Institut für Romanische Philologie der Freien Universität Berlin

Fremd im Deutschen und in fremden Sprachen.
Sprachwissenschaftliche Annäherungen an ein kulturwissenschaftliches Schlüsselwort

Volkswagen-Stiftung

 

Leitung: Prof. Dr. Jürgen Trabant
Mitarbeiterin: Brigitte Jostes (M.A.)

Laufzeit des Forschungsprojekts: Februar 1998 - Januar 2000

"Was heißt hier fremd?" fragten sich Professor Dr. Jürgen Trabant und andere Mitglieder der interdisziplinären Arbeitsgruppe Die Herausforderung durch das Fremde der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, in der von 1994 bis 1997 Politologen, Ethnologen und Philologen ganz verschiedene Facetten der Fremdheit mit der Absicht untersuchten, eine grundlagentheoretische Phänomenologie und Strukturanalyse von Fremdheit zu entwickeln. Die Sprachwissenschaftler der Arbeitsgruppe veranstalteten unter diesem Titel nicht nur eine Tagung zur Thematik Sprache und Fremdheit, sie gaben auch eine semantische Analyse in Auftrag, die nun als Forschungsprojekt am Institut für Romanische Philologie der FU Berlin weitergeführt werden kann.
Kurzgefaßt läßt sich diese Frage folgendermaßen beantworten: Zum einen kann das Adjektiv fremd für das stehen, was einem anderen Volk oder auch einer anderen Person angehört, so steht z. B. das Fremdkapital dem Eigenkapital gegenüber. Des weiteren kann fremd den Adjektiven bekannt und vertraut gegenüberstehen: Ist ein Mann fremd, so ist er uns unvertraut. Daß wir es hier mit zwei Bedeutungen zu tun haben, zeigt sich darin, daß das fremde Kapital nie zugleich das eigene sein kann und auch durch innige Vertrautheit nicht zum eigenen wird, daß der eigene Mann aber durchaus mal fremd sein kann, ohne daß er dabei aufhören würde, der eigene Mann zu sein. Merkwürdig wird das Innenleben dieses Wortes dort, wo es die Bedeutung ,seltsam‘ hat: Denn was wir als fremdartig bezeichnen, könnten wir oft auch als eigenartig bezeichnen. Und plötzlich stehen sich fremd und eigen nicht mehr gegenüber wie heiß und kalt, sondern nebeneinander wie mild und lau. Jemand, der sehr eigen ist, erscheint eben seltsam und fremd.
Natürlich sind diese Bedeutungen nicht rein zufällig im Wort fremd miteinander verbunden: Was nicht dazugehört ist eben häufig unbekannt, und Unbekanntes erscheint oft als seltsam. Nun ist diese Verbindung aber nur eine mögliche, andere Sprachen zeigen andere Verbindungen.
Klassische Beispiele bieten die klassischen Sprachen. So stand das griechische Wort xenos zunächst für den Gast, später dann für den Fremden und noch später für den Söldner. Auch das lateinische Wort hostis, das zunächst den Gast bezeichnete, stand später für den Fremden. Als das Wort hospes an die Stelle von hostis trat, übernahm hostis die Bedeutung ,Feind‘.
Gast-Fremder-Feind: Auch diese sprachlich zu beobachtende Verbindung gibt Auskunft über mögliche Erfahrungen und Wahrnehmungen des Anderen oder Fremden. Daß all diese Verbindungen immer im direkten Zusammenhang mit der jeweiligen Kultur- und Geistesgeschichte stehen, zeigen die sprachlichen Entwicklungen im frankophonen und anglophonen Afrika: Für das französische Wort étranger wie für das englische Wort stranger werden dort - quasi in umgekehrter Richtung - die Bedeutung ,Gast‘ beobachtet.
Englisch, Französisch, Griechisch und Latein: Was wir als Fremdsprachen bezeichnen, sind gerade die Sprachen, die zwar nicht unsere eigenen, uns aber dennoch nicht allzu fremd sind. Das haben sie eben mit dem Fremdkapital gemeinsam. Wahrhaft unbekannte Sprachen bezeichnen wir daher doch lieber als fremde Sprachen. In dem Forschungsprojekt wird nicht nur den Verbindungen nachgespürt, die sich in unseren Fremdsprachen finden, sondern auch denen, die sich in fremden Sprachen aufzeigen lassen.
Zu diesem Zweck werden im Frühjahr 1999 Sprach- und Kulturwissenschaftler als Vertreter verschiedener Einzelsprachen zu einer Tagung nach Berlin geladen. Diese Tagung ist keineswegs etwa als Fachtagung zur kontrastiven Lexikologie geplant. Vielmehr soll ein Panorama von Bezeichnungsmöglichkeiten entstehen, vor dessen Hintergrund auch die Frage nach dem Zusammenhang von Sprach- und Kulturwissenschaft diskutiert werden kann.


Publikationen:

Jostes, Brigitte (1997): "Was heißt hier fremd? Eine kleine semantische Studie", in: Naguschewski, Dirk / Jürgen Trabant (Hg.) (1997): Was heißt hier "fremd"? Studien zu Sprache und Fremdheit. Berlin: Akademie-Verlag, S. 11-76.

Jostes, Brigitte (1997): "Subjektive Adjektive. Zur Semantik von fremd", in: PhiN 1 [http://www.fu-berlin.de/phin], S. 28-42.

Jostes, Brigitte (1998): "Von webenden Spinnen, sumsenden Bienen und sprechenden Menschen: Steven Pinkers Sprachinstinkt", in: PhiN 6 [http://www.fu-berlin.de/phin], S. 20-32.

Jostes, Brigitte (im Druck) "Buchbesprechung: Breger, Claudia / Döring, Tobias (Hg.) (1998): Figuren der/des Dritten. Erkundungen kultureller Zwischenräume. Amsterdam/Atlanta: Rodopi", erscheint in: Paideuma 45, 1999.

zurück