In diesem Buch leuchten überwiegend weibliche Autoren einen blinden Fleck aus auf der Landkarte des Überlebens, sowohl in reichen als auch in armenLändern.
1998
fand im Rahmenprogramm des Deutschen Soziologiekongresses in Freiburg ein
ad-hoc-workshop zum Thema “Globalisierung aber weltweit lokale Selbstversorgung“
statt. Im Jahr 2000 dann organisierte die Arbeitsgruppe Kleinstlandwirtschaft
- darunter die Herausgeberinnen - an der Humboldt Universität in Berlin
eine internationale Konferenz mit dem Titel „Perspektiven der Kleinstlandwirtschaft
in Stadt und Land – zur sozialen und ökologischen Notwendigkeit einer
`weiblichen Ökonomie´“. Das hier besprochene Buch faßt
einige der Vorträge von beiden Veranstaltungen unter einem Deckel
zusammen.
Diese
Publikation leistet einen interessanten Beitrag zur Bestandsaufnahme dessen,
was an Arbeit im „informellen Sektor“ getan wird. Die Früchtedieser
Arbeit bleiben in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung aber weitgehend
unberücksichtigt, auch wenn in manchen Ländern des Südens
in dieser informellen Wirtschaft mehr als 90 %und
in Osteuropa heutzutage70% der
Menschenüberleben.
Es istdiese schweigende Mehrheit, die stille Majoritätder Selbstversorger und Zubrotlandwirte, die unsichtbare Haus- und Gartenarbeit von Frauen, es sinddie Verlierer der Globalisierung, die hier unter die Lupe genommen werden – mit eindrucksvollen Ergebnissen:
„Jeder
steht hier auf zwei Beinen“ ist der Titel von Nigel Swain`sAnalyse
der Kleinlandwirtschaft im „postsozialistischen“ Mittel – und Osteuropa
. Es gab auch vor dem Zusammenbruch des Ostblocks eine – je nach Kollektivierungsmodell
– mehr oder weniger geförderte individuelle Kleinlandwirtschaft .
Jetzt ist dieverstärkte Selbstversorgungaufgrund
gestiegener Arbeitslosigkeit und nicht ausreichender Löhne, Renten
oder Arbeitslosenunterstützung überlebensnotwendig und leistet
einen nicht unerheblichen Beitrag zur Ökonomie: In Russland z. B.
machen Haushaltsparzellen 97% aller Bauernhöfe aus, die 6% der landwirtschaftlich
genutzten Fläche bedecken aber fast 40% der landwirtschaftlichen Produktion
liefern.
Kleinlandwirtschaft
– als Antwort auf die ökonomische Krise–
wird auch in vielen Städten betrieben. Friedhelm Streiffeler
zeigt, dass in den Hauptstädten inSub–Sahara
Afrika ein Drittel bis vier Fünftel der Familien Gartenbau und Viehhaltung
betreiben; das betrifft nicht nur die Erwerbslosen, sondern durchaus auch
Mittelschichtfamilien, die von ihrem Einkommenallein
nicht leben können.
In
den Ghettos von New York hat sich die schwarze und hispanische Bevölkerung
ihre „Community Gardens“ erkämpft. Da wo früher verwahrloste
Grundstücke waren, sind jetzt blühende Gärten, weil die
Nachbarndie Verantwortung dafür
übernommen
haben. Irmtraud Grünsteidel analysiert
auch, wie sich dadurch die sozialen Beziehungen der Ghettobewohner verbessern:
die Gärtner und Gärtnerinnen machen die Erfahrung, dass sie in
ihrem Umfeld etwas verändern können.
Aber
kampflos geht diese Landnahme leider nicht – besonders wenn es um längerfristige
Nutzung gehtDas ist wie in New
York gänz ähnlich auch in Berlin und Bremen - wie die Beiträge
von Gert Gröning„ Kampfesmutige
Laubenpieper“ und von Inge Buck zeigen.
Weniger
erfolgreich war oder ist die staatlich verordnete soziale Bewegung der
neuen Gemüsegärten von Havanna, die Anne Holl analysiert.
Die schwierige Wirtschaftssituation in Kubaführte
dazu, dass das cubanische Landwirtschaftsministerium seit einigen Jahren
intensive gärtnerische Produktion auch in den Städten fördert.
In Havanna waren 1991 mehr als 27.000 solcher Volksgärten registriert,
die hauptsächlich Gemüse anbauensollen
– mit mäßigem Erfolg. Die Parzellen warenvor
allem an Lehrer undMilitärs
vergeben worden, die das „Volk“ wohl nur zum Teil repräsentieren.
