Sieben Punkte zur Modernisierung von Promotionsordnungen

 

Viele Promotionsordnungen enthalten Anforderungen, deren Sinn sich bestenfalls historisch erschließt. Diese Anforderungen erschweren und verlängern nicht nur die Promotion, sie stehen auch der Aufnahme neuer und für die moderne Wissensgesellschaft wichtigerer Elemente entgegen. Soll die Promotion über die Anfertigung einer längeren wissenschaftlichen Arbeit hinaus Schlüsselqualifikationen vermitteln und dennoch in Zukunft eher weniger Zeit in Anspruch nehmen als bisher, so ist es unerlässlich, die Promotionsordnungen zeitgemäß anzupassen. Die folgenden Beispiele zeigen, wie Promotionen durch überflüssige Anforderungen erschwert und verzögert werden, ohne dass dem ein adäquater Zugewinn an Qualifikation gegenüber stehen würde:

 

1.      Latinum

2.      Fächerkombinationen

3.      Internationalisierung

4.      Interdisziplinarität

5.      Begutachtungsdauer

6.      Rigorosum

7.      Veröffentlichung

 

1.    Latinum

Latein hat noch heute einen berechtigten Platz in den schulischen Curricula sowie in Studien- und Prüfungsordnungen. In vielen Fällen und für viele Fächer ist dies sinnvoll, wenn Lateinkenntnisse in einem frühen Stadium erworben werden, um eine adäquate fachterminologische Auseinandersetzung einerseits sowie den Umgang mit Quellenmaterial andererseits zu ermöglichen.

Unabhängig von den entsprechenden fachspezifischen Anforderungen in den Magisterprüfungsordnungen fordern Promotionsordnungen häufig jedoch die Vorlage eines Latinums, welches bis zur Beendigung des Promotionsverfahrens eingereicht werden muss. Dies gilt insbesondere für die Fächer im Rahmen des Dr. phil. und reicht von Klassischer Archäologie über Japanologie bis zu Gender Studies. Diese Beispiele zeigen deutlich, dass der geforderte Leistungsnachweis zur Promotion aus der jeweiligen Fächerwahl nicht immer gerechtfertigt ist. Hinzu kommt, dass auch ausländische Doktorandinnen und Doktoranden vor dem Hintergrund anderer Bildungssysteme diesen Nachweis mitunter zusätzlich erbringen müssen, um eine Promotion absolvieren zu können. Diese Anforderung beeinträchtigt die oft geforderte internationale Öffnung des deutschen Bildungssystems massiv. Darüber hinaus kann genau dieser Leistungsnachweis einer interdisziplinären Promotion im Wege stehen.

 

Wir fordern, die Zusatzqualifikation des Latinums zugunsten anderer (immer wieder geforderter) Schlüsselqualifikationen aufzugeben. Sollte der thematische Schwerpunkt der Dissertation das Latinum zwingend erfordern, kann die selbstständige Aneignung seitens der Promovierenden vorausgesetzt werden.

 

2.    Fächerkombinationen

Insbesondere Promotionsordnungen zum Dr. phil. sehen oft noch eine Promotion in bis zu drei Fächern vor, vergleichbar dem Zuschnitt des Magister-Studiengangs. Meist dominiert das erste Hauptfach, aus dem das Dissertationsthema gewählt ist. Zusätzlich müssen jedoch in weiteren Fächern Leistungsnachweise (Seminarscheine, Sprachen) erbracht werden. Die dazu erforderlichen vorherigen Studienabschlüsse müssen belegt werden und deren Inhalte für spätere Prüfungen verfügbar sein.

Statt dem Ruf nach Schlüsselqualifikationen zu folgen oder die Dissertation voran zu treiben, müssen Doktorandinnen und Doktoranden Lehrveranstaltungen in Grund- oder Hauptstudium absolvieren, die keinen Bezug zum gewählten Schwerpunkt und Qualifikationsprofil haben.

 

Diese zusätzlichen Fächer sind mitunter Stolpersteine beim Universitätswechsel, wenn beispielsweise Fächerbenennungen, Abschlüsse oder Leistungsnachweise nicht anerkannt werden oder eine für den Magister zulässige Fächerkombination im Promotionsverfahren untersagt wird bzw. ein bestimmtes Nebenfach generell vorgeschrieben ist (z.B. in den alten Sprachen). Die weitaus beste Lösung für dieses Dilemma ist die Promotion in einem Fach, nämlich dem der Dissertation. Soweit wegen Besonderheiten des Ausbildungsganges oder des Themas der Erwerb zusätzlicher Kenntnisse erforderlich ist, kann dies individuell in einer Zielvereinbarung entschieden werden.

