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AG Kleinstlandwirtschaft und Gärten in Stadt und Land 

 
 
 
 

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Elisabeth Meyer-Renschhausen
 

DIE GÄRTEN DER FRAUEN - DIE WIEDERKEHR DER GÄRTEN

erschienen in:
Veronika Bennholdt-Thomsen, Brigitte Holzer, Christa Müller, Hrsg.,
Das Subsistenzhandbuch - Widerstandskulturen in Europa, Asien und Lateinamerika, Wien: Promedia 1999, S.120-136
erneut in: Der Rabe Ralf, 11. Jg./Nr. 84, März 2000, S.16-17
und anderswo

Der FAO-Gipfel in Rom: Hunger und Unterernährung im Süden

Der zweite Welternährungsgipfel der Food and Agricultural Organisation, FAO(1), in Rom im November 1996 stellt in seinem Abschlußpapier fest, daß 800 Millionen Menschen derzeit unterernährt sind und aus Armut hungern. Landlose Landbewohner, Frauen und Kinder sind von Mangel-Ernährungskrankheiten wie Blindheit oder Anämie besonders betroffen. Obwohl es genügend Lebensmittel gibt und die Lebensmittelproduktion im letzten Jahrzehnt stark zugenommen hat, kommen die Armen vieler Länder des Südens nicht an sie heran. Sie verdienen nicht genug, um die Produkte des Weltmarkts bezahlen zu können.(2) Wenn - wie Lester Brown vom Worldwatch Institute in Washington erwartet - die Getreidepreise infolge von Bodenerosion und Klimawandel weiter steigen, werden noch mehr Unbemittelte nur unzureichend Lebensmittel kaufen können.(3) Eine ausreichende Ernährung bekommen diese Gruppen nur dann, wenn ihnen ein Stück Land zur Verfügung steht, worauf sie das Nötigste erwirtschaften können. Von Frauen des Südens wurde daher auf zahlreichen internationalen Konferenzen immer wieder für eine Rückkehr zur Subsistenzwirtschaft, eine Produktion vor allem für den eigenen Bedarf plädiert.(4) Die Marktgläubigkeit männlich dominierter Regierungspolitik ist eine wesentliche Ursache der modernen Mangel- und Unterernährung. Man übersieht, daß im Süden, vor allem in Afrika, bis heute Frauen mit ihrem Arbeitseinsatz bis zu 80% ihre Familien aus ihrer Garten-Wirtschaft ernähren. Weil dieses Ernährungsystem für den Markt völlig unerheblich ist, wird es übersehen.(5)

Das Abschlußpapier der FAO-Konferenz stellt die bedeutende die Rolle der Frauen in der Nahrungsmittelproduktion in den ländlichen Regionen der Entwicklungsländer fest. Aber früher bereits geforderte Bodenreformen werden im Schluß-Dokument nicht wiederholt, stattdessen nur eine formelhafte "Gleichheits"-Forderung. Zwar plädiert der FAO-Gipfel in Rom 1996 für eine Wiederbelebung des Landes, um weitere Armuts-Migration vom Land in die Städte des Südens zu verhindern. Aber die schon lange beschlossenen Landreformen werden kaum empfohlen. Die von der Weltbank inszenierten Staudammprojekte, die in den letzten Jahren 240 Millionen Subsistenzbauern in aller Regel entschädigungslos von ihrem Land vertrieben haben, werden allenfalls erwähnt.(6) Vor allem fehlt die Forderung nach Umverteilung der Landnutzungsrechte zugunsten der vom "westlichen", modernen Bodenrecht bislang eher enteigneten Frauen.

Die "Technical Papers" der FAO stellen fest, daß das Fördern einer nachhaltigen, umweltschonenden und menschengerechten Landwirtschaft mit angemessenen Preisen für Anbauprodukte den Zug in die Stadt und die städtische Armut beenden würde(7). Im End-Dokument wird daraus keine Konsequenz gezogen. Das Menschenrecht auf Nahrung ist im Art. 11 des internationalen Pakts für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte anerkannt, 130 Staaten haben unterschrieben. Im Abschlußpapier der FAO werden die Probleme im "plan of action" benannt, leider ohne alle konkreten Angaben, wann was wie genau anzugehen sei. Weder werden dezidiert angemessene Mindestlöhne gefordert, noch werden Landreformen protegiert. Die FAO-Gremien trauen sich offenbar nicht, dem Interesse der großen Getreideexportländer, der großen Agrarfirmen nach Ausweitung ihrer Exportmöglichkeiten zu widersprechen. Als wesentlich gilt daher eine Steigerung der Agrarproduktion. Derartiges Denken abstrahiert vom einzelnen Menschen, der nicht entsprechend verdienen kann. Derartig einseitig von "oben nach unten" planendes Denken ist insofern inhuman.

Aus den "Technical Papers der FAO" geht hervor, daß Hunger und Hungerkatastrophen vor allem in Afrika vor allem Folgen von Kriegen und Umweltzerstörungen sind, nicht aber von fehlerhaftem traditionellem Anbau. 25% der Bevölkerung Afrikas südliche der Sahara lebte zwischen 1990 und 1994 in Ländern, in Kriege zu Zerstörungen und Vertreibungen und damit zu extremen Notsituationen führten.(8) Hunger und Vertreibungen sind vielfach politisch gewollt.

Abgesehen von derartigen Hungerkatastrophen ist die Nahrungsmittelproduktion entsprechend zum Bevölkerungswachstums auch in Afrika gestiegen. Auf dem NGO-Forum in Rom wurde davor gewarnt, den Hunger in Afrika zu mythologisieren, um so die Legitimation für weitere durch Subventionen gesteigerte Mehrproduktion in den reichen Ländern zuungunsten der armen Staaten zu schaffen.(9) In Afrika ernähren sich die Menschen in den meisten Ländern aus eigener Herstellung, genaue Zahlen existieren kaum. Die meisten afrikanischen Staaten sind in der Lage sich aus eigener Produktion zu erhalten, in Ländern des tropischen Afrikas nach einer FAO-Studie zu 35%, ohne das dafür eine besondere Intensivierung der Landwirtschaft nötig wäre.10 Die Landbevölkerung ernährt sich wesentlich aus den von den Dorffrauen unterhaltenen "Küchengärten". Traditionelle Anbauverfahren reichen für die Ernährung der Familien meistens aus.11 Eine effizientere Landwirtschaft mit gesteigertem Produktionsertrag erfordert erst die Verstädterung.12 Die Verstädterung nimmt insbesondere zu infolge von Krieg und Umweltzerstörungen.

