Gerhard Mester und das Forschungsjournal    

 

Meister der Zuspitzung
Gerhard Mester ("Klinge") zum 50. Geburtstag

Der Westerwälder Gerhard Mester ist dem "Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen" seit Gründung eng verbunden.
Kennen gelernt haben wir uns in der legendären Wohngemeinschaft "T 66" (Taunusstraße 66) in Wiesbaden - über den gemeinsamen Freund und Journalmitbegründer Thomas Leif. In diese WG war Gerhard Mitte der 80er Jahre eingezogen. Von Thomas wurde er auch für unser geplantes Zeitschriftenprojekt gewonnen.

Gerhard hat für unsere zunächst 3 Jahre (1988-1990) im Eigenverlag erscheinende Zeitschrift das Lay-Out-Konzept entworfen und auch für das graphische Design Verantwortung übernommen. Als "Begleiter" seit den ersten Stunden der Zeitschrift war er auch an den damaligen legendären Lay-Out-Sessions beteiligt: Ohne Computerprogramme, noch mit echten "Fahnen" und längst vergessenem Klebeumbruch war die "Vorproduktion" der Hefte eine zeitintensive und handwerklich anspruchsvolle Arbeit, die uns immer wieder zu ihm in seine "Werkstatt" nach Wiesbaden führte. So haben wir nicht nur manches interessante Wochenende mit ihm verbracht, sondern auch schon früh von den Fertigkeiten des Künstlers viel lernen können. Dass diese Arbeit zuweilen auch gruppendynamische Energien entfalten konnte, hat Gerhard in seiner unnachahmlichen Art und Weise für die Nachwelt festgehalten. Wir nehmen seinen 50. Geburtstag zum Anlass, diese Karikatur zum Innenleben der Journalredaktion in der Gründerzeit erstmals einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Schon vor der "Gründung" des Journals war allen Beteiligten (dem Herausgeberkreis, der ehrenamtlichen Redaktion, den UnterstützerInnen der Zeitschriftenidee, aber auch dem angefragten Künstler) klar, dass Gerhards zeichnerisches Werk ganz eng mit unseren Themen korrespondiert. Seit der ersten Ausgabe der Zeitschrift können wir aus seinem Archiv Zeichnungen zur Illustration der Beiträge auswählen und sie ohne Honoraransprüche drucken. Die Themen von Gerhard - für den sich mittlerweile der Künstlername "Klinge", d.h. spitze Feder eingebürgert hat - reichen von der Alternativszene über Umwelt, Kirche und Religion, Friedensbewegung, Entwicklungspolitik bis zu den aktuellen Fragen in Parteipolitik und Gesellschaft.
Wir wissen zwar nicht, wie viele LeserInnen wegen Gerhards Zeichnungen das Forschungsjournal schätzten, wohl aber kennen wir mindestens einen Fall, in dem ein Abonnement gekündigt wurde wegen einer seiner Karikaturen. Und einige Fälle, in denen AutorInnen seine Karikaturen nur mit Mühe und Not in ihrem Artikel verkraftet haben. Wir halten diese Resonanz seines Werkes für ein Kompliment - wer Widerspruch erregt, hat auch etwas zu sagen. Und wer dies mit der hier vorliegenden Kraft der Zuspitzung tut, wie das bei Gerhard Mester der Fall ist, bleibt eben nicht ohne Widerspruch (dazu unten mehr!).
Sein breites Themenspektrum macht Gerhard seit fast 30 Jahren zu einem nicht nur, aber doch insbesondere in links-libertären Zeitschriften und liberalen Zeitungen immer wieder gedruckten Autor. So ist "Klinge" z. B. mit seinen "Caris" (Künstler-O-Ton) ständig und seit langem in der Zeitschrift "Publik Forum" vertreten. Er war lange Zeit und bis zu ihrer Einstellung der Hauskarikaturist im Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt. Heute pflegt er mit einigen wichtigen Tageszeitungen, mehreren relevanten Regionalzeitungen und hochauflagigen Mitglieder-Magazinen enge Kooperationen: er zeichnet und liefert Karikaturen, sie drucken sie und sorgen so für einen ordentlichen Kontostand der Familie Mester-Matamores, die inzwischen aus vier Köpfen besteht.
Mittlerweile ist seine schier unerschöpfliche Schaffenskraft zu einer beeindruckenden "Sammlung", besser würde man sagen, zu einem wahren Schatz von 10.000 Karikaturen angewachsen. Es war durchaus der Ehrgeiz des Meisters, diese magische Zahl zum 50. Geburtstag zu erreichen. Das dies geglückt ist, zeigt zweierlei: den Ehrgeiz des Künstlers und die Selbstdisziplin des Machers. Immer, wenn wir für einen Jahrgang des Forschungsjournals das Privileg zu schätzen wissen, in diesem seinem Archiv zu graben, haben wir 30 Jahre Geschichte der Bundesrepublik (und fast 20 Jahre Journalgeschichte) in Zeichnungen verdichtet vor Augen. Wir gestehen gerne ein, dass wir nicht nur jedes Mal tief beeindruckt sind von der immer größer werdenden Auswahl von Gerhards Karikaturen, sondern die Treffsicherheit seiner Arbeit uns noch immer verblüffen kann. Mit mancher Karikatur, die wir schon vor Jahren oder x-mal in den Händen hielten, erzielt er noch immer Erstaunen oder Überraschungen: wie aktuell doch eine Cari sein kann, die schon vor 3 oder 10 Jahren gezeichnet worden ist.
Gerhards Produktivität ist natürlich einem harten Arbeitspensum geschuldet. Thomas Leif, auf dessen investigativen Rechercheergebnissen wir hier aufbauen, berichtet von einem Arbeitstag mit drei Runden am Zeichentisch (von 9.00 bis 12.00, von 13.00 bis 17.00 und dann noch von 21.00 bis 23.00 Uhr). Hinzu kommt täglich eine Stunde intensive Lektüre der Tagespresse. Dieser Arbeitsrhythmus erinnert an Heinrich Böll, die Leidenschaft des Arbeitens übrigens auch! Dass dies nicht ohne gelegentliche Tiefpunkte und Krisen der Kreativität abgeht, versteht sich von selbst. Aber unsere Botschaft soll deutlich machen: Deine Arbeit hat sich gelohnt und wird auch weiterhin ein dankbares Publikum finden!
Im engeren Freundeskreis von Gerhard ist bekannt, dass manches politische Gespräch mit ihm in einer Zeichnung mündet. Gerhard ruft auch schon mal an, um sein Bild einer komplexen Problematik durch andere Meinungen zu prüfen und fortzuentwickeln.
Ebenfalls bekannt ist, dass Gerhard bei besonderen Anlässen (Promotionen, Hochzeiten, Geburtstage u.a.) zur Feder greift - wenn man ihn nur lange genug "belagert" und bittet. Dass ein Künstler Probleme mit "Auftragsarbeiten" hat, ist nicht zu kritisieren, sondern unterstreicht seinen Willen zur Unabhängigkeit. Gerhard sucht zuweilen seine eigene Form, über Karikaturen Freunde zu "grüßen" oder die Eindrücke von gemeinsam Erlebtem festzuhalten. Karikaturen, auf denen für seine Freunde erkennbar Personen aus dem engeren Freundeskreis eine besondere Rolle spielen, finden sich gelegentlich in einer größeren Öffentlichkeit wieder - so ist es etwa Ansgar Klein mit einer Karikatur zu seiner Dissertation gegangen. Gerhard hat die "Leidensgeschichte" seiner langwierigen Doktorarbeit über Jahre verfolgen dürfen. Das hat ihn so bewegt, dass er dieses Problem in einer Zeichnung auf die Spitze trieb. Dass Ansgar sich dann in einer Karikatur zum "ewigen Promoventen" wiederfand, verstand er durchaus als netten Ausdruck der bestehenden Freundschaft. Dass die Zeitung, es war das Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt, diese Karikatur allerdings auf der Titelseite platzierte, war eine Ehre, die aus Sicht von Ansgar Klein denn doch zu viel war....


