Ausstellungsbesprechung
Last Minute. Eine Ausstellung zu Sterben und Tod
Museum für Sepulkralkultur Kassel 21. Oktober 2000 bis 28. Februar 2001Kataloge: Last minute. Ein Buch zu Sterben und Tod. Hrsg. vom Stapferhaus Lenzburg Schweiz, Baden: hier und jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte 2000, 304 Seiten, 104 s/w Abbildungen, Broschur mit Schutzumschlag, ISBN: 3-906419-22-3, 58,- DM Last minute - Der Tod macht auch vor der Schule nicht halt. Materialien für Lehrerinnen und Lehrer. Eine Zusammenarbeit des Pestalozzianums Zürich mit dem Stapferhaus Lenzburg, hrsg. v. Renate Amuat, Zürich: Verlag Pestalozzianum 2000, 80 Seiten, Broschur, ISBN: 3-907526-63-5, 30,- DM
Rezensiert für VL Museen von: Günter Riederer, Bernhardswald„Der Tod“ - so Karl Rahner - „ist ein Vorkommnis, das den ganzen Menschen betrifft.“ Der berühmte Theologe meinte das vermutlich nicht so simpel, wie es sich auf den ersten Blick liest. Angesichts der unvermeidlichen Endlichkeit des menschlichen Daseins verwundert jedoch immer wieder die mangelnde Bereitschaft, sich mit Tod und Sterben schon zu Lebzeiten auseinanderzusetzen. Diese Weigerung hat eine lange Tradition: Unter dem Einfluß aufklärerischer Ideen zerbrach die jahrhundertelange räumliche Eintracht von Lebenden und Toten. War der Kirchhof und damit auch der Friedhof im Mittelalter noch ein bevorzugter Ort für öffentliche Versammlungen und Rechtsgeschäfte aller Art, erfolgte im 18. Jahrhundert die Vertreibung der Toten aus den Städten. Damit einher ging ein Epochenwandel im Umgang mit dem Tod, der aus dem Leben weitgehend verdrängt wurde.Zu Beginn des 21. Jahrhunderts nun scheint das Pendel zurückzuschlagen und die Schleier, die das Bild vom „Bruder des Schlafes“ über die Endgültigkeit des Sterbens gelegt hat, werden wieder gelüpft. Der Tod soll in die Mitte der Gesellschaft zurückkehren und dort den ihm eigenen Platz einnehmen. Die bewußte Auseinandersetzung mit den letzten Dingen ist auch das zentrale Thema der Ausstellung „Last minute“, die derzeit im Museum für Sepulkralkultur in Kassel zu sehen ist. Die Umsetzung dieses Anliegens ist - um es gleich vorwegzunehmen - auf beeindruckende Weise gelungen: „Last minute“ behandelt nicht nur ein Thema von zeitloser Aktualität sondern präsentiert ihre Thesen auch in einem modernen und ansprechenden Design. Verantwortlich für die Konzeption der Ausstellung zeichnet das Stapferhaus in Lenzburg, eine Einrichtung für Erwachsenenbildung und Kulturarbeit. In den Jahren 1998/1999 war „Last minute“ bereits in der Schweiz zu sehen und dort ein überwältigender Erfolg. Ursprünglich in einer alten Fabrikhalle untergebracht, mußten die Bauten der kleineren Ausstellungsfläche im Museum für Sepulkralkultur angepaßt werden. Trotzdem gelingt eine überzeugende Verknüpfung von Inhalt und Inszenierung, die den Ausstellungsbesuch auch in Kassel zu einem echten Erlebnis werden läßt. Auf den verschiedenen Etagen des Museums sind insgesamt zehn Rauminstallationen zu sehen, die sich den jeweiligen Themenbereichen widmen. Beeilen, arbeiten, zuschauen, sterben, verabschieden, wissen, leben, abgrenzen, nachfragen, abreisen - so lauten die einzelnen Stationen des Rundgangs. „Beim nächsten Ton ist es...“ - ein Piepston und eine monotone Stimme irritieren am Eingang vor dem Museum. Dort ist ein Lautsprecher montiert, der die Zeitansage einspielt und damit plakativ auf den Titel der Ausstellung verweist. „Last minute“ ist eine genial-einfache Chiffre für die Spaß- und Dienstleistungsgesellschaft, in der wir heute leben: Schnelles Reisen, schnelles Genießen und wohl auch schnelles Sterben bestimmen den Lebensrhythmus des postmodernen Menschen. Der Geschwindigkeitsrausch hat dabei in einer Art medialem Overkill das einstmals romantisch verklärte „letzte Stündlein“ zur „letzten Minute“ verdichtet. Zunächst betritt man den ersten größeren Ausstellungsbereich mit dem Titel „arbeiten“. Insgesamt neun „Hörkuben“ geben Einblick in den Arbeitsalltag von Personen, die sich professionell mit Sterben und Tod auseinandersetzen. Per Knopfdruck läßt sich im Inneren des schwarzen Kubus eine Art Miniatur-Hörbild abrufen, das den jeweiligen Berufsstand vorstellt. Ein Nachrichtenredakteur, eine Krankenschwester, ein Kremateur, ein Pfarrer, ein Bestatter, ein Pathologe, eine Trauerseminarleiterin und