Marcin Wawrzyn

 

Zur Landwirtschaft in Polen – Bedrohung derbäuerlichen Landwirtschaft durch die Agrarstrukturen der EU sowie die derzeitige Politik

 

1. Kurzer historischer Abriss

2. Charakterisierung der polnischen Landwirtschaft

3. Ökologische Landwirtschaft in Polen

4. Die Verhandlungen zwischen Polen und der EU: neue Gesetze, Konsequenzen

5. Charakterisierung der EU-Landwirtschaft: Gemeinsame Agrarpolitik

6. Alternativen für die polnische Landwirtschaft - Beispiele für Europa

 

1. Kurzer historischer Abriss

 

Mein Land war immer ein landwirtschaftliches Land. In der Zeit der Renaissance entstand durch die Vereinigung von Fürstentümern, die heute zu Polen, Litauen, Weissrussland und der Ukraine gehören, ein Staat, den seine Einwohner den "Kornspeicher Europas" nannten. Über den Danziger Hafen exportierten wir hauptsächlich Getreide, Holz, Honig und Fell /Leder. Im Gegensatz zu Westeuropa, wo das Bürgertum überwog, brachte das damalige Polen eine ländliche Kultur hervor, die durch den Landadel - die Schlachta - repräsentiert wurde. Am Ende des 18. Jahrhunderts bracht dieser Staat zusammen und seine Länderein wurde zwischen den Nachbarmächten aufgeteilt. Während dieser Besatzung entstanden in der Bevölkerung viele gesellschaftliche Initiativen. Neben sozialistischen und Befreiungsbewegungen entstandauch die Bauernbewegung, die sich seit 1795 gegen das Deutsche Reich, Österreich und Russland wehrte.

Die Ideen dieser Bauernbewegung waren bestimmt durch Agrarismus, also eine genossenschaftliche Bewegung der Nachbarschaftshilfe, der Kooperativen und „Tauschringe“, die sich auch um Naturschutz bemühte. Wichtigster Theoretiker jener Zeit ist Edward Abramowski, der heute Vater der Solidarnosc genannt wird und zu dem sich auch die polnischen Anarchisten bekennen. Um die Jahrhundertwende entsteht eine Vielzahl von Agrargenossenschaften und unabhängigen Schulen auf dem Land. Es erscheinen Zeitschriften. Bis zum zweiten Weltkrieg besteht die allgemeine Ansicht, dass die Menschen auf dem Land eine Gemeinschaft bilden sollten, die beruhen sollte auf Nachbarschaftshilfe,Tauschhandel ihrer Erzeugnisse ohne Geld und Achtung der Natur.

Nach dem Zweiten Weltkrieg begann die Zeit der Zwangskollektivierung und Verstaatlichung. Die kommunistische Partei strebte nach der Kontrolle über Grund und Boden und Produktionsbetriebe. Dies verursachte zahlreiche Proteste, die in sich in Polen etwa aller zehn Jahre verstärkten: 1946, 56, 68-71, 80-81, 89. (Wurde die Zwangskollektivierung nicht 1956 zu großen Teilen wieder aufgeben? Diese Proteste war am meisten in die Städten, auf dem Land im 46 – für Genossenschaften, 56 – für Oppositionpartei PSL und 80-81 gegen Kommunismus) Der Kampf der Gesellschaft mit der Regierung richtete sich auf die Frage, wer die Betriebe und den Boden kontrollieren solle - die städtische und ländliche Selbstverwaltung oder der Staat. Seine stärkste Blüte erlebte das ländliche Leben nach der Zeit der Solidarnosc 1980-81. Damals entstand die „Solidarität der Individualbauern“, die die Rückkehr zum Agrarismus, zur Agrarkultur, bäuerlichen Landwirtschaft und gemeinem Handeln anstrebte.

