Heft 3, 2005   

 

Editorial

Local Power. Mehr Bürgerengagement durch Governance?

Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, Heft 3/2005
Editorial

In den vergangenen Jahren haben sowohl die Debatte um bürgerschaftliches Engagement als auch um Governance-Prozesse, das heißt einer politischen Problemlösungssuche unter Einbeziehung (neuer) nichtstaatlicher Akteure, an Relevanz gewonnen. Bisher jedoch sind beide Debatten weitgehend getrennt voneinander geführt worden. Dieses Themenheft will die Zusammenhänge beider Diskussionen deutlich machen. Gerade auf lokaler Ebene, auf der ein Großteil des bürgerlichen Engagements stattfindet, lassen sich neue Beteiligungsformen an politischen Prozessen ausmachen und die Einbindung des bürgerschaftlichen Engagements in politische Entscheidungsprozesse gut untersuchen.

Bürgerschaftliches Engagement steht für vielfältigste Aktivierungsformen. Diese Vielfalt umfasst die freiwillige bzw. ehrenamtliche Übernahme öffentlicher Funktionen, klassische und neue Formen des politischen, sozialen, kulturellen oder ökologischen Engagements, die gemeinschaftsorientierte bzw. von Solidarvorstellungen geprägte Eigenarbeit und auch die Selbsthilfe[1]. Das politische, das subpolitische und das vorpolitische Engagement werden also unter den Begriff des bürgerschaftlichen Engagements subsumiert. Mit Blick auf Local Governance ist indes vor allem das subpolitische und politische Engagement von Bedeutung (siehe hierzu den Beitrag von Annette Zimmer zum bürgerschaftlichen Engagement).

Die Debatte um Zivilgesellschaft und bürgerschaftliches Engagement wird in Konzepten von Local Governance auf die Diskussion über den Wandel politischer Steuerung bezogen (siehe hierzu den einführenden Beitrag von Brigitte Geißel). Seit den 1990er Jahren lässt sich eine intensive politikwissenschaftliche Auseinandersetzung beobachten, die sich mit Steuerung und Beteiligungsformen beschäftigt und sich zum Teil aus den internationalen Diskussionen um Global Governance auf die anderen Ebenen ausgedehnt hat – zunehmend werden auch regionale und lokale Bezugspunkte thematisiert.

Bei aller Vielfältigkeit der unterschiedlichen Sichtweisen und Konzeptionen können zwei Stränge der Governance-Debatte grob unterschieden werden (Brunnengräber et al./ 2004): Zum einen ein auf Effektivität und Effizienz des Regierens ausgerichteter Steuerungsansatz und zum anderen ein auf Inklusion und Partizipation ausgerichteter normativer Ansatz.

Der weitaus größte Teil der Diskussion über Governance beschäftigt sich mit Fragen der ‚effektiven‘ Steuerung und der Umsetzung bzw. Institutionalisierung spezifischer Problemlösungen. Governance wird in der Regel in Abgrenzung zu oder als Erweiterung von Government – also von rein staatlichen Aktivitäten – gebraucht. An der Durchsetzungsfähigkeit der etablierten Institutionen werden erhebliche Zweifel laut, dementsprechend impliziert der Begriff neben der Kritik an bisherigen Formen des Regierens ein verändertes Aufgabenverständnis des Staates (Benz 2004).

Governance beschreibt vor diesem Hintergrund eine vom traditionellen Regieren (‚Government‘) abweichende Art des Koordinierens gesellschaftlicher Interaktionen. Diese Art der Steuerung ist gekennzeichnet durch kooperative Koordinationsformen und durch das Merkmal der Horizontalität. Beeinflusst durch makrostrukturelle Transformationen, so die Annahme, wird die Gesellschaft immer weniger durch einen dominanten Staat als vielmehr im Zusammenspiel mehrerer Akteure reguliert. Mit dem Slogan ‚from government to governance‘ verbindet sich denn auch die Kritik an einem zunehmenden Versagen des Staates mit der Suche nach einem neuen Staatsverständnis (Benz 2001; Ellwein/Hesse 1994). Gemeint ist hiermit, dass nur unter gemeinsamem Einbezug von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft die aktuellen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme gelöst werden können. Dies berührt die Entscheidungsprozesse, die Implementation von Policies sowie den Einbezug öffentlicher und privater Akteure in den Problemlösungsprozess (Haus/Heinelt 2005: 19).

