Forum  AG Kleinstlandwirtschaft und Gärten in Stadt und Land 

 
 
 
 

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Internationale Konferenz "Perspektiven der Kleinstlandwirtschaft und Gärten in Stadt und Land – zur sozialen und ökologischen Notwendigkeit einer "weiblichen Ökonomie"

21.-25. Juli 2000 an der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin

Ein Tagungsbericht von Elisabeth Meyer-Renschhausen und Christophe Kotanyi

Fünf Tage lang fand im sympathisch unrenovierten Jugendstil-Hörsaal der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät der Humboldt-Uni, am ruinenumsäumten Hinterhof mit alten Bäumen und einem studentischen Café im Torbogen, eine erste internationale Konferenz zu den Perspektiven von Kleinstlandwirtschaft und Gärten in Stadt und Land weltweit statt. In lebendiger Atmosphäre mit kaum nachlassendem Interesse saßen am letzten Tag, am Sonntag mittag, ebenso viele Zuhörende in den knarrenden Holzbänken des Hörsaals mit den hohen Fenstern wie zu Beginn am Freitag morgen. Die bunt gemischte Schar der Teilnehmenden genoß die sinnliche Komponente in Form vieler farbenfreudiger Dias, die fast jede zweite Vortragende zur Illustration des Beitrags mit offensichtlicher Begeisterung für das Schöne vorführte. Mit zunehmendem Eifer überlegten alle, wie es weiter gehen könne und was zu machen sei. Als Schlußstatement wurde eine knappe Presseerklärung verlesen, die ein Tagungsteilnehmer, Gärtner und Journalist, Richard Pestemer, entworfen hatte. Sie wurde durch eine Abschlußresolution ergänzt, die eine Absolventin der Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik in Köln, Christiane Beuel, verfaßt hatte.

Presserklärung Die Wiederkehr der Kleinstlandwirtschaft

Vom 21.-25. Juli trafen sich 150 KleinstlandwirtInnen, GartenfreundInnen sowie sympathisierende WissenschaftlerInnen aus ca. 15 Ländern (Bangladesh, Bolivien, Japan, Indien, Rußland, Polen, England, USA, Frankreich, Österreich und andere), um gemeinsam über die Notwendigkeit der Wiederbelebung verschiedenster Formen von Kleinlandbau in Stadt und Land zu beraten: Die weltweiten Wirtschaftskrisen und ihre Folgeerscheinungen bis hin zum Terror von Jungenbanden in neuen und alten Bundesländern in Stadt und Land erzwingen, nach neuen Formen der Krisenbewältigung zu suchen.

Trotz aller kulturellen Unterschiede zwischen Menschen etwa aus Zimbabwe oder Bangladesh, Tokio oder Moskau wird überall die Wiederbelebung der Kleinstlandwirtschaft als praktikable Alternative zum scheinbar unaufhaltsamen Prozeß der "Globalisierung" bewertet.

Globalisierung heißt Unterwerfung aller traditionellen und kulturellen Vielfalt unter die uniformen Verwertungsinteressen des großen Geldes. Der selbstbewußte Erhalt und die Ausweitung der subsistenzorientierten Kleinstlandwirtschaft in Stadt und Land als Überlebensstrategie ermöglicht hingegen den Menschen die Rückbesinnung auf ihre ureigenen Kräfte, die Power in Armen und Beinen, auf ihre Kreativität, sozialen Fähigkeiten und ästhetischen Bedürfnisse.

Das Ergebnis dieser internationalen Konferenz ist die internationale Vernetzung der weltweit autonom agierenden Community Gardeners und Urban Agriculture-Treibenden mit den KleinlandwirtInnen und Biobauern auf dem Land sowie mit sympathisierenden WissenschaftlerInnen, um den praxisorientierten Erfahrungsaustausch zu vertiefen.

Die Teilnehmenden der internationalen Kleinlandwirtschafts- und Gartenkonferenz bitten daher die Arbeitsgruppe Kleinstlandwirtschaft und Gärten, die die Tagung vorbereitet hat, als Koordinatoren des Netzwerks zusammen zu bleiben und sich nicht aufzulösen.
 
 

Abschlußerklärung der Konferenz:

Auf der internationalen Konferenz zu Kleinstlandwirtschaft in Stadt und Land wurde festgestellt, wie wichtig Gärten für alle Menschen sind, egal ob in der Uckermark oder in Bremen, in Moskau oder Tokio. Gärten tragen bei zu einem guten Leben ihrer Betreiber, sie helfen bei der Bewahrung und dem Leben von Vielfalt unter den Menschen und innerhalb der Natur. Angesichts der derzeitigen Weltwirtschaftskrise, die in der Dritten Welt wie in Osteuropa die Armen zur Rückkehr zur Subsistenzproduktion zwingt, sind Gärten und Kleinstlandwirtschaft nicht zuletzt unablässige Voraussetzung des Menschenrechts auf Nahrungssicherheit.

Wir fordern daher Kommunen und Landesregierungen weltweit auf, die Existenz von Kleinstlandwirtschaft und Gärten (weiter) zu ermöglichen.