ein Mortalitätsstatistiker geben Auskunft über ihre Art des Umgangs mit dem Tod. Ihre Tätigkeit wird am Eingang jedes Kubus mit einem bestimmten Gegenstand visualisiert - der Bestatter mit seinem Körperduftöl, die Trauerseminarleiterin mit ihren Flußsteinen, der Nachrichtenredakteur mit seinem Videoband. Zudem hat jeder Kubus einen spezifischen Bodenbelag: So stehen im Bestatter-Kubus die Zuhörenden auf Planken aus Tannenholz, im Pathologen-Kubus auf weißen Laborfliesen. Man wolle damit - so schreibt Beat Hächler, der Organisator der Ausstellung, in seinem Katalogbeitrag - die eigene Bilderproduktion anregen und auf assoziative Weise eine „Visualisierung ohne Bilder“ erreichen. Ganz anders - nämlich mit einer Flut von Bildern - operiert der zweite Themenbereich mit dem Titel „zuschauen“. An der Decke des Saales hängen neun Bildschirme, die in schneller Abfolge ausgewählte Filmtode zeigen. Auf faszinierende Weise macht dieser Zusammenschnitt deutlich, daß das Filmsterben tatsächlich ganz tiefgreifend unsere Wahrnehmung vom Tod prägt. Ohne großen Kommentar bringen das Sterben Winnetous oder das langsame Hinscheiden Mozarts in den gezeigten Ausschnitten ihre Botschaft auf den Punkt: Es besteht eine unüberbrückbare Diskrepanz zwischen künstlichem Filmtod und wirklichem Sterben. Die Mitteletage widmet sich dem sensibelsten Thema der Ausstellung. Ein Raum, dessen Ausgestaltung mit weißen Stoffen an Laken, Kissen, Nachthemden und Leichentücher erinnert, setzt das „Sterben“ in Szene. Drei konzentrische Kreise führen behutsam an das Thema heran. Zunächst lassen sich auf Krankenhausbeistelltischen mit CD-Playern unterschiedliche „Sterbeerfahrungen“ hören. Pflegende berichten über ihre persönlichen Erlebnisse mit dem Sterben zu Hause, dem Sterben in Hospiz und Pflegeheim sowie dem Tod im Krankenhaus. Hinter einer Wand liegen in einem zweiten Ring Zeichnungen von sterbenden Kindern bzw. Kindern, deren Mutter oder Vater im Sterben lag. Im innersten Bereich folgt dann der beeindruckendste (und wohl auch umstrittenste) Beitrag zur Ausstellung. Zu sehen ist der Kurzfilm „Tante Rosy 1901-1998“ von Joseph Scheidegger, der nicht nur Szenen aus dem Leben seiner Tante, sondern auch ihr Ende zeigt. Der Züricher Filmemacher reklamiert für sich, daß er dem Tod gewissermaßen ins Auge schauen wollte. Ob es ihm dabei tatsächlich gelungen ist, die Würde der sterbenden Tante zu wahren oder ob ihm der Film zur „Pornografie des Blicks“ entgleitet wird zu lebhaften Diskussionen Anlaß geben. Auf dem zweiten Stockwerk befindet sich zunächst der Themenbereich „verabschieden“, der den langen und beschwerlichen Weg vom Totenschein bis zum Begräbnis nachzeichnet. Im Bereich „wissen“ zeigen zwei Computerterminals Mortaliätsstatistiken, zudem gibt es die Möglichkeit, seine eigene Todesanzeige zu gestalten und auszudrucken. „Leben“ widmet sich der schwierigen Thematik Suizid, während sich der Bereich „abgrenzen“ aktuellen Themen wie Organtransplantation, Hirntod und Sterbehilfe zuwendet. Im Untergeschoß befinden sich der Bereich „nachfragen“, der auf einem Leuchtschriftband Auszüge aus dem Tagebuch von Max Frisch zu Sterben und Tod einspielt. Abgeschlossen wird der Rundgang durch eine Installation, die auf eine von einem Wasserbassin umflossene Insel führt. Zum sanften Plätschern des Wassers lassen sich Texte von Schülerinnen und Schülern über ihre Vorstellungen von Tod und Jenseits lesen. „Last minute“ verfolgt eine überzeugende Strategie: Die Bildersprache der Ausstellung setzt Assoziationen frei und bindet Besucherinnen und Besucher auf subtile Weise ein. Wissensunabhängig werden - wie beispielsweise beim Verfassen der eigenen Todesanzeige - Erlebnisse produziert, die zu einer weiteren Beschäftigung mit der Thematik anregen. Pietätlos, unsensibel, makaber - das sind die Schlagworte, die bei der Vorbereitung der Ausstellung die Runde machten. Bedenkt man die Fallen und Gefahren, die ein derart sensibles Thema aufweist, so hat das Ausstellungsteam die Aufgabe auf bravouröse Weise gelöst. „Last minute“ ist ein ebenso intellektuelles wie visuelles Vergnügen, ihr Besuch läßt für eine Weile Zeit und Raum vergessen - und was kann man von einer Ausstellung zum Thema „Sterben und Tod“ schöneres erwarten. © VL Museen Alle Rechte beim Autor und VL Museen Dokument erstellt am 2.1.2001 |