Betont werden muss, dass die Rolle des Staates und die Formen der Steuerung in den unterschiedlichen Governance-Konzepten durchaus variieren. Häufig wird in den Governance-Analysen vom kooperativen und moderierenden Staat gesprochen, ohne dass dieses veränderte Rollenverständnis wirklich empirisch nachgewiesen wäre (Benz 2001). Denn wer genau die (legitimierten) Akteure sind, die in neuen Governance- Arrangements eine Rolle spielen, bleibt in vielen wissenschaftlichen Analysen ebenso unklar wie die Aussagen über Formen und Richtungen der Governance-Aktivitäten bzw. über deren mögliche Auswirkungen. Obwohl sich also Machtanwendung und Herrschaft verändern und nicht mehr vorwiegend im Staat oder seinen Institutionen verortet werden können, gibt es wenige Analysen, die sich mit diesen veränderten Machtverhältnissen intensiv auseinandersetzen (für grenzüberschreitende Netzwerke siehe Brand/Görg 2003).

Was wir allerdings beobachten und täglich nachlesen können, ist der Tatbestand, dass sich der Sozialstaat alter Prägung verändert in Richtung eines marktgerechten Dienstleistungsstaates. Mit der Verlagerung von Verantwortlichkeiten in andere Handlungsarenen und -gremien sowie neuen Akteurskonstellationen und Interessenlagen können auch bislang von Umstrukturierungen ausgenommene sozial-politische oder sozial-ökologische Bereiche neu strukturiert werden. Einige Autoren weisen beispielsweise darauf hin, dass gerade die breite Akzeptanz einer veränderten Rolle des Staates diesem die enormen Kürzungen im sozialen Bereich erleichterten (Pierre/Peters 2000). In diesem Zusammenhang analysiert Margit Mayer im vorliegenden Heft die Instrumentalisierung von Drittsektor-Organisationen in der Arbeitsmarktpolitik, stellt Sandra Kotlenga die beschäftigungspolitischen Potenziale des Dritten Sektors dar und macht Adalbert Evers in seinem Beitrag deutlich, dass soziale Dienstleistungen im Bereich der Kindertagesstätten erfolgreich dann angeboten werden können, wenn sich Politikstile jenseits traditioneller korporatistischer Partizipationskonzepte entwickeln.

Dementsprechend entwickelte sich bürgerschaftliches Engagement in den letzten Jahren gleichsam zu einem ‚Zauberwort‘ für vermutete Problemlösungsfähigkeit im Rahmen des sozialen Umbaus. Dem bürgerschaftlichen Engagement wurde die Fähigkeit zur sozialen Abfederung wohlfahrtsstaatlicher Beschneidungen, aber auch die Funktion eines Gegengewichts zu einer zunehmenden Kommerzialisierung und Deregulierung weiter Bereiche des öffentlichen Lebens zugeschrieben. Überlegungen aus einer ‚top-down‘-Perspektive politischer Steuerung, wie öffentliche Aufgaben möglichst effektiv auf die Schultern der Bürgergesellschaft geladen werden können, widersprechen jedoch oftmals dem Grundgedanken ‚bottom-up‘ gegründeter Vereinigungen und Bürgergruppen. Solche oftmals ressourcenarmen Gruppen haben sich in den letzten Jahren im lokalen Raum zu lose gekoppelten Netzwerken zusammengeschlossen und damit – etwa in Form von Arbeitslosen- und Obdachloseninitiativen – auf die sich verschärfenden Formen städtischer Armut im lokalen Raum reagiert. Dies zeigt sich auch an der verstärkten Gründung von Sozialforen auf lokaler Ebene (siehe den Beitrag von Christoph Haug, Simon Teune und Mundo Yang). Indem Protestgruppen die Fragen nach den Kontextbedingungen, den Ursachen und den treibenden Kräften der aktuellen Umbauprozesse thematisieren, unterscheiden sie sich von Sportvereinen oder auch Quartiersmanagement. Allerdings haben auch diese Organisations- und Handlungsformen eine wichtige sozialintegrative Rolle in der zivilgesellschaftlichen Entwicklung (zur Besonderheit der ostdeutschen Vereinslandschaft siehe den Beitrag von Wolfgang Vortkamp; zur kommunalen Vereinslandschaft mit Blick auf Governance-Potenziale siehe den Beitrag von Thorsten Hallmann).