BERICHTE AUS DER PRAXIS

Besonders beeindruckend war vielleicht der letzte Teil der Tagung, als aus der Praxis berichtet wurde und Beispiele besichtigt wurden. Am Sonntag vormittag erläuterte der Biobauer CHRISTIAN HISS aus Eichstetten am Kaiserstuhl, wie er mit den anderen Bauern des Dorfes eine funktionierende Direktvermarktung nach Freiburg einrichten konnte. Er führt seinen Hof nach dem modernen "Betrieb im Betrieb"-Prinzip, alle erfüllen eigenveranwortlich ihre Aufgaben, wie z.B. der Weiterverarbeiter, der Schulkantinen in der Umgebung bekocht. Als Christian Hiß vor etwa 15 Jahren zusammen mit seiner Frau beschloß, die Landwirtschaft wieder aufzunehmen, und aus der Stadt zurückkam, da hieß es eigentlich allgemein, mit so einem kleinen Betrieb, da habt ihr keine Perspektive. Aber wenn man "keine Perspektive" hat, dann ist alles offen, meint Christian lakonisch in den großen Hörsaal. Sie experimentierten in ihren Gewächshäusern und wurden durch den guten Kontakt zu den Kundinnen auf dem Freiburger Wochenmarkt angefeuert weiterzumachen. Heute haben sie es geschafft, die anderen Bauern im Dorf zu bewegen, dabei zu bleiben, den Hof nicht aufzugeben, obwohl ihnen alle einredeten "es lohnt nicht mehr". Gemeinsam mit den Nicht-Biobauern im Dorf gelang es ihnen, eine Saatgutinitiative zu starten, die sich verpflichtet, im eigenen Dorf kein genmanipuliertes Saatgut zu verwenden.

Anders der Teilzeitbauer WOLFGANG EISENBERG aus dem Wendland, der im Erstberuf Krankenpfleger ist. Er nahm vor 25-30 Jahren die Landwirtschaft hinzu, um Eigenversorgung zu betreiben, statt sich dem Geld-Leistungssystem ganz auszuliefern. Heute betreibt er die landwirtschaftliche Urproduktion mehr oder minder allein und betreut zudem als Hausmann auch seine Kinder. Lange Zeit hat es ihn geärgert, daß für viele seiner damaligen Kollegen die Selbstversorger-Landwirtschaft nur eine Episode war, nach der sie später um so besser etwa bei den Grünen Karriere machen konnten. Heute möchte er mehr betonen, daß diese Episode die Menschen im Wendland nicht "unbeeindruckt" gelassen hat. Wie andere in der Stadt haben die Aussteiger ihre eigenen informellen Treffpunkte samt Kneipe im "Landkreis" (= Lüchow-Dannenberg). Das Selbstbewußtsein der Einheimischen hat dank Neuzugezogenen und Land-begeistertem Tourismus eine positive Wendung genommen. In Kampf gegen die Atommüll-Einlagerung im dazu ungeeigneten Salzstock bei Gorleben im Wendland arbeiten "Alternative" und "Konventionelle" heute gut zusammen. Die riesigen Trekker-Demos 1979 in Hannover (100.000 Leute trotz strömendem Regen) und die Trekker-Demo in diesem Frühjahr 2000 am Brandenburger Tor, die Wolfgang Eisenberg maßgeblich mitorganisiert hat, wäre ohne das Mitmachen der "normalen" Bauern aus dem Wendland nicht möglich gewesen.

Begeisterung löste die junge Absolventin der Universität für Bodenkultur Wien, ANDREA HEISTINGER, mit ihrem Vortrag über Saatgutzucht von Bäuerinnen in Südtirol aus. Durch Zusammenhänge in der Frauenforschung war Andrea an die stellvertretende Vorsitzende des Tiroler Bäuerinnen-Verbands, Martina Lintner geraten. Martina Lintner hatte gerade mit großer Entschiedenheit geschafft, zusammen mit alternativen "Alpenweibern" ein "Bäuerinnenhandbuch" zustande zu bringen. Sie schickte Andrea Heistinger im Schneballsystem von einer "züchtelnden" Bäuerin zur nächsten. Andrea, die sich darauf nur einlassen mußte, stieß so auf eine ganze Gruppe sehr selbstbewußter Landwirtinnen, die gezielt ihr eigenes Saatgut bewahren, weiterzüchten und untereinander austauschen. Da das "Züchteln" – wie sie es in Südtirol nennen – selbstverständlich zusätzliche Arbeit bedeutet, sind es oft die Unverheirateten, oft die Schwestern der Bäuerinnen oder des Bauern, die sich dessen annehmen.

Anschließend berichtete PETER GERBER aus Südfrankreich (Mas de Granier, St. Martin de Crau) von der europäischen Kooperative "Longo Mai", die über Europa verteilt auf mittlerweile zehn Standorten arbeitet. Als die Kooperative 1973 gegründet wurde, war sie bereits eine internationale Initiative von Frauen und Männern aus Österreich, der Schweiz, der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich. Nach anfänglich starken Anfeindungen in Liman (bei Forcalquier) in der Haute de Provence kam der Kontakt zur Bevölkerung durch einen unorthodoxen Einsatz für den Erhalt der Dorfschule durch Besetzung zustande. Der Bürgermeister gestattete der Koorperative, die Kinder selbst zu unterrichten, und über die wieder zum Leben erweckte lokale Schule bzw. über die Dorfkinder, die sich mit den Koorperativenkindern befreundeten, wurde der Kontakt zur ortsansässigen Bevölkerung immer besser. (Die bescheidene und offene Lebensweise auf dem Land führte dazu, daß in der Kooperative, in der die Frauen eine relativ dominante Stellung innehaben, viele Frauen Kinder bekamen und alleinstehende Mütter mit ihren Kindern dazu kamen.) Peter Gerber berichtete ausführlich von den landwirtschaftlichen Produkten, eigener Weiterverarbeitung sowie der Vermarktung der Produkte und beeindruckte die Hochschullehrer der Agrarfakultät durch die professionelle Art, mit der die europäische Kooperative "Longo Mai" Produktion und Verkauf betreibt. Tatsächlich war diese "Dreibeinwirtschaft" als eine auf die Region bezogene "Mikroökonomie" wohlüberlegt, sie richtete sich gegen die Vermassung, industrielle Landwirtschaft und entfremdete Arbeitsbedingungen. Heute könnte sie als ein auch für Entwicklungsländer mögliches Modell Vorbildcharakter erhalten. Tatsächlich wurde innerhalb der europäischen Kooperative Longo Mai der Anspruch, politisch aktiv zu bleiben, nie aufgegeben. Gleich nach der Wende nahm die Kooperative Kontakt mit Menschen in den ehemaligen Ostblockländern auf und richtete in der Nähe von Moskau schon 1993 eine internationale Konferenz aus. Obwohl die Gruppe den Biolandbau anfangs als naiv und unpolitisch empfand, ist sie mit europäischen Initiativen vernetzt, die sich vor allem gegen Saatgutmonopole großer internationaler Multis in Theorie und Praxis wehren.