Karin
Standler
schildert die negativen Folgen eines Gartenprojekts in Burkina Faso, eines
nicht nachhaltigen „Entwicklungsprojekts“ mit kapitalintensiver Produktionsweise,
aufgebaut von einer Nichtregierungsorganisation aus dem Norden. Das Saatgut
war klimatisch nicht angepasst und die Brunnen zur künstlichen Bewässerung
mussten immer tiefer gegraben werden. Ergebnis: die Absenkung des Grundwasserspiegels,
Versalzung der Böden, die Abnahme der Bodenfruchtbarkeitund
– last but not least – eine Schwächung der Position der Frauen und
der familiären Selbstversorgung, da dasGartenprojekt
nicht mit den traditionell Gartenbau betreibenden Frauen, sondern mit den
Männern durchgeführt wurde, die für den Marktproduzierten.
Nachhaltig
hingegen ist die Jahrtausende alte Gartenkultur der Mayas im tropischen
feuchten Tiefland von Chiapas in Mexiko, die von Brigitte N. Vogl- Lukasserund
Christian R. Vogl geschildert wird.In
den Gärten werden Pflanzen mit unterschiedlicherHöhe
angebaut, invier verschiedenen Stockwerken
mit bis zu zwölfMeter Höhe.
Der Garten ist eine lebende Vorratskammer . Erbringt
den Familien nicht nur Nahrungsmittel: Gemüse, Früchte, Gewürz-und
Heilpflanzen, sondernauch Material
für Gebrauchsartikel im Haushaltund
zum Wohnungsbau und beschatteten Lebensraum. Die Flora dieser Gärten
besteht aus bis zu 241 Pflanzenarten!
Das
Wissen über die Heilkraft von Pflanzen ist auch bei uns in Deutschland
zumindest auf dem Land vereinzelt noch lebendig. Das beschreibt Heide
Inherveenin ihrem Artikel über
die „Wurzbüschel“, die in katholischen Ortschaften in Süddeutschland
und in Österreich am 15. August, dem Tag an dem Maria Himmelfahrt
gefeiert wird,zeremoniellim
Gottesdienst geweiht werden, um dann am Heiligen Abend in
das Viehfuttergemischt zu werden.Manchmal
werden dazu 77 verschiedene Pflanzen von sachkundigen Bäuerinnen zusammengetragen.
Dieses Wissen zirkuliert in den vorhandenen sozialen Netzen des Dorfes,
in der Familie und Verwandtschaft .
Elisabeth
Meyer–Renschausen
macht uns das wachsende Interesse an Gärten und die internationale
Reagrarisierung dadurch verständlich, dass sie Beispiele aus derGeschichte
anführt. Strukturwandel der Wirtschaftsweise mit der oft damit verbundenen
Verarmung großer Teile der Bevölkerung hat immer wieder zu verstärkter
Landwirtschaft geführt.
Schließlich haben Gärten nicht nur einen ökonomischen Nutzen. In und mit der Natur und mit den Elementen, Farben und Düften zu leben und zu arbeiten,labt auchdie Sinne und die Seele. Vielfach werden die Gärten von ihrenBesitzern als „Paradiese“ bezeichnet. Sigrid Fronius beschreibt in diesem Sinne ihr vom „Subsistenz – zum Seelengarten“ mutiertes Grundstück in Bolivien, jetzt ein Open Air Hotel- Garten,als Lebensnotwendigkeit.
In
der weltweiten Krise der Arbeitsgesellschaft bieten die Gärten auch
eine neue Chance für eine ökologische Politik. Global denken
und lokal handeln, istheute durchaus
aktuell.
Ichempfehle
die Lektüre dieses Sammelbandes all denen, die interessiert sind an
den Lebensbedingungen von Globalisierungsopfern und die verstehen wollen,
wie Subsistenzproduktion mit der Politik der Internationalisierungzusammenhängt.
Wenn das Kriterium „Nachhaltigkeit “ von Entwicklung für die Politik
wirklich ausschlaggebend sein soll, dann lohnt es sich zu schauen und zu
verstehen, wie Menschen bisher überlebt haben.
Elisabeth
Meyer–Renschhausen und Anne Holl (Hrsg):
Die
Wiederkehr der Gärten – Kleinlandwirtschaft im Zeitalter der Globalisierung
STUDIEN
Verlag, Innsbruck2000,16
Euro
Erika
Fink, Huttenstr. 31, D 10553 Berlin-Moabit
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