Unterernährung ist also insbesondere eine Folge von Desertifikation, Ergebnis kriegsbedingter Migration wie etwa im Sudan. Verfolgung und Flucht ergibt eine zu hohe Bevölkerungsdichte und Überweidung in den Sahelgebieten Westsudans und generell in der Sahelzone. Weitere Verwüstungsprozesse sind Ergebnis von Überweidung für die Exportproduktion. Zerstörte Felder und sich verschlechternde Produktionsmöglichkeiten für Frauen führen schließlich zu einem den Zug in die Städte. Garantie auf ausreichende Einkommen gibt es dort aber nicht. Typisch ist eine "Mischökonomie" aus Lohnarbeit, Nebenerwerb, Subsistenzarbeiten und der Unterhalt durch Verwandtschaftbeziehungen. Es kommt einer Art "wilder", städtischer Landwirtschaft. Nach Phasen des Gewährenlassens und der Verfolgung dieser "anarchistischen" Gartenwirtschaft wird sie heute teilweise von den städtischen Behörden anerkannt.13
 

Überleben durch Gärten: Weltweite städtische Landwirtschaft

Städtische und periurbane Landwirtschaft ist kein neues historisches Phänomen. In Mitteleuropa waren im 19. Jahrhundert die Krautgärten vor den "Toren der Stadt" von Städtbewohnern zur Einkommensergänzung weit verbreitet. Ergänzung des knappen Lebensmittelangebots war das Motiv für die Nutzgartenwirtschaft in der DDR. Weil der Lohn nicht ausreicht, wird eine Art "Subsidiarisierung der Lohnarbeit durch die Subistenzproduktion" vorgenommen, wie Friedhelm Streiffeler das Phänomen bezeichnet.14

Etwa in Nairobi in Kenia reichen die Löhne nicht und Frauen und Männer betreiben wilde Landbebauung auf städtischen Brachen. Im zairischen Kisangani mit heute über 400.000 Einwohnern, verdienten bereits Anfang der 1980er Jahre sogar Staatsangestellte nicht genug zur Ernährung ihrer Familien. 26,9 % der Frauen, die derartige städtische Landwirtschaft betrieben, waren mit Staatsdienern verheiratet. Diese urbane Landwirtschaft wird zu zwei Dritteln von Frauen unternommen, als Subsistenzsarbeit gehört sie zur erweiterten Hausarbeit der Frauen. Die Subsistenzarbeiten als Voraussetzung von Lohnarbeit und Schattenarbeiten werden natürlich nicht ausschließlich von Frauen erledigt. Fabriken stehen heute inmitten von Maisfeldern, da es im Interesse von Arbeitern und Fabrikherren ist, den Arbeitern generell lange Wege zu ihren Feldern zu ersparen.15 Angebaut wird vor allem für den eigenen Bedarf, aber auch für den Verkauf.

Die wilden Gärten, die die Armen in Kisangani illegal auf Brachflächen anlegen, haben ihre eigenen Probleme. Es handelt sich nicht um Hausgärten. Am Haus gelegene Gärten besitzen nur die Reicheren, die schon länger am Ort leben. In den anderen Gärten fehlt der Dünger, der Kompost, der aus Küchenabfällen entsteht. Oft fehlt zudem das Wasser. Es gibt keine Abstimmung wie auf dem Dorf, wer was anbaut, um Pflanzenkrankheiten so vozubeugen. Rotation im Anbau ist nicht möglich. Daher treten, stellt Friedhelm Streiffeler fest, Pflanzenkrankheiten vermehrt auf. Da eine shifting cultivatin nicht möglich ist, müssen immer anspruchslosere Pflanzen angebaut werden. Weil die Gärten ganz verstreut liegen, können sich ihre Betreiber auch nicht wie auf dem Dorf oder in der Schrebergartenkolonie üblich, mit Setzlingen, Tips und Erfahrungsaustausch gegenseitig helfen. Die Gartenbetreiber wünschen daher für die Zukunft mehr Kooperation und Organisation. Die verstreute Gartenwirtschaften aus Not erzeugt auch nicht mehr die überschäumenden Freudenfesten der erfolgreichen Gartenernten, die Bronislaw Malinowski so eindrucktsvoll beschrieb.16

Das städtische wilde Gärtern kann als Übertragung des Systems des "plots", des "Küchengartens" der verheirateten Afrikanerin, aus dem sie ihre Familie im Dorf ernährte, auf städtische Verhältnisse verstanden werden. Weltweit wird die "Nebenerwerbslandwirtschaft" vor allem von Frauen in jenen ländlichen Regionen betrieben, aus denen die Männer bereits abgewandert sind. Die blanke Not tritt in diesen Gebieten dann auf, wenn sich ändernde Bodenbesitzvorstellungen oder subvebtionierte "Grüne Revolutions Syteme" aufkosten der Subsistenzlandwirtschaft der Frauen gehen, wie Vandana Shiva und Maria Mies für Indien aufzeigen.17 Auch in Lateinamerika wird vielerorts, wo es nur irgend möglich ist, auf städtischen Brachen meist von Frauen für den Eigenbedarf "geackert".

Diese Art "städtische Landwirtschaft" ist unsichtbar wie die Hausarbeit es seit Etabliertung der Nationalökonomie ist, und wie die "Schattenarbeiten" des "informellen Sektors" es sind.18 Was die Schwarzarbeiten des informellen Sektors an notwendigem Zusatzverdienst nicht bringen, müssen die Subsistenzarbeiten der Frauen in Garten und Haushalt erarbeiten. Von der Weltpolitik, werden diese Arbeiten, da nicht besteuerbar und kaum "marktrelevant", nicht berücksichtigt. Für die Betroffenen sind diese Gärten dennoch oft überlebensnotwendig. Die Gärten um die Datschen rings um Moskau sind es, berichtet der Agrarhistoriker aus Manchester, Herausgeber der Peasant Studies, Fedodor Shanin 199119, die den Moskauern das Überleben sichert, seit die Versorgungswirtschaft weggebrochen ist und in Rußlands Läden nichts mehr zu kaufen ist. Anläßlich eines Vortrags an der Humboldt-Universität berichtete V.G. Loshakov, Professor an der Akademie für Ackerbau in Moskau, daß in Rußland 1995 bereits 90% der Kartoffelernte privatem Anbau auf den Datschen entstammt.20 Auch in Birschkek, der Hauptstadt Kirgisiens, hat wegen der schlechten Versorgungslage jeder Städter seinen Garten. In Kuba gärtnern sich die Arbeitslosen durch die Krise.21 Und in San Francisco haben sich Sozialarbeiter mit Erfolg für Gärten für die Arbeits- und Obdachlosen auf städtischen Brachen eingesetzt.22 Weltweit überleben, meint Uwe Hoering in der "Welternährung" im Sommer 1996, bereits 200 Millionen städtische Familien mittels ihrer Schrebergärten und erarbeiten dort 10-15% aller Nahrungsmittel.23

