassungsgerichts, am Einspruch der Pressure-groups, an der Terminstreuung von Landtagswahlen, am Widerspruch zwischen verschärfter Parteienkonkurrenz- und unausweichlicher Verhandlungsdemokratie, an den heterogenen Großparteien oder am Zwang zu Koalitionsregierungen. Gegner und Verbündete haben gewechselt, aber die Reformen bremsende Grundstruktur ist die gleiche geblieben.

Auch nicht neu, aber deutlich verstärkt wirken drei machtpolitische Rahmenbedingungen: das Gleichgewicht der parteipolitischen Lager, die neue Beweglichkeit unverändert sozialstaatlich orientierter Wähler und die Medien- Jagd, die überwiegend hinter dem neoliberalen Banner herläuft. Diese Bedingungen machen das Regieren zusätzlich schwerer, aber sie sind legitimer, demokratischer Strukturwandel, mit dem man leben muss.

Theoretisch könnte eine Verfassungsreform, die vor allem den machtbremsenden Verflechtungs-Föderalismus und die ihn begleitende Finanzordnung verändern würde, auch zu einem größeren Spielraum der Bundespolitik führen. Eine grundlegende Reform des Föderalismus ist aber nur in einer Konstellation denkbar, wo es keine große Oppositionspartei mehr gibt, die das Eigeninteresse verfolgt, über den Bundesrat mitzuregieren oder zu blockieren. Diese Konstellation heißt große Koalition. Der „Staat der großen Koalition" könnte nur durch eine große Koalition abgeschafft werden. Die ist nicht in Sicht, solange Rot-Grün seine Chance nutzt.

Rot-Grün, das bedeutet das auch, kann mit der eigenen Mehrheit an den Rahmenbedingungen seines Regierens nichts, jedenfalls nicht viel ändern. Also müssen, das ist die nächste Konsequenz, seine Akteure in besonderem Maße „will and skill", politischen Willen und strategisches Geschick entwickeln, um innerhalb dieser Strukturen erfolgreich Reformpolitik zu betreiben. Erfolgreiche Reformpolitik heißt in Deutschland: besonders intelligente Steuerung und besonderes Maß an Beharrlichkeit. Beides gehört bisher nicht zu den Markenzeichen von Rot-Grün.

Nun gibt es in der öffentlichen Debatte eine zuspitzende Kritik an struktureller Reformschwäche. Sie drückt sich aus in der Formel „blockierte Republik". Dies ist die Neuauflage der „Unregierbarkeitsdebatte" Ende der 70er Jahre, die damals die Ernüchterung nach der Reformphase 1966-1974 aufarbeiten sollte. Seinerzeit konnte man eine konservative von einer progressiven Variante unterscheiden. Diesmal gibt es keine Blockade-Theorie von links. Im politischen Diskurs ist „blockierte Republik" heute vor allem eine Antreiberformel des Neoliberalismus.

Tatsächlich haben jeweils andere Akteure ökologische, soziale oder wirtschaftliche Reformen betrieben oder blockiert. „Blockade" bezeichnet keinen „objektiven" Diskurs, sondern – in eigener Unschuld - immer den Vorwurf an andere. Deshalb muss man fragen: welche Blockierung? Wer blockiert wo und warum? Das heißt: welche Agenda, welche Akteure, welche Interessen?

Die verschiedenen Politikfelder zeigen unterschiedliche Reform- und Blockadeprofile. Seit den ersten Gesetzen der rot-grünen Regierung Anfang 1999 standen keine „sozialen" Reformen mehr auf der Tagesordnung. Das heißt proaktive Sozialreformen, die mit dem Ziel initiiert werden, mehr soziale Gerechtigkeit herzustellen. Solche Reformen sind schon allein durch das bürgerliche Lager blockiert. Es galt die „Berücksichtigung", nicht das Forcieren sozialer Gesichtspunkte. Also die reaktive Sozialreform. Die beansprucht, unter den Bedingungen der Globalisierung vom Sozialstaat zu retten, was zu retten ist. Soziale Gerechtigkeit ist für Rot-Grün kein Projekt, sondern ein Korrektiv. Diese Anspruchsminderung muss man bei aller Rhetorik der Akteure im Auge behalten. Sie ist zugleich das Minimum, das eine Regierung der sozialen Mehrheit nicht unterschreiten darf, will sie nicht ihre gesellschaftliche Basis verlieren.