 

Wir fordern, dass die Zulassung zur und der Abschluss der Promotion in einem Fach nicht von Leistungen in weiteren Fächern abhängig gemacht wird.

 

3.    Fehlende Internationalisierung

Promotionsordnungen sehen meist als Regelfall vor, dass die Dissertation auf deutsch abgefasst wird. Während in den Naturwissenschaften sich mehr und mehr die (auch kumulative) Dissertation auf englisch durchsetzt, zeichnet sich ähnliches in den Geistes- und Sozialwissenschaften noch nicht ab: Oft kann hier eine Arbeit nur dann auf englisch oder einer anderen Fremdsprache eingereicht werden, wenn dies im Einzelfall ausdrücklich genehmigt wird. Dieses Erfordernis gilt für Fächer mit oder ohne starken internationalen Bezug gleichermaßen.

Selbstverständlich ist es nicht das Ziel, Deutsch als Wissenschaftssprache abzulösen, aber insgesamt sollte die Möglichkeit, eine Arbeit in einer anderen international anerkannten Wissenschaftssprache (in der Regel Englisch) vorzulegen, stark ausgeweitet und durch transparente, insbesondere fachspezifische Regeln festgelegt werden. Dies schafft nicht nur einen Anreiz, einen wesentlich fundierteren Umgang mit der weiteren internationalen Fachsprache zu pflegen, sondern erleichtert auch die Einbindung in die internationale Diskussion.

Es käme auch dem Ruf nach Internationalisierung entgegen, wenn ausländische Promovierende nicht länger verpflichtet wären, ihre Dissertation ausschließlich in deutscher Sprache zu verfassen.

 

Wir fordern, dass generell die Möglichkeit eröffnet wird, eine Promotion, in Abstimmung mit dem jeweiligen Betreuerinnen und Betreuern, in einer international anerkannten Wissenschaftssprache abzufassen.

 

4.    Fehlende Interdisziplinarität

Den Erfordernissen des Promotionsvorhabens angemessen muss zukünftig auch der interdisziplinären Kombination von Fachgebieten in den Promotionsordnungen Rechnung getragen werden, damit solche Forschungsvorhaben realisiert werden können.

Bei einem interdisziplinär angelegten Promotionsvorhaben sind Gutachterinnen und Gutachter aus anderen Fachbereichen anzuerkennen. Dabei soll eine Fakultät das Promotionsvorhaben hauptverantwortlich betreuen. Hierzu gehört auch, dass das Promotionsverfahren in Kooperation mit mehreren, auch ausländischen Hochschulen und deren Gutachterinnen und Gutachtern durchgeführt und betreut werden kann.

 

Wir fordern die generelle Akzeptanz der Interdisziplinarität in den Promotionsordnungen zu gewährleisten.

 

5.    Begutachtungszeit

Die Promotionsordnungen sehen in der Regel eine Begutachtungszeit von bis zu 6 Monaten vor. Dieser Zeitrahmen wird jedoch häufig deutlich überschritten. Dieser Zeitverzug ist nicht nur aus inhaltlichen Gründen unverantwortlich, er führt mitunter zu folgenschweren Verzögerungen hinsichtlich der weiteren Lebensplanung.

Um diesem Missstand abzuhelfen, sollte die zulässige Begutachtungszeit verkürzt werden. Eine bessere Betreuung bereits während der Entstehung der Dissertation, wie alle vorliegenden Reformvorschläge sie vorsehen, wird den Schwerpunkt der Begutachtung vorverlagern und es erheblich erleichtern, Gutachten in kürzerer Zeit abzufassen, da die Arbeit den Betreuerinnen und Betreuern zum Zeitpunkt der Abgabe besser vertraut ist.

Ferner sollte zur Wahrung der Objektivität die Dissertation grundsätzlich an alle Gutachterinnen und Gutachter gleichzeitig zur Beurteilung verteilt und die Zeitpunkte der Gutachtenabgabe im Zeugnis vermerkt werden.

 

Wir fordern, dass eine maximale Begutachtungszeit von drei Monaten nicht überschritten werden darf.