Das ist nicht eigentlich etwas Neues. Im Nachkriegsdeutschland überlebten viele Deutschen mittels Schrebergärten und Kleinlandwirtschaften.24 In den 20er Jahren wie in den 50ern schickten Arbeitermütter ihre Kinder im Sommer zur Erntehilfe zu Bauern aufs Land, damit sie einmal ordentlich und ausreichend ernährt würden. Gerade auf der Subsistenzebene, meint Claudia von Werlhof, kommen es immer wieder zu Reagrarisierungsprozessen.25
 

Grüne Utopien

Diese Rückwendung zum Land und zur Landwirtschaft geschah in der Geschichte nicht nur unfreiwillig. Als Sozialarbeiterinnen, Hochschullehrer und andere Intellektuelle im späten 19. Jahrhundert das "Getriebe jenes liebeleeren und erbarmungslos fremden ökonomischen Kampf ums Dasein" (wie Max Weber sich ausdrückte)26 satt hatten, entstand in den 1890er Jahren jene Diskussionen und Aktivitäten, der wir in Europa das moderne Wohlfahrtswesen verdanken, samt städtischem Grün, Parks, Gartenstädten und Koloniegärten.27 Diese Diskurse blieben nicht nur innerstädtische Wünsche, viele gingen zurück auf das Land "zu siedeln" und sich selbst zu versorgen, am erfolgreichsten junge Juden in den ab 1911 gegründeten Kibbuzim in Palästina.28

Erfolgreich und beispielhaft war die Obstbaukolonie Eden bei Oranienburg, die 1893 als vegetarische Kolonie von Berlin aus gegründet wurde. Zwar konnten sich immer nur ein bis zwei Drittel der Edener von ihrem Obstanbau ernähren, während ein weiteres Drittel ein Einkommen aus weiteren Lebensreformerischen Aktivitäten bezog, aber man versuchte auch gar nicht erst, Profit aus etwa einem Patent auf das "Edener Pflanzenfleisch", pflanzlichen Wurstsurrogaten, oder Saftflaschenabfüll-Verfahren zu ziehen. Die Obstbaukolonie Eden blieb als Vorbild die 20er Jahre hindurch das Mekka der Alternativszene jener Zeit. Höhepunkt war das Treffen des internationalen Vegetarierervereine. Eden stand für das Ideal der "Reruralisierung" aus freien Stücken. Jene, "Reruralisierung" die studentische "Fair-Trade" Aktivisten auf dem "Hunger Gathering" parallel zum FAO-Gipfel im November 1996 forderten.29

Wenn schon nicht jeder zurück auf's Land konnte, wollte man zumindest doch einen Garten für jeden, der ihn bearbeiten konnte und benötigte. Ende des 19. Jahrhunderts war die Forderung nach Kleingärten für Arbeitslose populär insbesondere seit der 1890er Jahre, als sich Vertreter der Sozialreform und der Arbeiterbewegung, in Berlin etwa der Sozialdemokrat Paul Singer für Koloniegärten für Arbeiterfamilien einsetzten. Den meisten Kommunen gelang es aber erst in der extremen Hungerszeit des I. Weltkriegs, genügend Land für Schrebergärten verfügbar zu machen. Aber nicht nur die Armen sollten das Recht auf einen Kartoffelgarten haben. Die Landbegeisterung der Wandervogelgeneration bracht auch "bürgerliche" Gärtner und Gärtnerinnen hervor: Kurz vor dem I. Weltkrieg war die Begeisterung für ein "Zurück zum Land" nämlich so groß, daß sogar Meyers Konversationslexikon von 1908 einen "Zustrom junger Leute aus den gebildeten Klassen zum Berufe des Gärtners" vermerkte. Die "allgemeinen Auffassung", daß die Beschäftigung im Garten eine heilende Wirkungen habe, sei Ursache des Phänomens.30 Die Frauenrechtlerin Hedwig Heyl richtete mit Erfolg in Berlin-Steglitz eine erste Gartenbauschule für Töchter der "gebildeten Stände" ein. Weitere folgten. Diese Hinwendung zum Land, Bauern und Bäuerrinnen schlug sich nieder etwa in der Malerei. Bilder von "Nebenerwerbsbäuerinnen" in ihren Gärten verdanken wir etwa aus Worpswede bei Bremen Paula Modersohn-Becker (1876-1907).

Die Novemberrevolution von 1918 schuf die Voraussetzungen zu einer neuen Gesetzgebung. Die "Kleingarten- und Kleinpachtlandverordnung" der Weimarer Republik vom 31.7.1919 verfolgte wirtschaftliche, gesundheitliche und soziale Absichten.31 Jeder der wollte, sollte die Möglichkeit erhalten, auf 600 qm zumindest den eigenen Bedarf an Kartoffeln und Gemüse erwirtschaften zu können. Die darüberhinausgehende "Siedlungsidee" blieb die ganzen 20er Jahre hindurch eine der großen Hoffnungen der Arbeitslosen.32 Noch 1933 schrieben zahlreiche Menschen an den "Evangelischen Siedlungsdienst", um ihrer Arbeitslosigkeit durch Landwirtschaft ein Ende zu machen.33 West- wie Ostdeutschen Siedlungs-Häuserbauten der 50er und 60er Jahre sind auch als "Spätfolge" dieser Debatte der 20er Jahre zu betrachten. Vertriebene aus Schlesien, Pommern und Ostpreußen kamen als Ersatz für den verlorenen Hof so zu einem großen Garten, aus dem sie sich in der ersten Zeit der kriegsfolgebedingten Arbeitslosigkeit versorgen konnten. Arbeiter, die man in der Aktion "Arbeiter aufs Land" so etwa aus dem Bergbau in Thüringen nach Nordbrandenburg zu ziehen suchte, wurden für den Ortswechsel mit einem großen Gartengrundstück zum winzigen "Eigenheim" geworben. Auch hier waren es meistens die Frauen, die den Garten bearbeiteten, da die Männer eher eine Erwerbsarbeit fanden.
 

Reagrarisierungsprozesse in der Geschichte

Generell sind auch bei uns die Gärten aus den Städten erst in der jüngsten Geschichte verschwunden, aus den Innenstädten der größeren Provinzstädte oft erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Im letzten Jahrhundert war besonders im nördlichen Teil Ostdeutschlands städtisches Ackerbürgertum noch keineswegs ausgestorben. Ackerbürger waren Vollerwerbsbauern, mit eigner Hufe oft als Pachtland. Der Name des Berliner Scheunenviertels erinnert an diese Form städtischer Ökonomie. Die Scheunen lagen alle zusammen an den Ausfallstraßen zu den Äckern der Bürger, nördlich des Scheunenviertels die Ackerstraße, in Nachbarschaft der Gartenstraße. Nördlich, aber auch noch südlich von Berlin gehören in der Altmark, in Brandenburg, in Vorpommern oder im südlichen Mecklenburg, bis heute mehr oder minder gut erhaltene Scheunenviertel zum typischen Bild kleiner Städtchen und Dörfer.