Zum Abschluß zeigte - als eine Art "Nachtisch" für eine extrem intensive und vielfältige Konferenz - SIGRID FRONIUS eine Reihe wunderschöner Natur-Dias aus ihrem Zwei-Hektar-Garten in der subtropischen Regenwaldregion Boliviens. Ihr Projekt, vor 18 Jahren als eine sich selbstversorgende Frauenlandkommune geträumt, erwuchs sich zu einem alternativen low-budget Hotelchen – wo die Besucherinnen und Besucher Stille und die Schönheit der Natur statt Lärm, Gestank und Hektik genießen können.
 
 

EXKURSIONEN

Angesichts dieser so sehr verschiedenen und allesamt derartig interessanten Vorträge aus der Praxis war im Verlauf des Sonntagvormittags der Hörsaal immer voller und die Diskussion immer lebhafter geworden, und so bekamen die Organisatoren die Konferenz-TeilnehmerInnen nur mit Mühe aus dem Hörsaal, um sie zu den Ausgangspunkten der vier Sonntags-Nachmittags-Exkursionen zu geleiten. Am Sonntag nachmittag ging es nämlich in verschiedene grüne Projekte u.ä. innerhalb Berlins. Die Teilnehmer berichteten von allen diesen Sonntags-Nachmittags-Ausflügen der anderen Art ganz begeistert.

Eine Gruppe machte sich auf nach Berlin-Charlottenburg, wo sie von Martin Wedder durch den Gemeinschaftsgarten im Danckelmannkiez geführt wurde. Eine Bildhauerin aus Innsbruck war fasziniert, wie die Bewohner der Danckelmannstraße, u.a. Martin Wedder und der habilitierende Hausmann Claas, es geschafft haben, eine Brache zu einer Art riesigem Hinterhofpark, einem kinderfreundlich phantasievoll angelegten Gelände mit Wiesen und Bäumen, Ziegen und Enten, Grillstelle und Spielplätzen zu gestalten und über fast 20 Jahre hinweg gegenüber allen Verwüstungen resp. Anfeindungen von Drogenjugendlichen und Behörden zu erhalten.

Am äußersten Ostrand der riesigen Stadt Berlin gab es eine mehrstündige Führung durch die historische Kleingartenanlage Kausldorfer Busch e.V. von 1939, geleitet von der Dozentin Dr. Hardine Knuth, die - wie ihr Vorname dem Kundigen verrät – im Bereich Gartenbau der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät forscht und lehrt. Kundig und in Begleitung des alten und derzeitigen Vereinsvorstands wurden wir durch ein regennasses Paradies voller Malven, Dahlien, blühender Wegränder und schöner großer, wenn auch illegaler Nußbäume geführt und bekamen erklärt, bei welche Sünden Einzelner der Vereinsvorstand im Sinne der Satzung einzuschreiten habe. Der Vereinsvorsitzende ist zuständig für alles, er leitet die Koloniegärtner auch an, wie etwa ein Obstbaum richtig zu schneiden ist, damit er auch trägt, und er streitet sich mit dem Pächter der Laubenpieper-Destille um die Öffnungszeiten des Etablissements. Eine Grillparty mit liebevoll vorbereiteten Salaten, Fleisch, Folienkartoffeln und Paprikaspießen im Garten des promovierten Ehepaars, zu der sich weitere Kleingärtner dazu gesellten, schloß den Rundgang freundlich ab.

Eine Tour der ganz anderen Art führte Matthias Bauer, Landschaftsplaner und Mitaktivist in der Bürgerinitiative "IG (=Interessengemeinschaft) Gleisdreieck", durch das Gleisdreiecksgelände hinter dem Potsdamer Platz. Das Areal des ehemaligen Anhalter-Bahnhofs nebst des Postbahnhofs umfaßt 67 ha und war bis zur Wende europaweit berühmt für wildes Ruderalgrün mit seltenen Pflanzen, die durch die Eisenbahnwaggons hierher gebracht worden waren. Seit der Wende versucht die Bahn, das Gelände als Bauland an die Meistbietenden zu verkaufen, und ohne die jahrelangen und unermüdlichen Proteste und Aktionen der Anwohnerinnen des Geländes, darunter viele Frauen und Männer mit kleinen Kindern, die sich und ihrem Nachwuchs auch inmitten der Großstadt Licht, Luft und Grün zu erhalten suchen, wäre heute nicht, wenn bislang auch nur auf dem Papier, eine große Fläche als künftiger Park verbucht. Aber solche Zusagen müssen ständig weiter eingeklagt und verteidigt werden, da andernfalls entnervte Bürgermeister und Senatoren gegenüber rücksichtslosen Bodenspekulanten, wie in diesem Falle der Bahn, sicher mürbe werden.

Ein viertes Anschauungsobjekt war die ökologisch ausgerichtete Gartenanlage des Landschaftspflegehofs e.V. in Berlin-Tempelhof. Die Vorsitzende des Vereins, Elisabeth Hauschildt, führte ausgiebig und interessant erklärend durch das von der Kirche gepachtete Gelände. Im Projekt des ökologischen Kleingartens werden die Parzellen nicht an "traditionelle" Kleinfamilien, sondern an offene Gruppen vergeben, die mindestens aus drei erwachsenen Personen bestehen. Es wird damit eine Belegung angestrebt, die den Lebensverhältnissen in der Bevölkerung entspricht. Zaunlos gehen die Gärten ineinander über. Da in der Anlage seinem Eindruck nach das Wildkraut dominierte, entstand zumindest beim Teilnehmer Jürgen Wrede, Stadtrat für Umweltbelange aus Germering bei München, der Eindruck, daß die Gärten mehr der Erholung im Grünen dienen als dem Anbau biologisch einwandfreien Gemüses.

