Buchbesprechung von ERIKA FINK, Berlin

Gärten zum Über–leben

Besprechung des Buchs „Die Wiederkehr der Gärten – Kleinlandwirtschaft im Zeitalter der Globalisierung“ hrsg. von Anne Holl und Elisabeth Meyer-Renschhausen, Innsbruck: Studienverlag 2002

In diesem Buch leuchten überwiegend weibliche Autoren einen blinden Fleck aus auf der Landkarte des Überlebens, sowohl in reichen als auch in armenLändern.

1998 fand im Rahmenprogramm des Deutschen Soziologiekongresses in Freiburg ein ad-hoc-workshop zum Thema “Globalisierung aber weltweit lokale Selbstversorgung“ statt. Im Jahr 2000 dann organisierte die Arbeitsgruppe Kleinstlandwirtschaft - darunter die Herausgeberinnen - an der Humboldt Universität in Berlin eine internationale Konferenz mit dem Titel „Perspektiven der Kleinstlandwirtschaft in Stadt und Land – zur sozialen und ökologischen Notwendigkeit einer `weiblichen Ökonomie´“. Das hier besprochene Buch faßt einige der Vorträge von beiden Veranstaltungen unter einem Deckel zusammen.

Diese Publikation leistet einen interessanten Beitrag zur Bestandsaufnahme dessen, was an Arbeit im „informellen Sektor“ getan wird. Die Früchtedieser Arbeit bleiben in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung aber weitgehend unberücksichtigt, auch wenn in manchen Ländern des Südens in dieser informellen Wirtschaft mehr als 90 %und in Osteuropa heutzutage70% der Menschenüberleben.

Es istdiese schweigende Mehrheit, die stille Majoritätder Selbstversorger und Zubrotlandwirte, die unsichtbare Haus- und Gartenarbeit von Frauen, es sinddie Verlierer der Globalisierung, die hier unter die Lupe genommen werden – mit eindrucksvollen Ergebnissen:

„Jeder steht hier auf zwei Beinen“ ist der Titel von Nigel Swain`sAnalyse der Kleinlandwirtschaft im „postsozialistischen“ Mittel – und Osteuropa . Es gab auch vor dem Zusammenbruch des Ostblocks eine – je nach Kollektivierungsmodell – mehr oder weniger geförderte individuelle Kleinlandwirtschaft . Jetzt ist dieverstärkte Selbstversorgungaufgrund gestiegener Arbeitslosigkeit und nicht ausreichender Löhne, Renten oder Arbeitslosenunterstützung überlebensnotwendig und leistet einen nicht unerheblichen Beitrag zur Ökonomie: In Russland z. B. machen Haushaltsparzellen 97% aller Bauernhöfe aus, die 6% der landwirtschaftlich genutzten Fläche bedecken aber fast 40% der landwirtschaftlichen Produktion liefern.

Kleinlandwirtschaft – als Antwort auf die ökonomische Krise– wird auch in vielen Städten betrieben. Friedhelm Streiffeler zeigt, dass in den Hauptstädten inSub–Sahara Afrika ein Drittel bis vier Fünftel der Familien Gartenbau und Viehhaltung betreiben; das betrifft nicht nur die Erwerbslosen, sondern durchaus auch Mittelschichtfamilien, die von ihrem Einkommenallein nicht leben können.

In den Ghettos von New York hat sich die schwarze und hispanische Bevölkerung ihre „Community Gardens“ erkämpft. Da wo früher verwahrloste Grundstücke waren, sind jetzt blühende Gärten, weil die Nachbarndie Verantwortung dafür übernommen haben. Irmtraud Grünsteidel analysiert auch, wie sich dadurch die sozialen Beziehungen der Ghettobewohner verbessern: die Gärtner und Gärtnerinnen machen die Erfahrung, dass sie in ihrem Umfeld etwas verändern können.

Aber kampflos geht diese Landnahme leider nicht – besonders wenn es um längerfristige Nutzung gehtDas ist wie in New York gänz ähnlich auch in Berlin und Bremen - wie die Beiträge von Gert Gröning„ Kampfesmutige Laubenpieper“ und von Inge Buck zeigen.

Weniger erfolgreich war oder ist die staatlich verordnete soziale Bewegung der neuen Gemüsegärten von Havanna, die Anne Holl analysiert. Die schwierige Wirtschaftssituation in Kubaführte dazu, dass das cubanische Landwirtschaftsministerium seit einigen Jahren intensive gärtnerische Produktion auch in den Städten fördert. In Havanna waren 1991 mehr als 27.000 solcher Volksgärten registriert, die hauptsächlich Gemüse anbauensollen – mit mäßigem Erfolg. Die Parzellen warenvor allem an Lehrer undMilitärs vergeben worden, die das „Volk“ wohl nur zum Teil repräsentieren.