Dieses Ackerbürgertum war nicht unbedingt "schon immer" existent, sondern oft Ergebnis eines gewissen Reagrarisierungsprozesses, wie sie viele der norddeutschen Hansestädte erfuhren, nachdem die wichtigsten Handelswege ihre nicht mehr von Ost nach West verliefen, sondern von Süd nach Nord und Kriege die Städte zerstört und entvölkert hatten. Nach Bevölkerungsverlusten holten aufgeklärte Fürsten gezielt Siedler aus Holland, Frankreich oder Böhmen ins Land. Einen ähnlichen Reagrarisierungsprozeß schildert Peter Hersche für Oberitalien. Die reiche Städte von Oberitalien, verloren im Verlauf des 15. und 16. Jahrhunderts ihre Gewerbe (Tuchweberei und Waffenfabrikation) an andere europäische Regionen. Aus Prestigegründen hatten Mailänder, Florentiner und Venezianer seit dem 15. Jh. Ländereien gekauft, nun begannen sie, im 16. und 17. Jahrhundert durch die Pest aus den Städten vertrieben, besonders erfolgreich in der Lombardei und in Piemont, sich landwirtschaftlich zu betätigen. Das 17. Jahrhundert (von den italienischen Historikern als Jahrhundert der "Dekadenz" als Forschungsfeld gemieden), war ein Jahrhundert des enormen Aufschwungs der oberitalienischen Agrarwirtschaft. Bis Ende des 19. Jahrhunderts war Italien ein erfolgreiches Agrarland. Noch heute beziehen wir in Berlin Gemüse, Reis und Weine aus diesen von Städtern damals neu entdeckten ländlichen Gebieten Italiens.34

Einige der uckermärkischen Ackerbürger waren mit ihrer kleinräumigen Landwirtschaft im 19. Jahrhundert ähnlich erfolgreich. Zum Beispiel Gartz an der Oder hat heute nicht mehr sehr viel als 2000 Einwohner, gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren es jedoch mehr. Seit Ende des 18. Jahrhunderts betrieben die Ackerbürger hier Tabakanbau mit zunehmendem Erfolg. Die Scheunen, die vor allem nördlich von Stadtwall und -graben zum Trocknen der Tabakblätter gebaut wurden, wurden gegen Ende des 19. Jahrhunderts immer größer, es entstand eine Art historisierend prunkende Scheunenarchitektur. Auch die innerstädtische Architektur von Gartz war durch eine Hofbauweise bestimmt. Bis heute sprechen die Alteingesessenen Gartzer nicht von ihren Häusern, sondern von ihren "Höfen". Die mit der Traufseite zur Straße gelegenen Wohnhäuser haben - soweit sie die Bombardements 1945 überstanden haben - große Tordurchfahrten und rings um den Innenhof stehen verschiedene Ställe und Schuppen. Noch 1945 wurden hier Kühe und Schweine gehalten. Innerstädtische Landwirtschaft war für Gartz noch bei Kriegsende völlig typisch. Manch' einem aus der benachbarten Großstadt Schwerin erschien diese Mischökonomie allerdings schon damals als sozusagen vorsintflutlich. "Die Gülle, die floß hier noch nach dem Krieg die offene Straße hinunter, es stank," erinnert sich ein damals dort gestrandeter Stettiner noch heute schauernd.35 Erst die LPG-Wirtschaft hat Schweine und Kühe aus dem Stadtbild verschwinden lassen. Was nicht verschwand, waren die Gärten, die sich bis heute zwischen Wall und Stadtmauer und auch sonst auf zahlreichen innerstädtischen Brachen befinden und im Sommer zu einem freundlichen Stadtbild beitragen.
 

Von der Gartenbaukunst zur "weiblichen" Ökonomie

Gärten gehören heute zur informellen Ökonomie, genauer zur von "der Politik" nicht berücksichtigten Hauswirtschaft. Die derzeitige Politik ist dabei, sie in den Städten notfalls samt und sonders dem Kommerz zu opfern36. Der neue Brockhaus weiß nichts über ihre Bedeutung oder Geschichte.37 Sogar städtische Kleingärten bekommen im neuen Brockhaus gerade einmal ganze elf Zeilen gewidmet.38 Das Lexikon ignoriert die Gärten so wie die Wissenschaften seit Einführung der Nationalökonomie um 1850 die Hausarbeiten, die Subsistenz-Arbeiten der Frauen, übersehen. Das war nicht immer so. Das "Meyer's Conversations-Lexikon für die gebildeten Stände" von 1847 widmet Garten und Gartenkalender viele Seiten und noch der Meyer von 1908 referiert seitenlang zum Thema Garten.39

Wie der Name der Stadt Gartz andeutet, bedeutet Garten indoeurop. "gard", nämlich "hag", verwandt mit dem "gard" für Haus (im Sinne des umfriedeten Hofs) oder slawisch "gard", "garz" (Ortsnamen Garz, Gartz, Graz) für "Burg" (schon im Sinne eines kräftigen Palisadenzauns), Burgwall, kurzum Stadtbefestigung resp. Stadt, lat. "hortus": das eingehegte Land.40 Es handelt sich um jenen Teil der Landwirtschaft, der besonders alt ist und - in der Regel nahe am Haus - sich der einzelnen Pflanze zwecks der menschlichen Ernährung- und/oder zu Heilzwecken oder auch aus ästhetischen Gründen besonders widmet. Die einzelnen Gartenpflanzen bedürfen intensiver menschlichen Pflege, die - meist per Hand, eine Maschinisierung ist nur in geringem Umfang möglich - nur begrenzt möglich ist. Dermaßen intensiv bearbeiteten Beete werden daher gegen Haus- und Wild und räuberische Nachbarn oder Fremde mit einer (Gerten-)Hecke oder einem Zaun geschützt. Das Einzäunen von Viehherden und das Ausrotten der Wildtiere erlaubt erst in neuerer Zeit auf die Umfriedung zu verzichten. Unumzäunte Gärten sind meist herrschaftliche Ziergärten, wo Rehe nur minderen Schaden anrichten können. Der entscheidene Unterschied zwischen Gartenbau und Landwirtschaft ist heute der, daß im Garten für den eigenen Bedarf, im Ackerbau "Kraut und Rüben" im größeren Maßstab für den Verkauf produziert werden.