Die Tagung schloß ab mit zwei ganztägigen Exkursionen ins Berliner Umland. Der erste Tag führte die Gruppe in den Nordosten Brandenburgs, in die Uckermark. In Greiffenberg im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin besuchten wir die Initiative VERN e.V – Verein zur Erhaltung und Rekultivierung von Nutzpflanzen in Brandenburg. Von der Landesanstalt für Großschutzgebiete, Rudolf Vögel, 1994 initiiert, erhält sich der Verein heute mittels viel ehrenamtlicher Arbeit seitens einer kleinen Truppe Engagierter und zweier AMB-Stellen. Der Verein VERN e.V. kümmert sich um den Erhalt und die Pflege alter Saatgutarten. Sehr engagiert und ohne Punkt und Komma führte uns Herr Schulte, ehemaliger LPG-Vorsitzender und ehrenamtlicher Mitarbeiter des VERN e.V., durch das Gelände und erklärte uns, wie der Verein arbeitet. Das selbstgezogene Saatgut wird an Interessierte und Kleingärtner abgegeben, die auf diese Art dazu beitragen, die Idee und die Kulturpflanzen weiter zu verbreiten. Verschiedene Landwirte im Biosphärenreservat beteiligen sich an dem Projekt durch Aussaat und Vorvermehrung ausgewählter lokaler Getreidearten und –sorten. Der Getreideanbau im Schaugarten dient nicht in erster Linie der Saatgutvermehrung, sondern vielmehr der Demonstration verschiedener Urgetreide und deren Spielarten: Landsorten und Lokalrassen wie Emmer, Einkorn und Dinkel, bis hin zu heute angebauten modernen Hybridsorten.

Begeistert war die Gruppe vom 1971 gegründeten Schulgarten in Schwedt, zu dem uns eine der Konferenzteilnehmerinnen aus Gartz, Sonja Bürgel, hinvermittelt hatte. In der ehemaligen DDR war "Garten" in der Grundschule ein Pflichtfach für Klasse 1 bis 4. Nach der Wende verschwanden die meisten Schulgärten aus dem Gebiet der ehemaligen DDR. In Schwedt an der Oder aber gelang es der Bio-Lehrerin Hella Seifert, den größeren der beiden Schulgärten als örtlichen Gemeinschafts-Schulgarten auf 1700 qm zu erhalten. Gemeinsam mit anderen LehrerInnen sorgte sie durch unzählige Aktionen dafür, daß der Schulgarten erhalten blieb und von ABM-Kräften gepflegt wird. Heute ist er schöner denn je, sogar die zehn Sozialhilfeempfängerinnen, die im Garten für 2,-DM die Stunde helfen, tun das gerne, da sie so aus der häuslichen Isolation herauskommen und Freude an den bunten Blumenteppichen haben, erzählt uns Frau Seifert begeistert. Heute wird der Garten von den Schwedter Sachkundelehrern wieder als Demonstrationsobjekt genutzt. Schwedter Grundschulklassen lernen im Rahmen des Sachkundeunterrichts auf eigenem Beet das Gärtnern. Es gibt sogar Hochbeete in Holzkästen für behinderte Kinder, die aus ihren Rollstühlen nicht herauskönnen. - Die diplomierte Sozialpädagogin Christiane Beuel aus Köln war so begeistert, daß sie sich spontan vornahm, für und gemeinsam mit sozial benachteiligten Kindern in Köln einen ähnlichen Garten einzurichten. Sie versprach Frau Seifert, bald wieder zu kommen, um bei ihr in die Lehre zu gehen. - Sigrid Fronius, die im immergrünen Regenwaldgebiet Boliviens ein schlichtes Gästehaus mit kleinen Einzelhäuschen im riesigen Garten hat, lud Frau Seifert spontan zu sich nach Bolivien ein, um mit ihr ein Programm für das gemeinsame Gärtnern mit den Kindern und Touristinnen zu entwickeln. Nach dem Motto: was ist ein Gartenbesuch ohne Suppe? wurde die Gruppe schließlich von den Helfern mit frischem selbstgebackenen Brot zur Gemüsesuppe gelabt.

Der anschließende Besuch im Schloßpark von Criewen führte die Gruppe zunächst in die Irre grüner Weiten, bis sie nach längerem Suchen die kämpferische autodidaktische Gärtnerin, bis 1989 Fabrikarbeiterin, fanden, die trotz mangelhafter Unterstützung durch die Ämter den Vorzeigegarten im Park nahezu im Alleingang mit alten Saatkartoffeln und vielem anderen trotz alledem bepflanzt.

In Gartz an der Oder wurde die Gruppe von Frau Elfi Bauer und Herrn Bauer, einer frühpensionierten Kindergärtnerin und ihrem Mann, ehedem Koch, in der Kleingartenkolonie erwartet. Beide haben dort einen der gößten Gärten in der Kolonie voller Malven, Rosen, Rittersporn und Gemüse mit Blick auf die Scheunen und die "Skyline" der Stadt. Herr Bauer, Kassenwart der Gartzer Kleingartenkolonie, kennt die Regelungen des geltenden Bundeskleingartengesetzes, an das die Gartzer als freie Kolonie sich aber nicht sklavisch halten. "Es muß nicht jeder auf Deubel komm raus eine Rasen haben, wenn der Nachbar etwa genügend Rasen im Garten hat", erfahren wir von Herrn Bauer. Der Sohn Ingolf Bauer, gelernter Landwirt, der im Nachbardorf Neurochlitz noch einige Schweine hält, jetzt aber in einem Projekt mit Jugendlichen arbeitet, erläuterte die Fehler des zu schnellen Wandels in der DDR-Landwirtschaft nach der Wende. Die Exkursions-TeilnehmerInnen aus Köln, Bonn, Seoul lauschten seinen Ausführungen höchst interessiert. Edie Stone von "Green Thumb" aus New York staunte, wie prächtig die Pflanzen in den hiesigen Kleingärten gedeihen, während sie in den kleinen Community-Gardens zwischen den Häusern New Yorks in der Regel viel kümmerlicher aussehen. Schließlich wünschte sich Tetsou Akemine aus Tokio einen Gang durch die Stadt mit Blick auf die Oder. Frau Glasenapp vom Förderverein führte die Gruppe und referierte zur Geschichte von Gartz als Ackerbürgerstadt. Alle waren begeistert und nahmen sich vor, möglichst bald mit mehr Zeit wiederzukommen.

