Philosophische Modelle der Alltagspsychologie
ROBERT HAGEN
1. Einleitung
2. Theorie-Auffassung der alltagspsychologischen Kognition
2.1 Typologie der Theorie-Auffassungen - Was ist eine Theorie?
2.2 Fodors Psychosemantik
2.2.1 Der metaphysische Hintergrund
2.2.1.1 Ebenenmodell der Wissenschaften
2.2.1.2 Multiple Realisierbarkeit
2.2.1.3 Supervenienz
2.2.1.4 Funktionale Rollen
2.2.2 Intentionalität
2.2.3 Intrinsische vs. extrinsische Eigenschaften
2.2.3.1 Zwillingserde
2.2.3.2 Relationale Eigenschaften in Erklärungen
2.2.3.3 Oskars Arthritis
2.3 Was heißt »kausal wirksam«?
2.3.1 Das Hempel-Oppenheim-Schema
2.3.2 Elliptische Erklärungen
2.3.3 Der Zusammenhang zwischen Erklärungen, Theorien und Ursachen
2.3.4 Erklärungen als Antworten auf Warum-Fragen
2.4 Typologie der Theorie-Auffassungen - Zweiter Teil
3. Gordons Simulationsmodell
3.1 »Kalte« und »heiße« Methodologie
3.2 Nicht-intentionale Emotionen
3.3 Einfache intentionale Bewußtseinszustände (Wahrnehmungen, Emotionen und Empfindungen)
3.4 Faktive und epistemische Emotionen
3.5 Propositionale Einstellungen
3.6 Zusammenfassung
4. Pragmatische Modelle
4.1 Polyvalenz von »glauben« und »denken«
4.2 Erklärungen im Kontext
4.2.1 Erklärungen als Äußerungen
4.2.2 Erklärungen von Äußerungen
4.2.3 Erklärung eigener Handlungen
4.2.4 Erklärung von Handlungen Anderer
4.3 Zwischenbilanz
4.4 Irreduzible Intentionalität und kontrafaktische Konditionale
4.4.1 Bakers metaphysischer Hintergrund
4.4.2 Praktischer Realismus
4.5 Wittgenstein
4.5.1 Das Innere und das Äußere
4.5.2 Sprechen und das Mentale
4.5.3 Vorstellungen
4.5.4 Meinungen
5. Schluß
Literaturverzeichnis
Links
In den letzten circa 25 Jahren hat sich in der psychologischen, kognitionswissenschaftlichen und philosophischen Literatur der Terminus »Alltagspsychologie«1 eingebürgert, um damit eine spezifische (menschliche) Fähigkeit und durchgängige Praxis im alltäglichen Leben und zwischenmenschlichen Umgang zu bezeichnen. Gemeint ist das Vermögen, das sich darin äußert, daß wir das Verhalten anderer Menschen (und unser eigenes) auf eine Art und Weise erklären, interpretieren, verstehen und in gewissem Maße auch vorhersagen können, die offenbar grundlegend von unserem Verständnis etwa unbelebter physischer Gegenstände mittlerer Größe abweicht: Es steht uns hierfür ein ganz eigenes Vokabular zur Verfügung, das in der Philosophie des Geistes gemeinhin mit den Prädikaten intentional2 oder mentalistisch charakterisiert wird. Dieses Vokabular besteht aus Ausdrücken und Konzepten, die ihren eigenen ausschließlichen Anwendungsbereich haben, den bewußter Lebewesen. Beispiele solcher Ausdrücke sind: wissen, meinen, denken, hoffen, wollen, wünschen, planen, beabsichtigen, argwöhnen ... Viele von ihnen würden wir nur in Bezug auf Menschen anwenden - und selbst hier ist einzuschränken, auf Menschen eines gewissen Alters. Von einem Säugling würden wir nicht sagen, er habe gedacht, daß heute Freitag ist, und nicht Sonntag. Einige Ausdrücke, vor allem die, die mit Gefühlen zu tun haben, würden die meisten Menschen (mit der bekannten Ausnahme von Descartes) problemlos auch auf Tiere anwenden. Kaum einer würde bezweifeln, daß ein Hund manchmal Hunger hat oder mit seinem Gebell jemanden einschüchtern will. Manchmal verwenden wir die Ausdrücke auch metaphorisch. Wir sagen etwa, unser Auto wolle nicht anspringen, der Fahrstuhl verweigere seinen Dienst oder der Computer glaube, daß wir das Jahr 1900 schreiben, obwohl wir doch im Jahre 2000 sind. Allein, worin der wesentlichen Unterschied zwischen der wörtlichen und der nicht-wörtlichen Verwendung von mentalen Prädikaten liegt, ist entgegen dem Anschein eine nicht einfach zu beantwortende Frage.
Diese mentalistischen Konzepte, so läßt sich beobachten, stehen dabei nicht isoliert nebeneinander, sondern sind in unserer alltäglichen Erklärungs- und Interpretationspraxis offenbar systematisch untereinander und mit bestimmten Verhaltensäußerungen verbunden. Die Ausdrücke für diese Verhaltensäußerungen selbst gehören ebenfalls einem spezifischen - mentalistischen - Vokabular an3. Philosophen unterscheiden hierfür meist begrifflich zwischen Verhalten und Handlungen. Zu letzteren sind nur vernunftbegabte Wesen fähig, verhalten können sich auch nicht-belebte Objekte.
»XY versuchte, durch den Hinterausgang zu entkommen, weil er wußte, daß der Haupteingang bewacht war und weil er glaubte, unerkannt fliehen zu können.«
Eine der systematischen Verbindungen, die in dieses alltägliche, und doch bei näherer Betrachtung bereits unglaublich komplexes Beispiel eingeht, ist etwa die, daß Menschen unter anderem dann eine Handlung unternehmen, wenn sie glauben, eben diese Handlung durchführen zu können. Eine andere, daß eine Handlung meist ein Ziel verfolgt, und dieses Ziel mehr oder weniger direkt zum Nutzen des Handelnden ist.
Es ist unter anderem diese Systematizität, die den Fokus der Aufmerksamkeit derjenigen Autoren bildet, die die alltagspsychologische Kompetenz bevorzugt mit dem Terminus »theory of mind« bezeichnen. Zwar wird man bei der Konsultation einschlägiger philosophischer Nachschlagewerke enttäuscht vermerken, daß dem Begriff »Theorie« keineswegs ein einziges und unstrittiges Konzept zugrundeliegt, sondern man sich im Gegenteil bereits mitten in unterschiedlichen philosophischen Grundsatzdiskussionen befindet, sobald man den Ausdruck reflektiert verwenden will. Doch kann als unzweifelhaft gelten, daß die nähere Untersuchung der systematischen Verbindungen alltagspsychologischer Konzepte (oder Ausdrücke)4 einen möglichen Zugang zur Frage des Status der Alltagspsychologie verspricht. Denn das Ziel der systematischen Organisierung von Wissen ist nicht nur Leitbild wissenschaftlicher Erkenntnis, sondern auch ein Prinzip menschlicher Kognition (und Kommunikation bzw. Sprache) im allgemeinen. Also könnte es die philosophische Diskussion weiterbringen, Kenntnisse über das Wesen von Theorien und der Wissenschaftstheorie auf das Feld des zwischenmenschlichen Alltagsverstehens zu übertragen, so die Überlegung.
Es ist noch ein weiterer Aspekt, der eine Analogie zwischen wissenschaftlicher Theoriebildung und -anwendung und unserer Praxis, Andere verstehen zu wollen und oft (anscheinend) auch zu können, nahelegt: wir sehen es einem Anderen nicht an, was er denkt und was ihn bewegt. Auch der Volksmund kann uns darin bestärken, wenn z.B. gesagt wird: Dies und das sei jemandem nicht auf die Stirn geschrieben. Und erkenntnistheoretische Zweifel veranlassen Philosophen sogar, noch weiter zu gehen und zu sagen: Auch was jemand fühlt, sehen wir Anderen gar nicht unmittelbar an. Wenn jemand traurig ist - so die für Nicht-Philosophen sicher befremdlich anmutende Behauptung - sehen wir ihm oder ihr das gar nicht unmittelbar an. Denn streng genommen sähen (und hörten) wir doch lediglich gewisse Lautäußerungen, Stellungen der Mundwinkel, eine Absonderung von Tränenflüssigkeit und eine erhöhte Rötung der Augen.5
So bietet es sich an, eine Brücke zwischen den sog. theoretischen oder unbeobachtbaren Entitäten der Wissenschaften und den Meinungen, Wünschen und Hoffnungen (in der analytischen Philosophie des Geistes »mentale Zustände« genannt) zu schlagen. Funktionieren Erklärungen und Behauptungen, in denen wir auf »unsichtbare« Meinungen Anderer Bezug nehmen, nicht vielleicht genauso wie beispielsweise astronomische Erklärungen, die auf »unsichtbare« Gravitations- und Zentrifugalkräfte Bezug nehmen?
Neben dem »theoretischen« oder nicht direkt beobachtbaren Charakter des Mentalen sind zwei weitere Stichwörter gefallen, die für die zeitgenössische philosophische Reflexion der alltagspsychologischen Kompetenz entscheidend sind: diese Kompetenz drückt sich darin aus, daß wir Erklärungen (menschlichen Verhaltens) liefern, und darin, daß sie uns im erfolgreichen Fall erlaubt, andere Menschen zu verstehen.
Damit haben wir die wichtigsten Mittel an der Hand, um zu den zentralen Thesen der Theorie-Auffassung des alltagspsychologischen Kognition, oftmals auch kurz »Theorie-Theorie« genannt, vorzudringen.
Mit »Theorie-Auffassung der alltagspsychologischen Kognition« bezeichne ich genau genommen keine einheitliche philosophische Position, sondern ein Sammelsurium höchst unterschiedlicher Auffassungen. Einem Teil dieser Positionen ist lediglich der Titel »Theorie-Theorie« bzw. die Verwendung des Terminus »theory of mind« gemeinsam. Der andere Teil läßt sich deswegen unter dieser Überschrift führen, weil sie ihre Aufmerksamkeit auf die eben dargelegten Kennzeichen richten, wenngleich sie sich das Etikett »Theorie-Theorie« selbst nicht zu eigen zu machen.6 Je nach dem, was genau im Einzelfall mit der Theorieartigkeit mentaler Konzepte gemeint sein soll, und je nach dem, auf welche Thesen sich die jeweiligen Positionen dabei festlegen, können die Differenzen zwischen den Auffassungen weit größer sein, als es zunächst den Anschein haben mag. Die bloße Verwendung des Terminus »theory of mind« kann demnach kaum als Garant dafür dienen, zu einer halbwegs genau bestimmbaren philosophischen Strömung zugerechnet werden zu können.
Um sich besser darüber verständigen zu können, worüber man überhaupt redet, und was genau im einzelnen strittig ist, wäre also eine feinkörnigere Typologie von großer Hilfe. Das gilt nicht nur, wenn das vorrangige Ziel in einer Klassifizierung der vorzufindenden Einzelpositionen unterschiedlicher Autoren liegt, sondern auch für die Frage, der sich die vorliegende Arbeit widmet. Es geht mir um eine allgemeine Klärung des Spannungsfeldes, in dem sich die philosophische Diskussion bewegt, sobald der mehrfach erwähnte Ausdruck fällt.
In der Topographie möglicher Modelle der Alltagspsychologie werde ich zunächst eine in vielfacher Hinsicht extreme Position in Augenschein nehmen: diejenige von Jerry A. Fodor7. Ich werde aufzeigen, in welche unlösbaren Schwierigkeiten sich sein Programm verwickelt. Dies wird mich zunächst in der Diagnose bestärken, den Grund für das sich abzeichnende Scheitern seines Ansatzes in falschen Grundannahmen zu sehen. Ich werde Fodors Ansatz vorwiegend hinsichtlich solcher Aspekte kritisieren, die gleichzeitig auch andere Theorie-Theorie-Versionen betreffen. Danach werde ich eine Annäherung an den Gegenstand der Alltagspsychologie vorschlagen, die diese Annahmen vermeidet und der sich diese Schwierigkeiten daher nicht stellen. Dieser Vorschlag kann gut als das pragmatische Modell bezeichnet werden. Es wird einige Elemente der Positionen von John L. Austin8 und Ludwig Wittgenstein9 heranziehen. Viele Ähnlichkeiten sehe ich auch zwischen meiner Argumentation und der von Lynne R. Baker10.
Dazwischen werde ich eine Variante des Simulationsansatzes vorstellen, das Modell Robert M. Gordons11. Ich werde einige Ideen dieses Modells aufgreifen und es als im Prinzip richtige Strategie bewerten. Gleichwohl werde ich zu dem Schluß kommen, daß es einige zentrale Fragen offen läßt oder unzureichend beantwortet.
Vorher jedoch soll eine Typologie möglicher Theorie-Auffassungen den Überblick erleichtern.
Eine vorläufige Typologie können wir gewinnen, wenn man in Form von Teilthesen die bereits benannten Teilaspekte von Theorieartigkeit in Bezug auf die Alltagspsychologie aufzählt. Je mehr dieser Teilthesen ein Autor vertritt, desto mehr läßt sich von ihm sagen, er vertrete eine Theorie-Auffassung in engerem Sinne. Je weniger von ihnen ein Autor unterschreiben würde, um so mehr schwächt sich die Position ab. Je schwächer die Position ist, um so weniger Alternativpositionen sind es, zu denen sie in Widerspruch stehen würde. Zugleich bedarf es um so mehr zusätzlicher Angaben, um die jeweilige schwächere Auffassung allererst zu einer gehaltvollen Auffassung zu machen.
(1) In der Alltagspsychologie werden systematische Prädikate angewandt und damit der Organisationsgrad des Wissens über andere Menschen erhöht.12 Die Alltagspsychologie stellt eine ihr eigene Taxonomie bereit, durch die die Interpretation von menschlichen Verhaltensäußerungen geleitet wird.13
(2) In der Alltagspsychologie ist insofern eine Theorie zu sehen, als sie in erster Linie dazu dient, durch ihre Anwendung Erklärungen und Voraussagen menschlichen Verhaltens zu liefern.
(3) Die alltagspsychologischen Prädikate (oder ein großer Teil dieser) bezeichnet theoretische oder unbeobachtbare Entitäten.14 In der Anwendung der alltagspsychologischen Theorie werden mentale Zustände postuliert. Die Bedeutung dieser Prädikate wird durch ihre (mögliche) Rolle in Erklärungen festgelegt.
Diese Teilthesen bilden eine Implikationshierarchie: Entweder man vertritt (1) bis (3), oder (1) und (2) ohne (3), oder nur (1). Es ist nicht möglich, (3) zu vertreten, dabei aber (1) und (2) abzulehnen.
In Teilthese (2) geht in aller Regel ein gewisses Vorverständnis dessen ein, was unter einer Erklärung zu verstehen ist. Das betrifft insbesondere die Interpretation des Wörtchens »weil« in solchen Äußerungen des Alltags, in denen mentale Ausdrücke wie »glauben«, »befürchten« usw. vorkommen. Obwohl es eigentlich nur wenig intellektueller Anstrengung bedarf, um zu erkennen, daß diese Konjunktion in der Alltagsverwendung ein viel breiteres Bedeutungsspektrum hat und damit vielfältigere Funktionen erfüllt als in wissenschaftlichen Erklärungen, wird diesem Umstand in der philosophischen Literatur (zu diesem Thema) erstaunlich selten Rechnung getragen. Wo es selbstverständlich erscheinen würde zu sagen:
(2')Wir verwenden das alltagspsychologische Vokabular, um menschliches Verhalten (darunter auch: unser eigenes) zu erklären, zu begründen und zu rechtfertigen, und um Anderen von unseren Erlebnissen zu erzählen.
gehen nicht wenige Autoren - darunter auch Fodor - ohne Umschweife von (2) über zu:
(2*)In der Alltagspsychologie ist insofern eine Theorie zu sehen, als sie in erster Linie dazu dient, durch ihre Anwendung Erklärungen und Voraussagen menschlichen Verhaltens zu liefern, das heißt, Ursachen für dieses Verhalten anzugeben.
Ähnlich verhält es sich mit der Frage, was es heißt, menschliches Verhalten bzw. jemanden zu verstehen. Während in der allgemeinen Auskunft, warum es zunächst sinnvoll erscheint, in der alltagspsychologischen Kompetenz die Anwendung einer Theorie am Werk zu sehen, meist von »erklären« und »verstehen« die Rede ist, findet in den meisten Fällen in der weiteren Entwicklung der jeweiligen Position von »verstehen« keine Erwähnung mehr. Das erklärt sich aus der (oft stillschweigend) vorausgesetzten Annahme, daß »x verstehen« gleichbedeutend ist mit »x erklären können«.15
Fodors Theorie-Theorie-Version will die Konzepte der Alltagspsychologie in eine Kognitionswissenschaft überführen, die zwar einerseits die alltäglichen Begriffe und deren Bedeutung (weitgehend) beibehalten soll, andererseits aber den Maßstäben einer streng wissenschaftlichen Disziplin gehorcht.
Der Zusammenhang zwischen der als Theorie verstandenen Alltagspsychologie und der Fundierung der Kognitionswissenschaften16 stellt sich für Fodor so dar:
(a) Mittels der alltagspsychologischen Theorie erklären wir menschliches Verhalten (im Sinne obiger Teilthesen (1) bis (3)) und sagen menschliches Verhalten voraus.17
Someone I don't know phones me at my office in New York from - as it might be - Arizona. 'Would you like to lecture here next Tuesday?' are the words that he utters. 'Yes, thank you. I'll be at your airport on the 3 p.m. flight' are the words I reply. That's all that happens, but it's more than enough; the rest of the burden of predicting behavior - of bridging the gap between utterances and actions - is routinely taken up by theory. [...]
[T]he theory from which we get this extraordinary predictive power is just good old commonsense belief/desire psychology. That's what tells us, for example, how to infer people's intentions from the sounds they make [...] and to infer people's behavior from their intentions [...]. (Fodor 1987: S. 3)
Dabei geben wir (mutmaßliche) Ursachen des Verhaltens an.
We have, in practice, no alternative to the vocabulary of commonsense psychological explanation; we have no other way of describing our behaviors and their causes if we want our behaviors and their causes to be subsumed by any counterfactual-supporting generalizations that we know about. (Fodor 1987: S. 8)18
Commonsense psychological explanation is deeply committed to mental causation of at least three sorts: the causation of behavior by mental states; the causation of mental states by impinging environmental events [...]; and [...] the causation of mental states by one another. As examples of the last sort, common sense acknowledges chains of thought as species of complex mental events. A chain of thought is presumably a causal chain in which one semantically evaluable mental state gives rise to another [...]. (Fodor 1987: S. 12)
(b) Die Voraussagen treffen meistens zu, die Theorie ist daher gut bestätigt.
It's not possible to say, in quantitative terms, just how successfully commonsense psychology allows us to coordinate our behaviors. But I have the impression that we manage pretty well with one another; often rather better than we cope with less complex machines. (Fodor 1987: S. 3)
[W]e do use commonsense psychological generalizations to predict one another's behavior; and the predictions do - very often - come out true. (Fodor 1987: S. 4)
(c) Wir können daraus schließen, daß den Ursachen, die wir in den Erklärungen angeben (mentale Zustände, darunter auch propositionale Einstellungen), etwas Wirkliches entspricht.
(d) Daher sind die Kognitionswissenschaften gut beraten, wenn sie in ihren Modellen Gegenstücke der mentalen Zustände der Alltagspsychologie verwenden.
[W]e can't give [...] up [the propositional attitudes] because we don't know how to.
So maybe we had better try to hold onto them. Holding onto the attitudes - vindicating commonsense psychology - means showing how you could have (or, at a minimum, showing that you could have) a respectable science whose ontology explicitly acknowledges states that exhibits the sorts of properties that common sense attributes to the attitudes. (Fodor 1987: S. 10)
Die Maßstäbe des streng Wissenschaftlichen bestehen in Fodors Augen vor allem darin, daß sich jede ernsthafte Wissenschaft reibungslos in ein wissenschaftliches Weltbild einfügen lassen muß, das er in seinem Modell der Hierarchieebenen des wissenschaftlichen Disziplinen darlegt. Dieses Modell der »levels of (scientific) explanation« stützt Fodor auf zwei Kernprinzipien: (1) das Prinzip der multiplen Realisierbarkeit mentaler Zustände; (2) die Supervenienzthese. Zusammen mit dem Erklärungsebenenmodell geben sie den metaphysischen Hintergrund ab, vor dem Fodors Ringen um eine kohärente Ausformulierung der Theorie-Theorie gesehen werden muß.
Die moderne Menschheit verfügt über eine Fülle wissenschaftlicher Disziplinen. Sie werden in erster Linie von Experten beherrscht und von in der Regel hochspezialisierten Forschern vorangebracht. Diese Spezialwissenschaft beschäftigen sich - zunächst je für sich - mit einem speziellen Phänomenbereich. Dessen Phänomene möchten sie besser verstehen, das heißt Erklärungen liefern und allgemeine Gesetzmäßigkeiten auffinden, mit denen sich die Phänomene erklären lassen und mit denen sich menschliche Eingriffe in den »natürlichen« Lauf der Dinge durchführen lassen. Das gilt selbst für die Meteorologie: Selbst wenn die Disziplin das Wetter bislang nicht beeinflussen kann, so kann sie uns doch vor Orkanen und anderen Unwettern warnen, so daß für Schutzmaßnahmen gesorgt werden kann.
Trotz aller Spezialisierung beziehen sich dennoch alle Gesetze und Erklärungen auf eine Welt, und so erscheint es natürlich zu fragen, wie denn das Verhältnis zwischen den Wissenschaften zu verstehen ist. Ein vereinfachtes Bild, das dennoch eine Art Wissenschaftsutopie abgibt, sieht wie folgt aus:
Wissenschaften, absteigend weniger speziell |
Phänomenbereich, für die sie Erklärungen liefern |
Gegenstandstypen (oder »Eigenschaften«), die sie als kausal wirksam erachtet |
Kognitionswissenschaft/Psychologie |
menschliches Verhalten |
Sinneseindrücke, mentale Zustände, darunter propositionale Einstellungen, ... |
Neurowissenschaften |
Erregungsmuster sensorischer und motorischer Neuronen, pathologische Phänomene |
Muster von Erregungsniveaus einzelner Neuronen oder von Gehirnregionen, Konzentrationen bestimmter Substanzen, Impulsübertragungsraten, neuronale Schaltungen, ... |
Physiologie |
Stoffwechselhaushalt von Pflanzen und Tieren |
Verhalten von Transmittersubstanzen und Rezeptoren, elektrolytische Eigenschaften von Membranen in kalium- und natriumhaltigem Medium, ... |
Biochemie |
organische chemische Prozesse |
Moleküle, Säuregrad, chemische Bindungen, katalytische Substanzen ... |
... |
... |
... |
Physik |
Verhalten von Lichtstrahlen, Teilchenstrahlungen, Elektrizität, Planeten, Radioaktivität, ... |
Aufeinanderprallen unterschiedlich geladener Atome unter hoher Geschwindigkeit ... |
Zur oben stehenden Tabelle muß ergänzt werden: In aufsteigender Richtung nimmt die Anzahl der Disziplinen zu, die hier nebeneinander stehen müßten. So erhält man eine auf der Spitze stehende Pyramide. Der Phänomenbereich wird in einer Hinsicht von oben nach unten immer enger, im Sinne von kleinteiliger. In einem anderen Sinn wird er aber breiter: zum Beispiel betrachtet die Neurologie nur Phänomene, die tierische und menschliche Organismen betreffen, die Physiologie auch solche anderer Lebewesen, und die Chemie ist gar nicht mehr auf Lebewesen eingeschränkt.
Dies soll für den Moment als erste Skizze genügen. In kürze komme ich auf die Beziehung zwischen den Etagen zurück.
Die Philosophie hat aus dem Scheitern des behavioristischen Forschungsprogramms gelernt - vor allem aus den unüberwindbaren Schwierigkeiten, die sich aus einer einfachen Form der Identifizierung des Mentalen mit dem Materiellen (des Gehirns) ergeben.19 Die Identitätstheoretiker kannten keine unterschiedlichen Hierarchiestufen der Erklärung, sondern strebte eine direkte Identifizierung von Geisteszuständen und empirisch aufzufindenden Gehirnzuständen an. Zwar handelt es durchaus um zwei unterschiedliche Beschreibungsvokabulare - Meinungen, Gefühle und anderes auf der einen Seite, neuronale Erregungsmuster und Aktivitätsniveaus bestimmter Hirnregionen auf der anderen - aber ein einzelner mentaler Zustand sollte mit einem spezifischen Erregungsmuster identifizierbar sein. Das Forschungsprogramm sollte damit in der Lage sein, gleichsam ein Wörterbuch zu erstellen, in dem auf der einen Seite Vokabeln der mentalistischen Beschreibung stehen und auf der anderen Bezeichnungen für die entsprechenden Erregungsmuster. Diese Typ/Typ-Identifikation ist jedoch nicht haltbar. Denn schließlich gibt es keinen Grund, davon auszugehen, daß ein und derselbe mentale Zustand (oder eine Instanz eines Typs eines mentalen Zustands: ein »token«) immer durch ein und denselben (genauer: immer durch ein token des gleichen neurologischen Typs von Erregungsmuster) instantiiert sein muß. Das gilt bzgl. unterschiedlicher Menschen zum gleichen Zeitpunkt genauso wie bzgl. eines Menschen zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Dies zieht die Folgerung nach sich, daß die Vokabulare der beiden Beschreibungsebenen ihre jeweiligen Gegenstandstypen anders klassifizieren und in diesem Sinne anders konstituieren. Es gelten für mentale Zustände und für neurologische Zustände, so wie sie durch die jeweilige Begrifflichkeit typisiert werden, unterschiedliche Kriterien, die darüber entscheiden, ob zwei Einzelphänomene verschiedenen Typen zuzuordnen sind oder dem gleichen.
Daß zwischen den beiden Beschreibungsebenen dennoch ein nicht-beliebiger Zusammenhang besteht, wird durch die Idee der multiplen Realisierbarkeit von kausal wirksamen Eigenschaften verständlich. Sie besagt, daß eine kausal wirksame Eigenschaft, die gemäß den Standards von Level n+1 individuiert ist, auf der nächsttieferen Ebene n durch unterschiedliche Einzelzustände realisiert sein kann, die unter unterschiedliche Typen von Zuständen fallen, so wie sie mit dem Vokabular des Levels n beschrieben werden. Die Individuationskriterien sind dabei relativ zum Erklärungslevel je verschieden. Durch ein Beispiel kann diese Idee veranschaulicht werden:
Nehmen wir an, wir hätten eine Spezialwissenschaft, die sich mit dem Verhalten von Flüssigkeiten in Gefäßen beschäftigt. Genauer, sie beschäftigt sich allein mit dem Phänomen der Oberflächenspannung von Flüssigkeiten, die dafür sorgt, daß sich bei einem randvoll gefüllten Glas, das dennoch nicht überläuft, die Oberfläche der Flüssigkeit nach oben wölbt. Die Wissenschaft postuliert eine kausal wirksame Eigenschaft, nämlich einen bestimmten Grad O der Oberflächenspannung. Ist er bekannt, läßt sich bei Hinzuziehen anderer Parameter (zum Beispiel des Durchmessers des Glases) der Abstand zwischen Glasrand und Scheitelpunkt der Wasseroberfläche berechnen (oder: »voraussagen«)20. Im Gegenstandsbereich dieser überaus speziellen Einzelwissenschaft kommen nur Gefäße und Flüssigkeiten vor. Diese Gegenstände werden gemäß ihrer Eigenschaften in Gegenstandsklassen (oder Typen) eingeteilt. Dabei werden nur solche Eigenschaften in Betracht gezogen, die für »Erklärungen« (d.h.: Berechnungen) des »Verhaltens« von Flüssigkeiten in Gefäßen von Nutzen sind. Von anderen Eigenschaften, die hier nicht kausal relevant sind, wird abgesehen, zum Beispiel von den Farben. Das Vokabular dieser Wissenschaft kennt keine roten Flüssigkeiten, weil sich rote Flüssigkeiten nicht einheitlich anders verhalten als etwa blaue. Nun gibt es ein tieferes Erklärungslevel, sagen wir das der Chemie. Sie beschäftigt sich mit der chemischen Zusammensetzung der Flüssigkeiten. In dieser Disziplin werden die Gegenstände anders typisiert, und ihr Vokabular kennt andere Eigenschaften. Dabei kann sich herausstellen, daß es mehrere für Chemiker höchst unterschiedliche Eigenschaften (oder »Zustände«) einer Flüssigkeit gibt, die für Wasseroberflächenspezialisten nur eine einzige, identische Eigenschaft darstellen. Denn nichts spricht gegen die Erwartung, daß Flüssigkeiten höchst unterschiedlicher chemischer Zusammensetzung dennoch den gleichen Oberflächenspannungsfaktor haben können. Die Eigenschaft O kann also chemisch unterschiedlich realisiert sein.
Schematisch läßt sich dies wie folgt darstellen:
Level |
Ursache |
Wirkung/Folge |
I |
A |
B |
II |
a1 a2 ... an |
b1 b2 ... bn21 |
... |
... |
... |
Diese Version des Reduktionismus wird Funktionalismus22 genannt. Da Fodor - so wie ich ihn verstehe - das Verhältnis von nicht-wissenschaftlicher Alltagspsychologie und wissenschaftlicher Kognitionswissenschaft oder Psychologie nur als eines des Unvollkommeneren gegenüber dem für wissenschaftliche Belange Bereinigten ansieht, soll uns - Fodor zufolge - das begriffliche (und methodische) Gerüst der Kognitionswissenschaft durchaus als Modell unserer zwischenmenschlichen Erkenntnis dienen. Wenngleich Fodor selbst das für sich nicht in Anspruch nimmt. Er verfolge nicht das Ziel einer Erkenntnistheorie.23
Die ontologische Seite der Medaille stellt der Supervenienzansatz dar. Er geht über das Bild der Hierarchieebenen der Erklärung und das Prinzip der multiplen Realisierbarkeit hinaus, indem er die so erkannten Ursachen als real annimmt. Er wendet sich gegen konstruktivistische Positionen, die einen kognitiven Überschuß der theoretischen Konstrukte höherer Ebenen gegenüber niedrigeren Ebenen geltend machen. Instrumentalisten24 würden bestreiten, daß unsere Begriffe kausal wirksamer Eigenschaften der höheren Ebenen Abbildungen der Realität sind. Die Supervenienzthese besagt hingegen, daß es nicht möglich ist, daß auf einer höheren Ebene zwei Gegenstände (ursächlich relevant) verschieden sind, während auf tieferen Ebenen kein Unterschied vorzufinden wäre. Prägnant formuliert lautet sie: »Es gibt keinen Unterschied ohne physikalischen Unterschied.«
So läßt sich insgesamt folgendes Bild gewinnen:
(Ursächlich wirksame) Phänomene, die gemäß einer Taxonomie einer höheren Stufe der Hierarchie typisiert werden, sind Effekte von anderen Typen auf der nächstunteren Ebene bis ganz nach unten. In der Hierarchie weiter oben stehen Spezialwissenschaften wie Chemie und Biologie, und ganz zu unterst findet sich die Elementarteilchenphysik. Aufgrund dieser Konstruktion stellt sich die (Elementarteilchen-) Physik als die Königsdisziplin dar. Denn im Prinzip ließen sich alle Phänomene auch mikrophysikalisch erklären, auch wenn die Erklärungen sehr lang und umständlich wären.
[I]t is generally assumed that this situation must be remediable, at least in principle. After all, the generalizations of a completed physics would presumably subsume every motion of every thing, hence the motion of organisms inter alia. So, if we wait long enough, we will after all have counterfactual-supporting generalizations that subsume the motions of organisms under that description. (Fodor 1987: S. 9)25
Eine wissenschaftlich purifizierte Psychologie, die aber dennoch wesentliche Spuren der im Alltag implizit angewandten Theorie in sich tragen soll, muß sich als Spezialwissenschaft oberhalb anderer Spezialwissenschaften - darunter v.a. die Neurowissenschaften - einfügen lassen. Wenn nicht, ist sie entweder unwissenschaftlich, und damit unbrauchbar und falsch, oder sinnleer. Wenn ja, supervenieren geistige Eigenschaften bzw. mentale Zustände auf Gehirnzuständen, und diese dann auf chemische und letztlich atomare Zustände.