Karin Standler schildert die negativen Folgen eines Gartenprojekts in Burkina Faso, eines nicht nachhaltigen „Entwicklungsprojekts“ mit kapitalintensiver Produktionsweise, aufgebaut von einer Nichtregierungsorganisation aus dem Norden. Das Saatgut war klimatisch nicht angepasst und die Brunnen zur künstlichen Bewässerung mussten immer tiefer gegraben werden. Ergebnis: die Absenkung des Grundwasserspiegels, Versalzung der Böden, die Abnahme der Bodenfruchtbarkeitund – last but not least – eine Schwächung der Position der Frauen und der familiären Selbstversorgung, da dasGartenprojekt nicht mit den traditionell Gartenbau betreibenden Frauen, sondern mit den Männern durchgeführt wurde, die für den Marktproduzierten.

Nachhaltig hingegen ist die Jahrtausende alte Gartenkultur der Mayas im tropischen feuchten Tiefland von Chiapas in Mexiko, die von Brigitte N. Vogl- Lukasserund Christian R. Vogl geschildert wird.In den Gärten werden Pflanzen mit unterschiedlicherHöhe angebaut, invier verschiedenen Stockwerken mit bis zu zwölfMeter Höhe. Der Garten ist eine lebende Vorratskammer . Erbringt den Familien nicht nur Nahrungsmittel: Gemüse, Früchte, Gewürz-und Heilpflanzen, sondernauch Material für Gebrauchsartikel im Haushaltund zum Wohnungsbau und beschatteten Lebensraum. Die Flora dieser Gärten besteht aus bis zu 241 Pflanzenarten!

Das Wissen über die Heilkraft von Pflanzen ist auch bei uns in Deutschland zumindest auf dem Land vereinzelt noch lebendig. Das beschreibt Heide Inherveenin ihrem Artikel über die „Wurzbüschel“, die in katholischen Ortschaften in Süddeutschland und in Österreich am 15. August, dem Tag an dem Maria Himmelfahrt gefeiert wird,zeremoniellim Gottesdienst geweiht werden, um dann am Heiligen Abend in das Viehfuttergemischt zu werden.Manchmal werden dazu 77 verschiedene Pflanzen von sachkundigen Bäuerinnen zusammengetragen. Dieses Wissen zirkuliert in den vorhandenen sozialen Netzen des Dorfes, in der Familie und Verwandtschaft .

Elisabeth Meyer–Renschausen macht uns das wachsende Interesse an Gärten und die internationale Reagrarisierung dadurch verständlich, dass sie Beispiele aus derGeschichte anführt. Strukturwandel der Wirtschaftsweise mit der oft damit verbundenen Verarmung großer Teile der Bevölkerung hat immer wieder zu verstärkter Landwirtschaft geführt.

Schließlich haben Gärten nicht nur einen ökonomischen Nutzen. In und mit der Natur und mit den Elementen, Farben und Düften zu leben und zu arbeiten,labt auchdie Sinne und die Seele. Vielfach werden die Gärten von ihrenBesitzern als „Paradiese“ bezeichnet. Sigrid Fronius beschreibt in diesem Sinne ihr vom „Subsistenz – zum Seelengarten“ mutiertes Grundstück in Bolivien, jetzt ein Open Air Hotel- Garten,als Lebensnotwendigkeit.

In der weltweiten Krise der Arbeitsgesellschaft bieten die Gärten auch eine neue Chance für eine ökologische Politik. Global denken und lokal handeln, istheute durchaus aktuell.

Ichempfehle die Lektüre dieses Sammelbandes all denen, die interessiert sind an den Lebensbedingungen von Globalisierungsopfern und die verstehen wollen, wie Subsistenzproduktion mit der Politik der Internationalisierungzusammenhängt. Wenn das Kriterium „Nachhaltigkeit “ von Entwicklung für die Politik wirklich ausschlaggebend sein soll, dann lohnt es sich zu schauen und zu verstehen, wie Menschen bisher überlebt haben.

Elisabeth Meyer–Renschhausen und Anne Holl (Hrsg):

Die Wiederkehr der Gärten – Kleinlandwirtschaft im Zeitalter der Globalisierung

STUDIEN Verlag, Innsbruck2000,16 Euro

Erika Fink, Huttenstr. 31, D 10553 Berlin-Moabit


 

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