Dieser Bericht ist zwangsläufig unvollständig, und so muß angedeutet bleiben, daß es am nächsten Tag zu mehreren Bio-Höfen östlich von Berlin ging, auf denen zwei nach 1989 entstandene und ein schon viel länger existierendes Kollektiv mit wachsendem Erfolg biologisch-dynamisches Gemüse anbauen, das sie (über Abokisten und Biomärkte) zunehmend besser nach Berlin vermarkten können. Allen drei Höfen, der Hofgemeinschaft Apfeltraum e.V. in Eggerstorf bei Müncheberg, der Bäuerinnen GbR bei Buchholz (in der Nähe von Fürstenwalde) und der anthroposophische Hofgemeinschaft Marienhöhe von 1927 (bei Bad Saarow) geht es heute deutlich besser als noch vor fünf, sechs Jahren. Zu kämpfen haben alle drei Betriebe natürlich dennoch, weil die Bodenpreise zu hoch und die daraufstehenden Liegenschaften zu teuer sind, als daß Neubauern sich leicht etwa Wohnhaus und Land kaufen oder auch nur mieten könnten. Um so bestechender der Charme der BiobäuerInnen, alle drei sind gelernte Landwirte, Kirsten Hensel (Apfeltraum e.V.), Reinhild Benning (Bäuerinnen GbR) und Fridjof Albert (Marienhöhe), mit dem sie zurückhaltend, sachlich und dennoch herzlich ihre Herde StädterInnen durch Gemüse- und Blumenfelder und Kuhställe führten. Besonders gefallen hat uns natürlich die Kaffeepause zur Frühstücksstulle in der großen Scheune der Bäuerinnen GbR, inmitten der Strohballen, zwischen denen Saatkartoffeln und Ernte gelagert werden. Später fanden die immer noch Hungrigen unter uns es äußerst passend, daß der Hofladen in Marienhöhe an Dienstagnachmittagen offen hatte, einige genierten sich nicht, trotz drohendem Platzregen und entgegen anthroposophischer Verzichtsgebote Alternativ-Eis zu verspeisen.
 
 
 
 
 
 

THEORETISCHE BEITRÄGE

Demgegenüber waren im ersten Teil der Tagung viele der Beiträge stärker theoriegeleitet und nur indirekt praxisorientiert. FARIDA AKHTER, Direktorin von UBINIG, einer non-profit Organisation zur Vernetzung und Beratung von über 50 000 Klein- und NebenerwerbsbäuerInnen in Bangladesh, berichtete über die Bedeutung von Frauenarbeit im Rahmen der Kleinstlandwirtschaft in Bangladesh. Sie wies auf die extreme Vielfalt weiblichen Wissens als Erklärung für die führende Rolle der Frauen in der Subsistenzlandwirtschaft hin. Mittels einer Reihe schöner Dias zeigte sie, wie Frauen mit großer Sorgfalt nur die von ihnen jeweils benötigten Pflanzen ernten, um die Vegetation nicht unnötig zu beeinträchtigen. Die aggressive Saatgutpolitik der großen Konzerne, den Einsatz von chemischem Dünger und die daraus resultierende Zerstörung eßbaren wilden Grüns nebst der Verschuldung der Bauern wertete sie als die große Bedrohung der Kleinlandwirtschaft, obwohl doch gerade diese imstande ist, die große Mehrheit der Bevölkerung auch wirklich nachhaltig zu ernähren. Sie rief daher die Europäer auf, aktiv gegen Saatgutmonopole, den Einsatz von Pestiziden und die aggressive Finanzpolitik gegenüber Kleinbauern zu protestieren. Damit eröffnete sie die Debatte um die aktuelle politische Wichtigkeit von Kleinstlandwirtschaft und ihre Rahmenbedingungen wie die Saatgutfrage. Dieses Thema zog sich wie ein roter Faden durch die Konferenz und erwies sich als wichtigste zukünftig zu diskutierende Frage.

An diese Forderung anschließend berichtete MARIA MIES (Köln) über die weltweiten Bauernproteste gegen die Globalisierung, beginnend mit dem Beispiel der derzeitigen Umzüge aus Solidarität zugunsten des französischen Kleinbauern und Käsemachers Francois Bové, der in seiner Gegend eine bekannte Fast-Food-Kette symbolisch demoliert hatte, und dessen Verhaftung und anstehende Verurteilung in Frankreich eine ungeheure Protestwelle ausgelöst hat (im Juni 2000). Maria Mies selbst war im November des Jahres 1999 zum alternativen Gegengipfel mit seinen großen, vielbeachteten Demonstrationen in Seattle eingeladen gewesen. Die Professorin im Ruhestand betonte, daß es sich bei diesen Protesten zum ersten Mal erwiesen hat, daß einzelne Bauern nicht immer nur aus eigenem, individuellem Interesse heraus handeln, sondern durchaus auch motiviert sind, im Interesse der Allgemeinheit zu demonstrieren - entgegen einem vielfach hervorgebrachten Vorurteil gegenüber bäuerlichem Protestverhalten allgemein und diesen Protesten im besonderen. Landwirtschaft wird – meint die jugendlich wirkende Bauerntochter - weltweit zunehmend politisiert – eben durch die Rücksichtslosigkeit der Multis und Großunternehmen.