Mentalen Zuständen - aufgefaßt als kausal wirksame Zustände des menschlichen Organismus - soll, wie bereits angedeutet, der Status theoretischer Entitäten zukommen, in Analogie zu den theoretischen Entitäten anderer Wissenschaften. Zugleich bleibt das funktionalistische Modell mentaler Zustände einer alltäglichen Vorstellung verpflichtet. Denn auch gewöhnliche Menschen, die weder Philosophen noch Funktionalisten sind, würden etwas sagen wie: Wenn wir uns in einer bestimmten Situation zu einer gewissen Reaktion auf sie durchringen, so tritt in der Regel zwischen das Erfassen der Situation und die Reaktion auf sie ein Entscheidungsprozeß, ein Prozeß des Abwägens von Gründen, Zielen und antizipierten Folgen, kurz eine Gedankenkette. In dieser Hinsicht ähnlich sollen von der Kognitionswissenschaft postulierte mentale Repräsentationen (darunter propositionale Einstellungen) zwischen sensorischem Input und motorischem Output als kausal wirksame Zwischenglieder vermitteln. So wird im wesentlichen ein Schema nachstehender Art angestrebt, dessen Bekanntheit der Kenntnis der »mentalen Gesetze« gleichkäme.
Situation / sensorischer Input |
Konfiguration mentaler Zustände |
Reaktion / Verhalten in der Situation |
S1 |
M1 |
V1 |
S2 |
M2 |
V2 |
... |
... |
... |
Sn |
Mn |
Vn |
In dieser Form ist das Schema jedoch noch nicht brauchbar, wenngleich es gewährleisten würde, daß mentale Zustände als unbeobachtbare Entitäten ausschließlich durch ihre Rolle in der Theorie und die beobachtbaren Inputs und Outputs definiert wären. Im Schema können keine notwendigen und hinreichenden Bedingungen für das Vorliegen eines mentalen Zustands angegeben werden. Es kann nicht erfaßt werden, daß das Auftreten eines Verhaltens V1 in S1 nicht durch einen mentalen Zustand verursacht wird, sondern zusätzlich von weiteren mentalen Zuständen (Überzeugungen, Aufmerksamkeit, ...) abhängt, die verschiedene sein können.
Abhilfe naht, sobald dem Umstand Rechnung getragen wird, daß sich mit Erfahrungen auch der Zustand des Organismus, sprich seine zukünftig erwartbaren Reaktionen auf Situationen verändern, mithin auch die vermittelnden mentalen Zustände. Wenn ich einen Wunsch habe, und dieser sich erfüllt, so werde ich ebendiesen Wunsch zumindest eine Zeit lang nicht weiter haben. So ist obiges Schema in das nächste abzuwandeln:
Situation / sensorischer Input & Anfangskonfiguration mentaler Zustände |
Reaktion / Verhalten in der Situation & (vorläufige) Endkonfiguration mentaler Zustände |
S1, M1, M2 |
V1, M3, M2 |
S2, M3, M2 |
V2, M3, M4 |
... |
... |
Die mentalen Zustände vermitteln hier ebenfalls zwischen Input und Output, aber nicht mehr so direkt wie im obigen Schema. Durch rekursive Funktionen lassen sich die funktionalen Zustände Mi jedoch weiterhin so definieren, daß sie durch Spezifikationen der Input- und Output-Ereignisse der Theorie vollständig bestimmt sind.26
Für Fodor wie auch für andere Spielarten des Funktionalismus ist dabei entscheidend, daß die Input- und Output-Bedingungen nicht ihrerseits mentalistische Beschreibungen sind.
Wir können zwischen physikalischem Verhalten, das sich auf bloß physikalisches Handeln oder Erleiden des Körpers bezieht, und eigentlichem Verhalten unterscheiden, das eine Beziehung zum Geist impliziert [...]. Wenn nun in unserer Formel (»Zustand einer Person, der geeignet ist, eine bestimmte Art des Verhaltens hervorzubringen«) Verhalten soviel wie eigentliches Verhalten bedeutet, dann würden wir mentale Begriffe durch einen Begriff beschreiben, der Mentalität bereits voraussetzt; und dies wäre zirkulär. Es ist daher klar, daß in unserer Formel Verhalten physikalisches Verhalten heißen muß. (Armstrong 1968: S. 84)27
Dem Projekt der Grundlegung eines einheitlichen philosophischen (physikalistischen) Weltbilds stellt sich jedoch eine widerspenstige Eigentümlichkeit menschlicher Mentalität in den Weg, die der Intentionalität. Einfach formuliert stellt sich das Problem wie folgt dar: Wie kann es sein, daß Meinungen von Dingen, Sachverhalten und Ereignissen in der Welt handeln, und demgemäß wahr oder falsch sein können, wohingegen es offenkundig unsinnig ist, von einem Neuron oder auch einem ganzen Gehirn zu sagen, es handele von der Welt, es habe einen Bedeutung, einen semantischen Gehalt. Intentionale mentale Zustände, genauer: propositionale Einstellungen, sind semantisch evaluierbar. Das heißt, ob es sich bei zwei Meinungen der gleichen Person zu unterschiedlichen Zeitpunkten (oder die zweier Personen zum gleichen Zeitpunkt) um den gleichen mentalen Zustand handelt, hängt - so wie wir den Ausdruck gewöhnlich verwenden - (u.a.) davon ab, ob sie unter den gleichen Umständen als wahr erachtet werden würden. In diesem Sinne sind mentale Zustände (teilweise) externalistisch charakterisiert. Um zu verstehen, was jemand glaubt, muß ich nicht nur wissen, welche kausale Rolle diese Meinung für sein faktisches Verhalten spielt und für welches mögliche Verhalten unter welchen möglichen Umständen sie die Ursache sein könnte, sondern ich muß darüber hinaus wissen, unter welchen Umständen in der Welt die Meinung wahr wäre.
Für Gehirnzustände gilt das nicht. Sie sind internalistisch charakterisiert. Um zu wissen, ob ein Erregungsmuster des Typs A oder vielmehr eines des Typs B vorliegt, brauche ich keine Tatsachen der Welt außerhalb des Gehirns hinzu zu ziehen.
Dies ist das Grundproblem, das Fodor mit immer neuen Überlegungen zu lösen versucht. Er muß den Nachweis führen, daß sich die kausale Charakterisierung und die intentionale Charakterisierung mentaler Zustände nicht widersprechen müssen. Sonst lassen sich mentale Eigenschaften nicht auf Tatsachen des Gehirns reduzieren.
Fodor ist freilich nicht der einzige, den dieses philosophische Grundproblem beschäftigt. Sowohl in der analytischen Philosophie des Geistes als auch in der Sprachphilosophie rankt sich eine kaum überschaubare Debatte um dieses Problemfeld. Mir geht es hier in erster Linie darum hervorzuheben, wie tief das Dilemma ist. Ich werde Fodors Lösungsansätze als unbrauchbar und/oder auf falschen Annahmen beruhend kritisieren. Die späteren Ausführungen sollen meine Auffassung stützen, daß die ganze Diskussion von falschen Grundannahmen ausgeht. Meine alternative Konzeption der sog. mentalen Zustände kommt ohne diese Annahmen aus und gerät nicht in das Dilemma, in dessen Fängen Fodor und andere zappeln. Allerdings - und das ist der Preis, der zu zahlen ist - erübrigt sich dann das gesamte Programm eines monolithischen philosophischen (bzw. wissenschaftstheoretischen) Weltbildes, wie ich es oben skizziert habe. Manch einer würde das freilich gar nicht als "Preis" bezeichnen, sondern die Verteidigung eines wissenschaftlichen Methodenpluralismus als Gewinn verbuchen.
Meine Kritik ist allerdings komplex. Sie zielt auf mehrere Einzelannahmen ab, und zerfällt demgemäß in mehrere Argumentationsstränge. Zwei meiner zentralen Argumente schiebe ich zunächst auf. Das eine dreht sich um die Konzeption, was eine Erklärung ist, was sie leistet oder leisten muß, das andere um den Begriff der Ursache (bzw. der Kausalität). Daß die beiden Argumentationsstränge eng verbunden sind, liegt auf der Hand. Sie sind nur aus Gründen der Darstellung getrennt.
Bevor ich dazu komme, werde ich so tun, als teilte ich Fodors (in einigen Teilen implizite) Vorstellung von Ursächlichkeit und von (wissenschaftlicher) Erklärung. Wo es mir geeignet erscheint, werde ich allerdings in einigen Punkten bereits auf späteres vorgreifen. Nämlich dort, wo Fodor meines Erachtens von widersprüchlichen Annahmen Gebrauch macht. Und darüber hinaus an den Stellen, wo ich Gründe anführe, daß Fodors Kausalitätsbegriff selbst der Elementarteilchenphysik nicht gerecht wird.
Zunächst soll jedoch der (vermeintliche und/oder tatsächliche) Unterschied zwischen intentionalen und kausalen (bzw. funktionalistischen) Charakterisierungen geklärt werden. Dazu bediene ich mich zweier Gedankenexperimente, die sich in der einschlägigen Literatur in vielfältigen Abwandlungen hoher Popularität erfreuen. Es handelt sich um das Beispiel der Zwillingserde, die von der unseren allein in dem Umstand abweicht, daß dort anstelle von H2O XYZ vorzufinden ist, welches aber vom irdischen Wasser ohne Elektronenmikroskop nicht zu unterscheiden ist. Es geht auf Hilary Putnam zurück. Das zweite verdanken wir Tyler Burge28. Es konfrontiert uns mit einem Menschen, der sich durch eine idiosynkratische Verwendung des Wortes »Arthritis« auszeichnet. Wahlweise können wir ihn, nennen wir ihn Oskar, auch auf der Zwillingserde besuchen. Ob Oskar dort seine Gelenkschmerzen mit Wechselbädern reinsten XYZ's zu lindern sucht, sei an dieser Stelle jedoch noch nicht verraten.
Bis jetzt habe ich von einer externalistischen gegenüber einer internalistischen Charakterisierung mentaler Zustände gesprochen. Es ist jedoch erst näher zu bestimmen, aus welcher Quelle sich für Fodors Reduktionsprogramm Schwierigkeiten speisen - oder durch welche Einwände Fodor sein Projekt bedroht sieht. Um das Problem besser diskutieren zu können, ist eine genauere Terminologie vonnöten. Es stellt sich nämlich heraus, daß mit dem Begriffspaar, was uns bis jetzt zur Verfügung steht, unterschiedliche logische Sachverhalte gemeint sein können. Es sind mehrere Aspekte, hinsichtlich derer kausal und intentional charakterisierte Eigenschaften voneinander abweichen - oder voneinander abzuweichen scheinen.
Betrachten wir zunächst das Experiment »Zwillingserde«, um den Unterschied besser zu verstehen.
Fodor gibt Putnams hypothetisches Beispiel wie folgt wieder:
There's this place, you see, that's just like here except that they've got XYZ where we've got H2O. (XYZ is indistinguishable from H2O by any causal test, though of course one could tell them apart in the chemical laboratory.) Now, in this place where they have XYZ, there's someone who's just like me down to and including his neurological microstructure. Call this guy Twin-Me. The intuition we're invited to share is that, in virtue of the chemical facts and in spite of the neurological ones, the form of words 'water is wet' means something different in his mouth from what it does in mine. And, similarly, the content of the thought that Twin-Me has when he thinks (in re XYZ, as one might say) that water is wet is different from the content of the thought that I have when I think that water is wet in re H2O. Indeed, the intuition we're invited to share is that, strictly speaking, Twin-Me can't have the thought that water is wet at all. (Fodor 1987: S. 27f)
Genauso wie die Bedeutung von Sätzen oder Äußerungen einer öffentlichen Sprache einen Bezug auf Tatsachen in der Welt aufweisen, so auch Meinungen, die wir unter anderem dann Anderen zuschreiben, wenn wir wissen wollen, was Andere meinen, wenn sie Sätze äußern. Das erstaunt wenig, da wir keine anderen Mittel als die Sprache zur Verfügung haben, um auszudrücken, was jemand anderes glaubt. Da aber gemäß Versuchsanordnung zwischen mir und meinem Zwilling auf der Zwillingserde kein Unterschied auf mikrophysikalischer Ebene besteht, und da zweitens die (durch Putnam ad absurdum zu führende) Annahme gilt, daß mentale Zustände auf physikalische Zustände des Gehirns supervenieren, erhalten wir einen Widerspruch. Mein Zwilling und ich haben verschiedene Meinungen, obwohl wir uns physikalisch bis auf das letzte Atom gleichen.29
So interpretiert zeigt das Beispiel also, daß mentale Zustände relationale Eigenschaften sind, »the intuition [...] Putnam [...] appeal[s] to suggest [is] that the attitudes are [...] individuated with respect to their relational properties.« (Fodor 1987: S. 29)
Laut Fodor liegt ein wesentlicher Unterschied zwischen echten kausal relevanten Eigenschaften und nur scheinbar kausal relevanten Eigenschaften darin, daß erstere non-relational oder intrinsisch sind, während letztere relational oder extrinsisch sein können. Daher stellt er - zuerst, später rückt er von dieser Strategie wieder ab - an mentale Zustände, die für eine Kognitionswissenschaft brauchbar sind, die Anforderung, daß sie nicht-relational individuiert sein müßten.
Ein einfaches Beispiel für eine relationale Eigenschaft ist etwa diese: »nördlich von Berlin«. Ob eine geographischer Punkt nördlich oder südlich von Berlin liegt, ob er also die fragliche Eigenschaft »nördlich von Berlin« hat oder nicht, hängt maßgeblich davon ab, wo Berlin liegt. Wenn wir nicht wissen, wo Berlin liegt, können wir auch nicht wissen, ob ein Dorf der südlichen Mark Brandenburg nördlich von Berlin liegt oder nicht.30 Die Logik relationaler Eigenschaften läßt sich wie folgt erläutern: Ob eine relationale Eigenschaft F einem Einzelgegenstand a zukommt oder nicht, hängt nicht allein von der Beschaffenheit des Gegenstands a allein ab, sondern zusätzlich von der Beschaffenheit G mindestens eines anderen Gegenstands b. Dieser Umstand wird alternativ auch so bezeichnet: F ist bzgl. a nicht »lokal supervenient«. Oder: Die Eigenschaft F ist kontextsensitiv. Man erhält obiges Beispiel, wenn man für »a« »ein Dorf der südlichen Mark Brandenburg« einsetzt, für »F« »nördlich von Berlin«, für »b« »Berlin« und für »G« z.B. den Längen- und Breitengrad von Berlin.
Fodor zufolge taugen relationale Eigenschaften nicht als »echte« (»genuine«) kausal wirksame Faktoren. Diese Behauptung für sich genommen kann allerdings Befremden auslösen. Ein Blick in die wissenschaftliche Erklärungspraxis zeigt, daß dort sehr wohl eine Vielzahl von relationalen Bestimmungen zur Angabe von Ursachen für verschiedene Phänomene verwandt werden. Und dies gilt nicht nur für Spezialwissenschaften der höheren Level, sondern auch für die Elementarphysik selbst.
Beispiel 1: Physik
Auch die theoretische Physik wimmelt vor relationalen Eigenschaften (hier werden sie meistens »Größen« genannt). Ein Beispiel ist Geschwindigkeit. Geschwindigkeiten sind grundsätzlich abhängig von einem Bezugspunkt, der bei der Messung als nicht bewegt gesetzt wird.
Diese Art von Relationalität ist jedoch ähnlich harmlos wie das Beispiel »nördlich von Berlin«. Denn wenn ich den Fixpunkt des vorausgesetzten Bezugssystems verändere, erhalte ich keine anderen Ergebnisse, solange ich bei ihnen das veränderte Bezugssystem ebenfalls beachte. Will ich beispielsweise berechnen (bzw. voraussagen), wann ein Auto ein anderes einholen wird, wenn beide Wagen mit konstanter aber unterschiedlicher Geschwindigkeit in die gleiche Richtung fahren, wird das Ergebnis genauso ausfallen, egal ob ich die Geschwindigkeit relativ zu einem nebenher fahrenden Zug messe, oder relativ zum festen Erdboden.
Weniger klar ist der Fall von Kräften in der Newtonschen Physik. Alle Kräfte sind grundsätzlich in einem Zusammenhang zu sehen, in dem sich ein Gefüge aus unterschiedlich großen und unterschiedlich gerichteten Kräften die Waage halten. Die Gravitationskraft, Paradebeispiel der Physik schlechthin, wenn es um ihre explanatorische Leistung und die Vorhersagbarkeit von Bewegungen geht, ist eine relationale Größe. Die Höhe der Gravitationskraft, die ein Körper ausübt, hängt von der Masse des Körpers ab, auf den sie sie ausübt.
Beispiel 2: Genetik
In der Genetik werden (primär) Basensequenzen in der Molekularstruktur der Trägersubstanz der genetischen Information, der DNS, als Ursache für die Ausprägung bestimmter Phänotypen (z.B. einer bestimmten Augenfarbe, aber auch Erbkrankheiten) angesehen. Kennt man den gesetzmäßigen Zusammenhang zwischen bestimmten Basensequenzen, die an bestimmten Positionen auftreten, und einzelnen Phänotypen, lassen sich durch gezielte Manipulationen der Erbsubstanz genetische Defekte beheben und dadurch Krankheiten heilen bzw. verhindern - so die optimistische Hoffnung der Forscher.
Dieses Bild ist jedoch grob vereinfacht. Denn ob eine Basensequenz tatsächlich einen Phänotyp verursacht, hängt auch von anderen Faktoren ab. Zu allererst, und vielleicht trivialerweise, davon, daß sich das DNS-Molekül überhaupt in einem Zellkern einer Zelle eines lebenden Organismus befindet. Zweitens hängt sie von Mechanismen der Eiweißsynthese ab, die von der DNS direkt gesteuert werden. Die so produzierten Eiweiße steuern ihrerseits als biologische Katalysatoren (Enzyme, darunter auch Hormone) andere Prozesse, z.B. Stoffwechsel- und Wachstumsprozesse. Und diese erst bringen Phänotypen hervor, wobei zusätzlich Interaktionen mit Umwelteinflüssen auftreten können. Dazu kommt, daß es Steuerungsmechanismen gibt bzw. geben muß, die darüber entscheiden, wann welche Abschnitte der DNS aktiv werden, das heißt, wann welche Abschnitte als Matrix für die Eiweißsynthese dienen, und wann die Produktion »still steht«. Wegen dieses komplizierten Geflechts von kausal relevanten Faktoren ist die Aussage »Gen A verursacht Phänotyp « in Wirklichkeit stark verkürzt. Es müßte eigentlich heißen »Gen A und die Faktoren F1 .... Fn verursachen Phänotyp «, wobei von diesen Faktoren ein Teil bekannt ist und ein Teil nicht. Diese Faktoren sind ebenfalls kausal wirksame Eigenschaften, nicht aber (unbedingt) Eigenschaften des DNS-Moleküls oder des Chromosoms selbst.31
Dies zeigt, daß bei näherer Betrachtung Gene, aufgefaßt als kausal wirksame Eigenschaften, ebenfalls relationale Eigenschaften sind: Denn die Eigenschaft einer Basensequenz, z.B. das »Blaue-Augen-Gen« zu sein, ist kontextsensitiv. Implantiere ich etwa eine artfremdes DNS-Stück, ändert es seine kausal wirksame Eigenschaft. Dabei ändert sich an der Molekularstruktur des DNS-Stücks nichts.
So betrachtet mutet es rätselhaft an, warum Fodor so darauf beharrt, daß »echte« kausal wirksame Eigenschaften intrinsische sein müssen. Ich habe mit den Beispielen aufgezeigt, daß relationale Eigenschaften für wissenschaftliche Kausalerklärungen nicht die Ausnahme, sondern die Regel sind. Darüber hinaus ist folglich Relationalität nichts, was intentionale Phänomene gegenüber nicht-intentionalen Phänomenen auszeichnet. Oder, genauer formuliert: Deren Inanspruchnahme zeichnet intentionale (Kausal-)Erklärungen nicht gegenüber nicht-intentionalen aus.32
Fodor begründet seine Behauptung, daß zur Identifikation von Ursachen grundsätzlich nur intrinsische Eigenschaften in Frage kämen, mit einem zweifelhaften Argument. Zunächst definiert eine relationale Eigenschaft, die als allgemeingültiges Beispiel gelten soll. Dann zeigt er, daß die Annahme, zwei verschiedene so konstruierte relationale Eigenschaften würden wie auch immer geartete Folgen verursachen, zu absurden Konsequenzen führen würde, die jeder Intuition widersprechen. Daher, so schließt Fodor, müssen kausal wirksame Eigenschaften non-relational sein.
I have before me this gen-u-ine United States ten cent piece. It has precisely two stable configurations; call them 'heads' and 'tails.' [...] What, in a time of permanent inflation, will this dime buy for me? Nothing less than control over the state of every physical particle in the universe.
I define 'is an H-particle at t' so that it's satisfied by a particle at t iff my dime is heads-up at t. Correspondingly, I define 'is a T-particle at t' so that it's satisfied by a particle at t iff my dime is tails-up at t. By facing my dime heads-up, I now bring it about that every particle in the universe is an H-particle ... thus! And then, by reversing my dime, I change every particle in the universe is a T-particle ... thus! [...] (Notice that by defining H and T predicates over objects at an appropriate higher level, I can obtain corresponding control over the state of every brain in the universe, changing H-brain states into T-brain states and back again just as the fancy takes me.)
Now, what is wrong with this egomaniac fantasy? Well, in a certain sense, nothing; barring whatever problems there may be about simultaneity, 'is H at t' and 'is a T at t' are perfectly well defined (relational) predicates of physical particles. [...]
What would be simply mad, however, would be to try to construct a particle physics that acknowledges being an H-particle or being a T-particle as part of its explanatory apparatus. Why would that be mad? Because physical particles, like every other branch of science, is in the business of causal explanation; and whether something is a H-(T-)-particle is irrelevant to its causal powers. (Fodor 1987: S. 33)
Das Argument ist aus folgendem Grund nicht stichhaltig: Es unterstellt, alle relationalen Eigenschaften seien gleicher Natur, nämlich der Natur seiner Beispieleigenschaft. Zu widerlegen war (durch Fodor) aber nicht die These:
»Alle relationalen Eigenschaften, egal was das jeweilige Relatum der Eigenschaft ist, sind kausal relevant. (Ihr Vorhandensein oder ihre Abwesenheit macht unter bestimmten Umständen einen Unterschied.)« Diese These würde auch niemand vertreten.
Vielmehr gälte es zu widerlegen:
»Bestimmte relationale Eigenschaften sind kausal relevant. (Ihr Vorhandensein oder ihre Abwesenheit macht unter bestimmten Umständen einen Unterschied.)«
Welche Eigenschaften dies im Einzelfall sind, müssen konkrete Beispiele, wie oben angeführte, zeigen. Ohne tiefergehende Untersuchung scheint aber folgendes klar zu sein. Die Relata, also die Eigenschaften oder Zustände anderer Dinge, die als Bezugssystem der relationalen Eigenschaft dienen, müssen für den zu erklärenden Kausalzusammenhang relevant sein. Welche Relata im Einzelfall relevant sein können, ist dabei nicht im voraus einzuengen. Es hängt von der Komplexität der gegebenen Erklärung ab.
Was allerdings in derartigen Erklärungen gewährleistet sein muß, ist folgendes: Das Bezugssystem, das relationale Prädikate implizit voraussetzen, muß in der ganzen Erklärung das gleiche bleiben. Die durchgängige Annahme eines Bezugssystem kommt hier gewissermaßen der Festlegung auf eine gewählte Sprache gleich. Es ist klar, daß ich bei der Angabe der Ursachen die gleiche Sprache sprechen muß, wie bei der Beschreibung des zu erklärenden Phänomens. Das gilt nicht nur für relationale Prädikate. Denn sonst könnte ich noch nicht einmal die Überzeugung, daß Wasser naß ist, zur Erklärung meiner Äußerung »water is wet« heranziehen.
Ob diese Bedingung in dem Gedankenexperiment, wie es bis jetzt (re-)konstruiert und gedeutet wurde, gewährleistet ist, hängt allerdings von der vorausgesetzten Theorie sprachlicher Bedeutung ab. Denn die homophonen Äußerungen »water is wet« der Sprachen Englisch und Twenglisch bedeuten nur dann etwas verschiedenes, wenn die Bedeutung der Wörter (u.a.) durch ihre Extensionen festgelegt werden, das heißt, wenn die vorausgesetzte Bedeutungstheorie von einer definiten Referenz sprachlicher Ausdrücke ausgeht. Da ich mich hier jedoch nicht in Streitfragen der Semantik verwickeln möchte, sei nur angeführt, welche Theorie sprachlicher Bedeutung Putnam selbst im Zusammenhang mit dem Zwillingserdenbeispiel vorschwebt:
Putnam ist der Meinung, daß wir durch die Verwendung des Terminus »Wasser« hinweisend Bezug nehmen auf die Substanz, die allem Einzelinstanzen eines Paradigmas gemeinsam ist, auf das wir jeweils mit dem Wort Bezug nehmen.33 Somit würden wir auf der Erde auf H2O Bezug nehmen, auf Zwillingserde aber auf XYZ.
Würde die vorausgesetzte Semantik die Bedeutung des Ausdrucks »water« allein als Bezug auf Stoffe mit einem Bündel bestimmter phänomenaler Eigenschaften erläutert werden, wären die Äußerungen »water is wet« auf Erde und Zwillingserde nicht als verschiedene Handlungen aufzufassen. Es wäre zwar richtig, daß sich beide Äußerungen faktisch auf unterschiedliche Substanzen bezögen, dies würde sich jedoch nicht auf die Beschreibungen der Äußerungen und der Meinungen oder Gedanken auf Erde und Zwillingserde auswirken.
Ich hege den Verdacht, daß der Hintergrund für Fodors Insistieren bei der Ablehnung relationaler Eigenschaften andernorts zu suchen ist. Ich vermute, daß es in dem oben beschriebenen metaphysischen Weltbild begründet liegt. Demnach wäre es nicht die Tatsache der Relationalität kausaler Eigenschaften an sich, die Fodor bzw. diesem Weltbild Schwierigkeiten bereitet, sondern eine bestimmte Art von Relationalität. Nämlich eine, die eine reibungslose Reduktion von einem Level auf das nächsttiefere verunmöglichen.
Das ist auch die Motivation, die Fodors Übergang von der Begrifflichkeit des intrinsischen Charakters zur »individuellen Individuation« erklärlich macht. Die strategische Situation wird für ihn m.E. dadurch allerdings nicht besser.
Sehen wir uns das Ebenenmodell wissenschaftlicher Erklärung (s.o.) erneut an. Betrachten wir nur die oberste und die nächste Ebene. Die jeweiligen Wissenschaften sind (u.a.) durch ihren jeweiligen Phänomenbereich und die Arten von Gegenständen, die es für sie »gibt« gekennzeichnet. Die Gegenstände kommen in jeder Wissenschaft immer nur in einer spezifischen Beschreibung vor. Auf der Ebene der Physiologie gibt es Makromoleküle, Enzyme usw., aber keine Gehirnregionen. Denn es gibt keine Erklärungen in dieser Wissenschaft, in denen die Eigenschaft »in einem Schädel eines lebenden Menschen angesiedelt« als kausal wirksam oder auch nur relevant vorkommt. Eine katalytische Wirkung eines Enzyms in Bezug auf einen photochemischen Prozess gibt es im Reagenzglas (prinzipiell) genauso wie in einer Pflanze in der Natur. Was passiert nun mit den relationalen Eigenschaften? Wenn diese kausal wirksam sein können - und davon gehen wir für das Argument im Augenblick aus - dann heißt das (in einigen Fällen), daß die Frage, ob einem Einzelgegenstand diese Eigenschaft zukommt oder nicht, darüber entscheidet, ob er ein Gegenstand des einen oder des anderen Typs ist. Liegt hinsichtlich ihrer (von der Spezialwissenschaft als kausal wirksam erachteten) Eigenschaften (egal ob relational oder nicht) zwischen zwei Gegenständen kein Unterschied vor, dann handelt es sich um zwei Gegenstände derselben Art. Denn die Gegenstände werden in dieser Weise klassifiziert. Für die Physiologie ist eine Photosynthesereaktion im Reagenzglas und in der Pflanze sozusagen das gleiche.
Wenn relationale Eigenschaften zugelassen werden, so erhalten wir ein entsprechendes Klassifikationsprinzip der (für die jeweilige Wissenschaft) existierenden Gegenstände. Bei der Frage, ob ein Gegenstand a ein F ist oder ein G (alternativ: ob er die Eigenschaft hat, ein F zu sein oder die Eigenschaft, ein G zu sein), entscheiden dann nicht allein Tatsachen, die ihn selbst betreffen, sondern auch solche, die andere Gegenstände in seiner (ggf. auch zeitlichen!) Umgebung betreffen. Was passiert mit den F- und den G-Gegenständen, wenn man sich im Wissenschaftshochhaus eine Etage abwärts begibt? Ein Reduktionist stellt sich das so vor:
Obere Etage: »Fa verursacht E1 und Ga verursacht E2.« (E1 und E2 sind verschiedene Ereignisse.)
Außerdem soll gelten, daß a genau dann ein F-Gegenstand ist, wenn a ein F*-Gegenstand ist und ein anderes b eine andere Eigenschaft F** hat. Dabei seien F* und F** intrinsische Eigenschaften. (Für G-Gegenstände soll ein analoges Verfahren möglich sein.) Es soll hier außer Acht gelassen werden, daß sich Relationalität nicht immer in dieser einfachen Form auflösen läßt. Intrinsische Eigenschaften sind wegen dem Supervenienzprinzip auf die nächsttiefere Ebene reduzierbar. Wo es einen phänomenalen Unterschied gibt, muß es einen physikalischen Unterschied geben. Wegen dem Prinzip der multiplen Realisierbarkeit wissen wir zwar nicht im voraus welcher, aber es ist einer von mehreren möglichen, die alle den gleichen phänomenalen Effekt haben würden.
Das kann aber nur funktionieren, wenn sowohl die Eigenschaft F* als auch die Eigenschaft F** (sowie G* und G**) solche sind, die zum Phänomenbereich der Spezialdisziplin gehören. Genau hier wird der intentionale Charakter mentaler Zustände, insbesondere propositionaler Einstellungen, zum Problem. Denn hier ist die Kontextsensitivität besonderer Art. Denn ob wir mit guten Gründen von jemandem annehmen können, er glaube, daß Wasser die die chemische Molekularstruktur H2O habe, und nicht etwa die chemische Zusammensetzung XYZ, hängt nicht allein vom "Zustand" der Person ab, sondern auch davon, was in der Welt der Fall ist.
Das Zwillingserdenbeispiel weist diese besondere Form der Kontextsensitivität allerdings nur auf, wenn man sich vorher auf eine geeignete Auffassung der Natur sprachlicher Bedeutung geeinigt hat. Die Schlagkraft Tyler Burges Beispiels geht jedoch noch weiter, insofern als es zeigt, daß propositionale Einstellungen so individuiert sind, daß sie von den Konventionen der Sprache abhängen.
Oskar, normalsterblicher Erdenbewohner, leidet an zwei Dingen. Das eine unangenehm, das andere (außer für Philosophen) weniger folgenschwer. Er leidet unter den Folgen entzündeter Kniegelenke, und zudem unter einer sprachlichen Idiosynkrasie. Er denkt nämlich, von Arthritis spräche man nicht nur bei schmerzlichen Beschwerden in den Gelenken, sondern auch bei solchen des Muskelgewebes der Gliedmaßen. Bislang stellte sich dieser »Defekt« jedoch nie heraus, da er von entzündeten Muskelfasern verschont geblieben war. Eines Tages jedoch holt ihn auch dieses Schicksal ein. Er leidet unter einer schmerzhaften rheumatischen Muskelentzündung im Oberschenkel. Dies veranlaßt ihn, einen Arzt aufzusuchen, und diesem gegenüber über die neuerliche »arthritische« Heimsuchung zu klagen.