Nachdem es 1989 zu einer Verständigung der Kommunisten mit einem Teil der Opposition kam, begann in Polen die Zeit des Kapitalismus (Walesa ist dafür bis heute in Polen unbeliebt). Praktisch alle wichtigen Werften, Bergwerke und anderen Betriebe und auch die Staatlichen Landwirtschaftlichen Betriebe (etwa mit den Kolchosen oder LPG vergleichbar) wurden privatisiert, wobei die Masse der polnischen Bürger und damit die polnische Gesellschaft, die nach einem Anteil dessen strebte, was sie ehedem erarbeitet hatte, leer ausging.

Die 90er Jahre sind Jahre der gesellschaftlichen Apathie. Wenn es zu gesellschaftlichen öffentlichen Auftritten und Protesten kommt, dann geht es um Geld, das alle von der Regierung wollen. Niemand kämpft um Selbstverwaltung in Stadt und Land oder wenigstens um die Befreiung der Bauern von Steuern, so dass sie wirtschaftlich unabhängig sein und ohne den Staat leben könnten. Auch die Bauernparteien streben nur nach Subventionen statt nachSelbstverwaltung.

2. Charakterisierung der polnischen Landwirtschaft

 

In der jetzigen Situation zeichnet sich die polnische Landwirtschaft aus durch:

- eine hohe Beschäftigungsrate auf dem Land (ca. 20%),

- eine große Anzahl (ca. 2,1 Mio.) kleiner Familienbetriebe (mit einer durchschnittlichen Fläche von 8,5 ha), diese kleinen Betriebe stellen etwa 80% der 2,1 Mio. Betriebe dar,

- eines der niedrigsten Nutzungsniveaus von Agrarchemie in Europa (infolge der Wirtschaftskrise), 

- eine große Artenvielfalt von Pflanzen und Tieren (sowohl angebaut/ gezüchtet als auch wildlebend in der ländlichen Umgebung),

- kurze Distanzen zwischen Produzent und Konsument.

Das bedeutet: die Landwirtschaft ist Haupteinkommensquelle etwa der Hälfte der polnischen Bevölkerung. Sie hat lokalen Charakter, was den Transports von Nahrungsmitteln über weite Distanzen überflüssig macht (geringerer Verbrauch von Kraftstoff und Konservierungsstoffen). Man muss hinzufügen, dass der Großteil der Menschen, die in Städten leben, dort seit 2 bis drei Generationen lebt und ein großer Teil ihrer Familie auf dem Land lebt. Viele Leute haben also Zugang zu Grundnahrungsmitteln zu niedrigen Preisen oder sogar kostenlos; außerdem liefert der Wald Pilze, Kräuter und Waldfrüchte.

Ein anderes Problem, das die polnische Regierung nicht wahrnimmt, ist die Klimaveränderung. Polen ist eines der wasserärmsten Länder Europas. Durch die Trockenheit, die Polen im vergangenen Jahrzehnt heimgesucht hat, muß man von einer regelrechten Wasserkrise in Polen sprechen.

3. Ökologische Landwirtschaft in Polen

 

In dieser Lage hat Polen große Möglichkeiten im Bereich der ökologischen Herstellung von Lebensmitteln. Fragen wir uns aber zuerst einmal, was es bedeutet, was die Kriterien sind, daß man eine Landwirtschaft als ökologisch bezeichnen kann. Die internationalen Prinzipien für ökologischen Landbau kann man folgendermaßen zusammenfassen: Tier- und Pflanzenproduktion finden auf nichtverseuchten Flächen statt, ohne Agrar- und Veterinärchemie. Nur die obligatorischen Impfungen sind zugelassen, die Lebensmittel sind frei von GMO (Genetically Modified Organism also durch Gentechnik veränderten Pflanzen) und die Produktqualität wird durch eine produzentenunabhängige Stelle kontrolliert. 

Die ersten Organisationen von Ökobauern entstanden am Ende der 80er Jahre. Sie sind jedoch schwach und haben nur geringen Einfluss auf die Staatspolitik. Momentan gibt es in Polen ca. 180 Biobetriebe. 