HEIDE INHETVEEN (Göttingen) und VERONIKA BENNHOLDT-THOMSEN (Wien) versuchten, diese Beispiele theoretisch zu untermauern und arbeiteten dabei den "weiblichen Charakter" der informellen Ökonomie heraus. Heide Inhetveen lieferte einen theoretischen Beitrag zur Bedeutung von Gärten, indem sie den Begriff von der "vorsorgenden Wirtschaft" einführte, dem sie den derzeit gummiartig benutzen Begriff einer "nachhaltigen Wirtschaft" gegenüberstellte. Sie betonte den informellen Charakter dieser gebrauchswertorientierten, "fürsorglichen", menschenbezogenen Wirtschaft und insofern "weiblichen" Ökonomie. Sie stellte klar, daß sie den Terminus "vorsorgende Wirtschaft" als einen normativen Begriff versteht - gegenüber dem Begriff von der "informellen Ökonomie", der einen empirisch gegebenen Sachverhalt charakterisiert. Gegenüber letzterem verweist die "vorsorgende Wirtschaft" auch auf die moralischen Komponenten dieses sozial und ökologisch bedeutsamen Handelns hin. Ganz anders Veronika Bennholdt-Thomsen, die am Beispiel eines Schützenvereins in der Agrarlandschaft Warburger Börde die "Subsidiarisierung" der Männergeschäfte durch die "unsichtbaren" Tätigkeiten der Frauen schilderte. Dieses Beispiel belegt die Weiter-Existenz einer auf Gegenseitigkeit und nicht-äquivalenten Austausch gründenden sozusagen weiblichen "Untergrund"-Wirtschaft auch in den reichen Ländern des Nordens und sogar in Männervereinen.

TEODOR SHANIN aus Moskau betonte das Paradox des Überlebens der Bevölkerung in Rußland, wo die zwei "Pole" der formellen Wirtschaft, der staatliche und der markt-orientierte, beide versagt haben. Die Lösung des Paradox liegt in der Existenz einer "informellen" Wirtschaft, die sich außerhalb der Polarität von staatsdirigierter und marktdominierter Wirtschaft herausgebildet hat. Deshalb von Shanin als "expolar" bezeichnet, sorgt diese unsichtbare Ökonomie für das Überleben von 90 % der russischen Bevölkerung. Sie gründet gerade nicht auf dem Prinzip des äquivalenten Tauschs wie die Marktwirtschaft, sondern auf Mutualität und Gegenseitigkeit, wie es zum Beispiel in Familien zwischen den verschiedenen Generationen der Fall ist. Shanin wie auch NIGEL SWAIN (Liverpool) betonten die bäuerliche Herkunft des größten Teils der ruischen und osteuropäischen Bevölkerung und die Wichtigkeit der Symbiose zwischen den kollektiv betriebenen landwirtschaftlichen Großbetrieben und der Kleinstlandwirtschaft im "datscharisierten" Rußland wie Osteuropa. Diese Symbiose ist es, die die Leute zum Widerstand gegen die Abschaffung der Kollektive veranlaßte, und dieser Widerstand ist heute genauso realitätsgerecht wie die damalige Opposition gegen die zwangsweise Kollektivierung, Widersprüche, auf die auch die Referenten aus Thorn, WOJCIECH KNIEC und ELWIRA PISZCZEK hinwiesen.

Wie in Osteuropa ist heute auch in Afrika die meist von Frauen betriebene Kleinlandwirtschaft existentielle Notwendigkeit für große Bevölkerungsgruppen in Stadt und Land. FRIEDHELM STREIFFELER brachte in einer sehr durchdachten Analyse der Verhältnisse in Afrika anschauliche Beschreibungen von der Bedeutung "informeller" städtischer Landwirtschaft. Er betonte die entscheidende Rolle, die der Unterstützung durch die städtische Verwaltung in jener glücklicherweise zunehmenden Anzahl von Fällen zukommt, in denen die anfangs spontane städtische Landwirtschaft nicht mehr unterdrückt wird. Ein engagiertes Plädoyer für die Unterstützung der Kleinbauern in Indien, auch mittels Kredite, hielt – unter Hinweise auf wachsende Probleme durch ökologische Verwüstungen - RAMESH AGRAWAL (Berlin).
 
 

"WEIBLICHE" BEGEISTERUNG VERSUS "MÄNNLICHE" BULLDOZER?

Eben um diese notwendige, aber oftmals mehr als halbherzige Unterstützung seitens der Regierungen und insbesondere Kommunalverwaltungen ging es in mehreren Beiträgen aus Großstädten. Aus Tokio berichtete TETSUO AKEMINE über die Begeisterung der wochentags ihren Büroberufen nachgehenden Städter für Nutzgärten. Bürgerinitiativen pachten Land von Bauern und lernen das Gemüsepflanzen unter Anleitung von regelmäßig dazu eingeladenen Bauern. Akemine hielt seinen Vortrag auf japanisch, mit extrem sympatischem ruhigen Humor. RICHARD PESTEMER aus einem kleinen Dorf bei Trier übersetzte. Eine schöne Reihe von Dias zeigte die oft sehr kleinen Areale der Kleingärten, die quer durch die Stadt verstreut liegen. Sein eigenes eher großes Gartenprojekt in Hino, 30 km vom Zentrum und dennoch inmitten der Stadt Tokio gelegen, zwischen Bürogebäuden und S-Bahn Linie, erstreckt sich über 10 Hektar und liefert Gemüse, Getreide und sogar Baumwolle, die eigenhändig zu Kleidern und Decken verarbeitet wird von einer Gruppe von etwa zehn Familien. Der Kompost wird mit besonderer Sorgfalt vierfach verarbeitet. Allerdings ergab sich im Verlauf späterer Gespräche, daß die Grundstücke in Hino 1996 Opfer der Bauspekulation geworden sind. Um die ständige Bedrohung städtischer Gärten ging es auch in den Referaten von INGE BUCK (Bremen) und EDIE STONE (New York) - während GERT GRÖNING (Berlin) in seinem Überblicksreferat die Notwendigkeit ständig wacher und vor allem organisierter Verteidigung betonte, ergänzt durch einen ähnlichen Beitrag von DAVID CROUCH (Großbritanien), der außerhalb seiner Forschung zum Thema auch in die Verteidigung der Kleingärten selbst involviert ist.