Anders als im ökonomischen Bereich, in dem die Governance-Debatte schon wesentlich früher einsetzte (Lindberg et al. 1991) [2], wird in der politikwissenschaftlichen Forschung der Governance- Begriff meist normativ gebraucht, d.h. Governance wird implizit mit der Forderung nach Demokratisierung verknüpft. Partizipation stellt dabei einen der Schlüsselbegriffe dar, denn der Grad, die Form und die Organisation der Partizipation sind bestimmend für den Demokratisierungsprozess. Für Scharpf (1998) können in Verhandlungssystemen die strukturellen Demokratiedefizite nur dann ausgeglichen werden, wenn eine ausreichende Partizipation der Akteure gewährleistet ist. Die Öffnung gegenüber neuen Akteursgruppen bzw. die Problembearbeitung in informellen Netzwerken wird bislang – bis auf einige Ausnahmen – als Chance für den Ausbau von Kooperations- und Kommunikationsmechanismen gesehen, die Verzerrungen in Form korruptiver Seilschaften werden eher vernachlässigt.

Wie können nun die eben dargelegten Konzepte von Governance auf die lokale Ebene übertragen werden? Auf welche veränderten Politikformen deutet der Begriff Local Governance hin? Die Debatte um Local Governance mit ihrem Bezugspunkt auf die städtische und kommunale Ebene hat unterschiedliche Traditionen und Analyseperspektiven. Gemeinsam ist diesen Ansätzen, dass die Untersuchung der Zusammenarbeit zwischen lokalen Akteuren des öffentlichen, privatwirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Bereichs zur Bearbeitung von Problemen im Zentrum steht. Der Blick auf kommunale Politikprozesse wird also erweitert (Benz 2004; Heinelt 2004). Zum einen haben wir es mit Veränderungen der Kommunalpolitik durch neue Formen direkter Demokratie und bürgerschaftlicher Partizipation zu tun. Zum anderen hat die Governance-Diskussion dazu beigetragen, dass das Lokale sich nicht nur auf die Städte und Gemeinden als Gebietskörperschaften beschränkt, sondern als sozialer Raum oder Funktionsraum betrachtet wird (Heinelt 2004). Die lokale Politikforschung will in diesem Zusammenhang die Gesamtheit von Politik in einem räumlichen ortsgebundenen Interaktionssystem bzw. die Auseinandersetzung mit spezifischen lokalen Akteurskonstellationen untersuchen.

Diese Sichtweise steht in starkem Kontrast zu einer von betriebswirtschaftlichen Überlegungen geprägten Ausrichtung der Verwaltungswissenschaft und einer darauf bezogenen lokalen Politikforschung während der 1990er Jahre. Hier wurden unter dem Begriff ‚New Public Management‘ Umstrukturierungsvorschläge für die Verwaltungspolitik unter Managementgesichtspunkten vorangetrieben. Aus dem privaten Sektor wurden die leitenden Begrifflichkeiten, die Orientierung an ‚Effizienz‘ und ‚Kunden- und Qualitätsorientierung‘ übernommen (Jann/Wegrich 2004) [3]. Mit zunehmender Kritik an diesen New Public Management-Modellen rückten die Governance-Ansätze und die Überlegungen der Bürgerkommune in den Blick. Die Einbindung gesellschaftlicher Akteure erschien als eine gute Ergänzung zu den binnenorientierten und betriebswirtschaftlichen Sichtweisen. In diesem Sinne werden also mit der Governance- Diskussions Beteiligung und Kooperation immer stärker als Bedingung für effektives Regieren ins Zentrum gerückt.