Wir müssen darauf achten, daß wir bei den Erklärungen, die wir geben, bei der gleichen Sprache bleiben. Wir müssen uns also entscheiden, ob wir die übliche Bedeutung oder Oskars idiosynkratische verwenden wollen.
Das zu erklärende Verhalten soll sein: Oskar geht zum Arzt und äußert den Satz »Ich leide unter Arthritis«. Und die »Ursache« soll sein: Oskar glaubt, er leide unter Arthritis.
Auch Zwillingsoskar sei dem Leser kurz vorgestellt: Der ist gebürtiger Zwillingserdenbewohner, und alles ist wie auf Erden, mit dem kleinen Unterschied, daß dort alle das Wort »Arthritis« so verwenden, daß es für Gelenk- wie Muskelbeschwerden anwendbar ist. Zwillingsoskar hat bezüglich der Zwillingserdensprache also keine Idiosynkrasie.
Zur Beschreibungssprache: Wir legen uns darauf fest, im weiteren an der üblichen (deutschen) Sprache mit der üblichen Verwendung der Vokabel »Arthritis« festzuhalten. Wir verwenden sie also im weiteren zur Spezifikation sowohl von Krankheiten als auch von Meinungen. Wir könnten uns genausogut für die idiosynkratische Sprache entscheiden, da eine eindeutige Übersetzung möglich ist. Wir dürfen nur nicht beide Sprachen mischen.
Dann können wir sagen: Auf der Erde geht Oskar (mühsam hinkend) mit Muskelschmerzen zum Arzt und sagt »Ich habe Arthritis«, weil er glaubt - hier wird es umständlich - er habe entweder Gelenkschmerzen oder Muskelschmerzen. Wir können kurz sagen, weil er fälschlich glaubt, er habe Arthritis.
Wie sähe der Fall auf Zwillingserde aus? Wieder bleiben wir bei der irdischen Verkehrssprache:
Auf Zwillingserde geht Oskar (mühsam hinkend) mit Muskelschmerzen zum Arzt und sagt »Ich habe Arthritis«, weil er glaubt, er habe entweder Gelenkschmerzen oder Muskelschmerzen.
Das Problem ist nun: Auf Zwillingserde sagt Oskar etwas anderes als auf der Erde! Auf der Erde sagt er, er habe Arthritis und liegt damit falsch. Auf Zwillingserde sagt er etwas, was auf Erdendeutsch hieße, er habe Gelenk- oder Muskelschmerzen, und hätte damit Recht.
In Übereinstimmung mit Fodor sollen (u.a.) folgende beiden Annahmen gelten:
(a) (lokale) Supervenienzthese
(b) Meinungen sind theoretische Entitäten
Der mentale Zustand Ma »x glaubt, daß x Arthritis hat« muß daher allein durch die systematischen (kausalen) Verbindungen festgelegt sein, in denen er mit sensorischen Input-Bedingungen, motorischen Output-Bedingungen und anderen mentalen Zuständen steht. Wie oben dargelegt, sind dabei andere mentale Zustände ebenfalls rekursiv definiert, so daß die »Bedeutung« der Meinung allein durch bestimmte Output- und Input-Bedingungen festgelegt ist.
Einer der einschlägigen Outputs ist dabei die Produktion der Lautkette »Ich habe Arthritis«. Um Zirkularität zu vermeiden, muß dieser Output ohne Bezug auf die Semantik der Äußerung charakterisiert sein, wenn sie zur impliziten Definition von Ma herangezogen wird. Zugleich ist die richtige Verwendung des Ausdrucks »Arthritis« durch die Konventionen der Sprachgemeinschaft festgelegt, mithin durch sie die Frage zu entscheiden, ob Oskars Arthritis-Konzept idiosynkratisch ist oder nicht.
Die so definierten Ma müßten wegen dieser Annahmen und gemäß der Konstruktion des Gedankenexperiments für Oskar und Zwillingsoskar identisch sein. So definierte mentale Zustände hätten damit mit herkömmlichen propositionalen Einstellungen wenig zu tun. Denn die Meinungen Oskars und Zwillingsoskars sind verschieden. Die Verschiedenheit der Bedeutung des Ausdrucks »Arthritis« überträgt sich auf den propositionalen Gehalt der Meinungen. Auf Zwillingserde entspricht dem Satz »Ich leide unter Arthritis« eine andere Proposition als auf der Erde. Dies kann durch individuell individuierte mentale Zustände nicht erfaßt werden. Das zeigt, daß über funktionale Rollen implizit definierte Meinungskonzepte nicht deren propositionalen Inhalt festlegen können.34
Externalistische und internalistische Individuierung trennt also weit mehr voneinander als die Logik der Relationalität alleine. Mentale Zustände, oder zumindest deren Entsprechungen im Gehirn, die von einer zukünftigen Kognitionswissenschaft postuliert werden, sind bei Fodor (und einigen Theorie-Auffassungen des Mentalen) als theoretische Entitäten konzipiert. Das heißt, sie sind allein durch ihre kausale Rolle definiert, die ihnen kraft den Gesetzmäßigkeiten oder Generalisierungen, in denen sie vorkommen, zugesprochen wird. Diese ursächlich wirksamen Zustände vermitteln zwischen Wahrnehmungen oder Reizen auf der einen Seiten und Handlungen oder Körperbewegungen auf der anderen. Sollen alltagspsychologische Erklärungen in einem weitreichenden Sinn als wissenschaftlichen Erklärungen analog aufgefaßt werden, müssen die von ihnen herangezogenen kausal wirksamen Eigenschaften durch ihre Rolle in der Theorie verständlich sein. Theorien sind jedoch erstens auf spezielle Taxonomien angewiesen, und zweitens spezifisch für einen eigenen Phänomenbereich. Die alltäglichen intentionalen Prädikate, mit denen wir (angeblich) semantisch evaluierbare mentale Zustände ausdrücken, sind jedoch nicht durch ein bereichsspezifisches und theorieimmanentes Prinzip festgelegt. Gleiches gilt für den größten Teil der alltäglichen Handlungsbeschreibungen. Am augenfälligsten ist dies für sprachliche Äußerungen. In dem Maße, wie die alltagspsychologischen Aussagen den wissenschaftlichen Standards angepaßt werden, verlieren sie jede Beziehung zum ursprünglichen Explanandum wie Explanans, wie sie in alltagspsychologischen Erklärungen vorkommen.
Die verschiedenen Versionen von Theorie-Auffassungen des Mentalen ziehen ihre Anfangsplausibilität, wie bereits gesagt, aus dem Hinweis, daß wir mittels alltagspsychologischer Prädikate Verhalten erklären, und aus der Interpretation der Konjunktion »weil« als Ausdruck einer behaupteten Kausalrelation. Dabei werden beide Begriffe - »Erklärung« wie »Ursache« - als bekannt, unproblematisch oder selbsterklärend in Anspruch genommen bzw. vorausgesetzt. Vielleicht ließe sich mehr Licht in die Diskussion bringen, wenn man den beiden Konzepten nachginge. Für den Ursächlichkeitsbegriff möchte ich zuerst aufzeigen, daß dieser keineswegs so klar, unumstritten und homogen ist, wie implizit in Anspruch genommen wird. Mit der Frage, inwieweit und in welchem Sinne ursächliche Eigenschaften relational sein können oder nicht, habe ich mich bis jetzt ausgiebig beschäftigt. Ich habe einerseits dafür argumentiert, daß ursächlich wirksame Eigenschaften durchaus relational sein können. Probleme entstanden erst, wenn die Relata nicht mehr bereichsspezifisch bestimmbar sind, sondern durch Bezug auf allgemeines Weltwissen (und anderes) identifiziert werden. Das Problem entstand durch die Logik der Intentionalität. Diese Logik ist ihrerseits durch einen engen Bezug zur Sprache und deren Intentionalität erklärlich.
Insgesamt war der Blick auf wissenschaftliche Theorien, die zur Analyse der alltagspsychologischen Kompetenz als Modell Pate standen, bislang eingeengt: nämlich auf naturwissenschaftliche Theorien. Andere Wissenschaften, wie zum Beispiel Wirtschaftswissenschaften, gehorchen offenkundig nicht so ehernen Standards wie denjenigen, die Fodor und Andere im Auge haben. Intentionale Charakterisierungen, wie z.B. »Gewinnerwartungen«, oder auch »Kaufkraft« (denn was soll Kaufkraft ohne Käufer, mithin ohne intentionale Subjekte sein) stellen dort weniger methodologische Probleme dar, als es Fodors Wissenschaftsverständnis erwarten ließe.
Die Schwierigkeiten, die sich bei der Annahme ergeben, in alltagspsychologischen Erklärungen die Anwendung einer Theorie zu sehen, zwingen meines Erachtens zur Aufgabe dieser Vorstellung. Ich möchte sie daher nicht weiterverfolgen. Es könnte jedoch sein, daß wir zwar nicht eine Theorie zugrunde legen, sondern ein hybrides Gebilde von Weltwissen, praktischen Kenntnissen und allgemeinen Erfahrungssätzen als »Hintergrundtheorie« voraussetzen.
Daher möchte ich der Frage nachgehen, was eine Ursache ist, ohne mich dabei schon vorher auf die Doktrin der (lokalen) Supervenienz festzulegen.
Will man die Frage beantworten, wann wir mit einigem Recht sagen können, etwas sei Ursache für etwas anderes, wird man üblicherweise zunächst auf das Hempel-Oppenheim-Schema35 verwiesen. Trotz aller Einschränkungen und Unzulänglichkeiten, die es aufweist, ist es für eine erste Annäherung an diese Frage nach wie vor sehr nützlich.
Nach Hempel und Oppenheim36 haben wissenschaftliche Erklärungen folgende Grundstruktur:
C1, C2, ... , Ck |
Anfangsbedingungen (»Statements of antecedent conditions«) |
Explanans |
L1, L2, ... , Lr |
Allgemeine Gesetze (»General Laws«) |
|
E |
Beschreibung des zu erklärenden empirischen Phänomens |
Explanandum |
Wissenschaftliche Erklärungen haben demnach ihre Grundform mit logischen Ableitungen gemein. Eine Erklärung besteht in der Angabe von Prämissen, aus denen sich als Konklusion eine Beschreibung des zu erklärenden Phänomens logisch ableiten läßt. In den Prämissen finden sich dabei zwei unterschiedliche Typen von Aussagen: partikulare und allgemeine. Die partikularen Aussagen sind Beschreibungen unterschiedlicher Anfangsbedingungen, also Aussagen über einzelne Dinge oder Ereignisse. In der bislang verwendeten Terminologie sind es also Aussagen der Form: »Einzelding a hat die Eigenschaft F«, kurz: »Fa «.
Die allgemeinen Sätze bzw. die allgemeinen Gesetze haben die Form: »Immer wenn eine oder (meist) mehrere Ereignisse eintreten, die in dem Gesetz spezifiziert werden, dann hat dies notwendig ein Ereignis einer bestimmten, gleichfalls im Gesetz spezifizierten Art zur Folge.« In der Eigenschaftsterminologie hieße das: »Immer wenn es gleichzeitig eintritt, daß Einzelding a1 die Eigenschaft F1 hat und Einzelding a2 die Eigenschaft F2 und ..., dann hat das notwendig zur Folge, daß Einzelding b die Eigenschaft G erhält.«37
Eine ganz einfache derartige Deduktion mit nur einem allgemeinen Gesetz sähe formal dann so aus.
F1a1 F2a2 |
Anfangsbedingungen |
Explanans |
F1a1 F2a2 Gb |
Allgemeines Gesetz |
|
Gb |
Beschreibung des zu erklärenden empirischen Phänomens |
Explanandum |
Nach diesem Modell kann im Rahmen einer Erklärung die Menge der Anfangsbedingungen als Ursache für das erklärte Phänomen angesehen werden. Die Summe der (direkt oder indirekt) herangezogenen allgemeinen Gesetze kann als die zur Erklärung angewandte Theorie bezeichnet werden.
If E describes a particular event, then the antecedent circumstances described in the sentences C1, C2, ...,Ck may be said jointly to »cause« that event, in the sense that there are certain empirical regularities, expressed by the laws L1, L2, ...,Lr, which imply that whenever conditions of the kind indicated by C1, C2, ...,Ck occur, an event of the kind described in E will take place. (Hempel & Oppenheim 1948: S. 139)
Wie aus dem nachfolgenden Beispiel sehr leicht einzusehen ist, ist dabei bezüglich der partikularen Prämissen eine Einschränkung nötig.
Die Außenwände des Gebäudes bestehen aus Eisen; die Außenwände sind über längere Zeit Regenfällen ausgesetzt |
Anfangsbedingungen |
Explanans |
Wenn Eisen über längere Zeit Regen ausgesetzt ist, verrostet es |
Allgemeines Gesetz |
|
Die Außenwände des Gebäudes sind verrostet |
Beschreibung des zu erklärenden empirischen Phänomens |
Explanandum |
Ich könnte die gleiche Konklusion ebenso ableiten, wenn ich bei den Anfangsbedingungen zusätzlich die Angabe machen würde »Im Inneren des Gebäudes befinden sich genau 357 Stühle«. Wir wären aber schwerlich bereit zuzugestehen, daß dies - zusammen mit der Angabe über das Material der Außenwände - Ursache für das Verrosten der Wände sei. Die Anfangsbedingungen müssen also in Hinsicht auf das Explanandum relevant sein. Das heißt, sie müssen bei der Deduktion an irgendeiner Stelle eine Rolle spielen.38
Welche Einzelschritte gehen nach diesem Modell in eine Kausalerklärung ein? Zum einen der Schritt der Anwendung eines Gesetzes, einer gesetzesartigen Generalisierung oder einem Gefüge aus mehreren solchen Sätzen, einer Theorie. Bei dieser Anwendung spricht man oft auch von einer Subsumption eines Einzelphänomens unter ein allgemeines Prinzip. Am obigen Beispiel läßt sich erkennen, daß in Erklärungen mindestens zwei derartige Subsumptionen erforderlich sind: Zum einen muß es gerechtfertigt sein, daß eine Anfangsbedingung als Einzelinstanz der Bedingung gelten kann, die im allgemeinen Gesetz formuliert ist - im obigen Beispiel »Dies ist (aus) Eisen.« Zum anderen muß das Explanandum ebenfalls unter die Beschreibung subsumierbar sein, wie sie im allgemeinen Satz formuliert ist - im Beispiel: »Dies ist verrostet«. Für diese Subsumption sind Kriterien erforderlich, um darüber entscheiden zu können, ob sich ein Einzelphänomen einem bestimmten Typ zuordnen läßt oder nicht.
Welcher Art können oder müssen diese Kriterien sein? Wegen der oben erwähnten Gefahr der Redundanz oder Nicht-Relevanz dürfen in der verwendeten Taxonomie als Kriterien nur solche Eigenschaften herangezogen werden, die in Kausalerklärungen tatsächlich eine Rolle spielen. Denn sonst erhielte man beispielsweise als Ursache für den Rostvorgang die Tatsache, daß es sich um einen Eisenwürfel handelte. Die Würfelform hat jedoch keinen Platz in einer für diese Erklärung adäquaten Taxonomie. Das verdeutlicht zugleich, daß die Frage, welche Taxonomie als einschlägig zu betrachten ist, nicht allgemein oder absolut zu beantworten ist, sondern relativ zur Menge der herangezogenen allgemeinen Gesetze, in der Regel also abhängig von der angewandten spezifischen Theorie.
Es ist jedoch auch eine weitere Einschränkung zu beachten: Die als Kriterium dienenden Eigenschaften dürfen nicht allesamt so definiert sein, daß sie genau dann zutreffen, wenn sie einen bestimmten Effekt haben - und dieser Effekt aber genau in dem zu erklärenden Phänomen besteht. Denn sonst erhielten wir wenn nicht eine zirkuläre, so doch zumindest eine nicht-empirische Erklärung. An dem simplen Beispiel läßt sich dies so veranschaulichen: Angenommen ich habe, um festzustellen, ob ein Stück Material aus Eisen besteht oder nicht, nur ein einziges Verfahren zur Verfügung: Ich setze es einer Weile starken Regengüssen aus und warte, ob es rostet. Rostet es, war es Eisen, rostet es nicht, ist es keines. Dann wäre die Auskunft »Weil die Außenwände aus Eisen sind.« eine wenig erhellende Antwort auf die Frage, warum die Auswände verrostet sind.
So klar dieses Prinzip für vergleichsweise einfache Fälle scheinen mag, bei komplexeren Erklärungen kann sich eine Einschätzung der Adäquatheit einer Taxonomie und damit die Frage nach der explanatorischen Kraft (bzw. des empirischen Gehalts) durchaus schwierig gestalten.
The notion of »empirical content« and the attendant distinction between statements true in virtue of the meanings of the words they contain is very difficult to clarify. [...] In more complicated cases of the sort one typically encounters in science, a great many principles difficult to classify are involved in the explanation of particular events. As many have argued, a law such as F = ma (Newton's »second law« of motion, force equals mass times acceleration) has been variously construed as a definition, an empirical generalization, a rule of inference, a technique of measurement. It is impossible to say, without some reservation, that F = ma is empirical or non-empirical or whatever. Perhaps one can distinguish between theoretical principles as having »more« or »less« empirical content [...]. But reflection on the kind of case afforded by Newton's »second law« is already enough to suggest that the criterion of empirical content cannot be pressed as far as we might like. (Lambert & Brittan 1979: S. 28f)
In der (wissenschaftlichen wie auch alltäglichen) Praxis geben wir kaum je Erklärungen in einer expliziten vollständigen Form, wie sie das Deduktionsmodell vorsieht. Statt dessen unterschlagen wir Teile: Wir setzen das allgemeine Prinzip, an das wir stillschweigend appellieren, als bekannt voraus, so daß es keiner gesonderten Erwähnung bedarf. Oder wir nennen nicht alle Anfangsbedingungen, sondern nur einige oder überhaupt nur eine einzige.
Darauf weisen bereits Hempel und Oppenheim selbst hin:
In some cases, incomplete explanatory arguments [...] suppress parts of the explanans simply as "obvious"; in other cases, they seem to involve the assumption that while the missing parts are not obvious, the incomplete explanans could at least, with appropriate effort, be so supplemented as to make a strict derivation of the explanandum possible. (Hempel & Oppenheim 1948: S. 139)
Fodor weicht von Hempels und Oppenheims Vorstellung dessen, was eine Ursache ist bzw. als eine solche zählt, jedoch offenbar ab. Fodors Auffassung scheint nicht die zu sein, daß eine Menge von Anfangsbedingungen die Ursache für ein zu erklärendes Phänomen darstellt, von der man einige lediglich unerwähnt läßt, da sie als bekannt vorausgesetzt werden. Vielmehr scheint er davon auszugehen, daß aus den Anfangsbedingungen eine (oder mehrere) als kausal verantwortlich herausgegriffen werden, und die übrigen Anfangsbedingungen den Kontext bilden, dem gegenüber die herausgegriffenen Ursachen sensitiv sind.39
Wenngleich ich Fodors Versuch, Ursachen als notwendig intrinsische Eigenschaften aufzufassen, nicht überzeugend finde, und dabei sein Konzept der kontextsensitiven Verursachung meines Erachtens wenig Abhilfe verspricht, erscheint mir zumindest folgende Beobachtung richtig: Wenn wir - egal ob im Alltag oder in der wissenschaftlichen Praxis - nach einer Erklärung für ein Phänomen oder ein Ereignis suchen, wenn wir beispielsweise nach der Ursache für einen Flugzeugabsturz fragen, hat eine akzeptable Antwort in der Regel die Form »A ist Ursache für B« und nicht etwa »A zusammen mit A1, ..., An ist Ursache für B«. Dennoch halte ich daran fest, daß die Hintergrundannahmen in (Kausal-) Erklärungen auch dann eingehen, wenn sie nicht ausdrücklich erwähnt werden. Oft wird auf die feststehenden Hintergrundannahmen durch die Formel »ceteris paribus« Bezug genommen. Das heißt, wenn die Erklärung »A ist Ursache für B« mindestens das kontrafaktische Konditional stützen muß »Wäre A nicht eingetreten, dann wäre B auch nicht eingetreten«, so folgt in jeder Erklärung der Zusatz »Sofern B nicht durch etwas anderes verursacht wurde bzw. wird«. Dies ist mit dem Zusatz »ceteris paribus«, oder im Englischen »other things being equal« gemeint.
Das heißt, wenn man vom Hempel-Oppenheim-Schema ausgeht, stellt sich die Situation so dar: In einer Menge von allgemeinen Gesetzen, die sich zusammengenommen als Theorie bezeichnen lassen, sind die Vorkommnisse oder Nicht-Vorkommnisse einzelner Ereignistypen systematisch miteinander verbunden. Das heißt, Einzelereignisse können als Ursachen für andere Einzelereignisse angegeben werden, wenn geeignete Gesetze angegeben werden können, und wenn sich die Einzelereignisse unter in ihnen vorkommende Ereignistypen subsumieren lassen. Ich erhalte dann für ein gegebenes Explanandum eine Menge von einzelnen Anfangsbedingungen, die jede für sich eine mögliche Ursache darstellt. Welche Arten von Ereignissen als mögliche Ursachen in Betracht kommen, hängt von der Theorie oder von den allgemeinen Sätzen ab, an die in der Erklärung appelliert wird. Die Theorie für sich genommen leistet jedoch keinen Beitrag für die Entscheidung, welche Ursache ich aus der Menge der möglichen Ursachen herausgreife.
Diese Frage ist aber nicht in abstracto zu beantworten, sondern hängt in jedem Fall von verschieden kontextuellen Faktoren ab, insbesondere der Art des Erkenntnisinteresses. Die Frage nach der Ursache eines Flugzeugabsturzes kann unterschiedlich beantwortet werden, ohne daß sich die Antworten dabei widersprächen. Wenn es darum geht, wie das Unglück hätte vermieden werden können, kommen bessere Schulungsmaßnahmen der Piloten in Frage, weniger explosive Treibstoffe, sicherere Tanks, die fern jeder Elektronik sind, oder auch eine besser ausgestattete Rettungsmannschaft am Boden. Je nach dem erhalte ich auf die Frage »Warum forderte der Absturz der Unglücksmaschine so viele Opfer?« unterschiedliche Antworten: »Ursache für das Unglück (und die hohe Zahl von Todesopfern) war ...
... die falsche Einschätzung der Witterungsverhältnisse durch den Piloten.«, oder
... die mangelhafte Abstimmung mit dem Kontrolltower.«, oder
... ein mangelhaft gewartetes Fahrgestell.«, oder
... zu wenige Löschfahrzeuge vor Ort.«
Bas van Fraassens40 Vorschlägen folgend möchte ich das wechselseitige Verhältnis der Begriffe »Erklärung«, »Theorie« und »Ursache« wie folgt bestimmen:
»Erklären« läßt sich als Handlung auffassen, als »eine Erklärung geben«. Diese Handlung ist darauf angewiesen, von anderen akzeptiert zu werden. Sie setzt sich einer Bewertung durch die Adressaten aus, sie kann den Anderen als eine gute oder schlechte, als eine mehr oder weniger überzeugende Erklärung gelten.
In Erklärungen appelliere ich (oft stillschweigend) an Theorien oder allgemeine Gesetzmäßigkeiten, die ich als allgemein bekannt oder allgemein akzeptiert voraussetze.
In der Erklärung schreibe ich einem oder mehreren Faktoren, die gemäß der Theorie als Anfangsbedingungen vorkommen, die Eigenschaft »... ist Ursache für ...« zu.41 Dieser Sichtweise folgend erhält der Ausdruck »Ursache« eine relative Bedeutung, insofern als alles Erklärungsrelevante eine Ursache sein kann. So kann beispielsweise die Tatsache, daß aufgrund einer Fehlbuchung ein Flugzeug vollkommen leer flog, Ursache dafür sein, daß beim Flugzeugabsturz niemand zu Schaden kam. Dadurch wird »... ist Ursache für ...« zu einem dreistelliges Prädikat: »A ist Ursache für B im Rahmen von Theorie T«. Die Frage, ob etwas »an sich« ursächlich wirksam ist oder nicht, stellt sich in dieser Analyse nicht mehr. Sinnvolle Fragen wären allein die, ob eine Erklärung überzeugend ist, und die, ob sich eine Theorie in der Praxis bewährt.
Noch komplexer müßte es nach obiger Überlegung heißen: A ist Ursache für B unter (unter Umständen stillschweigender) Bezugnahme auf eine Theorie T im Zusammenhang einer gegebenen Erklärung einer Person gegenüber einer (oder mehreren) anderen in einer Situation S mit dem Erkenntnis- oder Klärungsziel Z.
Ich trage die wichtigsten Elemente van Fraassens pragmatischer Theorie der Erklärung zusammen: Erklärungen sind als Antworten auf Warum-Fragen42 aufzufassen. Die Art der Frage und ihr Kontext schränken zunächst ein, welche Arten von ursächlichen Faktoren überhaupt in Betracht kommen. Das zu erklärende Ereignis wird dabei durch die Frage selbst bereits unter einer bestimmten Hinsicht betrachtet. Die Frage nach der Ursache für den Tod in einem Verkehrsunfall beschreiben das Ereignis je nach Kontext verschieden: »The physician explains the fatality qua death of a human organism, and the mechanic explains it qua automobile crash fatality.« (van Fraassen 1980: S. 129)
There are as many causes of x as there are explanations of x. Consider how the cause of death might have been set out by a physician as multiple haemorrhage, by the barrister as negligence on the part of the driver, by a carriage-builder as a defect in the brakeblock construction, by a civic planner as the presence of tall shrubbery at that turning. (Hanson 1958: S.54)43
Die Perspektive legt fest, welche Faktoren überhaupt relevant sein können. Zugleich setzt der Kontext der Frage fest, vor welchem Hintergrund an nicht eingetreten Alternativen das Ereignis erklärt werden soll. Die Menge der Alternativen nennt van Fraassen »Kontrastklasse«:
The correct general, underlying structure of a why-question is therefore
[...] Why (is it the case that) P in contrast to (other members of) X?
where X, the contrast-class, is a set of alternatives. P may belong to X or not; further examples are:
Why did the sample burn green (rather than some other colour)?
Why did the water and copper reach equilibrium temperature 22.5° C (rather than some other temperature)?
In these cases the contrast-classes (colours, temperatures) are obvious. In general, the contrast-class is not explicitly described because, in context, it is clear to all discussants what the intended alternatives are. (van Fraassen 1980: S. 127f)
Eine spezielle Art von Interessenlage bestimmt oftmals die Ursachenfindung einzelner Vorfälle: es gehen moralische und normative Aspekte ein, vor allem in der Form der Frage der Verantwortlichkeit. Nehmen wir zum Beispiel einen Fall sog. häuslicher Gewalt. Ein vierzigjähriger arbeitsloser Ehemann schlägt seine Frau. Diese tötet ihren Mann in Notwehr. Die fragliche Todesursache des Mannes könnte ganz verschieden angegeben werden. Etwa »Herzversagen infolge von Fremdeinwirkung eines spitzen und scharfen Metallobjekts«. Hier aber wird die Lage, die dem Sachverhalt der Notwehr zugrunde liegt, herangezogen. Dabei spielt es beispielsweise auch eine Rolle, ob die Frau andere Möglichkeiten gehabt hätte, die bedrohliche Situation zu verhindern. Dabei wird möglicherweise auch gefragt werden, inwieweit die Eskalation bereits vorher - und dabei: wie lange vorher? - hätte verhindert werden können. Die Frage nach Verantwortung und Verantwortbarkeit trägt offensichtlich entscheidend zur Einschätzung bei, welcher Faktor aus den möglichen Ursachen als relevant herausgegriffen wird. Hierzu steht uns vor allem im juridischen Feld ein spezielles Vokabular zur Verfügung: darunter die Charakterisierungen einer Handlung als »fahrlässig«, »grob fahrlässig«, »vorsätzlich« oder »mutwillig«.
Was geschieht nun in Fällen, wo die angewandte Theorie vollkommen unstrittig ist, oder, wie im Fall alltagspsychologischer Erklärungen, sie nicht explizit ist, und womöglich nicht einmal eindeutig explizierbar. Egal ob explizierbar oder nicht, alltagspsychologische »Theorien« oder deren allgemeine Prinzipien sind in alltagspsychologischen Erklärungen häufig nicht thematisch. Das heißt, daß die Akzeptanz meiner Erklärung weniger von meiner Fähigkeit abhängt, die deduktiven (oder sonstigen) Prinzipien näher aufzuhellen, sondern vor allem davon, ob die vermeintlichen impliziten Prinzipien allgemein geteilt sind. Für solche Fälle läßt sich sagen, eine (erfolgreiche) Erklärung im hier eingeführten pragmatischen Sinn besteht allein aus dem Vorbringen eines Grundes. Der systematische Zusammenhang zwischen Grund und Explanandum ist (günstigenfalls) aufgrund eines geteilten Hintergrundwissens und der individuellen Intelligenz des Adressaten von alleine einsichtig.
In diesen Fällen aber kommt es einer Erklärung gleich, eine dem Hörer fehlende Information zu geben. Wenn man dieser Argumentation folgt, deutet sich an, daß eine eindeutige Abgrenzung von sprachlicher Kommunikation im allgemeinen und alltagspsychologischen Erklärungen als besonderer Fall schwer möglich ist. Diese Intuition werde im im 3. Kapitel näher erörtern.
Vorher jedoch soll noch eine weitere zentrale Voraussetzung des Theorie-Ansatzes in Frage gestellt werden, diejenige, daß soziale Kognition und die Zuschreibung von propositionalen Einstellungen Verstehensleistungen sind, die in deduktiven Schlußfolgerungen bestehen. Ich stelle hierzu die Position von Robert M. Gordon vor, das Simulations-Modell der Alltagspsychologie.
Neben der Frage, in welchem Sinn Alltagspsychologie als eine Theorie angesehen wird, lassen sich die unterschiedlichen Theorie-Auffassungen nach drei anderen Kriterien einteilen.
(1)Entweder (a) alltagspsychologische Erklärungen sind Ergebnis der Anwendung einer Theorie (oder eines Bündels genereller gesetzesähnlicher Sätze44) nur für das Verstehen Anderer; oder (b) für das Verstehen Anderer und seiner selbst.
(2)Entweder (a) alltagspsychologische Erklärungen menschlichen Verhaltens sind Anwendungen einer Theorie und wir gelangen zu ihnen durch deduktive Schlußfolgerungen. Oder (b) sie weisen in ihren Konzepten ein Muster auf, das zwar als Ergebnis einer Theorieanwendung interpretiert werden kann. Dies kann jedoch auch der Effekt subpersonaler (oder unbewußter) Mechanismen sein, oder das Ergebnis anderer systematischer Vorgänge sozialer Kognition oder sprachlicher Kommunikation.
(3)Entweder (a) die Alltagspsychologie ist in dem Sinne eine Theorie, als wir zu ihr durch Hypothesenbildung gelangen. Ihre Konzepte haben nur in dem Rahmen der Theorie Gültigkeit und Sinn. Die so gewonnene Theorie hat sich gut bewährt, sie würde aber im Bedarfsfall durch eine bessere Theorie ersetzt werden können. Oder (b) sie wird nicht individuell durch Hypothesenbildung konstruiert, sondern durch Erziehung und im Umgang mit Anderen erlernt; oder (c) sie ist angeboren.
Zu (1): Wählt man Option (b), ergibt sich folgende Schwierigkeit. Der Standpunkt, wir müßten unsere eigenen mentalen Zustände erst durch eine Theorie vermittelt erschließen und erfahrbar machen, erscheint vollkommen kontraintuitiv.45 Nimmt man (a) an, erscheint es rätselhaft, wie wir es schaffen, dieses vermeintlich theoretische Vokabular auch auf uns selbst anzuwenden.