Meister Mester und Gerhards Werk sind natürlich auch in der Fachwelt nicht ohne Resonanz geblieben. Klinge hat mittlerweile zahlreiche Preise bekommen - nicht ohne Stolz ist er dankbar für diese Form der Wertschätzung. Mit Ehrungen tut er sich da schon schwerer. Gerade eben erst, am 18. Januar 2006, bekam er für eine Karikatur zur Image-Kampagne "Du bist Deutschland" einen Preis der "Rückblende 2005". Dieser Wettbewerb um den deutschen Preis für Fotografie und Karikatur der Landesvertretung Rheinland-Pfalz in Berlin, der zusammen mit dem Bundesverband Deutscher Zeitschriftenverleger organisiert wird, ist einer der wenigen renommierten Preise dieser Sparte in Deutschland.


Eine besondere Ehre war es auch für Gerhard, dass der MainzerMedienDisput 2005 mit einer Ausstellung seiner Karikaturen zum Thema Medien eröffnet wurde. Inzwischen wandert diese Ausstellung, die einen besonderen Blick auf die medienkritische Arbeit Gerhards erlaubt, durch die Funkhäuser der Republik.

Die Komplexität der Reduktion - eine Würdigung des Werkes

Der Sozialtheoretiker Niklas Luhmann hat es als die eigentlicher Leistung sozialer Systeme beschrieben, dass sie die Komplexität reduzieren und systemisch bearbeiten. Auch der politische Karikaturist muss komplexe Sachverhalte und Probleme zuspitzen, reduzieren auf einen optisch fassbaren Kern, der das Problem sichtbar und anschaulich macht. Mit Blick auf das Werk und den Künstler rückt damit freilich die Komplexität der Reduktion als das Alltagswerk eines politischen Karikaturisten ins Zentrum.
Hinter jedem von scheinbarer Leichtigkeit getragenen Bild strecken die Arbeit des Zuspitzens in Bild und Text, das Hinterfragen von Selbstverständlichkeiten, das Entlarven falscher Gewissheiten, ein kritischer Blick auf alltägliche Doppelmoral, die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Lebensstilen, die Veranschaulichung von Konflikten und das Vordringen zu ihrem Kern, und das nicht nur in der Tagespolitik, sondern auch in den großen und kleinen gesellschaftlichen Fragen und des privaten wie politischen Alltags.