Nach dem Zusammenbruch der antiken Hochkulturen verschwanden die Gärten aus dem Diskurs und vielleicht auch der Praxis bis weit ins Mittelalter hinein. Unser Wort "Garten" stammt aus dem 8. Jahrhundert, als die Klöster entstanden, die Ländereien geschenkt bekamen und darauf Heilpflanzen und Küchenkräuter an bauten. Gärten wurden jetzt "Thema", nicht nur für Karl den Großen, der sich - veranlaßt dazu vielleicht auch durch seine Freundschaft mit dem Kalifen Harun al Raschid, von dem er Anbau-Tips und Knollen bekam - der "Gartenkunst" widmete.41 Demgegenüber kam gewerblicher Gartenbau erst im Mittelalter auf. Aber "Mode" wurden Gärten und privater wie kommerzieller Gartenbau vor allem im 18. Jahrhundert, als in Europa die ersten Glashäuser ("Orangerien") enstanden. Die Aufklärer, die Encyclopädisten des 18. Jahrhunderts, widmeten sich auch den Gärten ausführlich.42 Die bürgerliche Gesellschaft begann mit der Hinwendung zu den Voraussetzungen ihrer Existenz; Dichter und Denker versuchten sich als Landwirte.43 Über 100 Jahre später, an der Wende zum 20. Jahrhundert, wollte die bürgerliche Jugend wiederum durch Auszug auf's Land eine "neue Gesellschaft" gründen.

Tatsächlich ermöglichte erste die bürgerliche Gesellschaft mit der Eisenbahn den Anbau von Gartenerzeugnissen für den Export in größerem Maße. Bereits vor einem regulären Personenflugverkehr wurden (seit Ende des I. Weltkriegs!) Gartenbauprodukte durch Europa geflogen, Folge der nunmehr unausgelasteten Kriegsflugzeuge. Bereits damals halfen sich wenig verdienenden Gärtner mit Einkauf- und Vermarktungsgenossenschaften. Gärtnerische Produktionsgenossenschaften gab es vor DDR-Zeiten, in den 20er Jahren, im erweiterten Umland von Berlin in Görest (im Oderbruch) oder in Gransee.44

Bis ins 19. Jahrhundert hinein galt der Gartenbau, wegen der besonderen Kenntnisse, die er gegenüber der Landwirtschaft erforderte, als "zünftiges Gewerbe". In Bamberg gab es noch in den 1880er Jahren 700 gelernte Gärtnermeister. Seit der Einführung einer überwiegend für den Markt produzierenden Landwirtschaft geriet der Gartenbau ins Hintertreffen. Der Gartenbau wurde zum "Anhängsel der Landwirtschaft"45, den man nur insofern berücksichtigte, insofern er für die gewerbliche Landwirtschaft von Belang war. Dementsprechend gab es lange keine aussagekräftige Statistik der Gartenbauprodukte, wie im Handwörterbuch der Staatswissenschaften von 1927 kritisiert wird.46 Heute scheint - zumindest umgangssprachlich und nach Lexikon - "Garten" ganz zum Begriff für den informellen Eigenanbau verkommen zu sein, während erwerbsorientierte Gartenbaubetriebe sich bemühen, möglichst im Gewande seriöser Agrarwirtschaft zu erscheinen.

Gärten standen am Anfang der Ackerbaukultur47 und bezeichnen vielleicht auch sein Ende. Nach dem Abwickeln der beiden riesigen LPG von Gartz und Umgebung, bleibt vielen Gartzern nur Haus und Garten. Die Frauen und Männer im "Dorf", wie sie ihr Städtchen selbst ironisch nennen, bewerten ihre Arbeit in ihren Gärten als "Hobby", "das lohnt sich eigentlich nicht mehr". Sie sind daran gewöhnt, daß ihre Gärten, in DDR-Zeiten defacto Mini-Nebenerwerbslandwirtschaften, reales Geld brachten, als es für ein Schwein noch 1000 Mark, für ein Kaninchen 60 Mark gab. Nachdem wir aber mit unserem Seminar im Sommersemester 1996 durch den Ort gezogen sind, hat sich die Einstellung zum eigenen Garten und zur Kleinstlandwirtschaft für den Eigenbedarf etwas schon gewandelt. Unser Nachfragen hat die Wertschätzung der eigenen Arbeit bei vielen Frauen deutlich steigen lassen. Sie fühlen sich mit der Arbeit im Garten anerkannt. Damit machen sie es nicht mehr nur, weil "sie es so gewöhnt sind" und "weil es einfach sehr viel besser schmeckt". Jetzt ist es auch wieder "richtige Arbeit", obwohl es kein Geld bringt. "Es lohnt sich eben doch!", sagt mir eine Koloniegärtnerin resümierend mit Entschiedenheit noch in den Rücken hinein, als ich mich eigentlich schon verabschiedet hatte.
 

Neue Gründe für städtische Selbstversorgung: Ökologie

Heute gibt es weitere Gründe für die städtische Gartenwirtschaft. Nitrat im Grundwasser macht deutlich, daß der konventionelle Landbau beginnt uns leiblich zu gefährden. Um den Pestiziden in den konventionell gezogenen Lebensmitteln zu entgehen, betrieben Helga und William Olkowski in Berkely, Calefornien Ende der 70er Jahre eine erfolgreiche "Selbstversorgung in der Stadt" neben ihrem Unterricht an der Universität. Als sie darüber schrieben, hatten sie sich schon vier Jahre lang von ihrem winzigen Grundstück an der Seite ihres Hauses komplett und nicht nur vegetarisch ernährt, sie hatten sogar Kaninchen.48

Den Pestizid-Misch der konventionellen Landwirtschaft vertragen wir wahrscheinlich nicht mehr, behauptet ein Allergie-Forscher-Team aus Chikago bereits seit Jahren.49 Eine Forschergruppe aus Biologen und Medizinern am Meeresbiologischen Institut der Universität Oldenburg hat soeben festgestellt, daß mehrere Pestizide und sonstige Lebensmittelzusätze zumal im Verein mit den üblichen Umweltgiften wie Autoabgasen nicht mehr körperverträglich sind. Die bisherige "Minimalrückstands"-Verordnungspolitik ist vielfach überholt, da man vor allem einspurig geforscht hat. Ein menschlicher Körper kann offenbar den minimalen Rückstand eines Pflanzenschutzmittels ganz gut vertragen, sobald er aber deren mehrere verdauen soll, tritt der synergistische Effekt ein und "das System dreht durch".50 Bei einem Verfahren, das der Radiologe Popp mit Doktoranden an der Universität in Marburg entwickelt hat, kann man die Strahlung lebendiger Pflanzen messen und sichtbar machen.51 Im Vergleich strahlen die biologisch angebauten Pflanzen kräftiger, vielleicht ein Grund, warum sogar Ratten, ganz egal ob zuvor an konventionell oder biologisch erzeugte Lebensmittel gewöhnt - den biologisch angebaute Lebensmitteln den Vorzug geben, wie ein Forscherteam am Wiener Ludwig-Boltzmann-Institut für ökologischen Landbau festgestellt hat.52 Es sind wahrscheinlich die natürlicheren Aromen, die Mensch und Tier veranlassen, eher nach den biologisch angebauten Lebensmitteln zu greifen.53 Über Geschmack läßt sich also sehr wohl streiten. Wenn Gärtnerinnen aus Tradition wie in Landstädtchen wie Gartz behaupten, die Produkte aus eigenem Anbau, "schmecken einfach besser", ist da wahrscheinlich "was dran". Der noch unverdorbener Geschmack der Landbewohner weißt uns zudem in die Richtung einer "nachhaltigen" Bodenbaukultur.
 