Zu (3): Gegen den Theoriecharakter im Sinne der prinzipiellen Verwerfbarkeit und Ersetzbarkeit einer Theorie spricht die weitgehende historische und kulturelle46 Invarianz (eines Kerns) alltagspsychologischer Konzepte. Für ihre Ersetzbarkeit würde zunächst sprechen, daß sich die psychologische »Theorie« in der Kindheit entwickelt. Entwicklungspsychologen unterscheiden hier (mindestens) zwei Entwicklungsstufen. Im englischsprachigen Raum werden sie »attention/goal-« und »belief/desire-psychology« genannt. Im ersten Stadium interpretieren Kinder Andere mit Hilfe einfacherer Konzepte. Sie machen sich das Verhalten Anderer verständlich, indem sie erkennen, daß Andere Dinge wahrnehmen und auf konkrete Ziele orientiert handeln. Die angewandten Prädikate lassen sich als zweistellige Relationen analysieren, Relationen zwischen einer Person und einem Gegenstand. Die Konzepte der belief/desire-psychology sind komplexer. Sie lassen sich als dreistellige Relationen analysieren. Die Relata sind: (a) eine Person, (b) eine konkrete Situation (übereinstimmend mit der eigenen Wahrnehmung), (c) eine hypothetische Situation, die von (b) abweichen kann.47 Wenn allerdings die These keinen klaren Sinn hat, diese Entwicklung als Theoriewandel48 zu interpretieren, wo die neue Theorie mit der Einführung neuer theoretischer Begriffe einhergeht, bleibt offen, wie der vermeintliche Theoriewechsel alternativ zu beschreiben ist.
Meine bisherige Argumentation zielte darauf ab, daß mentale Prädikate nicht als theoretische Konzepte verstanden werden können, und daß daher in der alltagspsychologischen Kompetenz keine Anwendung einer Theorie im engeren Sinn gesehen werden kann. Im weiteren werde ich statt dessen davon ausgehen, daß wir es bei mentalistischen Ausdrücken (also z.B. intentionalen Verben wie »glauben«, »beabsichtigen« usw.) mit einem Begriffssystem zu tun haben, das durch eine spezielle Logik ausgezeichnet ist. Später werde ich aufzeigen, daß das mentalistische Vokabular wesentlich mehr Funktionen erfüllt, als nur Erklärungen im Sinne der Identifikation von Ursachen zu liefern. Am Ende des letzten Abschnitts hatte ich bereits angedeutet, daß es einen Übergang zwischen Erklärungen und anderen Sprechhandlungen gibt, sobald man Erklärungen selbst als spezielle Sprechhandlungen auffaßt. Zunächst soll jedoch ein anderer zentraler Punkt der Theorie-Auffassung(en) kritisiert werden: Die Annahme, fremdpsychisches Verstehen sei auf Schlußfolgerungen angewiesen. Allgemeiner geht es auch um die Vorstellung, daß das Verstehen Anderer als Fortschreiten von einem Nicht-Wissen zu Wissen oder Erkenntnis zu beschreiben ist. Zu diesem Zweck stelle ich Robert M. Gordons Simulationsansatz vor.
Gordon entwickelt seine Konzeption der Simulation zunächst als Antithese zu einer Theorie-Theorie, die den Theoriebegriff wörtlich nimmt. Selbst wenn diese Opposition hinfällig ist, weil man sich etwa Schiffers oder meinen Argumenten anschließt, sind Gordons Vorschläge dennoch interessant. Sie stellen nämlich einen grundsätzlichen Gegenentwurf dar, der nicht nur Theorie-Auffassungen im engeren Sinne widerspricht. Sein Modell ist auch als Einwand gegen schwächere Theorieauffassungen zu verstehen.
Bezüglich (1) nimmt sich Gordon vor, ein Modell zu geben, das sowohl Fremdverstehen als auch Selbstverstehen (im Sinne von reflexiver Bezugnahme auf eigene mentale Zustände) erklären kann. Dazu ist vorher eine Unterscheidung notwendig, nämlich die zwischen Erfahrungen und faktischem Wissen, Wollen, Glauben usw. einerseits und der Konzeptualisierung dieser Bewußtseinszustände. Er vertritt die Meinung, daß die Herausbildung und Beherrschung der Konzepte durch sein Simulationsmodell erklärt werden kann. Er stellt eine Verbindung zwischen selbstreflexivem und fremdpsychischem Verstehen her, die die paradoxen Implikationen der beiden Optionen unter (1) vermeidet. Wie die Verbindung nach Gordon zustande kommt, gebe ich weiter unten wieder.
Besonders vehement wendet sich Gordon gegen die Annahme (2) (b), genauer gesagt, gegen die Teilannahme, Zuschreibungen mentaler Zustände beruhten auf Schlußfolgerungen, oder, wie er es nennt, auf »inferentiellen Erkenntnisleistungen«. Hierzu macht er geltend, daß die wissenschaftliche Forschungsperspektive und die Perspektive des sozialen Verstehens methodisch grundverschieden sind. Während sich die von den Theorietheoretikern angenommene Methodologie der Alltagspsychologie als eine »kalte« Methodologie charakterisieren läßt, hält Gordon dem die Annahme einer »heißen« Methodologie entgegen.
[A] cold methodology [...] chiefly engages our intellectual processes, moving by inference from one set of believes to another, and makes no essential use of our own capacities for emotion, motivation, and practical reasoning. [...]
[A] hot methodology [...] exploits one's own motivational and emotional resources and one's own capacity for practical reasoning. (Gordon 1996: S. 11)
Unser Verständnis anderer Menschen ist von einem theoretischen, abstrakten Wissen fundamental verschieden, da es auf andere Quellen zurückgreift: die Methode der Empathie erlaubt uns eine andere Form der Erkenntnis. Zugleich ist die empathische Methode gegenüber abstrakten Verfahren viel ökonomischer: Indem wir uns selbst als Simulator für andere Individuen verwenden, können wir unsere eigene innere Erfahrungswelt, sowohl (hypothetische und faktische) Empfindungen wie auch (hypothetische und faktische) Entscheidungsprozesse und Überlegungen als Modell für das Innenleben der Anderen nutzen.49
Die Fähigkeit zur Empathie, alternativ auch als Einfühlungsvermögen50 zu bezeichnen, analysiert Gordon als komplex. Es gehen mehrere Teilkompetenzen in sie ein. Erstens, die Fähigkeit der spontanen (emotionalen, motivationalen und kognitiven) Identifikation51 mit Anderen. Zweitens, ein Vorstellungsvermögen, das es erlaubt, sich die Situation, in der sich der Andere befindet, und die mutmaßlichen Ziele und Bedürfnisse des Anderen zu vergegenwärtigen. Zusammen genommen mit dem Moment der Identifikation bedeutet das, sich innerhalb einer Simulation vorzustellen, man befände sich selbst in der Situation des Anderen, teilte dessen Wissensstand, seine Gefühle und Absichten. Man vollzieht einen imaginativen (oder hypothetischen) Perspektivenwechsel, der darin besteht, gleichsam die Welt mit den Augen des Anderen zu sehen.
Die Fähigkeit zur spontanen Identifikation, die manchmal auch unfreiwillig eintreten kann, läßt sich plastisch an unserem Erleben eines Kinobesuchs veranschaulichen. Im Fall eines gelungenen Melodrams läßt uns die Identifikation mit dem Protagonisten oder der Hauptdarstellerin ihr Schicksal am eigenen Leib miterleben, mit emotionalen Reaktionen, die manchmal nicht mehr unsrer willentlichen Kontrolle unterliegen. Selbst das Nachvollziehen der Filmhandlung, so könnte Gordon fortfahren, läßt sich plausibel analysieren als Rekonstruktion der relevanten Elemente und Ereignisse aus der jeweiligen Sicht einer oder mehrerer Figuren. Um dieses Konzept des Personenverstehens durch Simulation besser zu verstehen, böte es sich an, gerade Techniken des Filmschnitts und der Kameraführung dahingehend zu untersuchen, wie sie unsere Erwartungen, die durch diese Formen der imaginativen Identifikation erzeugt werden, bewußt ausnutzen - sowohl in der Wahl der Mittel, mit dem Filme ihre Geschichte »erzählen«, als auch hinsichtlich der Effekte, die Spannung erzeugen oder uns mitreißen.
Auch vor der Erfindung des Films operierte bereits die Literatur mit Perspektiven. Hier ein kleiner Ausschnitt aus einem Sherlock Holms-Kriminalroman. Ein Simulationsmodell Gordonscher Prägung drängt sich nahezu von selbst auf:
I instantly reconsidered my position when [...] it became clear to me that whatever danger threatened an occupant of the room couldn't come either from the window or the door. My attention was speedily drawn, as I have already remarked to you, to this ventilator, and to the bell-rope which hung down to the bed. The discovery that this was a dummy, and that the bed was clamped to the floor, instantly gave rise to the suspicion that the rope was there as a bridge for something passing through the hole, and coming to the bed. The idea of a snake instantly occurred to me, and when I coupled it with my knowledge that the Doctor was furnished with a supply of the creatures from India I felt that I was probably on the right track.52
Damit ist bereits die Grundidee von Gordons Vorschlag umrissen. Fremdverstehen besteht im Gegensatz zu abstraktem (wissenschaftlichen) Verstehen aus einem engagierten Miterleben und Mitfühlen mit dem Anderen, sowie aus dem Nachvollziehen-Können der Handlungsmotive und individuellen Reaktionen in der Situation des Anderen.53
Um die Funktionsweise der von seinem Modell angenommenen kognitiven Operationen zu veranschaulichen, bedient sich Gordon (metaphorisch54) der Begrifflichkeit informationsverarbeitender Systeme. Unser Verstand ist bei Gordon ein »Practical Reasoning System«55. Gemeint ist also das allgemeine Vermögen, mit dem wir uns in der Umwelt orientieren, nachdenken, Entscheidungen treffen usw. Solange in konkreten Situationen dieses Vermögen im Einsatz oder "in Betrieb" ist, läuft unser Practical Reasoning System im »Online-Modus«. Das System vermittelt zwischen Input, der Wahrnehmung der Situation, und Output, der Reaktion. In dieser Betriebsform kommt vorerst keine Reflexion des Wahrgenommenen, der Handlung und der gedanklichen oder sonstigen Zwischenstationen vor, jedenfalls nicht notwendig. Unsere Entscheidungsprozesse sind zwar von einem phänomenalen Gefühlsleben (Freude, Angst usw.) begleitet, sie sind in der einfachen (frühkindlichen) Form jedoch noch nicht konzeptualisiert und anfangs noch kein Gegenstand der Reflexion und bewußten Kommunikation. Wir sind jedoch sehr früh schon in der Lage, so Gordon, unser Betriebssystem im »Offline-Modus« laufen zu lassen. Dies stellt die erste einfache Form von Reflexion dar. In den Offline-Betrieb umzuschalten heißt, das System vom Input-Kanal oder vom Output-Kanal oder von beiden abzukoppeln. Anstatt eine Handlung, die das System im Online-Modus umsetzen würde, auszuführen, wird der Handlungsimpuls nur hypothetisch umgesetzt und tritt als vorgestellte Reaktion ins Bewußtsein. In den abgekoppelten Input-Kanal lassen sich statt realer Eindrücke auch hypothetische Wahrnehmungen - also Vorstellungen - einspeisen. Wenn wir hypothetische Inputs einspeisen, den Output-Kanal aber nicht abkoppeln, erhalten wir die Situation einer einfachen Form von Rollenspielen, in denen wir - als Kinder oder als erwachsene Schauspieler - eine fiktive Situation vorstellen und dieser folgend handeln.56
Nach Gordons Konzeption besteht eine Simulation in der Nullstufe in einer Totalprojektion. Die eigenen mentalen Zustände, der eigene Wissensstand, Gefühlszustand, Neigungen etc. werden auf den Anderen projiziert. Diese elementare Simulation kann zwar noch kein Verstehen Anderer57 herbeiführen, sie leistet aber durch das Zusammengehen von Projektion und Identifikation eine einfache Art von Personenkonzeption. Sie erzeugt eine Doppelung der eigenen Subjektivität. Der Andere wird als anderes »ich« wahrgenommen. In dieser Entwicklungsstufe ist es weder möglich zu erkennen, ja noch nicht einmal die Möglichkeit zu denken, daß der Andere mich täuscht oder irreführt, noch ist es dem Kind möglich, Andere zu täuschen, also etwa bewußt zu belügen. Sie können niemanden belügen, da der eigene Kenntnisstand auf den Anderen projiziert wird, folglich wüßte der Andere, daß ich ihn belüge, was jede Lüge nutzlos macht. Diese Beschreibung stimmt gut mit dem bei Kleinkindern (im Alter unter 4 Jahren) zu beobachtenden Verhalten überein. Typisch sind Beispiele wie folgendes: Ein Kind kommt mit aufgeschürften Knien weinend nach Hause. Es kommt aber nicht auf die Idee, der Mutter zu erzählen, was vorgefallen ist. Das Kind geht davon aus, die Mutter wisse soviel wie es selbst. Kinder, so läßt sich ebenfalls in Übereinstimmung mit dem Modell der Totalprojektion beobachten, berücksichtigen noch nicht die Änderung der räumlichen Perspektive anderer, sondern übertragen ihre eigene. Sie zeigen einer gegenüber sitzenden Person Bilder oder Photographien, ohne sie umzudrehen. Es stimmt zudem mit einer allgemein beobachtbaren Egozentrik von Kleinkindern überein, die Erziehungspersonen nicht selten verzweifeln lassen kann. Wenn sich mehrere Kinder um ein Spielzeug streiten, gelingt es Kindern offenbar nicht, die Perspektive des Anderen Kindes einzunehmen. Der eigene Gewinn ist in der Totalprojektion ein Gewinn für alle, die Berücksichtigung des Verlusts des Spielzeugs für das andere Kind fällt schwer.58
Das ändert sich erst, wenn im Offline-Modus die Input-Bedingungen angepaßt werden. Bei der Vorstellung der Lage des Anderen werden als hypothetische Inputs nicht mehr die eigenen vollständig übernommen, sondern die Abweichungen hinsichtlich der Wahrnehmungssituation, des Wissenstandes, der Vorlieben etc. berücksichtigt, sofern sie der Simulierende kennt oder unmittelbar sieht. Wenn dabei die eigenen hypothetischen Reaktionen mit denen des Anderen übereinstimmen, war die Simulation erfolgreich. Wenn sie nicht übereinstimmen, kann man versuchen, andere Annahmen hinsichtlich der Lage des Anderen zu machen, um zu sehen, ob diese zum beobachteten Verhalten passen.
Mit dieser verbesserten Simulation, die Differenzen zwischen Simulierendem und Simuliertem berücksichtigen kann, verändert sich auch die Personenkonzeption selbst. Andere sind nunmehr nicht mehr allein gedoppelte Ich-Identitäten, sondern Individuen mit eigener Mentalität, die sich von der eigenen unterscheidet. Ihr Handeln steht in Zusammenhang mit ihren Plänen, Gefühlen Wahrnehmungen und Wissen. Wenn es jedoch richtig ist, daß wir fremdpsychisches Verstehen oft und vor allem zu Beginn unsrer Entwicklung in der Kindheit über eine Simulation (im ausgeführten Sinn) erreichen, erhielte man auch eine Antwort, wie wir zu einem reflexivem Zugriff auf unser eigenes Innenleben gelangen. Denn im Simulationsprozeß ist es ja der eigene Verstand und die eigenen Gefühle, die wir in der Rolle des Anderen zu dessen Verständnis ausnutzen. Da im Stadium der Totalprojektion keine Anpassung hinsichtlich der Unterschiede des Anderen durchgeführt wird, sondern der eigene Zustand nur auf den anderen projiziert wird, ergibt sich aus ihr zunächst noch kein reflexiver Zugriff auf die eigene Verfassung. Über den Umweg der Einnahme der Perspektive anderer Personen wird zugleich eine reflexive Bezugnahme auf die eigene Sicht der Dinge und die eigenen Gefühle möglich. Wo ich die Abweichung Anderer zu berücksichtigen lerne, werde ich auch meiner eigenen Individualität und der eigenen Erfahrung in Abgrenzung zu der Erfahrungswelt Anderer bewußt.59
Gordon legt sein Hauptaugenmerk in der Frage des Zugreifens auf mentale Eigenschaften auf die Rolle von Konzepten. Unter Konzepten versteht er dabei die Fähigkeit, bestimmte Ausdrücke der öffentlichen Sprache richtig zu verwenden.
Zur richtigen Verwendung einfacher nicht-intentionaler Prädikate wie »fröhlich«, »traurig« usw. ist vor allem die Tatsache entscheidend, daß mein Gemütszustand und der Anderer verschieden sind bzw. sein können. Angesichts der Ausgangssituation der egozentrischen Totalprojektion ist dies nicht selbstverständlich. Diese einfachen Emotionen haben in der Regel typische Ausdrucksformen - Weinen drückt z.B. Trauer aus. Dem Erkennen einfacher Emotionen, kommen außerdem Effekte einer »emotionalen Ansteckung« und einer »facial mimicry« genannten Fähigkeit zugute. Mit emotionaler Ansteckung sind direkte empathische Reaktionen60 gemeint, in denen ohne die geringste kognitive Anstrengung ein Gefühl, Freude oder Angst überspringt, z.B. von der Mutter auf das kleine Kind. Mit »Mimikry des Gesichts« ist folgender Befund gemeint: Die Wahrnehmung des Gesichtsausdrucks eines Anderen erzeugt im Wahrnehmenden die Tendenz der Innervierung der analogen Gesichtsmuskeln sowie die Tendenz der entsprechenden Emotion.61 Die Wahrnehmungen der Emotionen des Anderen können in Simulationen als hypothetische Inputs dienen.62 Inputs können alle Modifikationen der eigenen Mentalität sein, also auch vorgestellte kontrafaktische Gemütslagen.
Die Konzeptualisierung von Emotionen schreitet vor allem dann voran, wenn entsprechende Prädikate eine Rolle in der sprachlichen und non-verbalen Kommunikation spielen. Viele der mentalen Konzepte verfügen über eine erhöhte Komplexität, da sie mit einem konkreten Weltbezug verbunden sind, d.h. sie sind intentional charakterisiert. Wir sind traurig über etwas, oder wir sind verärgert über jemanden wegen etwas. Mit der Logik dieser Emotionen (bzw. der entsprechenden Prädikate) setzt sich Gordon (1987) ausführlich auseinander. Der Umgang mit der Intentionalität der Gefühlsprädikate kann Gordon mit dem Prinzip des Perspektivenwechsels in Simulationsprozessen erklären.
Gordon (1987) unterscheidet faktive und epistemische (intentionale) Emotionen. Diese folgen je einer unterschiedlichen Logik. Faktive Emotionen setzen voraus, daß sie sich auf einen wahren Sachverhalt beziehen. Genauer gesagt, ich muß wissen, daß der fragliche Sachverhalt vorliegt, ich gehe davon aus, daß er allgemein bekannt ist, und daß derjenige, dem ich die Emotion zuschreibe, es ebenfalls weiß. Ein Beispiel ist »bedauern«. Von jemandem zu sagen, er bedaure, daß George Bush zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde, impliziert, daß George Bush zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde. Für epistemische Emotionen gilt hingegen, daß sie offen lassen, ob der Sachverhalt vorliegt. Ein Beispiel ist »hoffen«. Ausgehend von dieser Beobachtung entwickelt Gordon eine interessante Analyse des Wissenskonzepts, wie es in der Verwendung von faktiven Emotionsprädikaten eingeht. Ich komme darauf augenblicklich zurück. Vorher soll noch kurz die Rolle der Simulation für die Beherrschung der Logik propositionaler Einstellungsverben (und damit der entsprechenden mentalen Konzepte) beleuchtet werden.
Für propositionale Einstellungen impliziert Gordons Modell eine grundsätzlich andersartige Analyse als beispielsweise Fodors Ansatz. In Gordons Herangehensweise sind propositionale Einstellungen von Anfang an anders konzipiert. Sie treten hier nicht als (relationale) Eigenschaften von Individuen in Erscheinung. Vielmehr gehen Meinungsattributionen und Zuschreibungen genuinen Wissens aus der Vorstufe der Totalprojektion hervor. Im Rahmen der Totalprojektion wird das eigene Wissen naiv unterstellt. Dadurch ist der Weltbezug mentaler Einstellungen bereits verankert. So werden die Probleme mit den Zwillingswelten vermieden. Meinungen sind konzeptuell definiert als Abweichungen von dem eigenen (wahren) Wissen. Aus dem Simulationsprozeß treten sie als imaginative Einstellungen zu einer (in Teilen) hypothetischen Welt - in der ersten Person, jedoch in der Rolle des Anderen, im »Offline-Modus«. Nach Gordon sind Meinungen als partielle Weltbeschreibung für eine Person zu analysieren.
When an ascent routine is used within the context of a simulation, a new logical space is opened. One can understand the object-level question [...], Does Mickey have a tail? to have answers at various locations in this space. For example, one child, Jane, might simulate another, Mary, and then ask herself, in the role of Mary, the object-level question, Does Mickey have a tail?. Simulation links the answer to the particular individual [...] whom one is identifying with within the simulation. (Gordon 1996: S. 18)
Die Simulationsroutine erzeugt also zwei unterschiedliche logische Ebenen, die aber dennoch miteinander in Beziehung stehen, eine »Objektebene« und eine »Metaebene«63. Auf der Objektebene kann ich herausfinden, was ich weiß und was ich glaube. Das stellt sich unter anderem dadurch heraus, wie ich auf Fragen antworte. Im Rahmen der Simulation wird die Überzeugung aus ihrem Kontext (der eigenen Person) herausgehoben und statt dessen an die simulierte Person gebunden. Das Ergebnis hat die Form »Ich, Jane, würde in der Rolle von Mary sagen, daß Mickey einen Schwanz hat.«. In normaler Sprache würde Jane sagen: »Mary glaubt, daß Mickey einen Schwanz hat.« Den Übergang von der Objektebene zur Metaebene bezeichnet Gordon als »ascent routines«64.
Interessant wird es erst, wenn die der simulierten Person zugeschriebene Meinung von meiner eigenen und von dem als allgemein bekannt Angenommenen abweicht. Betrachten wir hierzu eines der »Experimente«, in denen Kinder das Verhalten von jemandem voraussagen sollen:
In one such story (illustrated with puppets) the puppet-child Maxi puts his chocolate in the box and goes out to play. While he is out, his mother transfers the chocolate to the cupboard. Where will Maxi look for the chocolate when he comes back? In the box, says the five-year-old, pointing to the miniature box on the puppet stage: a good prediction of a sort we ordinarily take for granted. [...] But the child of three to four years has a different response: Verbally or by pointing, the child indicates the cupboard. (That is, after all, where the chocolate is to be found, isn't it?) [...]
At an earlier age [i.e.: earlier than four years] children predict as if everything known to themselves were known to the other; which is to say, they fail to make allowances for what the other isn't in a position to know. One may say that young children attribute knowledge - by default - before they have learned to attribute belief. (Gordon 1987: S. 133)
Hier wissen alle (die Zuschauer und die Mutter) etwas, was Maxi nicht weiß, nämlich, wo die Schokolade ist. Wir erklären Maxis Verhalten dadurch, daß wir in seiner Perspektive - während der Identifizierung mit ihm - nicht gesehen haben, daß die Mutter die Schokolade aus der Schublade nahm. Gleichzeitig und »in Wirklichkeit« wissen wir es als Zuschauer. Wir erklären sein Verhalten in gewissem Sinn unter der Annahme, die Welt sei (in einer Hinsicht) anders.
In dieser Perspektive ist die Zuschreibung von irrigen Meinungen (über den Verbleib von Süßwaren zum Beispiel) ein komplexerer Vorgang, als Anderen den eigenen Wissensstand und das für allgemein bekannt Gehaltene zu unterstellen.65
There is some evidence that folk psychology is indeed default-egocentric, reverting to egocentric and thus factive forms of expression when no allowance is made for false or differing beliefs. Very young children give verbal expression to predictions and explanations of the behavior of others. Yet up to about the age of four they evidently lack the concept of belief, or at least the capacity to make allowances for false or differing beliefs. Instead they simply fill all the »cognitive« slots with the facts - the »actual« facts, what they take to be the facts (as we, with our adult conceptual scheme, might put it). Evidence of this can be teased out by presenting children with stories and dramatizations that involve dramatic irony: where we the audience know something important that the protagonist doesn't know. (Gordon 1987: S. 132)
Für alltagspsychologische Erklärungen ist diese Form von Wissenszuschreibung demnach wesentlich weniger ergiebig als die Zuschreibung irriger Meinungen.
Dieser Betrachtung folgend erscheint es ratsam, in der philosophischen Reflexion zwei Wissensbegriffe auseinanderzuhalten. Einerseits »Wissen«66 im Sinne der »naiven« (stillschweigenden, automatischen, egozentrischen) Unterstellung des eigenen Wissens; andererseits Wissen in einem stärkeren Sinn, nämlich so wie es in Zuschreibungen vorkommt, wenn das unterstellte Wissen von meinem eigenen (oder dem allgemein Bekannten) relevant abweicht. Diese naive Form der Wissensunterstellung erfordert kein Konzept des Glaubens, d.h. der systematischen Berücksichtigung des Irrtum oder Fehlrepräsentation. Diese naive Form der Wissenszuschreibung vollziehen wir auch bei der Attribution faktiver Emotionen. Wenn man von jemandem sagen kann »X bedauert, daß George Bush zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde«, dann auch »X weiß, daß George Bush zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde« und »Ich weiß, daß George Bush zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde«.
Es stellt sich allerdings die Frage, inwieweit wir als Ergebnis von Simulationen überhaupt Wissen über Andere erwerben. Woher gewinnen wir die Sicherheit, daß wir uns nicht täuschen. Ich denke, ein Weg, auf dem wir einen für die meisten Zwecke zufrieden stellenden Grad von Sicherheit erlangen, liegt in der Anwendung einer Art Kohärenztest. Ist das Verhalten der simulierten Person unter Annahme der faktischen wie hypothetischen situativen Bedingungen mit den attribuierten Einstellungen verträglich, haben wir die Beweggründe des Anderen mit einiger Verläßlichkeit verstanden.
Voraussetzung dafür, daß Simulationen je verläßliche oder auch nur wahrscheinliche Ergebnisse liefern können, ist eine halbwegs weit reichende Ähnlichkeit von Menschen untereinander. Das heißt, es braucht eine Grundlage von erwartbaren ähnlichen Reaktionen in ähnlichen Situationen. Hierbei muß meiner Meinung nach auch berücksichtigt werden, daß Quelle der Übereinstimmung von Individuen auch der kulturelle Erwerb von sozialen Regeln und Normen sein kann. Wenn wir zu einem gewissen Grad unser Handeln an gesellschaftlichen Erwartungen ausrichten, werden Simulationen, die dem Anderen den gleichen Erwartungshorizont unterstellen, dann zu relativ zuverlässigen Erklärungen gelangen, wenn Simulator und simulierte Person ein gemeinsames Wertesystem teilen. Solche Erklärungen stehen in einem engen Zusammenhang mit Rechtfertigungen. Als erstes Schema dieses Zusammenhang kann dabei folgendes gelten: Erklärungen des eigenen wie eines fremden Verhaltens sind insoweit Kandidaten möglicher Rechtfertigungen, vorausgesetzt sie bringen Gründe in Übereinstimmung mit sozialen Normen (Erwartungen, Verpflichtungen, Rechten, Befugnissen ...) vor.
Hinzu kommt in der sozialen Praxis ein weiteres Element, das die pure Erklärungsfunktion überlagert und in Einzelfällen auch überdecken kann: das Ergebnis einer gelungenen Erklärung, das Verstehen und das Verstanden-Worden-Sein. Zusammen mit der Rechtfertigungsfunktion führen Erklärungen und Verstehen nämlich zu gesellschaftlicher oder intersubjektiver Akzeptanz und auch zu Anerkennung. Dabei werden wir im Alltag jedoch je verschieden entscheiden, wann wir etwas für verständlich halten, und vor allem, wann und wem gegenüber wir dies zum Ausdruck bringen. Wenn wir aber Verständnis zum Ausdruck bringen, kann dies auch in der vordergründigeren Funktion des Ausdrucks der Akzeptanz und Anerkennung begründet sein. Die Rechtfertigungs- und Erklärungsfunktion kann bisweilen in den Hintergrund treten.
Zusammenfassend möchte ich neben Gordons Vorschlag, demzufolge spezielle Erkenntnisformen - nämlich diejenigen, die von Empathie und Projektion Gebrauch machen - in der Modellierung alltagspsychologischer Erklärungen zu berücksichtigen, vor allem folgenden Zugang zum Thema hervorheben:
Nach dem fehlgeschlagenen Versuch, mentale Konzepte als theoretische Begriffe zu deuten, bleibt vorerst nur die Feststellung, daß die Zuschreibung von mentalen Eigenschaften systematisch ist. Das heißt, die Verwendung mentaler Ausdrücke (darunter propositionale Einstellungsverben) zu beherrschen, heißt, ihrer Logik zu folgen. Andererseits äußert sich die Beherrschung dieser Logik vor allem in sprachlichem Verhalten. Daher möchte ich im nächsten Kapitel eingehender untersuchen, wie wir mentale Prädikate gebrauchen. Aus Gründen der Übersichtlichkeit werde ich mich auf die Ausdrücke »glauben«, »denken« und »meinen« konzentrieren.
Eines der Ergebnisse der Auseinandersetzung mit dem simulationistischen Ansatz ließe sich pointiert so formulieren: Ein Kernprinzip intentionaler Ausdrücke und Konzepte besteht in einer Logik der Perspektiven. In Anlehnung an praktische Sozialwissenschaften könnte man sie auch als »frames« bezeichnen. Die Logik der Perspektiven ist auf sprachwissenschaftlichem Feld Angelegenheit der Sprachpragmatik. Perspektivengebundene Aussagen und Äußerungen werden dort logisch als deiktisch analysiert. Daher erscheint es mir sinnvoll, eine Verbindung zwischen der Logik propositionaler Einstellungen (und anderer intentionaler Prädikate) und Forschungsansätzen der Sprachpragmatik zu ziehen.
Das Simulationsmodell kann jedoch nicht den Anspruch erheben, soziale Kognition annähernd vollständig erklären zu können. Der Gerechtigkeit halber sei Gordon (und anderen) allerdings eingeräumt, daß niemand mit diesem Beweisziel angetreten war. Es sind vor allem vier Dinge, die durch simulative Kognition nicht erklärt werden können:
(1)Eine Fähigkeit zur angemessenen Einschätzung einer fremden Situation kann nicht durch Simulation erworben werden, sondern ist Voraussetzung für erfolgreiche Simulationsversuche.
(2)Die Kategorisierung menschlicher Handlungen kann nicht durch Simulationsprozeduren allein erworben werden. Ihr Erkennen setzt in vielen Fällen die Verfügbarkeit intentionaler Beschreibungen voraus. Eine Teilklasse intentional charakterisierter Handlungen sind konventionale soziale Handlungen, das heißt, ihr Erfassen wie ihr Funktionieren ist von gesellschaftlichen Institutionen abhängig. Simulation alleine kann nicht erklären, wie wir erkennen, ob eine Handlung als Banküberfall, Aktienkauf oder Vertragsbruch zu verstehen ist. Allerdings liefert das Modell mit dem Hervorheben der Struktur von (auch verschachtelten) Perspektiven und Rollen einen möglichen Hinweis für das Verständnis komplexer Rollenmuster im sozialen Alltag. Bereits scheinbar einfache soziale Handlungen wie »kaufen« enthalten eine komplexe Perspektivität.
(3)Simulation stößt an ihre Grenzen, wo uns das Verhalten eines Anderen zu fremd ist oder erscheint. Dort setzen andere Erklärungsprinzipien ein.
(4)Das Simulationsmodell, wie es bislang ausformuliert wurde, gibt zuwenig Auskunft darüber, wann wir gerechtfertigt sagen können, jemand glaube (oder wisse) etwas. Die Logik intentionaler Verben, aber auch Semantik allgemein ist reichhaltiger, als daß die Lage mit »ascent routines« alleine angemessen beschrieben wäre. Sowohl die Äußerung »Mickey Mouse has a tail« als auch die Äußerung »I think Mickey Mouse has a tail« haben eine reichhaltigere Bedeutung als von Gordon angenommen67. Allein eine affirmative Antwort auf die Frage »Does Mickey Mouse have a tail?« kann kaum als Indiz für eine Meinung ausreichen.
