DIE ZEIT


Wissen 07/2002

Hat Schwerkraft eine Zukunft?

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Die Zeit ist reif für das Ende der mühseligen Erdschwere. In geheimen US-Labors soll der Sieg über die Gravitation schon längst errungen sein

von Ulrich Schnabel

Wer steht auf dem Boden der Tatsachen? Doch nur jene langweiligen Zeitgenossen, deren Fantasie nicht nach Höherem strebt. Die wahren Helden der Menschheit haben schon immer den Kampf gegen die niederdrückende Schwerkraft aufgenommen - so wie Sisyphos, Leonardo da Vinci oder der Schneider von Ulm. Begann nicht die Geschichte des Homo sapiens, als unsere Urahnen vor rund 4,5 Millionen Jahren erstmals der Schwerkraft trotzten und sich auf zwei Beine erhoben? Nun, da wir den aufrechten Gang, das Fliegen zum Mond und das Bungeejumping erfolgreich gemeistert haben, wird es Zeit für die nächste Etappe in der Menschheitsgeschichte: die endgültige Aufhebung der Erdschwere.

Dass die Gravitation hauptsächlich Nachteile mit sich bringt, ist hinlänglich bekannt: Der ewige Drang zum Erdmittelpunkt erschwert das morgendliche Aufstehen, bremst den Straßen-, Luft- und Weltraumverkehr und verleiht uns zu allem Überfluss jene unglückselige Eigenschaft namens Gewicht, die beim Blick auf die Badezimmerwaage Depressionen erzeugt. Doch die Rettung naht: In diversen Labors wird am Sieg über die Schwerkraft gearbeitet - zum Beispiel bei der amerikanischen Raumfahrtbehörde Nasa, die in diesen Tagen eine 600 000 Dollar teure Antigravitationsmaschine zu testen beginnt. Da ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Forscher gänzlich abheben.

Die nahende Zeitenwende spüren, wie so oft, vor allem jene, die einen Zugang zur feinstofflichen Welt haben. "Ein Tabu ist zu Ende", verkündet die Zeitschrift Anthroposophie heute, "die Schwerkraft ist nicht mehr, was sie war." Denn das Weltbild unserer Zivilisation "hat sich im September 2001 für immer verändert" - allerdings nicht etwa wegen der Terroranschläge in New York, sondern durch das Erscheinen des Buches The Hunt For Zero Point (Random House). In seiner "Jagd nach dem Nullpunkt" beschreibt Nick Cook die Entdeckung "des größten Geheimnisses seit Erfindung der Atombombe". Der Autor, immerhin Luftfahrtspezialist bei der führenden Militärzeitschrift Jane's Defence Weekly, enthüllt, dass amerikanische Forscher nicht nur an revolutionären Antigravitationstechniken arbeiten, sondern das Geheimnis der Schwerkraft sogar schon entschlüsselt haben. Nur werde die sensationelle Entdeckung, die sowohl das Verkehrswesen wie die Waffentechnik grundlegend verändert, seit Jahren streng geheim gehalten.

Auch Cook erfährt erst durch mysteriöse Umstände davon. Eines Tages stolpert er über ein Zitat des Rüstungsexperten George S. Trimble, Vizepräsident des "G-Projekts" bei Martin Aircrafts. Trimble behauptete schon 1956, die Zähmung der Schwerkraft könne "etwa in derselben Zeit erreicht werden, die zum Bau der Atombombe nötig war". Worauf spielte er damit an?

Cook stürzt sich in die Recherche, die sich zum Spionagethriller auswächst. Da wären zum Beispiel jene Naziwissenschaftler, die im Dienste der SS die Möglichkeit von Antigravitationswaffen und Zeitreisen erforschten. Was wurde aus dem Leiter dieser Rüstungsprojekte, SS-Obergruppenführer Hans Kammler? Für Cook legen viele Indizien nahe, dass Kammler mit seinen Erkenntnissen in die USA flüchtete und sie den dortigen Militärs zur Verfügung stellte. Durchaus vorstellbar, dass Ende der fünfziger Jahre irgendwo in der Weite der amerikanischen Prärie ein geheimes Forschungslabor eingerichtet wurde, das - ähnlich wie das Manhattan-Projekt den Bau der Atombombe - die Beherrschung der Schwerkraft anstrebte.

Hatte diese Anstrengung Erfolg? Ist die Antischwerkrafttechnik vielleicht schon im Einsatz? Bei seinen Recherchen in den Labors der Rüstungsindustrie, auf den Fluren des Pentagon und in den Tunneln ehemaliger Naziforschungsstätten erhärtet sich für Cook dieser Verdacht. Handfeste Beweise kann er zwar nicht liefern, dafür entdeckt der Journalist bei seinen Recherchen etwas anderes: das Gefühl eines großen Geheimnisses, "das ein schwarzes Herz hat". Cook kann regelrecht "die Furcht spüren, die es umklammert".

Und doch ist die Abschirmung nicht lückenlos. Auch dem aufmerksamen Beobachter der wissenschaftlichen Literatur konnte in den vergangenen Jahren nicht entgehen, dass unser Schulbuchwissen vor einer Revolution steht.