Hortikultur als Vorbild

30% könnten sie zum Einkommen beitragen, "sparen", wenn sie den Garten ordentlich bewirtschaften, berichten Frauen aus einem fränkischen Dorf der Göttinger Agrarsoziologin Heide Inhetveen.54 Auch dort war es vielfach die Entscheidung der Frauen, nach Stillegung der Fabrik die Männer auf ferner gelegene Arbeitsplätze zu schicken, während sie selbst die Nebenerwerbslandwirtschaft allein weiter führen oder sich zumindest um den Garten kümmern. Die Gärten garantieren die Kommunikation unter den Dörflern und führen zu gegenseitigen Aushilfsaktionen. Die Gärten, schließt Heide Inhetveen, tragen nicht unerheblich zu einem positiven sozialen Klima des Ortes bei, sie halten auch Dörfer ohne Landwirtschaft lebendig, sie haben eine positive soziale Funktion.55

Nach einer Verbraucher-Statistik hatten 56% der westlichen Bundesdeutschen über 14 Jahre einen Garten, nämlich 27,46 Millionen, wovon - aus städtischer Sicht - erstaunlicherweise nur 40% überwiegend als Ziergärten genutzt wurden. In Ostdeutschland besaßen sogar 59% der über 14jährigen also 7,7 Millionen einen Garten, von denen fast 90 % vor allem Nutzgärten waren. Nach einer Allensbach-Umfrage hatten 1986 im Westen in den Orten mit unter 20 000 Einwohner sogar 70% Gärten, bäuerliche Gärten nicht mitgerechnet, in Großstädten mit über 100 000 Einwohnern hatten immerhin noch 40% einen Garten. Die Gärten sind der Deutschen liebstes Hobby, erbrachte eine weitere Umfrage.56

Die Gärten als Anfang und Ende der Landwirtschaft? Das war schon in den Religionen so, wo der Garten Eden an unseren mythischen Anfängen leuchteten und wir auch im Tode in ein solches Paradies einzugehen gedachten. Eden war auch der Name utopistischer alternativer Gemeinschaften Ende des letzten Jahrhunderts, wie wir aus Oranienburg wissen. Im Süden der Erde ist das Verfügen-Können über ein Stück Land zumindest in Größe eines Gartens überlebensnotwendig. Andererseits reicht in den Tropen, aus denen die meisten unserer Gartenfrüchte stammen, ein Grundstück von der Größe eines Gartens nahezu aus, eine Familie zu ernähren. Um 1800, als man dem Garten gegenüber weniger ignorant wie heute war, sahen Menschen wie Alexander von Humboldt mit Blick auf die chinesische Gartenbaukunst, wieviel man dort aus minimal großen Grundstücken herauszuarbeiten verstand.57 Um ausreichend ernährt zu sein, braucht man in der Dritten Welt eigenes Land. In den Tropen reicht vielfach schon ein kleiner Acker, die Landbewohner vor Hunger oder Unterernährung zu bewahren.58

Ein letztes Beispiel: Auf den sehr fruchtbaren Philippinen verdienen die Landarbeiter auf den Haciendas umgerechnet 30-40 DM, mit 40 DM im Monat kann man aber nicht den Reis für das tägliche Überleben kaufen. Daher brauchen die Armen eigenes Land, um anbauen zu können. Landreformen sind schon lange beschlossen, sie wurden aber nicht durchgeführt. Die Nutznießer des Exports aus den Philippinen, der reiche "Westen" oder "Norden" pocht nicht darauf, daß die entsprechenden Versprechungen eingehalten werden. Dabei war es erst die Einführung des westlichen Rechts, mit der Möglichkeit eines absoluten "Besitz" von Land seitens eines Einzelnen, der in den meisten Ländern Afrikas und Asiens die Frauen um ihre Ackerflächen brachte. Die wichtigste Forderung der Afrikanerinnen auf der Weltfrauenkonferenz in Peking war, mehr Recht auf Landbesitz, mehr Sicherheit für ihre Küchengärten.59 "Ernährungsicherung" heißt für viele des Südens vor allem: Recht auf ein Stück Gartenland. In Zeiten der Krisen sind Gärten lebensnotwendig.

Auch in einer - im Vergleich zum reichen Westen - "relativ geldlosen Gesellschaft" wie jener des "platten" Landes in Ostdeutschland haben die Gärten oder Nebenerwerbslandwirtschaften vor allem ideellen und sozialen Wert und bewahren vor würdeloser Erwerbslosigkeit in völliger Untätigkeit. Die Gärten bewahren vor schlechter Ernährung infolge nicht sonderlich hoher Einkommen und bewahren den Geschmack für's Eigene.

Die weite Umwelt- und Gesundheitskrisen erzwingen zu einer Rückkehr zu einem nachhaltigen Wirtschaften, zu mehr regionsbezogenem Arbeiten, vor allem im Landbau. Die Gärten, in denen der zyklische Verlauf der Natur eher sichtbar ist, als in anderen Bereichen des menschlichen Lebens, sind geeignet, zu einem "nachhaltigen Wirtschaften", einer naturverträglichen Ökonomie zurückzuführen.60 Die "Reagrarisierung" muß daher keineswegs ein Drama sein, sondern kann auch der Einstieg in neue Formen eines geruhsameren Arbeitens und Lebens sein, die die Frauen auch vor anstrenger Doppelbelastung in Haushalt und Beruf bewahren kann. Der geringere Lebensstandart, der damit verbunden ist, kann als Beitrag zur Nachhaltigkeit verstanden werden. Eine Agrarfakultät, die sich auch um die Gärten des informellen Sektors als potentiellen Beitrag zu einer umweltverträglichen Bodenbewirtschaftung und Landschaftserhaltung und einer neuen Sozialpolitik zugunsten der Dörfler kümmern würde, könnte sich neue Aufgaben schaffen, die im Interesse der Gesamtgesellschaft lägen.