Bei den ökologischen und kulturellen Reformen wurden die durchsetzbaren, genuinen Themen der Grünen in der ersten Periode abgehandelt. Diese Reformen hatten Themenbezug auf die nsB: Atomausstieg, Umwelt-, Zuwanderungs-, gleichgeschlechtliche Partnerschafts-Reformen. Dem deutschen Politikmuster entsprechend, waren es Reformen mit geringer Eingriffstiefe. Bremser waren die Industrie, insbesondere die Atomindustrie, die Union sowie Schröder und Schily. Dabei haben die Grünen Konzessionen gemacht, blockiert haben hier andere (ohne dass es hier so genannt wurde).

Größere Projekte auf den ökologisch-kulturellen Politikfeldern stehen in der zweiten rot-grünen Periode nicht an. Dennoch war eine Verlängerung des rot-grünen Mandats gerade für diese Bereiche notwendig. Bei einem Machtwechsel hätte es ein Roll-back gegeben (beim Zuwanderungsgesetz ist es jetzt noch möglich). Zum andern ist eine größere Reformtiefe nur zu erreichen durch Verstetigung (vor allem der ökologischen Reformen und der Energiepolitik) und durch Erweiterung des Begonnenen (Beispiele: Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen, wirtschaftlicher Verbraucherschutz). Nur so ist diese Reformlinie zu sichern und zu vertiefen Die Weichen sind gestellt, der Zug muss rollen. Nur wenn er lange genug rollt, gibt es Annäherungen an das Ziel.

Die Zukunft von Rot-Grün entscheidet sich nicht bei diesen grün- und ursprünglich bewegungsnahen Themen. Auch ihr Schicksal ist, wieder einmal, die Ökonomie. Die Wettbewerbs- und Wachstumsfähigkeit der Wirtschaft zu steigern, das Beschäftigungs- und die sozialen Sicherungssysteme an die Bedingungen verschärfter Konkurrenz anzupassen, das sind die Hauptaufgaben des zweiten rot- grünen Durchgangs hier in Berlin.

Die anstehenden Reformen sozialer Marktwirtschaft haben einen dualen Charakter. Die Erwartung des Wirtschaftswachstums wird der Union, die Erwartung sozialer Gerechtigkeit der SPD zugeordnet. Allerdings haben auch die Arbeitnehmer, die von sozialen Sicherheitsinteressen bestimmt werden, mehr als eine Option. Sie können mit der Union deren Wachstumsversprechen wählen, wenn sie darin den Schlüssel für materiellen Wohlstand sehen. Das haben bei der letzten Bundestagswahl insbesondere Arbeiter reichlich praktiziert. Die SPD kann größere Teile ihrer Wählerschaft nur gewinnen, wenn sie in deren Augen über hinreichende ökonomische Kompetenz verfügt. Allein soziale Kompetenz ist auf Dauer nicht tragfähig. Sozialstaatsreform und Wirtschaftsbelebung hängen sachlich, aber auch interessenpolitisch zusammen. Nur wenn es der SPD gelingt, mit ihrem Instrumentenkasten wirtschaftliche Dynamik voranzubringen, kann sie auch die Akzeptanz ihrer Klientel beim Umbau der Sozialsysteme gewinnen.

Die herrschende Wirtschaftstheorie dient, interessenpolitisch gesehen, wichtigen Teilen in der Klientel der bürgerlichen Parteien, bei - bestenfalls - ungewissen Effekten für die gesamte Bevölkerung. Schon deshalb kann die Sozialdemokratie sich der neoliberalen Doktrin als Schlüsselkonzept nicht anschließen. Sie muss einen eigenen Mix entwickeln, in dem Effizienzsteigerungen, soziale Symmetrie („sozial ausgewogene Belastungen") und die Verstärkung marktliberaler Instrumente (einschließlich stärkerer Eigenverantwortung) miteinander verbunden sind. Das wird immer hinter der neoliberalen Messlatte weit zurückbleiben, aber immer schon soziale Schutz- und Gewohnheitsinteressen massiv beeinträchtigen. Am „historischen Tiefstand" der Sozialdemokraten, den die Demoskopen derzeit messen, bei gleichzeitig relativ guten Werten für die mitregierenden Grünen, sehen Sie, dass dies in ganz besonderer Weise Probleme der SPD sind.

Es war nicht immer zu sehen, aber zu vermuten, dass die nsB als Bewegungen von Bessergebildeten später auch Besserverdienende hervorbringen würden. Die Wählerschaft der Grünen – das sind heute die Besserverdienenden - stellt die Besonderheit einer zugleich marktorientierten wie solidarischen Trägergruppe dar. Auch dies ist eine Spätwirkung der postindustriellen Bewegungen, in denen das Motiv sozialer Gerechtigkeit seit der Studentenbewegung eine große Rolle spielte. Darin steckt eine Chance für die rot-grüne Reformregierung mit dem Aufgabenprofil ihrer zweiten Phase.