Bislang habe ich eine Hintergrundannahme der Diskussion nicht in Frage gestellt: »Mit Hilfe der Zuschreibung von Meinung und Wünschen (und anderem) erklären wir menschliches Verhalten.« Am Ende des ersten Kapitels habe ich van Fraassens Vorschlag aufgegriffen, Erklärungen als spezifische Sprechhandlungen aufzufassen, nämlich als Antworten auf Warum-Fragen. Sowohl das Verständnis der Frage selbst als auch die Akzeptabilität und die Güte der Antworten stellten sich als stark kontextabhängig heraus. Außerdem hatte ich bereits darauf hingewiesen, daß in vielen Zusammenhängen das Erkenntnisinteresse durch Fragen der Haftbarkeit von Personen mitbestimmt ist. Aus diesem Grund ergibt sich im Fall von Erklärungen menschlichen Verhaltens im täglichen Umgang nahezu immer ein stetiger Übergang zwischen Erklärungen und Rechtfertigungen.
Ein wesentliches Element von Erklärungen, so hatte ich festgestellt, ist das Appellieren an allgemeine Prinzipien oder gesetzesähnliche Sätze. Dabei hob ich den Umstand hervor, daß die angenommenen allgemeinen Prinzipien oftmals nicht explizit angegeben werden, sondern als bekannt vorausgesetzt werden.
Gordon lieferte uns ein Erklärungsmodell, bei dem nebenbei ein Grund für die zu beobachtende Elliptizität von Erklärungen angegeben wird: Wir können die allgemeinen Zusammenhänge deswegen ungenannt lassen, weil wir unser eigenes Denkvermögen anwenden und in Simulationen Anderer dieses Vermögen wie unseren Kenntnisstand - bis auf weiteres - auf andere projektiv übertragen.
Gordons Überlegungen hatten unter anderem gezeigt, daß wir uns das Verhalten Anderer zunächst dadurch verständlich machen, daß wir ihnen unsere Weltsicht unterstellen. Wenn wir dies in einzelnen Hinsichten korrigieren, lassen wir dennoch den verbleibenden unterstellten Rest von Übereinstimmung bestehen. Wenn wir innerhalb von Erklärungen an Umstände appellieren, die gemeinsamer Teil der bekannten Erfahrungswelt sind, verweisen wir auf die Tatsachen selbst, und nicht - jedenfalls nicht explizit - auf die entsprechende Meinung. Ich hatte in diesem Zusammenhang von »trivialem Wissen« gesprochen. Es hat zur Folge, daß wir in alltagspsychologischen Erklärungen rein äußerlich gar nicht auf Meinungen Bezug nehmen.
Beispiel: »Peter beeilt sich, weil er noch dringend einen Einkauf tätigen muß und es bereits kurz vor 20 Uhr ist.«
Unter normalen Umständen würden wir nicht sagen: »Peter beeilt sich, weil er noch dringend einen Einkauf tätigen muß, und weil er glaubt, daß es bereits kurz vor 20 Uhr ist.« Nur in bestimmten Fällen würden wir die umständlichere Formulierung wählen: Beispielsweise, wenn es in Wirklichkeit gar nicht kurz vor 20 Uhr ist.
Wir bedienen uns des intentionalen Vokabulars der propositionalen Einstellungsverben also nicht allgemein für alltagspsychologische Erklärungen, sondern nur für bestimmte. Dies kann uns als erster Hinweis dafür gelten, daß es eine speziellere Besonderheit ist, die das Vokabular kennzeichnet.
Ich möchte im folgenden der Frage nachgehen: In welchen Zusammenhängen, und vor allem: mit welchen Funktionen, verwenden wir in Äußerungen (betrachtet als Sprechhandlungen oder Sprechakte) Sätze68, die Glaubensprädikate enthalten - also Sätze, in denen die Worte »denken«, »glauben«, »meinen« und ähnliche sinnverwandte Wörter vorkommen?69
(1)»Was denkst du, sollen wir nun tun [angesichts der für uns beide/alle Beteiligten erwachsenen Situation]?«
(2)»Als er mir sagte, die Kapitalanlage sei vollkommen risikofrei, hatte ich ihm geglaubt.«
(3)»Wie würden Sie entscheiden?« - »Wie, denken Sie, ist dies angemessen zu bewerten?«
(4)»Ich fände es besser, wenn wir die Veranstaltung absagen.«
Die angeführten Beispiele sollen verdeutlichen, daß wir Glaubensprädikate und sinnverwandte Ausdrücke keineswegs ausschließlich in (alltagspsychologischen bzw. alltäglichen) Erklärungen verwenden. Es darf angenommen werden, daß wir sie noch nicht einmal vorwiegend in dieser Funktion verwenden. Es könnte allerdings sein, daß - wenn nicht in allen Fällen, so doch in vielen - zumindest implizit ein enger Zusammenhang mit (potentiellen) Erklärungen besteht: Denn immer, wenn wir z.B. etwas der Form »Meines Erachtens sollten wir ...« oder »Ich denke, es wäre besser, wenn (wir) ...« behaupten bzw. äußern70, ergibt sich für die Angesprochenen die Möglichkeit zu fragen, warum wir dieser Meinung sind, welche Gründe wir für unser vorgebrachtes Dafürhalten haben. Als Antworten auf solche Fragen würden wir dann veranlaßt sein, Erklärungen zu liefern.71
Ich muß an dieser Stelle allerdings klarstellen, daß diese Art von Zusammenhang der Verwendung von Glaubensprädikaten und Erklärungen nicht der ist, den Vertreter einer Theorieauffassung im Auge haben. Denn diese interessieren sich in erster Linie für Fälle, in denen Aussagen, die solche Prädikate enthalten, als Explanans fungieren, nicht aber für solche Fälle, wie ich sie hier heranziehe, in denen sie als Explananda auftreten. Hinzu kommt, daß das zu Erklärende nicht wirklich in meiner so bekundeten Meinung als solcher besteht, sondern nur in seinem Inhalt, also beispielsweise nur darin, warum ein Mittel (der jeweiligen Meinung nach) besser sein soll als ein anderes. In dieser Art von Erklärungen geht es dann offenbar weniger um zuverlässige Prognosen (des Verhaltens), an denen sie sich zu messen haben, sondern um Gründe und Rechtfertigungen, sowie oftmals noch unschärfer um Erläuterungen, um Explikationen von Details und Hintergründen, die der Sprecher vorausgesetzt hatte, dem Adressaten aber womöglich unbekannt sind. Solche Erläuterungen können manchmal auch nur die Bedeutung einzelner verwendeter Wörter betreffen - oder, allgemein gesprochen, auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt sein.
Dieser Versuch, die Anfangsplausibilität der These zu halten, mentale Zustände und damit unsere Verwendung von Glaubensprädikaten seien in dem Sinne theoretisch, als ihre (primäre) Funktion in ihrer Rolle in Erklärungen bestehe, kann nicht gelingen. Denn will man die gerade dargelegte Verbindung von Äußerungen, die Glaubensprädikate enthalten, und Erklärungen in diesen Rahmen einfügen, wird unklar, wie das zu bewerkstelligen sein soll. Zunächst müßten wir zubilligen, nicht nur die Explanantia seien theoretisch, sondern bereits die Explananda. Dies wäre, wenngleich gewagt, so vielleicht doch noch akzeptabel. Denn wir könnten uns auf den Standpunkt stellen, daß die Explananda bereits in einer geeigneten (theoretischen) Sprache beschrieben sein müssen, damit Erklärungen überhaupt beginnen können. Der Erklärungsbegriff verliert aber in dieser Verwendung derart an Präzision, daß er für unsere Diskussion unbrauchbar wird. Er büßt seine systematische Verbindung mit den Prognose- und Manipulationsleistungen ein, die für einen an den Wissenschaften orientierten Erklärungsbegriff wesentlich sind.
Daß ein derart ausgedehnter Erklärungsbegriff unbrauchbar ist, läßt sich noch drastischer verdeutlichen. Denn wir brauchen nur einen Moment innezuhalten, um zu erkennen, daß grundsätzlich alle Äußerungen in diesem Sinne mit einer Erklärungspraxis verknüpft sind, und nicht nur für solche, in denen Ausdrücke vorkommen, die sich dem Typus der Glaubensprädikate zuordnen lassen. Für Äußerungen jedweder Art gilt, daß wir bestimmte Dinge, auf die sie sich direkt (z.B. qua expliziter Behauptung) oder indirekt (qua von ihr stillschweigend in Anspruch genommener Voraussetzungen vielfältiger Art72) festlegen, auf ihre Wahrheit, ihre Rechtfertigung (genauer: ihre Gerechtfertigtheit) oder ihre Angemessenheit hin befragen bzw. in Frage stellen können.73 Der Versuch, Glaubenssätze als implizite Erklärungen zu charakterisieren, würde also unweigerlich zu der absurden These führen, daß wir tagein tagaus nicht anderes tun, als Erklärungen zu produzieren, wenn wir nur zur Rede anheben.
Wir könnten dieses Problem beheben, indem wir eine Unterscheidung treffen, die einer Unterscheidung Austins sehr ähnlich ist: Austins Unterscheidung zwischen performativen Äußerungen allgemein74 und Äußerungen explizit performativer Sätze. Letztere sind dadurch gekennzeichnet, daß sie ihre illokutionäre Rolle explizit kraft eines sogenannten performativen Verbs markieren, oft noch verdeutlicht durch die Partikel »hiermit«. Wie etwa »Hiermit entschuldige ich mich (öffentlich und in aller Förmlichkeit) für das eingestandenermaßen von mir zu verantwortende Fehlverhalten« gegenüber der weitaus impliziteren Äußerung »Es tut mir (aufrichtig) leid ...« oder gar »Ach hätte ich das bloß nicht getan«. Analog lassen sich die angeführten Fälle so analysieren - so mein Vorschlag - daß sie die Möglichkeit, während oder unmittelbar im Anschluß an ihre Äußerung einzuhaken und nachzufragen, warum, mit welchen Gründen usw. man dies und das meint, explizit signalisieren - durch Verwendung solcher quasi-performativen Wendungen wie »meines Erachtens« und »ich denke«. Je nach Situation können diese Wendungen und Partikel darüber hinaus dazu verwendet werden zu signalisieren, daß schwächere Geltungsansprüche gemacht werden, oder daß Momente der Unsicherheiten vorhanden sind, etwa weil eine Behauptung auf indirekte Begründungen oder auf verstreute und womöglich widersprüchliche Belege angewiesen ist.75 Diese beiden Funktionen können auch als auf der gleichen logischen Ebene liegend betrachtet werden, in dem Sinne, daß sie sich meist wechselseitig implizieren: Unsicherheit der Geltungsansprüche impliziert unsichere Beweislage impliziert Erklärungsnotstand und umgekehrt.
Es gibt noch eine weitere (pragmatische) Verwendung der betrachteten Wendungen. Diese können wir kontrastiv oder adversativ nennen. Wir bringen bei diesen explizit zum Ausdruck, daß wir mit unserer vorgetragenen Ansicht von der Einschätzung anderer anwesender oder abwesender Personen abweichen. Häufig machen wir von dieser Art Abgrenzung rückblickend Gebrauch, also im Vergangenheitstempus: »Ich hingegen habe schon immer den Verdacht gehabt, daß man uns an der Nase herumführt!« Um diesen Sinn zum Ausdruck zu bringen, bedienen wir uns gleichzeitig prosodischer Mittel (Betonung und Satzmelodie) sowie oftmals zusätzlicher lexikalischer Mittel (Partikeln wie »hingegen« und »aber«). In einigen Fällen können sich freilich diese adversative Funktion und die beiden eben betrachteten Funktionen des Angebots der Rückfrage oder Problematisierung sowie der Abschwächung der Geltungsansprüche wechselseitig überlagern. Dies ist nicht so sehr überraschend, da allen drei pragmatischen Funktionen gemeinsam ist, sich auf eine mehr oder weniger starke Zentrierung76 auf den Sprecher zu gründen. In allen gegebenen Beispielen thematisieren wir demnach nicht allein (vermeintliche, wahre, als wahr angenommene ...) Tatsachen in der (sozialen und nicht-sozialen) Welt, sondern auch (ansatzweise oder ausdrücklich) unser Verhältnis zur geäußerten Meinung (also wie sehr und worauf wir uns festlegen) und zum Adressaten und/oder abwesenden, aber dem Adressaten bekannten Personen.77
Die bis jetzt betrachteten Funktionen bezogen sich alle auf Äußerungstypen, die sich dem Sprechakttyp der Behauptung78 zuordnen lassen, und hatten dabei mit der (angedeuteten) Thematisierung des Verhältnisses des Sprechers zu Geltungsansprüchen, Wahrheit der Behauptung, ihrer Gerechtfertigtheit, Verbindlichkeit oder Anfechtbarkeit, ihrer Sicherheit usw. zu tun. Die Beispiele (1), (3) und (4) erfüllen jedoch eine andere illokutionäre Rolle. Mit ihnen wird etwas bewertet.79 Entweder in Hinblick auf ein konkretes (kollektives, kooperatives) Ziel oder einen Zweck hin (»Um dies und das zu erreichen, ist es besser, dieses und jenes zu tun (oder zu unterlassen).«) oder wir beurteilen oder bewerten das Verhalten einer Person oder Gruppe, wobei der Bezugsrahmen, in dessen Hinblick dieses Verhalten als gut oder schlecht, als löblich oder verwerflich bewertet wird, weniger konkret ist. Die Bewertung kann hypothetisch sein, insofern als sie sich auf zukünftige oder kontrafaktische Ereignisse und Verhaltensweisen bezieht, oder sie kann sich auf faktische Ereignisse der Vergangenheit (und Gegenwart) beziehen. In allen Fällen ist jedoch eine Bewertung etwas, was dem Sprecher als Subjekt oder Autor der Bewertung zukommt. Dies unterscheidet Bewertungen von Behauptungen und Mitteilungen. Während Behauptungen und Mitteilungen nicht notwendigerweise strittig sind und die Rolle des Sprechers erst in dem Falle thematisch wird, wenn z.B. die Wahrheit des Behaupteten angezweifelt wird oder angezweifelt werden kann, ist die zumindest potentielle Thematizität des Autors von Bewertungen für Bewertungen wesentlich. Aus dieser Perspektive entspricht es daher den Erwartungen, wenn bei Werturteilen besonders häufig in ihrer sprachlichen Realisierung auf Mittel zurückgriffen wird, die diese Form von Subjektivität markieren.
Diese Tendenz zur Markierung der Rolle des Sprechers in einer wertenden Sprechhandlung würde diesen Überlegungen folgend hingegen erwartungsgemäß abnehmen, wenn der Sprecher eine soziale Position einnimmt, die ihn mit einer besonderen (funktionsspezifischen) Autorität ausstattet, beispielsweise der eines Richters. Da diesem kraft seiner Stellung die Legitimität seiner (als schuldig oder unschuldig wertenden) Urteile zuerkannt wird, entfällt die Erfordernis einer Markierung der Subjektivität oder Autorschaft seiner Urteile.80
Die Eigentümlichkeiten, die ich für Behauptungen herausgearbeitet habe - die Möglichkeiten der Nachfrage, die sich der Möglichkeit nach danach anschließende Erklärung im Sinne der Angabe von Gründen - gelten für wertende Äußerungen ebenfalls. Auch hier - so meine These - ist es die Funktion solcher Wendungen wie »ich denke ...«, »meines Erachtens ...« usw., diese Handlungsaspekte explizit zu markieren. Allein die Komponente der Unsicherheit, die ich als mögliches zu markierendes Merkmal bei Behauptungen erachtet habe, muß im Falle von Wertungen womöglich noch mit zusätzlichen Mitteln deutlich gemacht werden. Normalerweise gehen wir davon aus, daß jemand, der eine wertende Äußerung ausspricht, diese auch definitiv so meint. Im Deutschen operieren wir für diesen Fall u.a. mit Partikeln81 wie »vielleicht«, »doch«, »wohl«, »eher«.
Der aufmerksame Leser wird vermutlich bemerkt haben, daß meinen angeführten Beispielen allen gemein ist, daß sie in der ersten Person formuliert sind: »Meines Erachtens«, »Ich denke ...« usw.
Wie aber verwenden wir Sätze, die material genauso wie obige Beispiele beschaffen sind, nur mit dem Unterschied, statt dessen in der dritten Person (oder auch: in der zweiten) zu stehen?
Betrachten wir folgendes Beispiel:
(5) »Schäubles Erachtens ist es erforderlich, daß Kohl von dem Amt des Parteiehrenvorsitzes zurücktritt.«
Wie verstehen wir diesen Satz? Anhand dieses konkreten aus dem öffentlichen Tagesgeschehen gegriffenen Beispiels läßt sich, denke ich, sehr deutlich zeigen, welcher inneren Struktur folgend wir derartige Äußerungen, in diesem Fall: Presseverlautbarungen, verstehen.
Möglichkeit 1: Schäuble hat (öffentlich) gesagt: »Meines Erachtens ...«
Möglichkeit 282: Schäuble hat (öffentlich) gesagt, daß seines Erachtens... Dies ist äquivalent mit: Schäuble hat (öffentlich) sinngemäß gesagt: »Meines Erachtens...«
Wir verstehen die Zeitungsmitteilung als Wiedergabe dessen, was Schäuble gesagt hat. Mit wenigen Modifikationen können wir die obige Analyse auf dieses Beispiel anwenden. Die Modifikationen betreffen den Umstand, daß der Autor der Sprechhandlung der Pressemitteilung und der Autor der wiedergegebenen Sprechhandlung auseinandertreten. Wenn wir den Satz (5) in der Zeitung lesen, gehen wir davon aus, daß der Autor dieses Satzes - als einer verschriftlichten Sprechhandlung - ein Journalist ist, der seine Aussage zudem auf verläßliche Quellen gründet - daß er beispielsweise selbst bei einer Pressekonferenz anwesend war - da er andernfalls seinen Posten nicht sehr lange innehätte. Wäre sich der Autor seiner Quelle nicht sicher, so würde er zu den oben untersuchten Verfahren greifen, und hätte statt dessen z.B. geschrieben:
»Wie die Bild-Zeitung in ihrer morgigen Ausgabe berichtet, hat Schäuble in einer geheimen Sitzung der Parteiführung die Meinung geäußert, daß es seines Erachtens erforderlich ist ...«
Die Funktion und Aussagekraft des Ausdrucks »Schäubles Erachtens« läßt sich beurteilen, wenn wir den Satz (5) den Sätzen (5.1) und (5.2) gegenüberstellen:
(5.1) »Es ist erforderlich, daß Kohl von dem Amt des Parteiehrenvorsitzes zurücktritt.«
(5.2) »Meines Erachtens ist es erforderlich, daß Kohl von dem Amt des Parteiehrenvorsitzes zurücktritt.« (geschrieben in einem Zeitungskommentar)
Der Journalist - so verstehen wir als Zeitungsleser den Satz (5) ohne jede Schwierigkeit - »äußert« schriftlich83 eine Wertung bzw. Einschätzung hinsichtlich dessen, was Helmut Kohl tun sollte, wobei er gleichzeitig die Urheberschaft dieser Wertung Wolfgang Schäuble zuweist. Ob der Autor, der Journalist also, diese Einschätzung selbst teilt oder nicht, bleibt dabei vollkommen offen. In besonderen Fällen kann freilich der Kontext das eine oder das andere nahelegen. Im betrachteten Beispiel betrifft der Unterschied zwischen dem Fall der ersten Person und dem der dritten Person also in erster Linie eine Komplizierung der Perspektiven, da wir es mit einem Autor der (schriftlichen) Äußerung und einem anderen (sekundären) Autor der Wertung zu tun haben, auf den im Inhalt der Sprechhandlung Bezug genommen wird. Alle für den Fall der ersten Person betrachteten Relativierungen von Behauptungen und wertenden Äußerungen werden in Fällen der dritten Person auf eine vom Sprecher verschiedene Person relativiert.
Ich habe mit den Mitteln der Sprechakttheorie, wie ich sie von Austin übernommen habe und u.a. um die Betrachtung von Wertungen erweitert habe, versucht zu zeigen, welche pragmatischen Funktionen von Wendungen übernommen werden, die wir als Glaubensprädikate bezeichnen können. Diese Funktionen waren zunächst von der Erklärungsfunktion verschieden. Die einzige Verbindung zu Erklärungen bestand dabei darin, daß in einigen Fällen mittels der Verwendung von Glaubensprädikaten dem Adressaten explizit die Möglichkeit eingeräumt wird, gegebenenfalls eine Erklärung bzw. Begründung zu verlangen.
Meine bisherige Analyse der Meinungsprädikate ergab eine grundlegende Struktur der Art, daß aufbauend auf einem elementaren lokutionären Sprechakt (wo etwas über etwas gesagt wird, grammatisch: Referenz und Prädikation) zusätzliche pragmatische Funktionen explizit gemacht werden (können).84 Für die Fälle in der dritten Person ergab sich zudem die Komplizierung, daß das Auseinandertreten von tatsächlichem und »zitiertem« oder sekundärem Sprecher berücksichtigt (und manchmal auch kenntlich gemacht) werden muß. In dieser Analyse kommen keine »Meinungen« als Gegenstände der Referenz vor.
Manchmal nehmen wir dem Anschein nach auf Meinungen Bezug, wenn wir beispielsweise sagen: »S sagt, es ist besser, wenn wir gehen. Diese Meinung teile ich nicht.« Meines Erachtens läßt sich der Ausdruck »diese Meinung« hier aber nicht-referenziell interpretieren: als anaphorisches Mittel, d.h. als eine Art Pronomen, das in der Rede einen Rückbezug herstellt. Anaphern erlauben so eine höhere Sprachökonomie. Ohne die anaphorische Konstruktion hätte man auch sagen können: »S sagt, es ist besser, wenn wir gehen. Ich sage dagegen, es ist besser, wenn wir nicht gehen.«
Im Falle der Äußerungen in der ersten Person habe ich diese als komplexe Handlungen beschrieben, die durch ihre Sprachlichkeit (beim Adressaten) Fähigkeiten voraussetzen zu verstehen, wovon die Rede ist (Referenz), was darüber gesagt wird (Prädikation), wozu dies geschieht (Relevanz, Zusammenhang mit dem Kontext) und was damit getan wird (Illokution, performativer Aspekt). Dabei vermied ich, mich von der Metaphorik des Ausdrucks »Äußerung« irreleiten zu lassen, die nahelegt, es gäbe den Akt des Äußerns, wo etwas (inneres) geäußert wird - mit dem äußerlichen Ergebnis der Äußerung. Ähnlich wie der späte Wittgensteins können wir Sprechhandlungen als Handlungen analysieren, ohne ein zu Äußerndes - eine »Meinung« - zu postulieren, die der Sprechhandlung vorgängig wäre und unabhängig von ihr bestünde. Bei einfacheren symbolischen Handlungen, etwa einer einladenden Geste, die den anderen zum Eintreten in einen Raum ermuntern soll, kämen wir auch nicht auf die Idee, einen vorgängigen Inhalt der Geste - die »Einladung«, als eine Art Substanz oder Ding im weitesten Sinne - zu postulieren, die dann vermittels der Geste nach außen transportiert wird.
Da ich allerdings keineswegs darum bemüht bin, alles, was einer Innenperspektive angehört und wegen schlechter Erfahrungen mit Descartes von Philosophen argwöhnisch beäugt wird, schlichtweg zu leugnen, modifiziere ich diesen Ansatz, indem ich die Möglichkeit von Äußerungen zulasse, die nicht realisiert oder aktualisiert werden. In meiner Analyse würden demnach also Gedanken, darunter auch »Meinungen«, als innere Ansätze, Tendenzen, Dispositionen, Versuche von Sprechhandlungen - komplexen Einstellungen, die Relationen zu äußeren Gegenständen und Personen der Umwelt und deren Handlungen, deren Einstellungen usw. beinhalten - auftreten, die nicht nach außen hin realisiert werden - sozusagen nicht in die Tat umgesetzt werden.
Im vorigen Abschnitt habe ich untersucht, wie wir Wörter wie »denken« und »glauben« in der alltäglichen Kommunikation verwenden. Dabei kam ich zu der These, daß unsere Redeweisen eine Analyse zulassen, die keine Entitäten namens »Meinung« in Anspruch nehmen. Statt dessen lassen sich Äußerungen, die die Ausdrücke »glauben«, »denken« usw. enthalten, als Sprechakte analysieren. In ihnen spielen die Wörter eine ähnliche Rolle wie performative Verben. Sie markieren dabei eine Perspektivierung der Äußerung auf den Sprecher - bei Vorkommnissen in der ersten Person - oder auf indirekt zitierte andere Autoren - bei Verwendungen in der dritten Person. Eine besonders weit verbreitete Funktion von Meinungsäußerungen (und Wiedergaben solcher anderer Personen) lag in der einschätzenden Stellungnahme85, in wertenden Sprechhandlungen. Als charakteristisch für diese Sprechhandlungen hob ich die Sprecherzentrierung der Äußerung und die damit verbundene Abweichung der »Sichtweise«86 gegenüber anderen Gesprächsteilnehmern (oder der Allgemeinheit, d.h. der »öffentlichen Meinung«) hervor. Dabei habe ich insbesondere aufgezeigt, daß Äußerungen, die wir gemeinhin als Meinungsäußerungen bezeichnen, verschiedene Funktionen erfüllen, und keineswegs allein in Erklärungen vorkommen. Es ließ sich lediglich eine relativ lockere Verbindung zu Erklärungen feststellen, die zudem allerdings keineswegs für Meinungsäußerungen spezifisch war, sondern für Äußerungen jedweder Art gilt.
Verschiedene Diskussionen in der Philosophie des Geistes - unter anderem die Kontroverse um den Theoriestatus alltagspsychologischer Aussagen - haben ihr Hauptaugenmerk auf die Rolle der Zuschreibung intentionaler Zustände im Zusammenhang alltagspsychologischer Erklärungen gelegt.
Die kritischen Überlegungen in Kapitel 1 betrafen den in Anspruch genommenen Erklärungsbegriff selbst. Ich kritisierte hierbei u.a. den Fokus auf naturwissenschaftliche Erklärungen und Erkenntnisziele als irreführend. Wissenschaftliche Erklärungen sind eng mit den Leistungen der Vorhersage von Ereignissen (durch Anwendung von vorher gewonnenen Gesetzen) und den Möglichkeiten der Intervention und Kontrolle von Vorgängen und Ereignissen (ebenfalls durch Anwendung allgemeiner Prinzipien) verbunden. Dem stellte ich die Momente der retrospektiven Rationalisierungen und die Bedeutung des solidarischen Verstehens als kontextabhängige87 Akzeptanz und Anerkennung des Anderen gegenüber. Gordons Überlegung hatten darüber hinaus dem Zweifel weitere Nahrung geboten, in welchem Sinne alltagspsychologische Erklärungen überhaupt eine spezielle Theorie anwenden. Statt dessen nehmen Erklärungen u.a. auf egozentrisches Wissen Bezug. Falls es sich als richtig herausstellen sollte, daß die Rede von »Meinungen« einer ähnlichen Logik gehorcht wie die Verwendung von Pronomina und ihnen nichts jenseits von »Meinungsäußerungen« entspricht, ergibt sich ein ernsthaftes Problem für eine Auffassung, die in alltagspsychologischen Erklärungen einen Rekurs auf eben solche Meinungen und Wünsche als kausal wirksame Zustände oder Eigenschaften erkennen will.
Zu klären wird sein, ob es weitere Funktionen von Erklärungen gibt, und ob sich diese auf den Status und das »Funktionieren« von Erklärungen selbst niederschlagen.
Nachdem ich versucht habe zu zeigen, daß die Verwendung mentalistischer Ausdrücke am ehesten als eine diskursive Technik zu verstehen ist, die im Ausführen unterschiedlicher Sprechakttypen besteht - u.a. Sprechakten der Erklärung, einer unter mehreren betroffenen Sprechakttypen - möchte ich mich erneut dem Zusammenhang von Erklärungen und Äußerungen zuwenden. Ich fasse dabei Erklärungen als Züge im Wechselspiel von Sprechhandlungen auf. Es lassen sich verschiedene Subtypen unterscheiden. Den Differenzierungen folgend versuche ich herauszufinden, wie diese Erklärungen funktionieren.
Jede Erklärung ist ihrerseits eine Äußerung. Mit van Fraassen hatte ich sie als Antworten auf Warum-Fragen aufgefaßt. Damit vom Adressaten die Erklärung allererst verstanden werden kann, muß vorher bereits die Warum-Frage von Sprecher und Adressaten einheitlich interpretiert worden sein. Das bildet einen Teil des Kontexts der Erklärung. Zum erfolgreichen Verständnis einer Erklärung müssen mehrere Bedingungen gewährleistet sein. Zunächst ein Verständnis dessen, was überhaupt erklärt werden soll (das Explanandum). Diese Bedingung läßt sich näher bestimmen, indem man den Bereich möglicher Explananda und eine Kontrastklasse der Alternativen angibt. Die Erklärung setzt sich einer Bewertung durch den Adressaten aus, das heißt, es geht nicht allein darum, sie zu verstehen, sondern auch darum, sie zu akzeptieren oder Einwände zu erheben. Je nach Erkenntnisinteresse und anderen Kontextbedingungen können unterschiedliche Kriterien der Angemessenheit geboten sein. Ein Verständnis einer Erklärung setzt also auch ein Verständnis oder eine Vertrautheit mit dem kontextuellen Rahmen und den daraus entstehenden Angemessenheitskriterien voraus.
Häufig geben wir Erklärungen als Antwort auf eine spezielle Art von Warum-Fragen: Rückfragen auf unsere Äußerungen hin. Es sind also Fragen, die sich auf die Form »Warum sagst du das?« bringen lassen. Die Rückfragen verlangen, die vorige Äußerung klarer zu formulieren, indem beispielsweise vorausgesetzte Zusatzinformationen nachgeliefert werden, oder Gründe für eine Behauptung angeführt werden, beispielsweise die Informationsquelle. Die Erklärung tritt dann auf als Reaktion auf eine »schwache« Rückfrage der Art »Wie meinst du das?«. Als »stärkere« Rückfragen würde ich Fragen bezeichnen, deren Sprecher zwar zu verstehen glaubt, was der Adressat gemeint hat, aber die Wahrheit, die Angemessenheit oder die Gerechtfertigtheit der Äußerung bezweifelt oder anficht. Als Reaktionen sind Formen der Erklärung verlangt, die man auch Verteidigung nennen kann. Als Züge der verteidigenden Erklärung sind dabei unterschiedliche Strategien möglich. Entweder man beharrt auf dem ursprünglichen Standpunkt und führt zusätzliche Informationen, Indizien usw. an, oder man variiert im Lauf der Konversation die ursprüngliche Position, indem man Abschwächungen, Einschränkungen oder Relativierungen auf einzelne Fälle vornimmt.
In einigen Fällen stehen sprachliche Äußerungen in einem Kontext nicht-sprachlicher Interaktion. In diesen Fällen können Erklärungen ähnlich analysiert werden wie im Fall sprachlicher Handlungen. Ein Beispiel: Ich bin mit einem Freund in einem Restaurant und lasse mir die Rechnung bringen. Ich hinterlege auf dem kleinen Tablett mehr Geld als es die Rechnung ausweist. Auf eine fragende Geste des Kellners antworte ich lapidar »Der Rest ist Trinkgeld.« Auf den verständnislosen Blick des Freundes hingegen »Ich bin für gewöhnlich großzügig.« Die Erklärung dient im einen Fall der Klarstellung, daß ich tatsächlich kein Wechselgeld erhalten will, im anderen Fall ist diese Interpretation bereits gewährleistet, ich erkläre sie meinem Freund auf einer anderen Ebene.
Fallen das Subjekt der zu erklärenden Handlung und der Autor der Erklärung auseinander, können die oben ausgeführten Überlegungen bzgl. der Komplizierung der Perspektiven angewandt werden.