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1 Zur Funktion und Geschichte der FAO vgl. Wolfgang Hein, Die FAO:, in Landwirtschaft 96 - Der kritische Agrarbericht, hrsg. vom Agrarbündnis e.V. Bielefeld 1996, S. 78-86
2 World Food Summit 13-17 Novembre Rome, Italien, Rome Declaration on world food security and world food summit plan of action, FAO-Publikation 1996
3 Lester R. Brown, Tough Choices - Facing the Challenge of Food Scarity, The Worldwatch - Enviromental Alert Series, New York/London: W.W. Norton & Company 1996, pp 19
4 Kerstin Lanje, Subsistenzökonomie und Ökolandbau: Die Alternative zur Globalisierung? - Diskussionen von Landfrauen auf dem NGO-Forum in Huairo, in: Der kritische Agrarbericht, hrsg. vom Agrarbündnis e.V. Bielefeld 1996, S. 99 - 103, S. 102; Christa Wichterrich, Die Erde bemuttern - Frauen und Ökologie nach dem Erdgipfel in Rio, Berichte -Analysen -Dokumente, hrsg. v. der Heinrich-Böll-Stiftung, Köln 1992
5 Ester Boserup, Die ökonomische Rolle der Frau in Afrika, Asien und Lateinamerika, Stuttgart 1982, ed. cordeliers: mit Unterstützung der Aktion Selbstbesteuerung e.V. engl. 1970; Maria Mies, Frauen, Nahrung und globaler Handel - Eine ökofeministische Analyse zum
Welternährungsgipfel 13.-17.November 1996 in Rom, Bielefeld: Institut für Theorie und Praxis der Subsistenz e.V. 1996
6 Vgl. Das Paper des Forum Umwelt & Entwicklung, World Food Summit - Positionen deutschen Nichtregierungsorganisationen zum Welternährungsgipfel der FAO vom 13.-17. November 1996 in Rom
7 World Food Summit, FAO, Technical Background Documents, Rom, Italy Novembre 1996, 3 Bde, Bd 3
8 Theo Rauch, Armin Haas, Beate Lohnert, Ernährungssicherheit in ländlichen Regionen des tropischen Afrikas zwischen Weltmarkt, nationaler Agrarpolitik und den Sicherungsstrategien der Landbevölkerung, In: Peripherie Nr. 63 1996, S. 31-72, 39
9 Vgl. Frankfurter Allgemeiner Zeitung vom 14.11.1996 Frontseite "Mehr als 800 Millionen Menschen unterernährt - Aufruf zum Kampf gegen den Hunger der Welt - Ernährungskonferenz in Rom verabschiedet Aktionsprogramm / Appelle des Papstes und Boutros-Ghalis"
10 nach Theo Rauch, Armin Haas, Beate Lohnert, Ernährungssicherheit, 40
11 Theo Rauch, Armin Haas, Beate Lohnert, Ernährungssicherheit, passim
12 Ester Boserup, Die ökonomische Rolle der Frau, passim
13 Information von Friedhelm Streiffeler, Zimbabwe betreffend
14 Friedhelm Streiffeler, Urban Agriculture in Afria, The recent situation in its most important aspects, in: Anna-Maria Brandstetter, Dieter Neubert, Gerhard Grohs, (Hrsg.), Afrika hilft sich selbst - Prozesse und Insitutionen der Selbstorganisation, Münster: Lit Verlag 1994, S.241-255
15 Friedhelm Streiffeler, Soziale und politische Probleme der städtischen Landwirtschaft, Vortrag auf der Tagung der Sektion Land- und Agrarsoziologie in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, Dezember 1994
16 Bronislaw Malinowski, Korallengärten und ihre Magie - Bodenbestellung und bäuerliche Riten auf den Trobriand-Inseln, engl. Org. 1935, deutsch. hrsg. v. Fritz Kramer, Frankfurt a.M.: Syndikat 1981
17 Maria Mies und Vandana Shiva, Ökofeminismus - Beiträge zur Praxis und Theorie, Zürich: Rotpunkt Verlag 1995; Vandana Shiva, Das Geschlecht des Lebens, Berlin: Rotbuch 1989; vgl. den Beitrag von Parto Teherani-Krönner in diesem Band
18 Gisela Bock, Barbara Duden, Arbeit aus Liebe - Liebe als Arbeit, in: Frauen und Wissenschaft - Beiträge zur Berliner Sommeruniversität für Frauen, Juli 1976, Berlin: Courage 1977, S. 119-199
19 Gesprächsrunde im Herbst 1991 in Bremen bei Ivan Illich und Barbara Duden
20 V.G. Loshakov am 18.12.1996 an der Humboldt-Universität
21 Vgl. Welternährung 1/1996
22 Ingo Malcher, Saat für soziale Gerechtigkeit - Gärtner helfen Sozialhilfeempfängern, sich in der Bay-City selbst zu versorgen: Auf früheren Geröllhalden bauen sie Biogemüse an, in: Die Tageszeitung 24./25.8.1996
23 Uwe Hoering, Unsichtbar und unentbehrlich - Städtische Landwirtschaft verdient bessere Förderung, in: Welternährung 3/1996
24 Oswald Hitschfeld, Der Kleinsthof - und andere gärtnerisch-landwirtschaftliche Nebenerwerbsstellen: ein sicherer Weg aus der Krise, 2. überarb. Aufl. Xanten: Organischer Landbau Verlag 1993. Erste Aufl. wahrsch. im 1950 im Eigenverlag. O.H. (1905-93) war selbst "Vertriebener" (Sudentendeutscher), der im badischen Berghaupten erfolgreich biologisch-dynamischen Landbau betrieb.
25 Claudia von Werlhof, Wenn die Bauern wiederkommen - Frauen, Arbeit und Agrobusiness in Venezuela, Bremen: Ed. Con Periferia 1985, 152
26 Max Weber, Politische Schriften, München 1921, S.62; vgl. Sven Papcke, Deutsche Soziologie im Exil - Gegenwartsdiagnose und Epochenkritik 1933-1945, Frankfurt/New York: Campus 1993, S.200
27 Der Leipziger Schrebergartenverein Dr. Schreber konnte bereits 1896 ein Vereinshaus eröffnen, 1921 entstand der "Reichsverband der Kleingartenvereine". Deutsches Museum der Kleingärtnerbewegung Leipzig, Aachener. Str. 7 04109 Leipzig
28 Vgl. Walter B. Godenschweger, Fritz Vilmar, Die rettende Kraft der Utopie - Deutsche Juden gründen den Kibbuz Hasorea, Frankfurt a.M.: Luchterhand 1990 und Ulrich Linse, Antiurbane Bestrebungen in der Weimarer Republik, In: Im Banne der Metropolen Berlin und London in den 20er Jahren, hrsg. von Peter Alter, Göttingen und Zürich: Vandenhoek & Ruprecht, S. 314-344 "Die Wirtschaft der Siedler in ihren `Werkgemeinden' beruhte auf Ackerbau und Gärtnerei..." S.319