Die Situation verbessert sich jedoch: seit einigen Jahren subventioniert das Landwirtschaftsministerium die Gründungund Führung ökologischer Betriebe. Vor kurzem wurde auch ein Gesetz zum ökologischen Landbau verabschiedet, es ist jedoch kläglich, zum Beispiel reguliert es nicht den Handel mit nichtpasteurisierter Milch. Außerdem gibt es in Polen bisher kaum Kontrollen, die das „wilde“ Aussähen genetisch veränderter Organismen verhindern, was bekanntermaßen viele negative Folgen haben kann.

4. Die Verhandlungen zwischen Polen und der EU: neue Gesetze, Konsequenzen

Bei den Verhandlungen mit der EU wäre es die vernünftigste Lösung, auf die Entwicklung der ökologischen Landwirtschaft zu setzen. Dies würde auch den Reformen entsprechen, die derzeit in den EU-Ländern vor sich gehen. (Deutschland will beispielsweise den Flächenanteilder Bio-Betriebe von 4% auf 20% vergrößern.) Leider jedoch besteht die EU darauf, daß Polen seine Landwirtschaft auf hochspezialisierte Großbetriebe umstellt. Mit dem Eintritt Polens in die EU müssen schätzungsweise 1,3 Millionen Betriebe geschlossen werden. Wenn die kleinen BetriebeAussichten auf ein einigermaßen ausreichendes Einkommen haben sollen, dann nur bei einer Fläche von einigen 10 Hektar - während diejetzige Durchschnittsfläche jedoch noch bei 8,5 ha liegt. Die polnische Regierung und die EU-Kommission streiten sich lediglich darüber, wieviel Geld zu diesem Ziel zur Verfügung gestellt wird. Momentan liegt im Sejm ein Gesetzesentwurfzur Reorganisation der Agrarstruktur vor. In dem Entwurf werden zwei neue Begriffe eingeführt: die minimale und die maximale Betriebsfläche. Abhängig von der Wojewodschaft werden diese Größen 10-100, 15-200 und 20-300 ha betragen. Kleine Betriebe verlieren damit die Existenzberechtigung. Die Höfe unter 10-15 ha sollen – nunmehr zu reinen Subsistenzbetriebe definiert - nicht mehr gefördert werden. 

Wenn die "europäische" Option sich durchsetzt, müssen wir:

- chemische und schlecht schmeckende Produkte essen (die billiger sein werden, weil sie subventioniert sind),

- ca. 1,5 Mio. Kleinbetriebe auflösen und dafür ca. 500 000 "Eurokolchosen" schaffen

- uns mit einigen Millionen weiteren Arbeitslosen auf dem Land beschäftigen (derzeit beträgt die Arbeitslosigkeit in Polen ca. 18%)

- uns von der Imkerei, dem Heilpflanzenanbau und dem Kartoffelanbau verabschieden (die Europäische Union hat angekündigt, daß diese nicht subventioniert werden; Polen ist einer der größten Produzenten von Honig, Kräutern und Kartoffeln in Europa),

- uns mit dem Aussterben weiterer Tier- und Pflanzenarten abfinden, da die Artenvielfalt der Monokultur weichen wird.

5. Charakterisierung der EU-Landwirtschaft: Gemeinsame Agrarpolitik

Um diesen Prozess zu verstehen, müssen wir die Landwirtschaft der EU näher betrachten.

Die Funktionsprinzipien der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik kann man folgendermaßen zusammenfassen:

- bevorzugt werden große Landwirtschaftsbetriebe,

- es existiert eine weitgehende Spezialisierung der Produktion,

- die Agrarproduktion ist subventioniert.