Insbesondere bei Erklärungen menschlichen Verhaltens gibt es Übergänge zwischen (wertfreien) Erklärungen und Rechtfertigungen. Rechtfertigungen können als Angabe von Gründen betrachtet werden, warum die Handlung als gut oder angemessen zu betrachten ist. In Erklärungen figurierende Ursachen müssen jedoch nicht als gut bewertet werden. So kann ein fremdenfeindlicher Übergriff zwar mit einer rechtsextremen Gesinnung erklärt werden, wohl kaum aber so rechtfertigend begründet werden. Ebenso kann die Angabe einer Gehirnfunktionsstörung für unsoziales Verhalten erklärend als Ursache herangezogen werden, nicht aber als rechtfertigender Grund. Denn man kann nicht sagen, daß vor dem Hintergrund dieser Gehirnstörung etwa ein spottendes Verhalten während einer Beerdigung als eine gute Handlung zu bewerten ist oder bewertet werden kann. Vor dem Hintergrund aber, daß der Spottende Angehöriger eines Opfers einer Vergeltungsaktion eines Mafiaclans war, und nun der gewaltsam umgekommene Chef dieses Clans beigesetzt wird, kann die Handlung des Spottens durchaus als gut oder gerechtfertigt oder zu rechtfertigen bewertet werden.
Ich habe versucht aufzuzeigen, daß menschliche Kommunikationshandlungen, menschliche Handlungen allgemein, Erklärungen, Begründungen, Rechtfertigungen und Bewertungen in vielfältiger Weise miteinander zusammenhängen. Ein angemessenes Verständnis alltagspsychologischer Erklärungen und ihres spezifischen Vokabulars kann nicht gelingen, ohne diese Felder der menschlichen Praxis, mit denen sie verwoben sind, mit ins Auge zu fassen. Einen weiteren entscheidenden Faktor sozialer Praxis hatte ich bislang weitgehend ausgespart: das Feld der sozialen Welt mit seiner Fülle an sogenannten institutionellen Tatsachen, von der Ehe bis zum Untermietsverhältnis, vom Banken- und Kreditwesen zu feierlichen Staatsempfängen und Friedensverhandlungen in Nordirland. Sie können einerseits den Inhalt vielfältiger Meinungen und Überzeugungen88 (und anderer Einstellungen, z.B. sich zu etwas verpflichtet zu fühlen, jemanden für zu etwas berechtigt halten ...) bilden. Andererseits bilden bestimmte Meinungen, Wünsche, Absichten usw. in vielen Fällen integralen Bestandteil von sozialen Handlungen institutioneller Natur. Ein sehr simples Beispiel vermag dies leicht zu illustrieren: Man denke nur an die zustimmende Äußerung des (deutschen) Wörtchens »ja« in einem sehr spezifischen institutionellen Zusammenhang der Kirche, welches für mindestens zwei Personen weitreichende Folgen haben wird: den Akt der Eheschließung. Er setzt das Vorhandensein bestimmter Absichten, Wünsche und Meinungen voraus.
Ich verfolgte in meiner Analyse die Maxime, keine hinter der Bühne der sozialen Interaktion wirksamen mentalen Zustände anzunehmen, sondern mich statt dessen an die sozialen (sprachlichen und nicht-sprachlichen) Handlungen selbst zu halten. Als paradigmatischer Fall dienten mir dabei Meinungsäußerungen. In diesem Ansatz ergibt sich nicht das Problem, wie interne mentale Zustände mit der Welt zusammenhängen können. Die Leitfrage des Alternativprojekts lautet: Was tun wir, wenn wir sprechen? Vor allem dann, wenn wir ein mentalistisches Vokabular verwenden, oder unsere Rede von Voraussetzungen intentionaler (z.B. ökonomischer) Natur abhängt.
Da ich nun aus meinem Horizont solche Entitäten wie Meinungen, aber auch Intentionen - jedenfalls in der »klassischen« Konzeption89 mentaler Zustände - aus methodischen Gründen eliminiert habe, kann ich die Frage »Was heißt es, etwas zu glauben?« nicht durch einfachen Rückgriff auf Meinungsattributionen beantworten. Ich stelle die Frage daher in anderer Form, als zwei Teilfragen:
(a) »Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, um eine Meinung zu äußern und unter welchen Bedingungen wird eine Meinungsäußerung richtig verstanden?«
(b) »Wann können wir von jemandem mit guten Gründen sagen, er glaube, daß ...?«
Frage (a) bin ich bereits nachgegangen. Ich bin von Sprechhandlungen ausgegangen, die ich relativ konkretistisch fasse, als etwas was wir spürbar tun und dessen meist erfolgreiches Verstehen und Beherrschen der damit zusammenhängenden Praxis wir tagtäglich erleben. Trotz dieser Konkretheit ist diese soziale Handlungspraxis komplex. Dieser Weg der Analyse bringt nun allerdings eine neue Erklärungslast hervor. Wie hängen explizite Meinungsäußerungen und -zuschreibungen zusammen mit stillschweigenden intentionalen Voraussetzungen von sozialen Handlungen? War ich mit dem methodischen Vorgehen, Intentionen aus unserem zur Analyse zur Verfügung stehenden Instrumentarium auszuschließen, vielleicht zu radikal? War ich allzu voreilig? Denn, wie sollen wir mit der Erklärung zum Beispiel des Sprechakts des Versprechens zu Rande kommen, wenn wir keinen Bezug mehr auf Intentionen und Wissen und Meinungen usw. mehr nehmen dürfen? Wenn wir uns der doch recht einleuchtend erscheinenden Analyse der Bedingungen, die für ein erfolgreiches Versprechen erfüllt sein müssen, erinnern, wie sie uns John Searle90 vorgeführt hat, wie sollen wir es nun anders besser machen? Wenn wir uns an die Theorie der rekursiven (oder verschachtelten, mehrstufigen) Intentionen von Paul Grice91 erinnern, wo lag dann sein Fehler? Oder, sind wir auf der falschen Spur?
In der Tat, wenn mein Projekt darin bestünde, eine Analyse von Meinungsäußerungen (und anderer intentionaler Handlungen) zu liefern, die ohne andere intentionale Prädikate auskommt, so wäre es ausgesprochen radikal und hätte geringe Aussichten auf Erfolg. Alles, was ich ablehnte, war, Meinungsäußerungen so zu erklären, daß als erster Schritt interne mentale Zustände (in Gestalt von mentalen Repräsentationen etwa, wie bei Fodor) angenommen werden. Hingegen kam es mir gerade darauf an, hervorzuheben, daß jedwede Meinungsäußerung als soziale Handlung immer in vielfältige, teils auch institutionelle Zusammenhänge eingebunden ist, die ihrerseits intentionale Voraussetzungen haben. Insofern als jede Meinungsäußerung als kommunikative Handlung immer mindestens zwei Beteiligte hat, heißt dies, daß bei einem erfolgreichen Verstehen einer Äußerung dieses Verstehen genau dadurch erst zustande kommen kann, daß ein gemeinsamer Hintergrund an geteilten Annahmen und geteiltem Vorwissen gegeben ist oder wechselseitig vorausgesetzt wird, ohne selbst thematisch zu sein.
Für die hier verfolgte Analyse von Meinungsäußerungen als Sprechhandlungen sind intentionale mentale Zustände also keineswegs ausgeschlossen, sondern allein der Rückgriff auf den mentalen Zustand der einen zu analysierenden Meinung selbst. Das heißt, wir können Meinungsäußerungen analysieren, indem wir Bedingungen aufzählen, die erfüllt sein müssen, damit diese Äußerung adäquat verstanden wurde, vorausgesetzt, die Äußerung ist nicht schon vorher aus verschiedenen Gründen gescheitert.92 Diese Bedingungen selbst sind zum Teil intentionaler Natur.
Wenn wir diesen Ansatz auf zugeschriebene Meinungen (und andere intentionale Zustände) übertragen, erhalten wir folgendes Modell:
Jemandem mit guten Gründen eine Meinung zuzuschreiben, heißt, davon auszugehen, daß die Person, der ich diese Meinung zuschreibe, eine (situationsabhängig zum Teil unterschiedliche) Menge von Bedingungen erfüllt, Bedingungen der Gestalt, daß sie folglich bestimmte andere Meinungen, Absichten und Handlungsdispositionen hat, und daß sie in bestimmten (kontrafaktischen) Fällen auf eine bestimmte Art reagieren würde oder wiederum zu anderen Meinungen und Wünschen gelangen würde.
In diese Richtung weist die Analyse von (sog.) mentalen Zuständen, die Lynne R. Baker vorschlägt, wenngleich ihr Weg zu dieser nicht mit meiner Herleitung übereinstimmt.93
Lynne R. Bakers Hauptziel, das sie in Explaining Attitudes (1995) verfolgt, besteht darin, die Unhaltbarkeit verschiedener physikalistischer Positionen aufzuzeigen. Dabei spielt sie deren unterschiedlichen Spielarten durch - in der Hauptsache die eliminativistische Position, Positionen, die eine token/token-Identität mentaler und physikalisch beschreibbarer Zustände annehmen, sowie Formen der Supervenienzthese (mentaler Zustände). Die diesbezüglichen Fallunterscheidungen sollen hier jedoch nicht im einzelnen beleuchtet werden. Statt dessen begnüge ich mich damit, die wesentlichen Züge ihrer Argumentation zu betrachten, und dies nur, insoweit es mit dem hier erörterten Problemfeld zusammenhängt.
Es sind vor allem drei Charakteristika, die sie sowohl für (zugeschriebene und geäußerte) Meinungen als auch für Artefakte (am Beispiel eines Vergasers) herausstellt, die (in dieser Weise) nicht für theoretische Entitäten (Einzeldinge, Gattungen oder Typen von Dingen sowie Eigenschaften) zutreffen.
(1) Der Inhalt einer Meinung (eine Proposition) ist nicht bestimmbar (und nicht verständlich), ohne auf Tatsachen in der Welt zurückzugreifen, die mit dieser Meinung zusammenhängen. Ob jemandes Meinung zutreffend oder irrig ist - und ob er diese Meinung überhaupt hat - hängt nicht allein von der in Rede stehenden Person (die diese Meinung mutmaßlich hat) ab, sondern auch davon, was in der Welt der Fall ist bzw. davon, was allgemein als wahr angenommen wird. Somit kann es zur Bestimmung, ob jemand eine bestimmte Meinung hat oder nicht (und ob etwas ein Vergaser ist oder nicht), nicht ausreichen, eine Menge von Bedingungen anzugeben der Art, daß diese Bedingungen ausschließlich (in letzter Linie) in einer physikalischen Sprache (vorerst seien auch biologische und neurochemische Sprachen zugelassen) formuliert sind, die alle ausschließlich den Körper (v.a. das Gehirn) der Person betreffen. Zur Stützung ihrer These bedient sie sich der Gedankenexperimente Burges und Putnams. Sie zeigen nach Baker, daß die Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit wir gerechtfertigt annehmen können, jemand glaube (mit hoher Wahrscheinlichkeit) etwas, notwendig dem Bereich der geteilten (auch: sozialen und institutionellen) Welt angehören. Zudem besteht ein enger Zusammenhang mit den Gegebenheiten, wie wir Sprache verwenden und welche Bedeutung (oder welchen semantischen Wert) einzelne Ausdrücke haben.
(2) Daher können Varianten der Supervenienzthese, denen zufolge mentale Zustände auf neurophysiologische Zustände des Organismus supervenieren, nicht richtig sein. Denn wenn es für die gerechtfertigte Zuschreibung einer Meinung (oder für die Wahrheit dessen, daß jemand glaubt, daß p) einen Unterschied machen kann, ob in der von der betreffenden Person unabhängigen Welt etwas der Fall ist oder nicht, dann kann nicht das Prinzip der Supervenienz gelten.94 Dies muß jedoch nicht dazu zwingen, immaterielle Tatsachen zu postulieren, die dann für die mentalen Phänomene verantwortlich sind, sondern es zwingt uns lediglich, die Supervenienzbasis auszudehnen, auf Fakten in der Welt - darunter auch wiederum solche Fakten, die intentional sind oder intentionale Präsuppositionen haben - sowie auf Fakten, die die Geschichte der Person betreffen - gleichfalls in intentionalem Vokabular beschrieben. Diese Supervenienzbasis kann dabei in letzter Instanz nichts weniger als alle physikalisch beschreibbaren Sachverhalte des gesamten Weltalls umfassen - allein, die Aussichten, solche Beschreibungen dann im Alltag, und sei es im philosophischen, zu irgend etwas gebrauchen zu können, sind gering.
One does not understand the state of believing that a good publication record is required for getting tenure unless one understands the proposition that a good publication record is necessary for tenure; to understand that proposition, a theorist must understand not brains but employment practices (intentional!) and professional standards (also intentional!) of the modern academy (also intentional!). (Baker 1995: 186)
(3) Der dritte Aspekt betrifft die Form der Gewinnung der (epistemischen) Sicherheit, die wir haben, wenn wir Meinungen zuschreiben. Diese stammt nach Baker zu einem gewissen Anteil nicht aus theoriegeleiteten schlußfolgernden Überlegungen und Hypothesenbildungen, sondern ist - in Übereinstimmung mit meinen oben ausgeführten Überlegungen - untrennbar mit einer sozialen Praxis (bzw. mehrerer solcher Praxen in unterschiedlichen (funktionalen) Feldern) verbunden.
Zusätzlich kann Baker ihre Position noch dadurch stützen, daß ihre Argumente selbst dann noch Gültigkeit haben, wenn sie (reduktiven) Physikalisten die Existenz einer token/token-Identität von mentalen und physikalischen Tatsachen zugestehen würde. Selbst wenn es eine token/token-Identität gäbe, spielten die physikalischen Eigenschaften des betreffenden token in Erklärungen, die intentionale Voraussetzungen haben, keine Rolle. Für die Frage, ob jemand aus dem einen Grund oder dem anderen gehandelt hat, ist es unerheblich, wie diese Motive oder Motivationen nun intern realisiert waren.95
[E]ven if beliefs were constituted by brain states, it would not be by dint of their being so constituted that they are causally explanatory. I shall put this point variously by saying that beliefs need not be (or be constituted by) brain states in order to be causally explanatory, or that the causal explanatoriness of beliefs does not require them to be brain states. (Baker 1995: 136f)
Vor diesem Hintergrund entwickelt Baker ihre Konzeption der mentalen Welt sowie der Alltags- oder Lebenswelt im allgemeinen. Diese nennt sie Praktischen Realismus. Zunächst stellt sie klar, wie sie den ontologischen Status von Entitäten einstuft, die in Erklärungen vorkommen:
(1)Erklärungen (und die darin angewandte Taxonomie) sind dann gerechtfertigt, wenn sie sich im Alltag bewähren. In diesem Sinne sind Dinge real, von denen in Erklärungen die Rede ist.
Well, one may wonder, what does it mean to be a realist about belief if not that beliefs are brain states? Although I cannot give an analysis of what it means to be real, I can note some marks of the real: What is causally explanatory is real. In Chapter 5, I argue that beliefs may be causally explanatory in the same sense that investments may be causally explanatory - and as anybody with a retirement account knows, that is a robust sense of 'causally explanatory'. A sufficient condition for being real in a nonpartisan sense is to have an effect, to make a difference in what happens, where what happens is often characterized in intentional terms - such as accumulating enough money to retire. (Baker 1995: 217f)
Für die Irreduzibilität von mentalen Phänomenen wurde nunmehr hinreichend argumentiert. Wie sieht nun Bakers Gegenkonzeption aus?
(2)Meinungen und andere Einstellungen sind nicht als atomistische Dinge aufzufassen. Verschiedene Meinungen und andere Einstellungen sowie (soziale) Tatsachen in der Welt sind mit ihnen systematisch verbunden. Jede einzelne Meinungszuschreibung ist je äquivalent mit einer Menge kontrafaktischer Konditionale, also mit dispositionalen Eigenschaften. Also: S glaubt, daß p g.d.w. S das und das tun und sagen würde, wenn das und das eintreten würde, und, S dieses und jenes tun, sagen und fühlen würde, wenn hingegen jenes und dieses eintreffen würde usw.
Welche kontrafaktischen Aussagen dies im Einzelfall sind, ist kontextabhängig und unterscheidet sich von Fall zu Fall. Die Beherrschung dieses scheinbar komplizierten Systems erklärt sich durch seine enge Verwobenheit mit unserer sprachlichen Kommunikationspraxis.
If Practical Realism is correct, beliefs are not theoretical entities, like electrons; they are not spatiotemporal entities or internal states at all. Since the term belief is just a nominalization of believes that, S has a belief if and only if there is some proposition p such that S believes that p. Whether S believes that p depends solely on what S would do, say, or think in various circumstances. [...] It is important that what S does, says, or thinks may be specified by ordinary descriptions of actions, such as return the phone call, register to vote, pay a fine, mail the check, insult the director, and so on. The Practical Realist view of belief is this: S believes that p if and only if there are certain counterfactuals true of S, where content of the counterfactuals may be intentionally characterized. [...] [T]he nature of belief is revealed by counterfactuals about the believer. (Baker 1995: 21)
Wenn Baker hier versucht, mentale Zustände oder Eigenschaften von theoretischen Entitäten abgrenzen, so liegt ihr Hauptakzent auf der Diagnose, daß Behauptungen und Annahmen darüber, daß jemand etwas glaubt und was er oder sie glaubt, nichts anderes sind als komplexe Äußerungen bzw. Annahmen, die ihren Sinn aus unserer allgemeinen sprachlichen Praxis und den Regeln der sozialen Welt mit ihren wechselseitigen Erwartungen, Normen und Verpflichtungen beziehen. Diese Regeln wiederum sind aufzufassen als das, was unsere soziale Praxis ausmacht. Sie sind zu einem großen Anteil eher Ergebnis einer beherrschten Technik als ein systematisches Corpus expliziter Gesetzmäßigkeiten. Darüber hinaus, so würde ich hinzufügen, gelten hinsichtlich des Wissens oder Glaubens darüber, was jemand anderes weiß oder glaubt (oder will ...) andere Verfahren der Wissensgewinnung und -überprüfung als im Zusammenhang wissenschaftlicher Forschungs- und Anwendungspraxis. Zwar wenden wir keine der Theorieüberprüfung vergleichbare Verfahren der Wissensgewinnung an, es gelten aber dennoch Kriterien, ob wir gerechtfertigt davon ausgehen dürfen, daß jemand etwas glaubt, weiß usw. - andere Kriterien. Diese Kriterien beschreibt Baker als situationsbezogene Muster der Kohärenz mit einem Feld zugehöriger zu erwartender Verhaltensweisen, sowie Verpflichtungen und »committments«, die wir einer Person gleichzeitig unterstellen, wenn wir ihr eine bestimmte Meinung zuschreiben. Mehr noch, die Meinungszuschreibung geht vollständig auf in einem Netz von kohärenten Dispositionen und Verpflichtungen, die Baker als Mengen von kontrafaktischen Konditionalen beschreibt. Und diese kontrafaktischen Abhängigkeiten wiederum sind eingebettet in Handlungsweisen und soziale Rollen.
Baker charakterisiert die Natur dieser Bündel kontrafaktischer Konditionale, die der Zuschreibung mentaler Prädikate zugrunde liegen bzw. ihnen gleich kommen, wie folgt:
[W]hat is required for the relevant counterfactuals to be true is not any particular internal state, but a state in an extended sense: My »state« in virtue of which it is true that I would lend you money for lunch if you asked me depends on my being embedded in a certain social and linguistic environment. There is no good reason to identify such a state with a particular state of one's brain. Similarly for belief states: The reality of belief does not depend on the term belief's denoting a kind of spatiotemporal entity or of a particular internal state. One's state of believing that p depends on global properties (including relational properties, and properties about what would happen in various counterfactual circumstances) of whole organisms. (Baker 1995: 22)
[A] proponent of the Standard View may insist [that t]here are neural properties N1, ... Nn such that Jones instantiates one of them, and Jones's instantiating that neural property is sufficient for the relevant counterfactual to be true of Jones that if child care were available, she would work on a journal article. No matter how we augmented the antecedent of the counterfactual, in order for Jones's behavior to count as a working on a journal article, Jones must be embedded in a complex social and professional environment. (Baker 1995: 180f, Herv.: R. H.)
(3) Um ihren philosophischen Standpunkt lebhafter zu verdeutlichen, wählt Baker das Mittel der Analogie. Was wir in der komplexen logischen Struktur bei den mentalen Prädikaten vorfinden - komplexe, kontextvariable, relationale, dispositionale (oder kontrafaktische) Eigenschaften - wenden wir in Prinzip sehr ähnlicher Form bei anderen Angelegenheiten des öffentlichen Lebens ebenfalls an. Dies betrifft institutionelle Eigenschaften, wie der »solide« Zustand der Bilanzen eines Kreditinstituts, der Status des eigenen überzogenen Kontos, den zwischen Windschutzscheibe und Fensterwischer eingeklemmten Strafzettel (bzw. die Eigenschaft, ein solcher zu sein), wie auch Artefakte. Bakers Beispiel ist der Vergaser. Sie spielt Gedankenexperimente durch, um zu ermitteln, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit wir bereit sind, von etwas für einen Vergaser zu halten. An anderen Stellen formuliert Baker diese Ähnlichkeit auch so: Zwischen den Bereichen der Alltagspsychologie und der Alltags- oder (instrumentellen) Laienphysik besteht keine echte Demarkationslinie, noch ein wesentlicher Unterschied.
The relation between the meaning of the 'that' clause of a true attribution of belief and the relevant counterfactuals is rather like the relation between the meaning 'is in excellent financial health' (said of a prudent and fortunate S&L [i.e.: savings & loans, R.H.]) and a set of statements about its debts, assets, investments, cash flow, management, and so on. Even if the statements about assets are not themselves counterfactual, their significance for the financial health of the S&L depends on counterfactuals that they support. For example, the relevance of some asset to the financial health of the institution may lie in its liquidity, and the notion of liquidity is overtly counterfactual: An asset is liquid if you can get rid if it in a hurry at full value. Now consider the parallels with belief. Believing that p is a state of a person that depends on the truth of counterfactuals. We know what counterfactuals are relevant in part by understanding the 'that' clause of the attribution, in part by knowing generalizations about how people behave, and in part by knowing the circumstances and other attitudes of the believer. And just as there are many different ways in which an S&L can be financially healthy, so too there are many different conjunctions of relevant counterfactuals that are sufficient for believing that p. (Baker 1995: 156)
In short, S's believing that p is an irreducible fact about S, and is no more mysterious than S's owing a hundred dollars in income tax, or an S&L's being in good financial health. (Baker 1995: 157)
Words like carburetor [...] get their meanings from their place in our linguistic practices, which are wholly integrated into all manner of practice - from the practices surrounding automobile manufacture to junk-food consumption. These practices are through and through intentional. (Baker 1995: 199)
So erhellend die Engführung dieser Bereiche auch ist, es wäre interessant, den Analogien in größerem Detail nachzugehen. Diese Aufgabe hat Baker nachfolgenden Veröffentlichungen überlassen.
Einer der Kritikpunkte Wittgensteins am traditionellen Sprachverständnis ist die Vorstellung, in sprachlichen Äußerungen brächten wir Ideen zum Ausdruck, in dem Sinne, daß vor der Äußerung der Inhalt und die Redeabsicht bereits »im Kopf« des Sprechers in definiter Form vorhanden sind.
»Mir liegt das Wort auf der Zunge.« Was geht dabei in meinem Bewußtsein vor? Darauf kommt's gar nicht an. Was immer vorging, war nicht mit jener Äußerung gemeint. Interessanter ist, was dabei in meinem Benehmen vorging. - »Mir liegt das Wort auf der Zunge« teilt dir mit: das Wort, das hierher gehört, sei mir entfallen, ich hoffe, es bald zu finden. Im übrigen tut jener Wortausdruck nicht mehr als ein gewisses wortloses Benehmen. (Wittgenstein 1984: S. 561)
Wir sprechen, machen Äußerungen, und erst später erhalten wir ein Bild von ihrem Leben. (Wittgenstein 1984: S. 544)
»Wir haben bei diesem Wort Beide an ihn gedacht.« Nehmen wir an, jeder von uns hätte dabei die gleichen Worte im Stillen zu sich gesagt - und mehr kann es doch nicht heißen. - Aber wären diese Worte nicht auch nur ein Keim? Sie müssen doch zu einer Sprache gehören und zu einem Zusammenhang, um wirklich der Ausdruck des Gedankens an jenen Menschen zu sein.
Gott, wenn er in unsre Seelen geblickt hätte, hätte dort nicht sehen können, von wem wir sprachen. (Wittgenstein 1984: S. 558)
Statt dessen will Wittgenstein die konzeptuelle Unterscheidung von öffentlicher Sprachverwendung und privaten Bedeutungen bzw. Intentionen überwinden.
Im Zentrum der sprachphilosophischen Kritik Wittgensteins steht die Zurückweisung der Auffassung, daß wann immer wir Aussagen bzw. Behauptungen oder Feststellungen des Inhalts machen, wir hätten mit einer vorangegangenen Äußerung (oder einem darin verwendeten Ausdruck) dieses oder jenes gemeint oder nicht gemeint, wir uns kraft des Prädikats »etwas (bezeichnet mit einem Ausdruck Y) mit einem Ausdruck X meinen« auf einen inneren Akt des Meinens beziehen. Gleichzeitig und zusammenhängend damit wird die Vorstellung abgelehnt, daß das, worauf wir uns dadurch beziehen, das »Gemeinte«, eigenständige Entitäten (Bedeutungen) sind, die unabhängig von den gemeinsamen Handlungsweisen und Konventionen der Sprachverwendung existieren.
Wittgenstein dreht also die Hierarchie der ontologischen Abhängigkeiten um: Anstatt daß es vorher Bedeutungen sprachlicher Ausdrücke gäbe, auf die wir uns dann beziehen, sind wir soziale Akteure von regelgeleiteten Sprachspielen, im Zuge derer wir uns mit der Verwendung bestimmter Ausdrucke in bestimmten Situationen und Kontexten auf bestimmte Dinge festlegen und bestimmte Verpflichtungen eingehen oder zumindest dadurch bestimmte Handlungen und zukünftige Äußerungen erwartbar(er) machen. Aus diesen sprachlichen Gepflogenheiten lassen sich dann in abstrahierender Perspektive so etwas wie sprecher- und situationsunabhängige (Kern-) Bedeutungen von Ausdrücken (Wörtern wie holophrastischen Wendungen) angeben. Darüber hinaus gibt es innerhalb des Sprachspiels selbst Wege der metasprachlichen Bezugnahme, in denen wir darüber reden, was wir mit einem Ausdruck gemeint haben, oder Angaben darüber machen, wie wir einen Ausdruck in der Regel verwenden. Zum Beispiel können wir einem Kind erklären, was »toxisch« heißt. Sehr pointiert findet sich diese Kritik in folgender Passage:
Worin besteht dieses Meinen (der Schmerzen oder des Klavierstimmens)? Es kommt keine Antwort - denn die Antworten, die sich uns auf den ersten Blick anbieten, taugen nicht. - »Und doch meinte ich damals das eine oder das andere.« Ja, - nun hast du nur einen Satz mit Emphase wiederholt, dem ja niemand widersprochen hat. (Wittgenstein 1984: §678)
Jemand rechnet im Kopf. Das Ergebnis verwendet er, sagen wir, beim Bauen einer Bücke oder Maschine. [...] Es mußte doch da gerechnet werden, und es ist gerechnet worden. Denn er weiß, daß, und wie, er gerechnet hat; und das richtige Resultat wäre ohne die Rechnung nicht erklärbar. - Wie aber, wenn ich sagte: »Es kommt ihm vor, er habe gerechnet. Und warum soll sich das richtige Resultat erklären lassen? Ist es nicht unverständlich genug, daß er ohne ein Wort, oder Schriftzeichen, rechnen konnte?« -
Ist das Rechnen in der Vorstellung in gewissem Sinne unwirklicher als auf dem Papier? Es ist das wirkliche - Kopfrechnen. - Ist es ähnlich dem Rechnen auf dem Papier? - Ich weiß nicht, ob ich es ähnlich nennen soll. Ist ein Stück weißes Papier mit schwarzen Strichen drauf einem menschlichen Körper ähnlich? (Wittgenstein 1984: §364)
Ist das Rechnen in der Vorstellung unwirklicher als auf dem Papier? - Man ist vielleicht geneigt, so etwas zu sagen; kann sich aber auch zur gegenteiligen Ansicht bringen, indem man sich sagt: Papier, Tinte, etc. seien nur logische Konstruktionen aus unsern Sinnesdaten.
»Ich habe die Multiplikation .... im Kopfe ausgeführt.« - glaube ich etwa so eine Aussage nicht? - Aber war es wirklich eine Multiplikation? Es war nicht bloß eine Multiplikation, sondern diese - im Kopfe. Dies ist der Punkt, an dem ich irregehe. Denn ich will jetzt sagen: Es war irgendein, dem Multiplizieren auf dem Papier entsprechender, geistiger Vorgang. So daß es Sinn hätte, zu sagen: »Dieser Vorgang im Geiste entspricht diesem Vorgang auf dem Papier.« (Wittgenstein 1984: §366)
In bestimmten Fällen können wir veräußerlichte geistige Operationen, wie das Rechnen auf dem Papier, mit entsprechenden mentalen Operationen gleichsetzen, als Beschreibungen ein und derselben Sache. Nur ein überprüfender Vergleich, bei dem wir diskriminierende Kriterien zur Anwendung brächten, um zu entscheiden, ob eine bestimmte mentale Operation oder Disposition zu einer solchen vorgelegen hat, haben wir schlichtweg nicht zur Hand.96
Für die Wahrheit des Geständnisses, ich hätte das und das gedacht, sind die Kriterien nicht die der wahrheitsgemäßen Beschreibung eines Vorgangs. Und die Wichtigkeit des wahren Geständnisses liegt nicht darin, daß es irgendeinen Vorgang mit Sicherheit richtig wiedergibt. Sie liegt vielmehr in den besonderen Konsequenzen, die sich aus einem Geständnis ziehen lassen, dessen Wahrheit durch die besonderen Kriterien der Wahrhaftigkeit verbürgt ist.
(Angenommen, daß die Träume uns wichtige Aufschlüsse über den Träumer geben können, so wäre das, was den Aufschluß gibt, die wahrhaftige Traumerzählung. Die Frage, ob den Träumer sein Gedächtnis täuscht, wenn er nach dem Erwachen den Traum berichtet, kann sich nicht erheben, es sei denn, wir führten ein gänzlich neues Kriterium für eine Übereinstimmung des Berichts mit dem Traum ein, ein Kriterium, das hier eine Wahrheit von der Wahrhaftigkeit unterscheidet.) (Wittgenstein 1984: S. 566f)
Ich interpretiere Wittgenstein so: Wenn wir etwas Psychologisches über uns behaupten - etwa daß wir etwas im Kopf errechnet haben, daß wir uns etwas so und so vorstellen, daß wir von etwas sicher sind, es zu wissen, daß wir einen Verdacht hegen usw. - rekonstruieren wir eigentlich rückblickend ein mentales Ereignis oder Zustand. Gleichgültig, welche Überzeugungen wir zu dem fraglichen rückblickend betrachteten Zeitpunkt »tatsächlich« unterhielten, ihre eigentümliche Seinsweise finden diese »Objekte« unserer »Erkenntnis« in dieser Gestalt der retrospektiven Rekonstruktion. Das soll nicht die vielfältigen Verflechtungen dieser Art mentaler Rekonstruktion mit den alltäglichen Umgangsformen vergessen machen. Die direkteste Verknüpfung besteht in dem Sprachspiel der Beschreibung oder Bezugnahme auf mentale (eigene) Phänomene - zu welchem Zwecke und in welcher Funktion auch immer.
Ich möchte die Frage stellen: »Bin ich mir der Raumhaftigkeit, Tiefe, eines Gegenstandes (dieses Schranks z.B.), während ich ihn sehe, immer bewußt?« Fühle ich sie, sozusagen, die ganze Zeit? - Aber stell die Frage in der dritten Person. - Wann würdest du sagen, er sei sich ihrer immer bewußt? wann das Gegenteil? - Man könnte ihn ja fragen, - aber wie hat er gelernt, auf diese Frage zu antworten? - Er weiß, was es heißt »ununterbrochen einen Schmerz zu fühlen«. Aber das wird ihn hier nur verwirren (wie es auch mich verwirrt).