29 Elisabeth Meyer-Renschhausen, "How to put more pesticids into our food" - FAO-Welternährungsgipfel und Leibfeindlichkeit, in: Kommune 15. Jg. 1997, Nr. 1., S. 11-16
30 Art. "Gartenbau" in: Meyers großen Konversationslexikon 6. Aufl. 17. Bd. Franzensbad - Glashaus, 1908, S. 345-349, S.348
31 Vgl. Reichsgesetzblatt, S. 1371 zit. nach: Artikel "Gartenbau" von Kurt Ritter, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 4. gänzl. überarb. Aufl., Jena 1924ff, 4. Bd. 1927, S. 558-572, S. 568
32 Ulrich Linse, Hrsg., Zurück o Mensch zu Mutter Erde - Landkommunen in Deutschland, München: dtv 1983; ders. Antiurbane Bestrebungen in der Weimarer Republik, in: Im Banne der Metropolen - Berlin und London in den zwanziger Jahren, hrsg. v. Peter Alter, Göttingen/Zürich: Vandenhoek & Ruprecht, S. 314-344; Anne Feuchter-Schawelka, Siedlungs- und Landkomunebewegung, in: Handbuch der deutschen Reformbewegungen, 1880-1993, hrsg. Diethart Kerbs, Jürgen Reulecke, Wuppertal: Peter Hammer 1998, 227-244
33 Mündliche Information von Elizabeth Harvey, Liverpool
34 Peter Hersche, Deindustrialisierung und Reagrarisierung in Oberitalien im 17. Jahrhundert, in: Journal für Geschichte, Juni 1987, S 12-23
35 Exkursion nach Gartz an der Oder am 7.-9.7.1996
36 Beispiel Berlin: Der Sozialdemokratische Bausenator Nagel wollte 1990-1995 in Berlin vor allem die innerstädtischen Schrebergärten opfern. 40 ha Grün mit "Grüne-Lunge-Funktion" für die innere Stadt auf dem Gleisdreiecksecksgelände wurden samt Kleingärten zweifelhaften Riesenbauunternehmungen auf dem Potsdamer Platz geopfert.
37 Brockhaus Enzyklopädie in 24 Bdn, 19. völlig neu bear. Aufl., 8. Bd Fru-Gos 1989
38 Brockhaus Enzyklopädie in 24 Bdn, 19. völlig neu bear. Aufl., 12. Bd Kir-Lag 1990
39 Meyer's Conversationslexikon für die gebildeten Stände, 1847, 11. Bd., Franzensbad - Gebärmutterfibroide, Seiten 959 - 984; Meyers großes Konversationslexikon 6. Aufl. 17. Bd. Franzensbad - Glashaus, 1908
40 Vgl. u.a. Günther Kühne, Ist der Ortsname Gartz mit dem deutschen Wort Garten verwandt?, in: 750 Jahre Gartz an der Oder, 1249-1999 - Beiträge zum Stadtjubiläum der Stadtgründung Hans-Friedrich Blume, Günther Kühne, hrsg., Gartz: Eigenverlag 1996, S. 67-71
41 Artikel "Gartenbau" in: Meyers großen Konversationslexikon 6. Aufl. 17. Bd. Franzensbad - Glashaus, 1908, S. 345-349, S. 346
42 Heide Inhetveen, Von der "Hausmutter" zur "Mithelfenden Familienangehörigen" - Zur Stellung der Frau in Agrartheorien, In: Freilichtmuseum und Sozialgeschichte, Referate des Symposiums am Fränkischen Freilichtmuseum vom 7. bis 8. November 1985, Bad Windsheim 1986, S. 109-121
43 Erfolgloser als der Begründer der Wissenschaftlichen Landwirtschaftslehre Albrecht Thaer war etwa der Dichter und ehemalige Erfurter Professor Christoph Wieland (1733-1813) ab 1775 auf Oßmannstedt bei Weimar.
44 Artikel "Gartenbau" von Kurt Ritter, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 4. gänzl. überarb. Aufl., Jena 1924ff, 4. Bd. 1927, S. 558-572, S. 566
45 Ebda. S. 566
46 Ebda. S. 569
47 Vgl. u.a. Ed. Hahn, Demeter und Baubo - Versuch einer Theorie der Entstehung unres Ackerbaus, Lübeck: Selbstverlag o.J. (1896)
48 Helga und William Olkowski, Selbstversorgung in der Stadt, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1985, am. Orig. The City People's Book of Raising Food 1975
49 Theron G. Randolph, Ralph W. Moss, Allergien: Folgen von Umwelt und Ernährung - Chronische Erkrankungen aus der Sicht der Klinischen Ökologie, 5. durchges. Aufl., Karlsruhe: C.F. Müller, 1990 (1984) (orig. NY 1980: An Alternative Approach to Allergies)
50 Irene Witte, Toxische Komibinationswirkungen von Umweltchemikalien, in: Arzt und Umwelt - Ökologisches Ärzteblatt, 1996, Heft 4, S.212-216
51 Fritz-Albert Popp, Die Botschaft unserer Nahrung, Frankfurt a.M.: Fischer TB 1993
52 Manfred Hoffmann, Lebensmittelqualität, 2. überabr. Aufl. hrsg. Bad Dürkheim, Stiftung Ökologischer Landbau, Karlsruhe: Verlag C.F. Müller 1995, S. 41
53 Ebda., S.34 ff
54 Andere schätzen, daß man nur 20% sparen kann: siehe "Modern Farming Guides A Manual on How to Make FAITH (Food allways in the Home) in Your Homeyard by Warlito A Laquihon and Harold R. Watson, Mindanao Baptist Rural Life Center, Sansalan, Davao Del Sur, Philippines, first ed. 1983, third ed. 1987, p. 1
55 Heide Inhetveen, Hortikultur als Vorbild, in: Politische Ökologie 12.Jg.1994, Sonderheft 6, S. 22-27; dies., Farming Women, Time and the "Re-agrarization" of Consciouness, in: Time and Society 3.1994, Vol. 3, 259-276
56 Heide Inhetveen, Die Landfrau und ihr Garten - Zur Soziologie der Hortikultur, in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie, 42.1994, Heft 1, S. 41-58
57 Information von Albert Wirz, Institut für Afrikanistik der Humboldt-Universität Berlin
58 Vgl. Handbuch der Landwirtschaft und Ernährung in den Entwicklungsländern, Bd. 1, Peter von Blanckenburg, Hrsg, Sozialökonomie der ländlichen Entwicklung, Stuttgart: Ulmer 1982
59 Christa Wichterich, in: Forum Umwelt und Entwicklung, Nr. 3 1996
60 Vgl. Heide Inhetveen, Zeitsprünge - Bäuerliche Lebensformen in der Industriegesellschaft, in: Politische Ökologie 13.Jg. September/Oktober 1995, Sonderheft 8, S. 76-85
 

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