Inge Buck, wie Maria Mies Professorin der Sozialpädagogik/Sozialarbeit im Ruhestand, erinnerte an die Bauernweisheit (plattdeutsch: "Hest du Kummer, hest du Sorgen, geh tom Land und grov dat unner" – hochdeutsch etwa): "Hast du Kummer, hast du Sorgen, geh auf´s Land und grab das unter" und schilderte, wie sich mittellose Bremerinnen in der Weltwirtschaftskrise 1929ff halfen, indem sie ganz in ihren Kleingarten umzogen und zu den selbstangebauten Kartoffeln und Kohlrüben die Sonne zu genießen wußten. Inge Buck berichtete vom Nutzen der Komposthaufen für den kommunistischen Widerstand während der Nazizeit – als Versteck nämlich für die Schreibmaschine, mit der die Flugblätter geschrieben wurden. Und die Vortragende empörte sich zusammen mit den von ihr befragten Kleingärtnerinnen über die extreme Grausamkeit männlich dominierter Behörden, zugunsten von "Bauvorhaben" (Bauspekulation?) Kleingärtnerinnen zu "Planungsvertriebenen" zu erkären und die Gärten verstorbener Parzellenbesitzer vor den Augen der weinenden Nachkommen trotz brütender Vögel und sie schützender Naturschutzgesetze mit - nicht von ungefähr an Panzer gemutenden – viel zu großen Bulldozern zu zerstören.

Noch viel dramatischer ist die Lage in Städten wie New York, in denen Erwerbslosigkeit und allgemeine Verelendung immer mehr Müll und Kriminalität erzeugen, wogegen die Gründung von gemeinschaftlichen Nachbarschaftsgärten auf Brachgrundstücken zwischen den Häusern durch aktive Bewohnerinnen verblüffend deutliche Linderung brachte. Dennoch bedroht die derzeitige neoliberale City-Council-Politik des Alles-Verhökerns diese Gärten, obwohl sie gerade das zu Tage brachten und zu erhalten geeignet sind, was die derzeitige Kommunitarismus-Debatte beschwört, nämlich "Gemeinschaft" und das Gefühl ein "sinnvolles" Leben zu führen. Mit ebenfalls völlig unverhältnismäßig riesigen Bulldozern wird trotz empörtem und anhaltendem Protest aus allen Gesellschaftsschichten zerstört, was aktive New Yorkerinnen und ihre männlichen und jugendlichen Helfer jahrelang aufgebaut haben. Krieg des Neoliberalismus gegen die Bewohner der Stadt mit ihren menschlichen Bedürfnissen nach Ruhe, Schönheit, kreativer und nutzbringender Beschäftigung? So empfinden es zumindest die Demonstrantinnen, die Edie Stone von "Green Thumb" auf ihren Dias zeigt.

Die Gewaltaktionen gegen die Community Gardens stellt werfen die Frage auf nach der Bewertung der informellen Arbeiten, zu denen Haus- und Gartenarbeiten als traditionelle Frauenarbeitsbereiche gehören. Eine allgemeine Umwertung dessen, was wir unter "Arbeit" verstehen, würde einen ganz neuen Blick auf die Landwirtschaft, zumal die weiblich dominierte Selbstversorger-Landwirtschaft, ermöglichen. Es ist eben diese ganz andere Einstellung zur Arbeit, die heute in Rußland den Betrieb am Laufen hält, wie auch in den anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks, wo die Leute sozusagen "auf zwei Beinen" stehen, es ist aber eine Frage von Wahrnehmungen und Diskursen, ob diese realen Sachverhalte von Politik und Planung überhaupt bemerkt werden, woran in ihren Vorträgen ELISABETH MEYER-RENSCHHAUSEN erinnerte. Obwohl Reagrarisierungsprozesse häufige, schmerzhafte oder auch als Chance begriffene Realität in der Geschichte der Menschheit sind, wird die "weibliche" Selbstversorgungsarbeit wie alle Eigenarbeit von den harten Ökonomen ignoriert und banalisiert. Romantiker und Lebensreformer versuchten durch die Geschichte hindurch, darauf hinzuweisen, daß man Geld nicht essen kann und das Leben eben gerade auch aus dem "weiblichen" als dem "planungsirrelevant" verstandenen Alltag besteht. Um 1900 waren es besonders die Künstler und Lebensreformerinnen wie Paul Modersohn-Becker und Otto Modersohn, die zur Verblüffung und zum Entsetzen der "Guten Gesellschaft" ihrer Zeit aufs Land gingen und ungeschönt, aber nicht abfällig, Kleinbäuerinnen aus dem kargen Moor bei Bremen malten. Dieses Sujet schockte so sehr, daß die heute weltberühmte Paula Modersohn-Becker während ihres ganzen Lebens keine einzige Ausstellung zeigen konnte. Daß die subsistenzorientierte Kleinlandwirtschaft auf dem Land, aber auch in der Stadt - zumal in Krisen - vor allem von Frauen betrieben wird, wurde den damaligen Sozialreformern durch diese Bilder und natürlich die Diskurse klar, die die erste Frauenbewegung angestoßen hatte, indem sie auf die Bedeutung von Hausarbeit hinwies und dem, was in der DDR später "individuelle Hauswirtschaft" hieß und Kleinlandwirtschaft umfaßte.
 