So beobachten die Astronomen seit einigen Jahren, dass sich das All wesentlich schneller ausdehnt als bislang angenommen - ein Befund, den viele mit dem Wirken einer Art kosmischer Antigravitation erklären, die die Galaxien auseinandertreibt. Zwar betonen die Astronomen immer wieder, dass diese Kraft keinerlei Einfluss auf irdische Massen habe und erst auf große kosmologische Distanzen wirksam werde. Doch wer weiß?

Zu wilden Spekulationen regt auch die so genannte Nullpunktsenergie des Vakuums an. Der Quantentheorie zufolge ist das Nichts nämlich mitnichten leer, sondern voller Potenzialität. Fragt sich nur, wie groß diese zero point energy (ZPE) ist. "Manche sagen, dass in einem Schuhkarton genügend Energie steckt, um die ganze Welt explodieren zu lassen", heißt es in Cooks Buch, "andere meinen, mit der ganzen ZPE der Welt könne man nicht einmal ein Ei kochen."

Weiß Jewgenij Podkletnov darüber Genaueres? 1992 berichtete der russische Emigrant, dass er an der Technischen Universität Tampere in Finnland erstmals eine Methode zur Abschirmung der Schwerkraft entdeckt habe: Dazu ließ Podkletnov eine Scheibe aus einem speziellen supraleitenden Material über einem starken Magnetfeld rotieren. Bei über 5000 Umdrehungen pro Sekunde, so ergaben Messungen mit einer superfeinen Waage, verloren über der Scheibe aufgehängte Proben bis zu einem Prozent ihres Gewichts!

Obwohl die Fachwelt bis heute an diesen Ergebnissen zweifelt, wartete die amerikanische Physikerin Ning Li bald mit einer theoretischen Erklärung auf: Der rotierende Supraleiter rufe einen "gravito-magnetischen" Effekt hervor, ein Phänomen, das schon Einstein vorausgesagt hatte. Ähnlich wie eine bewegte elektrische Ladung ein Magnetfeld erzeugt, müsste nach der Relativitätstheorie auch rotierende Materie das Gravitationsfeld beeinflussen. Zwar sollte der Effekt nach Einsteins Theorie so klein sein, dass er allenfalls im Weltall nachweisbar wäre. Nichtsdestotrotz konnte Ning Li die Nasa davon überzeugen, Podkletnovs bahnbrechende Experimente zu wiederholen.

Dass diese Versuche jahrelang fehlschlugen und Ning Li sich inzwischen zu dem ganzen Thema nicht mehr äußern will, ist vermutlich nur mit der Macht jenes "schwarzen Herzens" erklärbar, das Nick Cook bei seinen Recherchen erahnte. Auch Jewgenij Podkletnov bekam dessen Kraft zu spüren. Der Antischwerkraftpionier verlor seinen Job an der Technischen Universität Tampere und muss seine Forschung auf eigene Faust verfolgen. Einem Reporter des New Scientist enthüllte er unlängst, dass er mittlerweile einen "Impulsgravitationsgenerator" entwickelt habe, der auf eine Entfernung von einem Kilometer ein aufrecht stehendes Buch umwerfen könne. Leider sei eine Besichtigung der Anlage nicht möglich, da diese in einer Sicherheitszone der Moskauer Universität stehe. Außerdem sei er "aus patentrechtlichen Gründen" zum Schweigen verpflichtet.

Doch der Fortschritt ist nicht aufzuhalten. Das wissen auch die Nasa-Forscher, die in der Abteilung "Durchbruch in der Antriebstechnik" arbeiten. Inzwischen haben sie erkannt, dass Podkletnovs Experiment offenbar nur dann funktioniert, wenn die rotierende supraleitende Scheibe eine ganz bestimmte chemische Zusammensetzung aufweist - und diese Mischung hat der russische Physiker bislang sorgfältig geheim gehalten. Doch für einen großzügigen Scheck hat er sein Spezialrezept inzwischen einer amerikanischen Firma verraten, die für 600 000 Dollar eine exakte Kopie seines Antigravitationsapparates für die Nasa anfertigen ließ. In diesen Tagen sollen im Marshall Space Flight Center in Huntsville, Alabama, die Versuche damit beginnen, und es ist wohl nur noch eine Frage weniger Monate, bis die offizielle Bestätigung für Podkletnovs bahnbrechende Entdeckung vorliegt.

Nur die scientific community sträubt sich noch gegen den bevorstehenden Paradigmenwechsel. Der Physiker und Buchautor Hans Christian von Baeyer, der in den USA lehrt, hält die Antigravitation für so wahrscheinlich wie "die Möglichkeit, dass Ihr Büro heute explodiert". Selbst Lawrence M. Krauss, der die Physik von Star Trek analysierte und als Science-Fiction-Experte gilt, hält die Antischwerkraftexperimente der Nasa für nichts als "Unsinn". Als Vorsitzender eines entsprechenden Nasa-Beratergremiums werde er jedenfalls sein Möglichstes tun, "dieses dumme Projekt zu beenden".

Steht hinter solchen Aussagen nur die Arroganz des physikalischen Establishments? Oder sind sie lediglich Ablenkungsmanöver, um die Wahrheit jenes "dunklen Geheimnisses", das Nick Cook aufgespürt hat, zu verschleiern? Alles spricht dafür, dass in God's own country die Schwerkraft längst besiegt ist. Und wer die Fernsehauftritte von George W. Bush aufmerksam verfolgt, wird feststellen können, dass der amerikanische Präsident ganz leicht über dem Boden schwebt.