 

6.    Rigorosum

Die Promotionsordnungen stimmen insoweit überein, als sie neben der Dissertation eine mündliche Komponente vorschreiben. Die Ausgestaltung ist dabei so vielfältig wie die Terminologie. An den beiden Extremen findet man zum einen die Verteidigung, d.h., die Diskussion der Ergebnisse der Dissertation, zum anderen das Rigorosum, eine Prüfung in den Promotionsfächern, ohne dass der Prüfungsinhalt einen Bezug zur Dissertation haben muss oder haben darf. Eine derartig „losgelöste“ Prüfung war sinnvoll, solange die Promotion ein scheinarmer, grundständiger Studienabschluss war. Im Anschluss an zahlreiche Leistungsnachweise, Zwischenprüfung und Magisterprüfung dupliziert das Rigorosum letztere, wird als lästige Pflichtübung abgehandelt oder, im schlimmsten Fall, als Schikane unbeliebter Kandidaten und Kandidatinnen missbraucht. Es ist wenig sinnvoll, nach erfolgter Spezialisierung die Erarbeitung von Themen vorzuschreiben, die weder mit der eigenen Untersuchung noch mit einer alternativen Perspektive in Zusammenhang stehen. Eine Prüfungsform, die im Extremfall zum Zwecke der Reproduktion positiven Wissens auf reine Frage-Antwort-Mechanismen abzielt, ist keine zeitgemäße Kommunikationsform, zumal am Ende einer Forschungsarbeit. Dagegen existieren jenseits des Rigorosums eine Vielzahl von Gesprächs-/Prüfungsmodi, oft unter der Bezeichnung Disputation, die es ermöglichen, in verschiedenen Darstellungsformen Arbeitsergebnisse nicht nur zu präsentieren, sondern sie selbstbestimmt in Relation zu anderen Themen oder größeren Zusammenhängen zu setzen.

 

Wir fordern, das Rigorosum zugunsten einer Verteidigung oder Disputation abzuschaffen.

 

7.    Veröffentlichung der Dissertation

Dissertationen unterliegen in Deutschland der Veröffentlichungspflicht. Die Verlage wissen um diese Abhängigkeit genauso wie die Doktorandinnen und Doktoranden um ihre kleine Auflage. Eine Veröffentlichung erfordert in der Regel erhebliche eigene finanzielle Mittel. Anschließend ist oftmals nicht gewährleistet, dass das eigene Buch erschwinglich ist, geschweige denn, dass das Buch entsprechend beworben in den Umlauf kommt. Die Verfilmung auf Mikrofiche ist zwar weniger kostenintensiv, erschwert aber Interessierten den Zugang zu den Ergebnissen der Arbeit.

Als alternative Möglichkeit hat sich die elektronische Veröffentlichung bewährt. Abgesehen von den ersparten Kosten ist ein Zugriff auf die Arbeit sehr viel schneller möglich. Dies ist nicht nur hinsichtlich des Forschungsgegenstandes erstrebenswert, sondern auch hinsichtlich unkomplizierterer internationaler Austauschmöglichkeiten. Daher hat die Kultusministerkonferenz in ihrem Beschluss vom 30. Oktober 1997 die elektronische Veröffentlichung anerkannt. Jedoch ist dieser Beschluss bisher erst vereinzelt in den Promotionsordnungen umgesetzt worden. Neben der Integration der elektronischen Dissertation ist es unerlässlich, dass die Hochschule die hierfür notwendigen organisatorischen Grundlagen bereitstellt und die Promovierenden bei der technischen Umsetzung unterstützt.

 

Wir fordern, die elektronische Veröffentlichung in allen Fachbereichen zuzulassen.

 

Promovierenden-Initiative, 7. Juli 2003


 

 

 

 Die Forderungen im Überblick

 

1. Wir fordern, die Zusatzqualifikation des Latinums zugunsten anderer (immer wieder geforderter) Schlüsselqualifikationen aufzugeben. Sollte der thematische Schwerpunkt der Dissertation das Latinum zwingend erfordern, kann die selbstständige Aneignung seitens der Promovierenden vorausgesetzt werden.

 

2. Wir fordern, dass die Zulassung zur und der Abschluss der Promotion in einem Fach nicht von Leistungen in weiteren Fächern abhängig gemacht wird.

 

3. Wir fordern, dass generell die Möglichkeit eröffnet wird, eine Promotion, in Abstimmung mit dem jeweiligen Betreuerinnen und Betreuern, in einer international anerkannten Wissenschaftssprache abzufassen.

 

4. Wir fordern die generelle Akzeptanz der Interdisziplinarität in den Promotionsordnungen zu gewährleisten.

 

5. Wir fordern, dass eine maximale Begutachtungszeit von drei Monaten nicht überschritten werden darf.

 

6. Wir fordern, das Rigorosum zugunsten einer Verteidigung oder Disputation abzuschaffen.

 

7. Wir fordern, die elektronische Veröffentlichung in allen Fachbereichen zuzulassen.