 

Beiträge ganz anderer Art ergänzten die gesellschaftspolitisch orientierten Beiträge: der Bonner Biologe THOMAS GLADIS hielt ein leidenschaftliches Plädoyer für die Erhaltung von Artenvielfalt und schilderte die geographisch und historisch weitreichenden Folgen der heute immer schneller voranschreitenden Uniformisierung und Verarmung der Pflanzenwelt in Deutschland. Er zeigte, wie Pflanzenvielfalt noch hier und da in klandestinen, wörtlich gesprochen marginalen Formen zu finden ist: an Weg- und Ackerrändern, in winzigen vergessenen Flecken des Wildwuchses. Er bewies in seinem Vortrag einerseits eine verblüffend große Kenntnis der Sachlage und beeindruckte gleichzeitig durch die Verzweiflung und das Entsetzen, das ein Kenner der Pflanzenvielfalt angesichts der heutigen Lage empfinden muß. Ähnlich die Biologin BRIGITTE VOGL-LUKASSER aus Osttirol, die die Zuhörenden durch einen anschaulichen Beitrag über die Hausgärten der Maya-Frauen im Tal von Chiapas/Mexiko entzückte. Verblüffung löste der Bericht über den Gemüseanbau auf dem klimatisch dafür ungeeigneten El Alto (La Paz/Bolivien) von DOROTHEE JAHN aus Witzenhausen aus.

BEWEGTE FEIERN

Die ganze Tagung hatte den Charakter eines großen Festes, dazu gehörten ein festliches Rahmenprogramm und eine wunderbare Ausstellung. Bereits im Vorfeld der Ausstellung meldeten sich spontan ganz verschiedene Menschen, die gerne ihre Ausstellungen mit zur Konferenz bringen oder zumindest per Poster auf ihre Arbeiten in Praxis und Theorie aufmerksam machen wollten. Eine Gruppe um Herrn Shimeles aus Göttingen brachte 16 Tafeln einer wunderschön anzuschauenden Ausstellung zu den "Internationalen Gärten" in Göttingen mit, wo vor allem Frauen aus aller Herren Länder, Migrantinnen aus der Türkei, verschiedenen Ländern Afrikas, Asiens oder dem ehemaligen Ostblock, gemeinsam vier große Gartengrundstücke bewirtschaften. Sie werden dabei unterstützt von Bürgerinitiativen und Kirchen. In den Gärten lernen sie sich über die isolierenden Sprachgrenzen hinweg gegenseitig kennen, verstehen und helfen. Petra Kreinecker aus Wien z.B. brachte Bildinformationen über die gemüseanbauenden Frauen in La Paz.

Am ersten Abend, dem Freitag abend, wurde zu einem kleinen Fest im studentischen "Café Flora Soft" zu Wein und Bier eingeladen. Vindschi Stork, der zwei singalesische Speisehäuser unterhält, in dem Köche aus Sri Lanka das geneigte Publikum biologisch-organisch bekochen (das in Kreuzberg heißt Chandra Kumari = Mondprinzessin, das in der Knaackstraße Suriya Kanthi, Sonnenschein) brachte zu günstigem Preis ein Reisrisotto und kleine Häppchen. Ergänzt wurde diese Tafel durch Kulinarisches aus den Küchen der Vorbereitungsgruppe, von Anne Holl und Renate Müller. Seitens der Studenten hatte Roger Blesing sein Akkordeon und einen russischen Kollegen mitsamt Fidel mitgebracht, und beide spielten so hingebungsvoll, daß die Festgesellschaft - zumindest der die Tagung ohnehin dominierende weibliche Teil egal welcher Alterstufe - bald begeistert tanzte.

Schließlich wurde am Mittwoch danach im phantastisch verwilderten Garten einer verlassenen Universitäts-Villa die abschließende Helferfete der Vorbereitungsgruppe der internationalen Gartenkonferenz gefeiert – mitsamt traditionellem Stein-Erdofen, auf dem deftige Fleischstücke zu Biowürstchen und Paprikaspießen brutzelten und den Garten mit wohlriechenden Gerüchen durchzogen. Denn die Tagung beruhte auf weitgehend ehrenamtlicher Arbeit, Begeisterung für die Sache veranlaßte die Mitglieder der Vorbereitungsgruppe (Johanna Machens, Renate Müller, Torsten Reinsch, Anne Holl, Petra Becker, Irmi Grünsteidel, Frithjof Reul, Christophe Kotanyi, Elisabeth Meyer-Renschhausen, Friedhelm Streiffeler, Gert Gröning) zwei Jahre jeden Dienstag abend und zum Schluß viele Tage und Stunden mehr dranzugeben, eine solche Tagung möglich zu machen. Die schnelle Hilfsbereitschaft der studentischen Café-Gruppe und vieler anderer u.a. aus der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät half. Ohne die Unterstützung der Sponsoren - dem Arbeitskreis wissenschaftlich-künstlerisch tätiger Frauen e.V., Berlin, der Schweisfurth-Stiftung, München, der Deutschen Stiftung für internationale Entwicklung, Feldafing, und, last not least, und dem Förderprogramm Frauenforschung bei der Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales und Frauen - wäre die Tagung nicht zustande gekommen. Vielen Dank auch den vielen Damen und Herren in verschiedenen Landwirtschafts-Ministerien und Wissenschaftsverwaltungen, die – zumindest wenn es nach ihnen gegangen wäre - uns fast und am liebsten auch gefördert hätten und uns durch ihre aufmunternden Anrufe über lange Durststrecken hindurch vielfach bei Laune und bei der Stange gehalten und manchmal gute Tips gegeben haben. Besonderen Dank schließlich aber vor allem den bald 150 Tagungs-Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus nah und fern, die, Weg, Kosten und Mühen nicht scheuten, um drei ganze oder sogar fünf Tage von morgens bis abends unermüdlich - bereit zu harscher Kritik und doch überwiegend des Lobes voll - dabei zu sein.
 
 

Arbeitsgruppe Kleinstlandwirtschaft und Gärten in Stadt und Land, Berlin
e-mail: gartenkonferenz@gmx.de
homepage: http://userpage.fu-berlin.de/~garten/