Eine Analyse der lokalen Ebene erscheint aber noch aus anderen Gründen sinnvoll: Um die 80 Prozent des bürgerschaftlichen Engagements finden auf der lokalen Ebene statt. In den Kommunen konnten die politischen Beteiligungsmöglichkeiten deutlich ausgeweitet werden. Direktdemokratische Verfahren (Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheide) wurden eingeführt und häufiger genutzt, informelle Initiativen, Stadtteilforen und soziale Gruppen sind vielerorts gestärkt worden (Roth 2000). Allerdings steht diesem Ausbau von Partizipationsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene ein zunehmender Verlust an realen Gestaltungsoptionen gegenüber, da die Kommunen als ordnungspolitische Verlierer des deutschen Föderalismus mittlerweile weithin unter Verschuldung und fehlenden Ressourcen zu klagen haben (zu den Auswirkungen dieser Entwicklung auf den Kulturbereich siehe den Beitrag von Lilian Schwalb).

Gerade im Falle der lokalen Ebene stehen also die normativen Ansätze der Governance- Analysen am ehesten mit der Realität in Kontrast, denn hier zeigt sich, inwiefern die allgemein formulierten Partizipationsansprüche realisiert werden. Die Engagementbereitschaft der Bürger und Bürgerinnen ist hier am größten; sie werden sich auf längere Zeit aber nur dann engagieren, wenn ihre Vorschläge und Anliegen auch umgesetzt werden. Notwendig und in der Praxis zum Teil auch gefordert werden deshalb Beteiligungsgarantien, vermehrte Zugangsmöglichkeiten und breite Informationen.

Die Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern in die Entscheidungsprozesse auf kommunaler Ebene kann die Möglichkeiten und Potenziale des bürgerschaftlichen Engagements nutzen und zu seiner Entfaltung beitragen. Die Unüberschaubarkeit neuer Governance-Strukturen, die Möglichkeit der Instrumentalisierung zivilgesellschaftlicher Akteure nach staatlichen Vorgaben oder wirtschaftlichen Interessen, aber auch fehlende Ressourcen zur Umsetzung von im lokalen Raum getroffenen Entscheidungen können jedoch ebenso zu neuen Enttäuschungen und zum Rückzug von Engagierten führen.

Lilian Schwalb, Münster/Heike Walk, Berlin/ Ansgar Klein, Berlin/Ludger Klein, Sankt Augustin/Stefan Niederhafner, Berlin/Jan Rohwerder, Aachen

Anmerkungen

1. Siehe dazu den Abschlussbericht der Enquete- Kommission ‚Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements‘. Das Forschungsjournal hat sich in mehreren Themenheften mit dem bürgerschaftlichen Engagement auseinandergesetzt – genannt seien hier beispielhaft die Themenhefte ‚In Amt und Ehren. Zukunft bürgerschaftlichen Engagements‘ (Heft 2/2000); ‚Konturen der Zivilgesellschaft. Zur Profilierung eines Begriffs‘ (Heft2/2003) und ‚Zwischen Meier und Verein. Modernisierungspotentiale im Ehrenamt‘ (Heft 1/2004). [zurück]

2. Die ökonomische Debatte widmet sich zuvorderst der Frage nach der Steuerung moderner kapitalistischer Wirtschaftssysteme und der Frage nach den Interaktionen privatwirtschaftlicher Unternehmen mit der Umwelt bzw. nach der Binnenstruktur der Unternehmen (Corporate Governance). [zurück]

3 Oftmals blieb von der angestrebten Verbesserung des Verhältnisses zwischen Politik und Verwaltung bzw. Verwaltung und Bürgern wenig übrig; die Verwaltungsmodernisierung entpuppte sich in vielen Bereichen als einseitige Sparstrategie. [zurück]