Der Karikaturist Gerhard Mester als Humanist und Moralist

Immer wieder stellt sich die Frage: Enthalten die Karikaturen vor allem eine kritische Darstellung oder auch den Ansatzpunkt für eine Problemlösung? Die Niederungen des Alltags und die Mühen der Ebenen sind dem Karikaturisten nicht nur als ergiebige Themenfelder seines Werkes, sondern auch als ebenfalls davon Betroffenen wohl vertraut. Dies führt zu der Frage nach den Leitmotiven des Werkes, die es ermöglichen, alltäglich pointierte Botschaften in Bild und Schrift zu verfassen: Gerhard Mester zeichnet nicht als Zyniker, sondern er ist Humanist und Moralist, der nicht darauf verzichtet, Suche, Orientierung und Wertung zu verbinden.
Das ist keineswegs selbstverständlich in einer zunehmend selbstbezüglichen Medienwelt, die zudem an der Überfrachtung mit Bildern, Botschaften und Meinungen immer gleichgültiger und sensationsheischender zu werden scheint. Aus Überfrachtung resultiert immer häufiger der Verzicht auf Bewertung und Orientierung.
Diesen Effekten des Mediensystems setzen Journalisten die Macht der Recherche entgegen, der Karikaturist Gerhard Mester widersteht ihm mit seinen täglichen bewertenden Karikaturen, an denen sich Positionsbezug, Perspektivierung des Problems und auch die Schaffung von Zugängen zeigen lassen.
Im Festhalten an dem Anspruch auf Bewertung von Missständen als Missständen erweist sich Gerhard als Erbe eines Humanismus, den Heinrich Mann in seinem historischen Roman über den König Heinrich IV in seiner schlichten Größe auf den Punkt gebracht hat: In seinem Festhalten an religiöser Toleranz und dem Recht auf ein Leben ohne Elend ("Jedem Franzosen sein Huhn im Topf") offenbart sich die Aktualität eines an den Menschenrechten orientierten Anspruchs auf politische Gestaltung und Kritik, die den Weg dahin eröffnet. In seiner ständigen Auseinandersetzung mit Fragen der Religion steht er im Zentrum eines Themas, das derzeit wieder ganz in den Vordergrund getreten ist.
Eine der vornehmsten Aufgaben des politischen Karikaturisten ist die Auseinandersetzung mit den politischen Eliten und den Lenkern und Lenkerinnen der Regierungsgeschäfte. Natürlich finden sich hier wahre Fundgruben der Karikatur, Fehler, Peinlichkeiten und Absurditäten des politischen Alltages, doch es ist - angesichts einer weithin verbreiteten Verdrossenheit gegenüber den politischen Eliten - umso anspruchsvoller, den Anspruch auf einen besseren Weg der politischen Gestaltung nicht aus dem Blick zu verlieren. Gerhard Mesters Karikaturen sind natürlich voll von Beispielen des Versagens, aber ebenso häufig findet sich untergründig die Aufforderung, politisches Handeln und Gestalten in Verantwortung ernst zu nehmen, besser zu machen und zudem nicht nur den politischen Eliten zu überlassen. Hier liegt immer wieder der Brückenschlag zur Zivilgesellschaft, den sozialen Bewegungen und NGOs. In Kenntnis seines großen Archives lässt sich dies an zahlreichen Themenfeldern nachweisen - sei es die ständige Auseinandersetzung mit der Asylpolitik, der Umweltpolitik, der Entwicklungspolitik oder Gesundheitspolitik.
Gerhard Mester jedenfalls hat nicht aufgegeben, einen emphatischen Begriff des Politischen ins Bild zu setzen, oftmals als leitenden Hintergrund seines Werkes. Gefragt nach seinem politischen Engagement gibt er sich stets zurückhaltend, doch spricht es aus seinem täglichen Werk umso deutlicher. Da muss man nur genauer hinschauen. Aus eigener Erfahrung wissen wir, dass die Macht der Karikatur oftmals mehr bewirken kann als viele Worte. Sie kann erzürnen, Probleme erhellen, motivieren, ein befreiendes Lachen auslösen ....
Wir freuen uns, Gerhard zu unseren Freunden zählen zu dürfen, und auch darüber, dass er dem Forschungsjournal seit seiner Gründung 1988 eng als "Hauskarikaturist" verbunden ist und (hoffentlich) weiterhin verbunden bleiben wird.
Zu seinem 50. Geburtstag möchten wir ihm danken und sagen, dass sein Werk uns immer viel gegeben und bedeutet hat. Aber wir wollen ihn auch ermutigen, weiter zu machen, nicht nachzulassen und uns weiterhin Anregungen zu geben für ein besseres Verständnis unserer Zeit.

Ansgar Klein/Jupp Legrand