Wenn er nun sagt, er sei sich der Tiefe fortwährend bewußt, - glaube ich's ihm? Und sagt er, er sei sich ihrer nur von Zeit zu Zeit bewußt (wenn er von ihr redet, etwa) - glaube ich ihm das? Es wird mir vorkommen, als ruhte diese Antworten auf falscher Grundlage. Anders aber, wenn er sagt, der Gegenstand komme ihm manchmal flach, manchmal räumlich vor. (Wittgenstein 1984: S. 547f)
Wittgenstein argumentiert hier anhand einer vermeintlichen Räumlichkeitsempfindung (die er als Trugschluß infolge einer irreführenden Oberflächengrammatik entlarven würde). An anderen Stellen geht es ihm um Bilder und Vorstellungen, an wieder anderen um Bedeutungen und Gedanken. Die grundlegende Argumentationsfigur ist dabei immer die gleiche. Statt die Ebene des Alltagsdiskurses mit der Ebene der Suche nach Entdeckungen der empirischen Wissenschaften zu verwechseln97, fordert er uns auf, unser Augenmerk auf die teils relativ unsystematisch miteinander verbundenen Verwendungsweisen von Begriffen zu richten, und uns der Versuchung zu enthalten, überall hinter den Sprachspielen nach einer Realität zu suchen, die dann den in den Sprachspielen verwendeten Begriffen entspräche. In diesem Fall also objektiven (oder auch nur subjektiven, aber einem selbst unproblematisch zugänglichen) Räumlichkeitsempfindungen. In dem zitierten Paragraphen ist der entscheidende Punkt die enge Verbindung, die er für Äußerungen in der ersten und solchen in der dritten Person herausstellt. Ich würde die Passage sogar so weitgehend deuten, daß der Sinn (oder die Bedeutung) der Äußerung »Ich nehme diesen Schrank dreidimensional wahr.« schlechterdings unverständlich ist, wenn man nicht versteht, was es heißt, wenn man dasselbe über jemanden anderes sagt. Wenige Seiten vorher plädiert Wittgenstein dafür, den Gehalt derartiger Äußerungen als Ausdruck einer gewissen Technik oder Praxis aufzufassen.98 In diesem Fall könnte das heißen, einen Gegenstand räumlich zu sehen und das jemandem gegenüber zu bekunden, heißt, ihm etwas darüber zu sagen, was man mit dem Gegenstand tun könnte (ihn zum Beispiel durch eine Tür zu bewegen, oder dies gerade nicht tun zu können, weil die Tür zu eng ist - dies zu sehen, bevor man überhaupt den Versuch dazu unternimmt. Sowohl die Interpretation der Äußerung, sie handele von einer (intrinsischen) Eigenschaft des Gegenstandes als auch die, sie handele von einem internen psychischen Zustand verfehlen ihre Natur, oder, mit Wittgenstein gesagt, sie »ruhten [...] auf falscher Grundlage« .
Wittgenstein plädiert dafür, die Frage »Was ist eine Vorstellung?« zu beantworten, indem man an ihrer Stelle die Frage »Wie verwenden wir den Ausdruck Vorstellung?« angehen: »Nicht, was Vorstellungen sind, oder was da geschieht, wenn man sich etwas vorstellt, muß man fragen, sondern: wie das Wort »Vorstellung« gebraucht wird.« (Wittgenstein 1984: §370)
Diese Ausführungen über Räumlichkeitswahrnehmung und deren Bewußtsein kann als Beispiel gelten, das ebenso die Logik Meinungen, Meinungsäußerungen bzw. -bekundungen sowie das (vermeintliche) selbstreflexive Bewußtsein von Meinungen erhellen kann. Demnach wären Meinungen und Meinungsäußerungen nicht isoliert von ihrem Verwendungszusammenhang, von ihrer Rolle in der zwischenmenschlichen Kommunikation und dem sozialen und institutionellen Gefüge aus Regeln, Konventionen, Erwartungen, Abhängigkeiten usw. zu betrachten, ohne zu einer verzerrten Perspektive zu führen, die dann schlimmstenfalls (und etwas polemisch formuliert) darin endet, neuronale Entsprechungen (oder gar Meinungen selbst) im Gehirn finden zu wollen. Insgesamt erweist sich eine bestimmte Konzeption von Bewußtsein - die nämlich, als einfache Relation zwischen einem Subjekt und einer Eigenschaft oder Zustand des Subjekts, ganz für sich alleine betrachtet - als vollkommen unbrauchbar (oder philosophisch schädlich). Was vielmehr vorliegt, wenn wir uns einer Meinung bewußt sind, ist ein komplexer Zustand, der das Wechselspiel mit anderen Menschen maßgeblich beinhaltet. Ich würde den Punkt, den Wittgenstein macht, in Bezug auf (bewußte) Meinungen so formulieren: Wenn wir den Eindruck haben, uns einer Meinung bewußt zu sein, oder, etwas normaler ausgedrückt, wenn wir uns über eine Meinung oder Überzeugung im klaren sind, heißt das, wir legen uns auf bestimmte Verhaltensweisen oder andere Meinungsäußerungen fest, oder würden das unter bestimmten Umständen tun. Dabei sind nicht Meinungen als Gegenstände Thema eines inneren solipsistischen Selbstgesprächs (oder einer Wahrnehmung mit einem mysteriösen inneren Sinnesorgan), sondern sie setzen unsere soziale Interaktion mit anderen Menschen fort. Wir behalten unsere komplexe Einstellung bei, die wir im zwischenmenschlichen Umgang einnehmen - eine Einstellung, die sich sowohl durch Sätze in der ersten wie der dritten Person beschreiben läßt, und zwar gleichsam in einem Atemzug - auch wenn physisch gar keine andere Person anwesend ist.
Während ich also die Ansicht vertrete, daß wir nicht sinnvoll über mentale Prädikate reden können, ohne über unser soziales Kommunikationsverhalten und die soziale Welt mit ihren Regeln und Institutionen zu reden, geht Wittgenstein offenbar noch weiter, indem er sagt, die Beantwortung der Frage nach dem Wesen der seelischen Phänomene, die Frage nach dem Sinn oder der Bedeutung diese bezeichnender Ausdrücke und die Frage nach ihrer Verwendung laufen letztlich auf das gleiche hinaus. Dies liegt daran - so können andere Passagen interpretiert werden - daß Ausdrücke wie »Vorstellung« und »Meinung« eher nach dem Vorbild logischer Operatoren wie »und« und »auch« zu analysieren sind, denn nach dem Vorbild referierender Ausdrücke wie »diese Photographie«. Diesem Sachverhalt hatte ich versucht, mit der Beschreibung der »anaphorischen Bezugnahme«99 gerecht zu werden.
Ganz knapp drückt Wittgenstein seine Auffassung in folgender Sentenz aus:
»Das Wesen ist in der Grammatik ausgesprochen.« (Wittgenstein 1984: §371)
Das heißt, die Verwendung eines Ausdrucks (oder Wortes) legt seine Bedeutung fest. Sie legt also gegebenenfalls auch seine Referenz fest. Die Verwendung legt vorher allerdings allererst fest, ob der Ausdruck überhaupt eine referentielle Funktion erfüllt (oder von solchen abhängig ist). Zweifelsfreie Fälle der Referenz liegen eigentlich nur bei Eigennamen vor. Schon bei generellen Termini (sowie Prädikaten für Eigenschaften wie »rot«) ist nicht mehr unstrittig, welche Referenz sie haben und wie diese zu bestimmen ist. Denn in vielen Fällen legt die Verwendung die Extension nicht zweifelsfrei fest, pragmatisch ist eine eindeutig bestimme Extension oder Referenzklasse meist gar nicht erfordert (in manchen Fällen gar ausdrücklich nicht geboten). Zudem hängt die korrekte Verwendung in der Regel noch von anderen Faktoren ab (die sich summarisch dem Bereich des Intensionalen zuweisen lassen). Schwieriger wird die Lage, wenn wir abstrakte Wörter betrachten. Hier begeben wir uns mehr in den Bereich, den Wittgenstein Grammatik nennt. Ziehen wir als relativ einfaches Beispiel den Ausdruck »(das) Rot« (oder »(die) Röte«) heran. Die Bedeutung des Wortes wird u.a. durch die Regel festgelegt: Man kann sagen »Das Rot des X ist ... (z.B. verblichen)« wenn man mindestens auch sagen kann »X ist rot«. Eine regelkonforme Verwendung liegt auch vor in »Rot ist die Komplementärfarbe von Grün.«, nicht hingegen in »Rot ist schöner als Tomate.«
Wittgenstein folgend sollten wir uns also eher an einer Logik, die Wittgenstein als Grammatik bezeichnet, orientieren, wenn wir untersuchen wollen, was eine Meinung ist: woher wir wissen, wann einer eine Meinung, daß p, hat und wie und woher wir wissen, ob wir selbst glauben, daß p. Die Herangehensweise verhindert, daß wir bei dieser begrifflichen Untersuchung irrige Annahmen hinsichtlich dessen machen, was der Ausdruck »Meinung, daß p« »bezeichnet« (was seine Referenz ist).
Wie ist man je dazu gekommen, einen Ausdruck wie »Ich glaube ...« zu gebrauchen? Ist man einmal auf ein Phänomen (des Glaubens) aufmerksam geworden?
Hatte man sich selbst und die Anderen beobachtet und so das Glauben gefunden? (Wittgenstein 1984: S. 513)
Es wären Sprachen denkbar, die das, was wir mit »ich glaube ...« ausdrücken, allein durch den Tonfall oder die Tonhöhe ausdrücken: »Eine Sprache, in der Ich glaube, es ist so nur durch den Ton der Behauptung Es ist so ausgedrückt wird.« (Wittgenstein 1984: S. 515) Die Entsprechungen zu anderen Personen und Tempora von »glauben« würden dann anders realisiert werden (müssen): »Statt Er glaubt heißt es dort Er ist geneigt, zu sagen ... [...].« (Wittgenstein 1984: S. 515)
Gegenstand meiner Überlegungen war die Fähigkeit zwischenmenschlichen Verstehens, wie sie sich in unsrer alltäglichen Lebenspraxis zeigt: die sog. Alltagspsychologie. Zum Ausgangspunkt meiner Überlegungen nahm ich die These, in dieser Kompetenz sei eine spezielle Art von Theorie am Werk. Nachdem ich näher zu bestimmen suchte, in welchem Sinn die These zu verstehen ist, und dem Theoriekonzept ein schärferes Profil gab, stieß ich auf eine Reihe von Schwierigkeiten, die mich zur Überzeugung führten, daß der Ansatz zum Scheitern verurteilt ist. Auf der Suche nach Alternativen ging es mir auch darum, eine Verengung der Sicht zu beseitigen. Ich vertrat die Ansicht, daß schon vor den Analogien zu wissenschaftlichen Theoriemodellen eine Beschreibung einseitig ist, die in der Alltagspsychologie als primäre Funktion Erklärungs- und Voraussageleistungen ausmacht. Darüber hinaus stellte ich fest, daß Erklärungen verschiedenen Mustern folgen können und dabei insgesamt eine relativ heterogene Klasse von Sprechhandlungen bilden.
Während meiner Ausführungen schnitt ich gelegentlich Fragenkomplexe an, die ich im gegebenen Rahmen nicht detaillierter weiter verfolgen konnte. Das betrifft zum einen den Zusammenhang von Erklärungen und Rechtfertigungen und dabei insbesondere das Verhältnis individuellen Verhaltens und Erkennens einerseits und der Sphäre sozialer Normen- und Institutionengefüge andererseits. Ein anderer Komplex besteht in einer kritischen Einschätzung des Verhältnisses unterschiedlicher Wissenschaften untereinander und die Frage der Angemessenheit unterschiedlicher Methoden. Soweit ich diesen Argumentationsstrang verfolgte, stützte ich die Position eines Methoden- und Wissenschaftspluralismus.
Am Ende sprach ich mich dafür aus, die alltagspsychologische Kompetenz konsequenter in ihrer engen Verbindung mit sprachlicher Kommunikation und sozialer Interaktion zu sehen. Durch ein besseres Verständnis der eigentümlichen Logik mentaler Prädikate und Ausdrücke in der Sprache können wir uns einen Zugang zum Wesen des Geistigen oder Seelischen allgemein verschaffen. Hierfür skizzierte ich, wie sich Positionen des späten Wittgenstein auf die Diskussion beziehen lassen.
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1Dem entspricht der englischsprachige Begriff »folk psychology«. Er ist jedoch nicht ganz konkurrenzlos. Alternative Bezeichnungen sind »theory of mind«, »commonsense psychology«, »mentalizing«, »mind-reading« und »naïve psychology«.
2Streng genommen ist »intentional« ein engerer Begriff als »mentalistisch«. Während man als intentional solche mentalen Phänomene bezeichnet, die einen Bezug auf die Außenwelt aufweisen, gilt dies nicht für sämtliche mentalistischen Ausdrücke, wie etwa den eines diffusen Angstgefühls. Bisweilen wird der Intentionalitätsbegriff jedoch auch in der weiteren Bedeutung des Mentalen allgemein gebraucht. Die manchmal mehrdeutige Verwendung des Begriffs der Intentionalität ist vermutlich darauf zurückzuführen, daß er zum einen ein philosophischer terminus technicus ist, zum anderen aber auch eine normalsprachliche Bedeutung hat, die der Absichtlichkeit.
Ich habe den Begriff des Mentalistischen bislang nur negativ definiert. Mentalistisch sind all die Eigenschaften, die ausschließlich belebten Wesen zukommen können. Später werde ich auf genauere Begrifflichkeiten zurückgreifen, die sich mit dem unschärferen des Mentalistischen überschneiden: das Subjektive (im Gegensatz zum Objektiven), das Private (im Gegensatz zum Öffentlichen) und das Soziale.
Um die Unterscheidung zwischen mentalen und mentalistischen Tatsachen werde ich mich hingegen weniger kümmern. Der Unterschied zwischen beiden Begriffen liegt meinem Eindruck nach nur darin, daß »mentalistisch« in abstrakteren Zusammenhängen verwendet wird als »mental«. So kann man von mentalistischen Voraussetzungen für die Existenz von Bushaltestellen sprechen, nicht aber von mentalen Voraussetzungen der Existenz von Bushaltestellen.
3Zu ergänzen ist: Auch für die Motive oder Anlässe in der Welt, die in alltagspsychologischen Erklärungen vorkommen, verwenden wir oft Begriffe eines spezifischen Vokabulars, das gleichfalls mentalistisch genannt werden kann. Etwa die Angabe dessen, wovor jemand flieht. Das Bild wird im Verlauf des Textes vollständiger.
4Die Termini »Begriff«, »Konzept« und andere sind mehrdeutig, da mit ihnen sowohl ein sprachlicher Ausdruck als auch eine zugrundeliegende Definition oder auch eine kognitive Fähigkeit der Verwendung eines Konzepts (im Sinne der Subsumption von Besonderem unter Allgemeines unter besonderen Gesichtspunkten) gemeint sein kann. Um die Darstellung nicht unnötig zu komplizieren, verwende ich die Wörter überall dort ohne große Akribie, wo entweder der Kontext die Disambiguierung gewährleistet oder die Unterscheidung unwichtig ist.
5Diese radikal-kritische Einstellung führt im übrigen konsequent weitergedacht zu der Einsicht, daß wir ausgehend von den dürren empirischen (also: sinnlichen) Anhaltspunkten her, die uns in unserer Umwelt zur Verfügung stehen, eigentlich noch nicht einmal wissen können, daß andere uns sehen. Wir können schließlich nicht a priori wissen, mit welchem Organ uns andere visuell wahrnehmen (warum nicht etwa mit der Nase), und auch nicht, daß uns andere sehen! Die Konsequenz dieses epistemologischen Skrupels nimmt sich bedrückend aus. Denn das hieße in entwicklungspsychologischer Sicht, neugeborene Säuglinge müßten zunächst einmal theoretisch erschließen (oder sonstwie erlernen), daß andere Menschen sie sehen, und daß das mit der Stellung der Augen in Zusammenhang zu bringen ist. Empirische Untersuchungen konnten jedoch zeigen, daß Säuglinge im Alter von wenigen Minuten (!) signifikant auf Blickkontakt reagieren. Einige grundlegende Fähigkeiten müssen demnach als biologisch angelegt gelten. Dem philosophischen Skrupel der Infragestellung des scheinbar Selbstverständlichen sind hier also Grenzen gesetzt.
6Das liegt oft schlicht daran, daß der Name »Theorie-Theorie« jüngeren Datums ist als die Ideen, die mit ihm bezeichnet werden. Eingeführt wurde der Begriff von Premack und Woodruff (1978). Sie fragten, ob Schimpansen über eine »theory of mind« verfügen.
7Fodor (1987, 1994)
8Austin (1961, 1972)
9Wittgenstein (1984)
10Baker (1989, 1995)
11Gordon (1987, 1994, 1996)
12Eine derartige Minimaldefinition von Theoretizität schlagen z.B. George Botterill und Jerry Samet vor. Botterill (1996) formuliert ein Prinzip »kognitiver Ökonomie«: »[...] theories produce cognitive economy through integration of information in a small number of general principles.« (S. 109) Samet (1993) meint: »[T]here is a structural sense of the term, where to call something a theory is to say that it has the structure or organization of a theory. [...] [T]here is considerable controversy about what exactly that structure is, or even if there is a common structure. [...] This structural notion of theory fixes on an internal property of a knowledge system, and I suspect that this notion is the most widespread among theory of mind researchers.« (S. 444) (Mit »theory of mind researchers« bezieht sich Samet hier in erster Linie auf entwicklungspsychologische Forschungsansätze.)
13Samet (1993: bes. S. 432) argumentiert, daß die schwache These (1) im allgemeinen nicht zureichend analysiert und von stärkeren Positionen abgegrenzt wird. So können stärkere Thesen ohne Argument von der Plausibilität der schwächeren These profitieren.
14Darunter sind zum einen Objekte bzw. Objektklassen zu verstehen, deren Eigenschaften und ggf. Vorhandensein nur erschlossen werden kann und/oder mittels ausgeklügelter Apparaturen »sichtbar« machen kann, wie etwa Elementarteilchen oder Strahlungen. Zum anderen fallen darunter Faktoren und Eigenschaften (in der Physik meist als »Größen« bezeichnet), deren Bedeutung vollständig von der Verbindung mit anderen Größen der Theorie bestimmt ist.
Holm Tetens (1997) charakterisiert theoretischen Entitäten wie folgt:
»[Wir] können [...] einen theoretischen Begriff auf folgende Weise charakterisieren: Ein theoretischer Begriff (theoretische Größe) ist ein Begriff, der gerade so definiert wird, daß sich mit ihm Gesetze für die beobachteten Phänomene formulieren lassen. Bei einem theoretischen Begriff fällt seine Definition mit der Aufstellung eines Gesetzes für beobachtbare Phänomene zusammen.
Damit haben wir eine fundamentale Strategie der Wissenschaften kennengelernt, Phänomene dadurch unter Gesetze zu subsumieren, daß man neue, theoretische Begriffe einführt, die sich auf Gegenstände (Entitäten) beziehen, die sich keineswegs direkt beobachten lassen müssen. Diese Strategie kann man daher als nomologische Beschreibung der Phänomene durch Einführung theoretischer Entitäten bezeichnen.« (S. 38f.)
Beispiele für theoretische Entitäten der Physik sind: Kraft, träge Masse, Energie und Leistung. An sehr anschauliches Beispiel ist die Annahme von Paaren von Erbfaktoren bzw. Genen im Rahmen der Theorie von Mendel, deren Bedeutung vollständig durch ihre Rolle in der Voraussage von dem Auftreten bestimmter Merkmale der einen Generation in der Folgegeneration bestimmt ist.
Quine hebt den absoluten Gegensatz zwischen »beobachtbar« und »unbeobachtbar« auf und ersetzt ihn durch ein Kontinuum von Beobachtungsnähe und -ferne. Vgl. Quine (1960).
15In die obige Formel kann für x keine Person eingesetzt werden, weil man nicht sagen kann, daß man eine Person erklärt. Dies stellt jedoch kein Problem dar, weil sich »Person P verstehen« als elliptisch auffassen läßt, so daß diese Wendung dann in expliziter Form als »verstehen, warum Person P x tat« wiederzugeben wäre.
16Genauer gesagt: der Fundierung eines bestimmten kognitionswissenschaftlichen Projekts, das Fodor (und andere) vor Augen haben. Dasjenige nämlich, das nicht nur zum Beispiel Hypothesen über die informationsverarbeitenden Leistungen entwickelt, die für das Erkennen von dreidimensionalen Strukturen auf Grundlage zweidimensionaler Sinnesreizungen erforderlich sind, sondern das menschliche Verhalten viel umfassender erklären will, indem es (auch) die menschliche Intelligenz, wie sie sich in der alltagspsychologischen Kompetenz äußert, nach dem Modell der Informationsverarbeitung rekonstruiert.
17Hier geht ein bestimmtes Verständnis des Wesens von Erklärungen ein, das auch bei Hempel und Oppenheim zu finden ist, demzufolge Erklärung und Voraussage als komplementäre Begriffe aufgefaßt werden. Sie stellen zwei Seiten der gleichen Sache dar: Das Auftreten eines Phänomens erklären zu können, heißt, daß man es mit Hilfe der verwandten Theorie vor dem Auftreten hätte voraussagen können. Umgekehrt kann ich die Gründe, die ich für die Voraussage des Eintretens eines erwarteten Ereignisses heranziehe, wenn die Voraussage erfolgreich ist, später zur Erklärung ebendieses Ereignisses verwenden.
18Was unter Generalisierungen, die kontrafaktische Konditionale stützen, zu verstehen ist, wird später dargelegt werden.
19Ich vereinfache die Darstellung des Behaviorismus stark. Es soll hier nur darum gehen, einen entscheidenden Unterschied der (meisten) kognitionswissenschaftlichen Ansätze gegenüber den behavioristischen zu verdeutlichen. Daher kann ich in diesem Zusammenhang unterschlagen, daß, anders als von mir oben behauptet, viele Behaviorismusversionen gar keine Identifikation des Mentalen und des Neuronalen vornehmen würden, aus dem einfachen Grund, weil sie in wissenschaftlichen Erklärungen auf keine mentalen Zustände des Alltagsvokabulars Bezug nehmen würden.
20Am gleichen Beispiel läßt sich auch erläutern, warum der Begriff »kausal wirksam« nicht so homogen ist, wie stillschweigend oft in Anspruch genommen. Ich komme darauf an späterer Stelle zurück.
21Zusätzlich gilt: ai ist Ursache von bi.
22Funktionalistische Ansätze sind noch durch weitere zentrale Prinzipien gekennzeichnet. Auf sie komme ich weiter unten zu sprechen.
23»The problems I have in mind aren't the old ontological and epistemological worries: Could beliefs and desires be material? Could they be immaterial? How do I know that Greycat has any?« (Fodor 1987: S. x)
24Als Gegenpol möglicher Positionen habe ich hier in erster Linie die von Quine (1969) und Dennett (1987) vor Augen. Systemtheoretische Positionen wie die Niklas Luhmanns (Luhmann 1984) würden die Supervenienzthese ablehnen und zugleich realistisch bezüglich Ursachen höherer Stufen sein.
25Dieser Anflug von Überheblichkeit seitens derjenigen Wissenschaften, die der Physik näher stehen, gegenüber anderen Disziplinen, die ihr ferner sind (bzw. das höhere Maß an Ansehen, das ihnen entgegengebracht wird), ist im übrigen aufgrund einer einfachen Überlegung nicht gerechtfertigt. Es genügt hierfür ein Blick auf obiges Schema, um sich das Defizit von Level II gegenüber Level I klarzumachen. In der Sprache der Wissenschaft des Levels II gibt es keine Phänomene des Typs A oder B. Bildlich gesprochen: Sie sind durch die Level-II-Brille gesehen unsichtbar. Aus diesem Grund kann die Level II-Disziplin auch gar keine Ursache für Phänomen B angeben. Wie sollte ein Level II-Wissenschaftler überhaupt erst auf die Idee kommen, ausgerechnet eine Erklärung für das Auftreten von b1 b2 ... bn geben zu wollen, und nicht etwa eine für das Auftreten von b3 bn+7 ... bn+92?
Fodor räumt diesen Umstand selbst ein: »This is, however, a little misleading. For, the (putative) generalizations of the (putative) completed physics would apply to the motions of organisms qua motions, but not qua organismic. Physics presumably has as little use for the categories of macrobiology as it does for the categories of commonsense psychology; it dissolves the behaver as well as the behavior. What's left is atoms in the void.« (Fodor 1987: S. 9)
26Bei der Konstruktion der rekursiv definierten Funktionen kommen mathematisch-logische Konstruktionen namens Ramsey-Sätze zum Einsatz. Diese Details müssen hier jedoch nicht interessieren. Eine relativ anschauliche Erklärung dieses Prinzips findet sich in Block (1992).
27Die deutsche Übersetzung ist Block (1992: S. 162) entnommen.
28Burge (1979).
29Die Tatsache, daß Menschen zu zwei Dritteln aus Wasser bestehen, soll hier ignoriert werden.
30Das vermeintlich einfache Beispiel ist bei näherer Betrachtung freilich gar nicht so einfach. Denn was wollen wir sagen, wenn sich das Magnetfeld der Erde plötzlich ändert, was wenn sich die Umdrehungsachse der Erde verschöbe. Und macht es Sinn zu fragen, ob der Mond (gerade in diesem Augenblick) nördlich von Berlin liegt?
Man kann mit guten Gründen die Ansicht vertreten, das geographische oder geometrische Bestimmungen, wie sie das Beispiel verwendet, nicht für Kausalerklärungen verwandt werden, sondern nur für logische Erklärungen. Das Beispiel funktioniert jedoch für weitgehend unstrittige kausale Eigenschaften genauso.
31Optimismus, dies als Nebenbemerkung, muß somit gedämpft werden. Denn die Komplexität des Kausalzusammenhangs erhöht das Risiko des Auftretens unbeabsichtigter (d.h.: nicht vorhergesehener oder vorhersehbarer) Folgen bei manipulativen Eingriffen.
Denn wenn angenommen wird: »Gen A verursachen Phänotyp «, und sei eine erbliches Gebrechen, und als garantiert angenommen wird: »Gen A* verursacht das Nicht-Auftreten von Phänotyp «, so ist das nur die halbe Wahrheit. Wenn es eigentlich heißen muß »Gen A und die Faktoren F1, ...., Fn verursachen Phänotyp «, dann auch »Gen A* und die Faktoren F1*, ...., Fn* verursachen das Nicht-Auftreten von Phänotyp «, wobei sich die Faktoren F1*, ...., Fn* schwer kontrollieren lassen. Hinzu kommt, daß gerade die Veränderung von Gen A in Gen A* unter anderem auch bewirken kann, daß statt des Faktors F1* ein anderer Faktor F1** auftritt, so daß das Ergebnis alles andere als das Gewünschte ist.
32Die Frage »Was heißt kausal?« schiebe ich weiter auf.
33Das Prinzip formuliert Kripke (1980: S. 122) so: »The original concept of [water] is that kind of thing, where the kind can be identified by paradigmatic instances.«
34Vgl. Schiffer (1987: S. 42): »To say that believing is both a relation to propositions and defined (i.e., reduced) by such a theory [gemeint ist: eine kognitionswissenschaftliche Theorie, wie sie z.B. Fodor anstrebt] would seem to imply that these external indices could only be propositions. But this seems implausible on two counts.
First, it seems obvious that if propositions were suitable indices for a functional theory, then so would be sentences or uninterpreted formulae of a formal language.
Second, it is not even clear that the external indices need be anything more than uninterpreted formulae.«
Was unter »externen Indizes« zu verstehen ist, habe ich in meiner Darstellung (unter »Funktionale Rollen«) nicht erklärt, um sie nicht zu überfrachten. Es handelt sich dabei um das Prinzip, die theoretischen Definitionen so zu gestalten, daß die durch sie konstruierten mentalen Zustände so miteinander verbunden sind, daß die Logik der Propositionen berücksichtigt wird, daß also etwa die Meinung, daß p q, mit der Meinung, daß p, und der Meinung, daß q, kausal verbunden ist.
Eine der von mir gegebenen ähnliche Analyse des Burge-Beispiels findet sich in Schiffer (1987: S. 42f).
35Alternativ wird es oft als das »deduktiv-nomologische Modell wissenschaftlicher Erklärung« bezeichnet.
36Vgl. Hempel & Oppenheim (1948), das Schema findet sich auf S. 138.
37Ich gebe zu, daß diese Terminologie hier überaus künstlich wirkt. Eher würde man von Zuständen und Ereignissen sprechen. Auch die so bezeichneten »Einzeldinge« müssen nicht Dinge im gewöhnlichen Sinne sein, sondern können komplexe Strukturen bezeichnen. Insbesondere im Falle theoretischer Entitäten fällt die Unterscheidung zwischen »Gegenstand« und Eigenschaft in sich zusammen. Denn Faktoren, die von der Theorie postuliert werden, treten im obigen Schema nur als Zwischenschritte auf. Sie erscheinen also im Zusammenhang der mehrmaligen Anwendung nomologischer Deduktionen.
Zudem müßten für eine korrektere formale Darstellung Quantoren mit einbezogen werden. Das würde die Sache für die verfolgten Zwecke jedoch unnötig komplizieren. Mit den Quantoren handelt man sich nämlich die Frage ein, über welchen Bereich quantifiziert wird.
38Vgl. Lambert & Brittan (1979: S. 51f).
39Von dieser Vorstellung macht er u.a. bei seinem Versuch Gebrauch, die Brisanz der Gedankenexperimente von Putnam und Burge zu entkräften. (Vgl. Fodor 1987: S. 35ff)
40Van Fraassen (1980).
41Zusätzlich könnte man sich auf folgende philosophische Sprachregelung einigen: Die Sprechhandlung, innerhalb einer Erklärung etwas als Ursache verantwortlich zu machen, heißt »einen Grund geben«. Das heißt, Ursachen gehören der Ordnung der Dinge an, Gründe hingegen der Ordnung des Sprechens. Damit soll allerdings nicht ausgeschlossen werden, daß es auch andere Zusammenhänge gibt, in denen man Gründe anführt.
42Die Fragen müssen nicht notwendig in der standardisierten Form gestellt werden. Van Fraassen geht lediglich davon aus, daß sich Fragen wie »Wie konnte es dazu kommen, daß ...?« in aller Regel leicht umformen lassen in beispielsweise »Warum kam es dazu, daß ...?«.
43Zit. n. van Fraassen (1980: S. 125).
44Dieser Zusatz ist im folgenden bei jedem Vorkommnis des Wortes »Theorie« vorzunehmen bzw. dazu zu denken.
45Vgl. Stone & Davies (1996: S.130): »The problem for the theory-theory is that is does seem massively counterintuitive to suppose that first-person attribution require checking that a mental state stands in a particular network of causal relations before pronouncing it to be a belief [...]«.
46Es stellt sich allerdings die Frage, wie sich kulturelle Invarianz überhaupt feststellen ließe. Zunächst wäre man auf jeden Fall auf Übersetzungen angewiesen. Das heißt, die Existenz des Konzepts »Wunsch« würde man an dem Vorkommen des Wortes in Übersetzungen festmachen. Es ließe sich jedoch eine Kultur denken, in der es als unziemlich gilt, Wünsche zu äußern. Statt dessen bekundete man entweder, daß einem etwas fehle, oder aber daß man sich über etwas sehr freuen würde. Der Übersetzer müßte sich dann entscheiden, wie er die Ausdrücke übersetzt. Er könnte aber aufgrund anderer Vorkommnisse der Ausdrücke »sich freuen« und »mir fehlt« (bzw. der prima facie-Entsprechungen in der Fremdsprache) Anlaß haben, sie auch so zu übersetzen. Hieße das dann, daß die Kultur das Konzept »wünschen« nicht kennt? Das Beispiel geht auf eine mündliche Auskunft bezüglich eines ähnlich gelagerten Falles im Chinesischen zurück.
