"Von der Verpofelung der Welt"
Edition der Werke des Schriftstellers und Philosophen Hermann Borchardt. Gefördert von der Fritz Thyssen Stiftung. Band 2 mit wiederentdeckten Stücken seit Juli 2022 verfügbar.
Ziel des Projekts ist eine Edition bisher unveröffentlichter Werke Hermann Borchardts (1888-1951): eines Schriftstellers, den Brecht als "abgründigen Provokateur" und "Übertreiber von Beruf als Satiriker" lobte, dessen "Werke turmhoch über denen der Werfels und Konsorten" stünden. Davon aber wurde bis heute kaum eines publiziert, ausgenommen der Roman Die Verschwörung der Zimmerleute (2005), zugleich die erste und noch immer einzige Veröffentlichung Borchardts in Deutschland seit seiner Emigration, erschienen mehr als fünfzig Jahre nach seinem Tod.
Im Gegensatz zu Brecht, mit dem er in Berlin zusammengearbeitet hatte, schuf Borchardt im Exil keine Klassiker für spätere Schullektüre. Hatte er noch in Deutschland Theaterstücke geschrieben, die, wenn auch nicht aufgeführt, immerhin gedruckt wurden, so fand er bald alle Türen verschlossen; nicht zuletzt deshalb, weil er in der von den Nationalsozialisten erzwungenen Emigration auch politisch vereinsamte. Im Frühjahr 1933 flüchtete er zunächst nach Frankreich und ging dann in die Sowjetunion. Als er dort des Landes verwiesen wurde, kehrte er unverhofft zurück nach Deutschland, wo man ihn ins Konzentrationslager sperrte. Nach einem Jahr in Haft durfte er, durch Mißhandlung schwerhörig und an der linken Hand versehrt, 1937 nach Amerika ausreisen.
Als Schriftsteller trat der fortan in New York lebende Borchardt nur selten öffentlich in Erscheinung. Eine gekürzte Fassung des oben genannten Romans konnte er 1943 in englischer Übersetzung publizieren, darüber hinaus lediglich einige Aufsätze und Broschüren. Die vielen Mißerfolge, die er hinnehmen mußte, da wieder ein Stück weder gedruckt noch gespielt oder ihm gar entwendet wurde (wie im Falle von Ernst Tollers Pastor Hall, 1939), entmutigten ihn jedoch keineswegs; zumal seine Arbeiten ihm andererseits die Hochachtung berühmter Kollegen eintrugen, sogar des ihm ansonsten fernstehenden Thomas Mann.
"Der Verlorene", so nennt ihn Joachim Kersten in einem biographischen Essay. Nicht verloren aber ist Borchardts Werk. Der von seinen beiden Söhnen überlieferte Nachlaß, aufbewahrt teils an der Duke University in Durham, North Carolina, teils im Deutschen Exilarchiv 1933-1945 in Frankfurt am Main, ist einer der letzten nahezu unberührten Schätze der deutschen Literatur des Exils: das Werk eines Autors, der sich indes von einem Sympathisanten des Kommunismus zum konservativen Kritiker einer Welt wandelte, die nahezu all ihre Glücksversprechen gebrochen hatte. Es umfaßt neben Theaterstücken, Romanen und Erzählungen auch philosophische Abhandlungen, politische Aufsätze und autobiographische Arbeiten, darunter Aufzeichnungen über das Leben in der Sowjetunion sowie ein fragmentarisch überliefertes Buch über die Haftzeit in deutschen Konzentrationslagern.
Der erste von insgesamt fünf Bänden der kritischen Ausgabe erscheint im April 2021 im Wallstein Verlag in Göttingen, herausgegeben von Hermann Haarmann, Christoph Hesse und Lukas Laier.
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