Zu den Folgen der Gemeinsamen Agrarpolitik muß man folgendes rechnen: 

- das Verschwinden von jährlich 500 000 Landwirtschaftsbetrieben in der EU, die durch immer größere, geradezu gigantische Großbetriebe absorbiert werden; 

- die derzeitig seitens der EU geförderte Spezialisierung innerhalb der landwirtschaftlichenProduktion beruht darauf, daß die Spanier für Oliven und Tomaten zuständig sind, die Holländer und Schweden für Milchprodukte und die Deutschen z.B. für Möhren, was zu zahlreichen Reibereien und Konflikten führt (bei den Italienern wachsen genau so gute Tomaten, die Franzosen wollen auch Subventionen für Milch usw.); 

- unerläßlich ist der Transport von konservierten Nahrungsmitteln über sehr große Entfernungen;

- die Lebensmittel selbst sind subventioniert (und somit billiger) und "reich" an Kunstdünger und Spritzmitteln (die für die Subventionen gekauft wurden), was sich im Geschmack und der Gesundheit der Menschen niederschlägt, ebenso auf dem Zustand des Bodens;

- die Tierproduktion basiert auf unmenschlicher industrieller Haltung, deren Folgen Dioxin in Hühnern, Maul- und Klauenseuche und BSE sind.

6. Alternativen für die polnische Landwirtschaft - Beispiele für Europa

Wenn Polen auf die ökologische Landwirtschaft setzt, könnte es durchaus dieAgrarmärkte einiger der 15 Unionsländer destabilisieren, da es zu einem wichtigen Produzenten billiger und gesunder Lebensmittel würde (in der EU sind ökologische Produkte 2-3 mal teurer; in Polen gilt das Prinzip, daß der Ladenpreis des konventionellen Produkts gleich dem Großhandelspreis des ökologischen Produktes ist; von einem großen Preisunterschied kann also keine Rede sein). 

Dies ist jedoch nicht das Ziel der polnischen Politik. Auch die EU strebt nicht in diese Richtung. Momentan wird viel über eine Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik gesprochen, dies wird allerdings Jahre dauern. Wenn die Reformen in Richtung Ökologisierung der Landwirtschaft gehen sollen, dann stellen wir uns doch die Frage: Lohnt es sich, Polen seiner guten Voraussetzungen zu berauben? In Polen produziert die Mehrheit der Bauern Lebensmittel auf defacto ökologischer Grundlage, was ihnen fehlt, ist allein die offizielle Anerkennung als „Biobauern“, das „Zerifikat“, wozu etwadauerndeBodenuntersuchungen gehören, die den Biobauern etwas Koste. Und was ihnen fehlt ist das Wissen über die Möglichkeiten, die sich ihnen bieten. 

Für viele Menschen wäre die Arbeit im ökologischen Landbau - und sollte dies vielleicht auch sein-die Rettung vor der Arbeitslosigkeit. Eine saubere Umwelt und eine große Anzahl an ökologischen Familienbetrieben gäben der Entwicklung im Bereich der Agrotouristik eine Chance, die einen weiteren Ausweg für den polnischen Bauern darstellen kann. „Urlaub auf den Bauernhof“ hilft auch in Bayern oder Österreich oder Südtirol vielen Bäuerinnen ihre kleinen Bauernhöfe weiterhin rentabel führen zu können. Ebenso lohnt es sich, zu den alten Prinzipien des Agrarismus zurückzukehren, was bedeuten würde: kleine Agrargenossenschaften zu gründen, nachbarschaftliche Kontakte auf der Grundlage gegenseitiger Hilfe und nicht Konkurrenz aufbauen, lokale Kooperativen zu bilden, die ihre nächste Umgebung ernähren können.

Es gibt ein Landwirtschaftsmodell, das man zukunftsweisend und wirtschaftlich nennen kann: es basiert auf einer großen Anzahl kleiner Familienbetriebe, die nicht spezialisiert sind, sondern auf Produktvielfalt setzen und die kleine Bereiche versorgen (die nähere Umgebung). Lebensmittel sollten ohne Chemikalien und genetisch veränderte Organismen produziert werden. Gleichzeitig müssen die Preise für ökologisch erzeugte Produkte gesenkt werden. Ökologische Nahrung muss billiger sein! 

Ob dies sich so entwickeln wird, bleibt eine offene Frage.