Es gibt eine Reihe von Strategien gegen Blockaden, unterhalb der Verfassungsreform, zum Teil wurden sie auch angewandt. Das Unterlaufen einer drohenden Bundesrats-Blockade durch Aufspalten von Gesetzesprojekten in zustimmungspflichtige und nicht zustimmungspflichtige Teile. Quasi-Plebiszite über Blockaden, zum Beispiel bei Landtagswahlen. Ausnutzen von „windows of opportunity" bzw. Reformfenstern (wie bei der BSE- oder der BfA-Krise). Schließlich die – allerdings aufwendige und ungewisse - Überzeugungsarbeit...

Die wichtigste Strategie der kommenden Jahre aber wird die Kooperation mit den Unionsparteien im Bundesrat auf den ökonomischen Feldern sein. Eine strategische Doppelkoalition liegt im Interesse der Grünen, vorausgesetzt es geht darum, eine Reform von Sozialstaat und Ökonomie ohne neoliberalen Durchmarsch zu ermöglichen und das Zurückdrehen genuin grüner Reformen zu verhindern. Doppelkoalition heißt: Rot-Grün im Bundestag, Rot-Grün-Schwarz im Bundesrat. Die letzte Konsequenz der rot-grünen Regierung, die als Bewegungsderivat verstanden werden kann, heißt also: die Politik des Bewegungsgegners zu übernehmen, um die bewegungs-bezogenen Themen zu sichern. Das ist nur dann zu ertragen, wenn es auf einem anderen Feld geschieht als auf dem der Ökologie und der kulturellen Freiheiten.

Rot-Grün bleibt unter seinen Möglichkeiten, weil die Regierungsfähigkeit auf einer Skala von 0 bis 10 nur einen Wert von, sagen wir, zwischen drei und fünf erreicht. Die Regierbarkeit der deutschen Verhältnisse – „Schwerregierbarkeit" genannt – liegt ebenfalls in der unteren Hälfte einer Regierbarkeits-Skala. Zusammen genommen ist vom Regieren in Deutschland nicht all zu viel zu erwarten. Und das ist auch die Grundeinstellung der Leute. Deswegen bleiben sie immer häufiger bei den Zwischenwahlen zu Hause, schimpfen am meisten über die, die sie gewählt haben, geben – auf Fragen der Demoskopen – die schlechtesten Noten, sind aber bei den Wahlen, auf die es wirklich ankommt – den Bundestagswahlen – wieder zur Stelle. Als Experten des kleineren Übels. Auf allen Seiten.

Schwierige, „schwer regierbare" Verhältnisse erforderten eigentlich eine besondere Regierungskunst. Die Strategiefähigkeit von Rot-Grün aber ist begrenzt, und das liegt nicht zuletzt an dem, der in einer Bundesregierung die Weichen zu stellen hätte: dem Kanzler. Gerhard Schröder hat starke taktische Fähigkeiten, bei weitgehender Abwesenheit strategischer Politikorientierung. Er ist taktischer Situationist und hält ganz einfach nichts von Strategie in der Politik. Weil er sie nicht für möglich hält, sorgt er auch nicht für den Aufbau strategischer Kapazitäten. Der oft beobachtete Zick-Zack-Kurs ist durch ihn auch einer von Rot-Grün. Weil Schröder oft Glück gehabt und weil er wichtige Situationen gemeistert hat, fühlt er sich in seinem situativen, anti-strategischen Politikansatz bestätigt. Damit werden Potentiale verschenkt, wird der Absturz riskiert. Wie nun schon zum dritten Mal in der kurzen Geschichte von Rot-Grün. Nicht immer schickt ein gnädiger Deus ex machina Flut und Krieg.

„Blockierung" klingt schlechter als „checks and balances". Aber eigentlich ginge es um Gegen- und Gleichgewichte gegenüber einer modernen Gesellschaft, die immer in Gefahr ist, ihre Balance zu verlieren. Die Behebung von Störungen des gesamtgesellschaftlichen Gleichgewichts – das wäre die positiv gewendete Idee von Blockierung. Die Rolle ist noch unbesetzt. Auf Grund ihrer sozialen und normativen Voraussetzungen wären die Grünen für die Aufgaben einer modernisierungskritischen, zwischen den Polen vermittelnden linken Mitte prädestiniert wie sonst niemand. Auch dies ein Versuch, die nsB wenn nicht besser, so doch anders zu verstehen als sie sich selbst. Das Ende der Transformationen ist noch nicht erreicht.