47Vgl. Baron-Cohen (1983, 1985) und Leslie (1987, 1993). Beide Psychologen verwenden den Terminus »theory of mind«. Bei näherem Studium läßt sich jedoch feststellen, daß ihre Thesen (oder Arbeitshypothesen) mit den Implikationen, die ich für Fodor aufgezeigt habe, wenig gemein haben. Ihr Forschungsschwerpunkt besteht einerseits in der Entwicklungspsychologie, andererseits in einer Theorie über die Ursachen des sog. frühkindlichen Autismus. In diesem Zusammenhang sind sie bestrebt, zuerst zu einer adäquaten Beschreibung des Defizits zu gelangen. Sie beschreiben es als eine Entwicklungsstörung, die darin besteht, das Stadium der »belief/desire-psychology« nicht oder nicht auf dem gleichen Weg wie sich normal entwickelnde Kinder zu erreichen. (Zum Syndrom des frühkindlichen Autismus siehe auch: Frith (1992) und Sacks (1997).) Beide gehen davon aus, daß es beim Übergang zwischen den beiden Stufen eine Verhaltensweise und eine bestimmte Fähigkeit gibt, die den Übergang zwischen ihnen erleichtert oder sogar auslöst. Baron-Cohen erachtet das Herstellen von gemeinsamen Blickkontakt, der auf Gegenstände der geteilten Umwelt gerichtet ist, als relevant. Er postuliert daher einen »Shared Attention Mechanism«. Leslie erachtet bestimmte Formen des Rollenspiels (»pretend play«) als ausschlaggebend. Aufgrund ihrer internen Struktur nimmt er komplexe Repräsentationen komplexer Struktur an (er nennt sie »M-Representations«), deren Konstruktion eine kontextverändernde Entkopplungsoperation erfordern. Das Suchen von Blickkontakt und das Rollenspiel sind Verhaltensweisen, die Kinder, die später als autistisch diagnostiziert wurden, nicht oder nur in sehr geringem Umfang zeigten. Das bringt sie dazu, für die alltagspsychologische Kompetenz eine bestimmte kognitive (und neuronale) Architektur als notwendig anzusehen. Frühere Studien konnten die Hypothese, daß Autismus erworben ist, also beispielsweise auf mangelnde Zuneigung zurückginge, nicht bestätigen. Beide bedienen sich einer Terminologie, die von mentalen Repräsentationen ausgeht. Sie verwenden den Begriff jedoch nicht als philosophisches Konzept, sondern - wie ich sagen würde - als wissenschaftliche Metapher oder Heuristik. Besonders interessant sind die empirischen »Experimente« (es handelt sich eher um Spiele), von denen Baron-Cohen (1995) berichtet.
48Diese Argumentation, die die Theorieartigkeit mentaler Konzepte durch den Verweis auf einen zu beobachtenden Theoriewandel stützt, setzt allerdings ein bestimmtes Verständnis der Natur von Theoriewechseln voraus: Daß Theoriewechsel als Durchsetzung einer besser bestätigten und zu weiter reichenden Erklärungen führenden neuen Theorie gegen eine alte zu verstehen sind. Derartige Positionen vertreten Lakatos (1970) und Popper (1959).
49Einen Advokaten, der den kategorialen Unterschied der beteiligten Arten von Kognition im Falle von Verstehen anderer Menschen und theoretischem Verstehen hervorhebt, findet Gordon in Blackburn (1992). Blackburn macht geltend, daß in einer adäquaten Beschreibung zwischenmenschlichen Verstehens die grundlegende Rolle von Empathie nicht unberücksichtigt gelassen werden darf. Er unterscheidet diese verschiedenen Erkenntnismodi terminologisch als »verstehen« (als deutsches Wort im englischen Text) vs. »understanding«.
50Das Englische stellt hierfür die anschauliche Redewendung »putting oneself in the shoes of the other« bereit. Im Deutschen drückt die geläufige Wendung »sich in jemandes Lage versetzen« (meist als Aufforderung gebraucht) das elementare Verfahren aus, das Gordon ins Rampenlicht philosophischer Reflexion rücken möchte. In die gleiche Richtung weist die Wendung »etwas nachvollziehen können«.
51Es gibt in der Psychologie (und auch in der »Populärpsychologie«, also den psychologischen Theorien und Konzepten, die durchaus einen Teil des kulturellen abendländischen Wissens ausmachen) noch eine weiter reichende Bedeutung des Ausdrucks »Identifikation«: sich mit jemandem in dem Sinne zu identifizieren, daß man ihn oder sie zum Vorbild nimmt, und die eigene Selbstwahrnehmung und das Wertgefüge nach diesem Anderen (zum Beispiel Vater oder Mutter in der frühen Kindheit) ausrichtet. Hinzu kommen Identifikationsprozesse kollektiver Art, also die Erzeugung einer Gruppenidentität, einer identifikatorischen Gruppenzugehörigkeit. Gordon spricht diese Konnotationen nicht an, schließt sie aber auch nicht ausdrücklich aus. Obwohl ich es interessant fände, diesen Aspekt im vorliegenden Zusammenhang weiter zu verfolgen, lasse ich diese Frage hier offen.
52Zitiert nach Fodor (1987: S. 13f). Es bedarf wahrscheinlich keiner gesonderten Erwähnung, daß Fodor nicht die gleichen Schlüsse zieht wie ich.
Gordon zieht ebenfalls Sherlock Holmes Zeugnis heran: »You know my methods in such cases, Watson. I put myself in the man's place, and, having first gauged his intelligence, I try to imagine how I should myself have proceeded under the same circumstances.« (Doyle 1894)
53Einen Vorläufer des Simulationsmodells findet Gordon in Grandy (1973). Grandy entwickelt sein Modell anhand einer Übersetzungssituation. Diese konzipiert er so, daß man die Pointe einer erfolgreichen Übersetzung am besten erfaßte, wenn man sagt, das Ziel einer Übersetzung ist eine Voraussagbarkeit des zukünftigen Verhaltens des Übersetzten. »The actual use of translation in this prediction process is only one of the intermediate steps. We translate verbal behavior into our own language and use this to determine what the person's beliefs and desires are, and then use that information to predict actions. The combination of reported desires and beliefs (even supplemented by facts inferred from nonverbal behavior) do not suffice to determine the expected behavior. Instead we must have some model of the agent that we use to assist us in making predictions. In theory one could (perhaps) elicit the total belief-and-desire structure and use mathematical decision theory to arrive at the prediction, but this is not what we do in practice. [...] The most obvious alternative is that we use ourselves in order to arrive at the prediction: we consider what we should do if we had the relevant beliefs and desires.« (S. 442f) Der Gedanke, daß wir folglich nur dann etwas bzw. jemanden so recht verstehen können, wenn die Zahl der voneinander abweichenden Meinungen und Wünsche nicht zu hoch ausfällt, bringt ihn zur hermeneutischen Maxime des »principle of humanity«: »So we have, as a pragmatic constraint on translation, the condition that the imputed pattern of relations among beliefs, desires, and the world be as similar to our own as possible.« (S. 443)
Als weitere Wegbereiter nennt Gordon Collingwood (1946), Schütz (1962, 1967), von Wright (1971) und Morton (1980).
Gordon führt auch Mitstreiter seiner Idee an, deren geistige Verwandtschaft ich nicht erwartet hätte: Quine (1960: S. 92): »We project ourselves into what, from his remarks and other indications, we imagine the speaker's state of mind to have been, and then we say what, in our language, is natural and relevant for us in the state thus feigned.« Und Stich (1983): »Stephen Stich develops the idea further, using a device introduced by Davidson: In saying, for example, Smith believes that Dewey won, one utters the content sentence Dewey won, pretending to be asserting it oneself, as if performing a little skit.« (Gordon 1987: S. 144)
54Die Begriffe sind jedenfalls solange als Metaphern zu verstehen, als das Erkenntnisziel in einer Analyse der Fähigkeit und der Verfahren besteht, die in die soziale Kognition eingehen. Wenn es um die Frage geht, wie diese Kognitionsleistungen neurologisch realisiert sind oder sein könnten, und die Arbeitshypothese lautet, daß neuronale Strukturen eben solche von Gordon beschriebenen Operationen umsetzen, sind die Begriffe nicht mehr metaphorisch. Die erste Frage - was es heißt, Andere zu verstehen, und welche (Teil-) Fähigkeiten wir dabei einsetzen - läßt sich jedoch auch unabhängig von der zweiten, stärker an empirischen Wissenschaften orientierten Frage behandeln.
Für Leser, die noch nicht durch Fodors Forschungsansatz verschreckt wurden, ist diese Terminologie vermutlich ein geringeres Übel. Diejenigen, die dieser Denkweise gegenüber weniger offen eingestellt sind, können die Begriffe, denke ich, ohne Schwierigkeit in weniger technisch anmutende Begriffe übersetzen.
55»Data Operating System« (DOS) konnte es Gordon nicht mehr nennen, weil ein namhafter Softwarehersteller seine Markenrechte geltend machen würde. Es gibt jedoch einen prinzipielleren Unterschied zwischen dem »Practical Reasoning System« und anderen Input-Output-vermittelnden Systemen. Wenn ein System als black box modelliert wird, ist man auf der Suche nach Algorithmen, die die Input-Output-Relationen abbilden. Erst dann kann man mit dem Modell etwas anfangen. Anders das Practical Reasoning System: Um es anzuwenden, brauchen wir seine Arbeitsweise gar nicht zu kennen. Es sind wir selbst - und keine black box - die als Modell fungieren.
56Gordon nennt diese Inputs »pretend inputs«. Er deutet damit den Zusammenhang mit den erwähnten Spielen an, die im Englischen »pretend play« genannt werden. Er reiht sich damit in eine größere Zahl von Entwicklungspsychologen ein, die aus ähnlichen Gründen diesen (und anderen) Spielformen eine hohe Bedeutung beimessen. Unter ihnen sind neben Leslie (sie Anm. weiter oben) z.B. Jerome Bruner (1983) und - wesentlich früher - vor allem George Herbert Mead (1934) zu nennen. Auf die Verwandtschaft von Gordons und Meads Ideen weist auch George Vielmetter (1998: S. 288, Anm.) hin. Sie erstreckt sich auf eine Reihe weiterer Züge. Vor allem das Prinzip, die Herausbildung von selbstreflexivem Bewußtsein und Personenkonzeption im Rahmen fremdpsychischen Verstehens als einheitlichen Prozeß aufzufassen. Die Idee der hypothetischen Handlung findet sich unter der Bezeichnung der »Impulshemmung« auch in anthropologischen Theorien, beispielsweise bei Arnold Gehlen.
57Ich muß einschränken: In einigen Fällen genügt die identifikatorische egozentrische Totalprojektion zum Verstehen einer Reaktion eines Anderen in einer bestimmten Situation. Dann nämlich, wenn man selbst in der gleichen Situation ist. Zum Beispiel wenn man wie der Andere plötzlich einem Elefanten gegenüber steht, wobei man selbst diesen Umstand im Gegensatz zum Anderen zunächst nicht bemerkte. Ich verstehe die erstaunte oder entsetzte Reaktion des Anderen, sobald ich den Elefanten bemerke.
58Man kann sich fragen, inwieweit nicht auch für Erwachsene weiterhin in weiten Teilen egozentrische Wahrnehmungsperspektiven einflußreich sind. Besonders im Fall von Konflikten, denn hier folgt aus der nachempfundenen emotionalen Perspektive des Anderen ein innerer Konflikt mit dem eigenen Interesse. Daher ist es wahrscheinlich, daß die empathische Fremdwahrnehmung blockiert oder abgeschwächt wird. In vielen Fällen ist jedoch die Konfliktregelung von Erwachsenen (oder Mündigen) über soziale Regeln und insbesondere Rechte vermittelt. Die Anerkennung von Rechten Anderer (auf Unversehrtheit, auf Zuverlässigkeit, auf Eigentum ...) ergibt sich nicht von alleine aus der Simulation Anderer, weil die Einnahme der Rolle des Anderen durch die eigenen Interessen überlagert wird.
59Ich räume ein, daß die Darstellung etwas vage bleibt. Auch Gordon selbst bleibt in dieser Frage undeutlich. Eine philosophische Konzeption von Selbstbewußtsein nimmt sich die vorliegende Arbeit allerdings auch nicht vor. Für eine detaillierter ausgearbeitete Konzeption, die in die angedeutete Richtung zielt, verweise ich nochmals auf Mead (1934).
60Ich müßte hier eher von Sympathie (Mitfühlen) als von Empathie (Einfühlen) sprechen. Der Unterschied ist, daß ich mitfühlen kann, d.h. das gleiche fühlen wie Andere, ohne es in der Rolle des Anderen zu fühlen.
61Die Befunde der emotionalen Ansteckung und Gesichtsmimikry bezieht Gordon aus Meltzoff & Gopnik (1993).
62Gordon hebt hervor, daß sie bereits vor ihrer Konzeptualisierung als Inputs verwandt werden können. Damit Gefühle die eigene (virtuelle) Entscheidung oder Reaktion beeinflussen können, müssen sie nicht begrifflich strukturiert sein. »The broader significance of this point is that, given a hot methodology, our competence in predicting the actions of others may not depend as much as has traditionally been thought on a capacity to recognise and categorise their mental states. At least this is so in the case of emotions conveyed through facial expression (and probably also for emotions conveyed through vocalisations or bodily posture and motion).« (Gordon 1996: S. 14)
63Die Begriffe sollen in Analogie zu »Objektsprache« und »Metasprache« verstanden werden.
64Eine mögliche Übersetzung ins Deutsche wäre: »Verfahren des semantischen Aufstiegs«.
65Diese Beobachtung ist für Philosophen zunächst überraschend, da Wissen oftmals als »wahre gerechtfertigte Meinung« analysiert wird. Folglich wäre Wissen etwas komplexeres als »bloße« Meinungen. Im obigen Beispiel geht es allerdings auch nicht um Wissen an sich, sondern um eine bestimmte Art der Unterstellung von Wissen.
66Gordon nennt es »knowledge by default«.
67Ich möchte hier allerdings Gordon nichts unterstellen. Vielleicht hat er nur aus Gründen der Darstellung die vereinfachende Beschreibung gewählt.
68Es sei hier zwar auf den Umstand hingewiesen, daß wir im Alltag oftmals mehr oder minder unvollständige Sätze äußern, also elliptische Äußerungen, die von den Rezipienten der betreffenden Äußerungen zu vollständigen (oder vollständigeren) Sätzen ergänzt werden können. Dieses Phänomen, das in informellen Situationen in seinem Ausmaß zunimmt, braucht hier jedoch nicht zu interessieren. Wir können diese ergänzende Verstehensleistung als Spezialfall der generellen Deutungsbedürftigkeit von Äußerungen hin auf ihre Intention, ihre Relevanz, ihre situativen Präsuppositionen usw. betrachten.
69Hier könnte man für eine eingehendere Untersuchung statt sinnverwandten Ausdrücken, die alle einen Bedeutungskern gemeinsam haben, Wortfamilien betrachten, also Ausdrücke, die paarweise untereinander eine (oder mehrere) spezifische Verwendungsweisen gemeinsam haben, nicht aber notwendigerweise alle eine gemeinsame Verwendungsweise. In eine solche Familie ließen sich (u.a.) folgende Prädikate einordnen: einschätzen, beurteilen, etwas für etwas halten, etwas soundso finden, fest von etwas überzeugt sein, an einer Auffassung festhalten, wissen, vermuten, einen Verdacht hegen, bezweifeln, jemandem trauen, sich auf etwas oder jemanden verlassen, zuversichtlich sein, jemandem volles Vertrauen schenken, eine Position vertreten, zu einer Entscheidung stehen, sich ... (z.B. in Sicherheit) wähnen, für etwas plädieren, Vorurteile gegenüber etwas oder jemandem haben, etwas erwägen / in Erwägung ziehen, (mehrere Dinge) gegeneinander abwägen ...
Die Ergebnisse einer solchen Wortfelderstellung und -analyse wären für die hier verfolgten Überlegungen von über die Linguistik hinaus reichendem Interesse. (Diese Form von empirischer Erhebung könnte zudem auf eine noch breitere Grundlage gestellt werden, wenn sie für mehrere Sprachen erfolgte.) Wir könnten uns nämlich genaueren Aufschluß darüber erwarten, welche Aspekte in Sprechhandlungen, die ansonsten eine epistemische bzw. assertorische Komponente aufweisen, offenbar eine wichtige Rolle spielen. Derartige zu beobachtenden Bündelungen mehrerer Aspekte oder Sprechhandlungsfunktionen in einzelnen Wörtern und Wendungen lassen darauf schließen, daß diese Aspekte auch psychologisch miteinander verbunden sind. Denn so ist es verständlich, daß wir in der alltäglichen Kommunikation mit ein und demselben Ausdruck mühelos von einer Funktion zur anderen springen können.
Aber auch schon vor einer detaillierten empirischen Untersuchung lassen sich (vorläufig) die im Haupttext beschriebenen Befunde stützen.
70Derartige Fälle zeigen, nebenbei bemerkt, eindringlich auf, daß eine strikte Kategorisierung von Sprechhandlungen gemäß ihrer jeweiligen illokutionären Rolle (der weithin verwandten Terminologie Austins (und Searles) folgend) in konkreten Einzelfällen alles andere als klar und eindeutig ausfällt. So könnten wir die Äußerung »Meines Erachtens sollten wir ...« als eine Behauptung analysieren, die allenfalls indirekt den Zweck einer Empfehlung oder einer Aufforderung, in gegebenen (autoritär strukturierten) Kontexten gar eines strikten Befehls verfolgt, der auf Grundlage des primären Sprechakts der Behauptung erschlossen wird. Wir könnten uns aber auch genauso gut auf den Standpunkt stellen, daß in solchen Fällen die oberflächliche Beschaffenheit der Äußerung irreführend ist und wir gar nicht (in erster Linie) etwas behaupten, insofern als die Pointe einer solchen Äußerung mitnichten in einem Geltungsanspruch bestimmter Wahrheitsbedingungen besteht, und auch nicht darin, die eigene Aufrichtigkeit zu beteuern (was sich in manchen Fällen vielleicht auch denken ließe). Vielmehr steht diese Äußerung von vornherein im Dienste der Sprechhandlung einer Handlungsanweisung (oder ähnliches), und das wird in vielen Zusammenhängen auch relativ unmißverständlich so verstanden.
71Vgl. meine Darstellung van Fraassens weiter oben.
72Zu einer Beleuchtung solcher »stillschweigend in Anspruch genommener Voraussetzungen vielfältiger Art« anhand verschiedener Beispiele siehe Austin (1972).
73Das soll freilich nicht in Abrede stellen, daß dies in Einzelfällen praktisch nicht möglich ist, weil es zum Beispiel durch Hierarchiegefüge verhindert wird, oder auch einfach, weil in einer Situation Eile geboten ist und keine Zeit zum Diskutieren verbleibt.
74Austin zufolge sind alle sprachlichen Äußerungen performativ. Die explizit performativen Äußerungen bilden eine Teilklasse.
75Auf diese Funktion weist auch von Savigny (1996: S. 202) hin: »Es liegt nahe anzunehmen, daß das Besondere [von Beschreibungen eines Eindrucks, R. H.] darin liegt, daß der Sprecher von der grundlegenden Rolle von Beschreibungen im Sprachgebrauch - andere auf Grund eigener Kenntnis zu informieren - in unterschiedlichen Richtungen abweicht; aber was er tut, gehört zum ganz normalen Sprachgebrauch! Wenn er sagt: Ich habe den Eindruck, daß ..., kann er damit zum Beispiel alle Verantwortung für die Wahrheit seiner Äußerung von sich weisen, oder er kann auf seinem Recht bestehen, etwas zu betonen, das ihm nahegeht, statt daß er dem Hörer das Recht einräumte, sich auf die Beschreibung zu verlassen.«
76Stärker fällt diese Zentrierung im adversativen Gebrauch aus.
77Genauer: Der Sprecher nimmt vom Adressaten an, er verstehe (oder wisse im voraus), auf welche abwesende Person oder Personengruppe der Sprecher indirekt Bezug nimmt.
78Mit einem Fremdwort auch als Assertion oder assertorische Sprechhandlung bezeichnet.
79Wie bei anderen Sprechaktkategorien läßt sich auch diese Unterscheidung nicht überall klar treffen. Viele Behauptungen weisen einen wertenden Aspekt auf, und viele Bewertungen machen zugleich behauptende Wahrheitsansprüche geltend. Darüber hinaus sehen Behauptungen und Bewertungen rein äußerlich oftmals gleich aus. Dies stellt an und für sich jedoch kein Problem dar, da es nicht Ziel ist, trennscharfe Kategorien zu finden, sondern vielmehr, verschiedene Aspekte oder Dimensionen von Sprechhandlungen aufzuzeigen, die in verschiedener Gewichtung auch kombiniert sein können. Sobald solche unterschiedlichen Aspekte begrifflich besser gefaßt sind, kann untersucht werden, wie wir diese Funktionen sprachlich realisieren und markieren. Dabei kann man darüber hinaus überlegen, in welchen Fällen eine explizite Markierung dieser Funktionen und Aspekte notwendiger ist und in welchen Fällen weniger. Anders gesagt, wann eine Markierung tendenziell redundant ist, und wann nicht.
80Eine analoge Einschränkung muß hier für als allgemeingültig gedachte Werturteile eingeräumt werden, sowohl solche, die aus purer Überheblichkeit oder mangelnder Reflexion als unstrittig angenommen werden, als auch solche, die innerhalb einer Kulturgemeinschaft oder gar für alle Menschen als gültig und intersubjektiv geteilt anerkannt werden.
81Es gibt für die von mir als »Partikel« bezeichneten Wörter keine einheitliche Terminologie. Andere Autoren sprechen beispielsweise eher von Modaladverbien. Hinzu kommt, daß noch andere sprachliche Mittel für die betrachteten Zwecke verwandt werden, wie etwa der Konjunktiv. Auch rein lexikalische Mittel wie Ausdrücke, denen eine hohe Expressivität (z.B. Pejorativa, Schimpfwörter, beleidigende Ausdrücke) zukommt, können diese Funktionen übernehmen.
82Hinzu kommen in gegebenen Kontexten auch andere Interpretationen, etwa der, daß andere Äußerungen und Verhaltensweisen, die Schäuble an den Tag gelegt hat, diese Einschätzung vermuten lassen ...
83Von den zusätzlichen Verwicklungen, die sich für eine Sprechakttheorie ergeben, wenn sie schriftliche Äußerungen betrachtet, sehe ich hier ab. Wir geben heuristisch vor, es gäbe hier keine Unterschiede zu beachten. Die relevanten Differenzierungen betreffen nicht die hier verfolgte Diskussion.
84Damit soll nicht gesagt werden, daß wir zuerst, oder auch nur: in erster Linie, einen lokutionären Sprechakt vollziehen, und in einem zweiten Schritt, optional, einen weiteren, illokutionären Sprechakt vollziehen. Im Gegenteil, Austin - und ich schließe mich dieser Auffassung an - legt Wert darauf, diese Analyse als eine rein logische verstanden zu wissen. Primär ist demnach jede Äußerung eine Handlung, weitere Spezifikationen hinsichtlich Referenz und Prädikation können in dieser Handlung enthalten sein. In einigen Fällen können »Akte« der Prädikation (wie bei der Äußerung »Sieh mal, diese Blütenpracht!«) oder der Referenz (wie etwa bei der Aufforderung »Ruhe!«) auch abwesend sein.
85Ich untersuche Meinungsäußerungen vorwiegend als Äußerungen, in denen Verben wie »glauben« vorkommen. Ich betrachte sie als ganzheitliche Sprechhandlungen, und nicht als Ausdruck einer vorgängigen Meinung. Zu einer gegenteiligen Analyse, die die Existenz von »Meinungen« »im Kopf« von Menschen annimmt, kann meines Erachtens vor allem eine bestimmte sprachliche Oberflächenstruktur verleiten, insbesondere die substantivierten Formen »Meinung« und (engl.) »belief«. Hierbei möchte ich folgende Beobachtung in sprachvergleichender Perspektive anführen: Das Französische und das Italienische verfügen über keine Entsprechung zu »belief«. Statt dessen eignet sich als bester äquivalente Kandidat am ehesten (frz.) »opinion« bzw. (it.) »opinione«. Damit sind Meinungen als öffentlich vorgebrachte oder vorzubringende Haltungen zu einzelnen Sachfragen gemeint. Es handelt sich also um eine ähnliche Bedeutung, wie sie im Deutschen Wort der »Meinungsumfrage« vorausgesetzt wird. Diese Bedeutung entspricht im Kern meinem Konzept der Wertungen.
Außerdem wird im Französischen neben verbalen Formen wie »je pense« häufig auf die Formel »à mon avis« (wörtlich: »aus meiner Sicht«) zurückgegriffen. Dieser Ausdruck läßt die Bedeutung der Perspektiven auch an der sprachlichen Oberfläche erkennen. Im Italienischen verhält es sich mit der Formel »secondo me« (wörtlich: »mir folgend«, »nach mir«) ähnlich.
86Dieser Befund stimmt gut mit Gordons Argumentation überein.
87Den Kontext des gezeigten Einverständnisses mit Anderen bildet vor allem der wechselseitige Bekanntheits- und Vertrautheitsgrad.
88Damit soll allerdings nicht bestritten werden, daß wir viele institutionellen Zusammenhänge beherrschen, ohne deren konstitutiven Regeln explizit formulieren zu können, mithin ohne daß solche Regeln und Konventionen den Inhalt von Meinungen bilden.
89Ich meine hier Konzeptionen mentaler Zustände, die sie für individuelle Eigenschaften von Organismen halten, die kausal wirksam sind.
90Searle (1971).
91Grice (1993).
92Im einfachsten Fall, etwa weil gerade in der Umgebung störender Lärm auftrat, der die Äußerung unverständlich machte.
93Sie leitet dieses Modell nicht eigentlich her, sondern führt es recht abrupt ein. Sie verwendet hingegen großen Aufwand darauf, die Notwendigkeit eines derartigen Entwurfs zu motivieren. Diese Notwendigkeit entsteht aus den nicht lösbaren Schwierigkeiten, zu denen eine Konzeption führt, die mentale Zustände als nicht-relationale, interne Entitäten »im Kopf« auffaßt. Dies führt wiederum zu einem notwendigen Scheitern jeden Versuchs, intentionale Zustände mit nicht-intentionalen physikalischen, i.e.: neurophysiologischen, Zuständen zu identifizieren. In Ermangelung von Alternativen werden damit solche Methoden der Sozialwissenschaften und speziell (einer bestimmten Form) der Psychologie, die auf ein mentalistisches Vokabular und auf die Annahme irreduzibler sozialer Tatsachen nicht verzichten, gegenüber dem Vorwurf vermeintlicher Unwissenschaftlichkeit verteidigt.
94Ein originelles Beispiel ist in diesem Zusammenhang die Banknote: Die Entscheidung der Frage, ob etwas ein echter oder ein gefälschter Zehnmarkschein ist, kann nie allein von physikalischen Tatsachen abhängen. Denn von zwei physikalisch völlig identischen Geldscheinen muß einer auf jeden Fall falsch sein. Zwei Banknoten (einer Sorte) tragen niemals dieselbe Nummer. Auch der Einwand, es gebe ja zumindest einen Unterschied in den Ortskoordinaten der beiden Scheine, nützt nicht viel. Denn es ist kaum der Ort des Geldscheines darüber entscheidend, ob er echt ist oder nicht.
95Die Eigenheit, daß physikalisches Wissen über die Realisierung bestimmter Phänomene für Erklärungen, die eben diese betreffen, irrelevant ist, trifft allgemein für eine Vielzahl von Erklärungen zu, die nicht als intentional anzusehen sind (oder bei denen die intentionalen Aspekte und Präsuppositionen zumindest für die Erklärung unerheblich sind). Es trifft auf alle Erklärungen zu, in denen die Entitäten, die im Explanans und/oder im Explanandum vorkommen, rein funktionalistisch individuiert sind. Beispielsweise sind Herzen in diesem Sinne funktionalistisch individuiert. Denn ob etwas ein Herz ist, hängt nicht von seiner materialen Beschaffenheit (bzw. Identität) ab, sondern von dessen funktionaler Rolle in einem Organismus.
Ein Beispiel aus der Welt der Computer kann uns dies illustrieren: Nehmen wir an, wir wollten erklären, was die Ursache eines bestimmten Phänomens ist, welches unter bestimmten Umständen an meinem Heimcomputer auftritt, um daraufhin dessen Abhilfe zu schaffen. Für solche Erklärungen werde ich in der Regel mit Informationen über die installierte Anwendung (z.B. ein Textverarbeitungsprogramm) auskommen, um bestimmte "Reaktionen" oder "Verhaltensweisen" des Computers, d.h. seiner Benutzeroberfläche, zu erklären. Wenn ich etwa herausfinden will, warum der Computer immer ein Copyrightsymbol (»©«) anzeigt (bzw. »schreibt«), wo ich doch die Tastenfolge »(«, »c«, »)« eingebe, in der Absicht, »(c)« zu erhalten, so stellt mich diejenige Erklärung rundum zufrieden, die mir angibt, daß das Textverarbeitungsprogramm standardmäßig so vorprogrammiert ist, daß sie die obige Tastenfolge automatisch in ein Copyrightsymbol verwandelt, und diese Einstellungen über ein Befehlsfeld verändert werden können, welches man über den Untermenüeintrag »AutoKorrektur« findet. Dazu brauche ich nicht explizit Wissen über die (Funktionsweise der ) Hardware des PC - zumindest gegeben ein bestimmter Anspruch, der an die Erklärung herangetragen wird. Ich brauche für solcherart Erklärungen noch nicht einmal Wissen über die Struktur der Befehlsverarbeitung des Computers, Wissen der Informatik. Wenn die Funktionsweise des Programms im Fokus des Interesses steht, dann benötige ich keine »hard facts« und noch nicht einmal »software facts« im engeren Sinne. Und dies, obwohl es außer Frage steht, daß dieses Programm eine bestimmte Instantiierung benötigt. Um die geht es aber bei spezifischen Fragestellungen nicht.
96Die Möglichkeit des Vergleichs anhand von Kriterien gibt es auch im Falle der Rede beispielsweise über eine Vorstellung nicht. Das heißt, wir sind in unserer Zugangsweise zu unseren mentalen Ereignissen und Zustände in epistemischer Hinsicht gegenüber Anderen nicht immer besser gestellt. Es steht uns nur die öffentliche Seite unseres wahrnehmbaren Verhaltens sowie die Umwelt insgesamt zur Verfügung. Vgl. Wittgenstein (1984: §377): »Was ist das Kriterium der Gleichheit zweier Vorstellungen? - Was ist das Kriterium der Röte einer Vorstellung? Für mich, wenn der andre sie hat: was er sagt und tut. Für mich, wenn ich sie habe: garnichts. Und was für rot gilt, gilt auch für gleich.«
97Zum Beispiel der Physiologie. Vgl. Wittgenstein (1984: S. 550).
98»Ich kann im Dreieck jetzt das als Spitze, das als Grundlinie sehen - jetzt das als Spitze und das als Grundlinie. - Es ist klar, daß dem Schüler, der nur eben erst mit dem Begriff Spitze, Grundlinie, etc. Bekanntschaft gemacht hat, die Worte Ich sehe jetzt das als Spitze noch nichts sagen können. - Aber das meine ich nicht als Erfahrungssatz.
Nur von dem würde man sagen, er sähe jetzt so, der imstande ist, mit Geläufigkeit gewisse Anwendungen von der Figur zu machen.
Das Substrat dieses Erlebnisses ist das Beherrschen einer Technik.« (Wittgenstein 1984: S. 544)
Dictionary of Philosophy of Mind: http://www.artsci.wustl.edu/~philos/MindDict/index.html
Seite mit einigen Aufsätzen zur Diskussion von Robert Gorden, Jane Heal, Stephen Stich und anderen: http://www.umsl.edu/~philo/Mind_Seminar/New%20Pages/papers.html