Famulaturbericht
Momento Mori
Ein Hospiz (lat. hospitium = Herberge) stellt im modernen Sinn des Wortes eine Einrichtung für Patienten im Endstadium einer chronischen Erkrankung dar. Die Absicht eines Hospizes besteht darin, Sterbenden Ruhe zu schenken, ihre Schmerzen zu lindern, Symptome zu kontrollieren und Hilfe und Begleitung für die Angehörigen anzubieten. Ein Hospiz bietet aber auch Patienten die Möglichkeit zur Rekonvaleszenz - z.B. nach einer akuter Verschlimmerung ihrer chronischen Erkrankung.
Daniela Krause verbrachte im Rahmen ihrer Famulatur - Bestandteil der praktischen Ausbildung des Medizinstudiums - den Februar letzten Jahres im Hospiz "Edenhall" in London-Hampstead. Ein Rückblick.Mit Seneca, dem römischen Dichter und Philosophen, und William Shakespeare bereitete ich mich diesmal innerlich auf meine Famulatur im Londoner Hospiz Edenhall vor. Wie würde ich Krebskranken, die sich im Endstadium ihrer Krankheit befinden, in Edenhall begegnen? So waren Textstellen wie diese Inhalt meiner Gedanken:
..."Out, out brief candle!
Life"s but a walking shadow, a poor player
That struts and frets his hour upon the stage,
and then is heard no more, ..." (Macbeth, Act 5, Scene 5)"Ex quo natus es, duceris" - "Seit Deiner Geburt wirst Du hingeführt" (Seneca: Epistulae morales ad Lucilium, Liber I)
Was nun genau ist Edenhall? Das Hospiz ist eine der vielen Säulen der sich auf das ganze Vereinigte Königreich ausdehnenden Wohltätigkeitsorganisation "Marie Curie Cancer Care". Sie ist die größte Dachorganisation für Krebskranke im Vereinigten Königreich.Ein Krebsforschungszentrum ist ihr angeschlossen. Marie Curie Cancer Care ist Teil des britischen staatlichen Gesundheitswesens (NHS) und erhält Zuschüsse von der örtlichen Gesundheitsbehörde. Die Hauptfinanzierung stützt sich jedoch zum größten Teil auf Spenden und Erlöse aus Basaren und Veranstaltungen, die Marie Curie Cancer Care organisiert.
Edenhall besteht aus zwei Stationen mit insgesamt 32 Betten, verfügt aber auch über eine "Day Care Unit" für die ambulante Behandlung von Patienten. Das Arzt- und Pflegepersonal arbeitet mit dem Ansatz der "Palliative Care", der "lindernden Medizin". So bestehen in diesem Hospiz Möglichkeiten zur Physio-, Aroma-, Ergo- und Maltherapie. Zur Schmerztherapie werden in Edenhall auch Akupunktur und Nervenblockaden durchgeführt.
Ein Hospiz, dessen Grundidee auf die englische Krankenschwester und Sozialarbeiterin Cicely Saunders zurückgeht, die 1967 das erste Hospiz dieser Art, das St. Christopher"s Hospice, in London gründete, ist mehr als eine Institution. Es beinhaltet ein Konzept, den Sterbenden unter Einbeziehung der Angehörigen selbstverständliche und liebevolle Unterstützung zu geben bei ihren Leiden - in körperlicher, spiritueller und psychosozialer Hinsicht. Der Patient ist die "Autorität" im Behandlungsplan. Er allein legt die Prioritäten seiner letzten Lebenstage fest, die in der Schmerzlinderung, der Beseitigung der Angst vor dem Tod, der Abfassung eines Testamentes, dem Hader mit dem Schicksal bestehen können.
In einem Hospiz sind Leid, Trauer, Sterben und der Tod natürliche und vor allem alltägliche Bestandteile des Lebens. Sinn eines Hospizes ist deshalb die Meidung eines therapeutischen Nihilismus in gleichem Maße wie die Meidung eines übertriebenen Aktionismus in Anbetracht einer nicht mehr heilbaren Krebserkrankung. Der Todeseintritt wird weder hinausgeschoben noch beschleunigt.
Es ist ein "Weg der kleinen Hoffnungen", der auch in Edenhall gegangen wird. Denn auch Schmerzfreiheit, ein kräftiger Appetit, phantasievolles Nutzen der (noch) vorhandenen Fähigkeiten, ein Spaziergang im schönen Garten können Hoffnung und "Erfolg" bedeuten - und nicht zuletzt der Anblick blühender Osterglocken, dem Wahrzeichen von Marie Curie Cancer Care, ein Anblick, der schon den englischen Dichter William Wordsworth zu den Worten "...And then my heart with pleasure fills and dances with the daffodils..." inspirierte.
In Edenhall lernte ich kennen, wie wichtig die Kommunikation zwischen allen Mitgliedern eines Teams ist, wenn das Erfüllen der Bedürfnisse und Wünsche der Sterbenden höchstes Gebot ist. Auch der eigenen Bewältigung des Todes eines Patienten dienten die Aussprachen und Versammlungen, die mindestens einmal pro Woche stattfanden und an denen Ärzte, Pflegekräfte, Physiotherapeuten, Psychiater, Psychologen, Kunsttherapeuten, Sozialarbeiter, Pfarrer und ehrenamtliche Mitarbeiter teilnahmen.
Beeindruckend war die Offenheit aller Teammitglieder für die anderen Fachgebiete. War es ein "good death"? War der Patient kurz vor seinem Tod von Ruhe erfüllt? War er schmerzfrei? Zuhören, das sensible "Lesen" auch der nonverbalen Kommunikation sowohl der Patienten als auch der Mitarbeiter anderer Fachgebiete, das kritische Hinterfragen eigener Standpunkte, der aufrichtige Umgang mit allen Beteiligten bilden die Grundlage des "holistic approach", des ganzheitlichen Ansatzes, oberstes Ziel der Hospizbewegung. Nicht "abgehärtet" sollen die Mitarbeiter sein; vielmehr müssen auch sie das Recht haben, schwach zu sein und an ihrem Tun zweifeln zu dürfen.
Der Wert dieser Famulatur, die eindrucksvollen Erfahrungen in dem Hospiz Edenhall lassen sich wohl nur mit einem Zitat (1983) von Mr. Buckingham, dem Vater der nordamerikanischen Hospizbewegung, in Worte fassen:"Wir, die wir in einem Hospiz arbeiten, sind wahrhaft glücklich zu nennen, denn wir erhalten die einmalige Chance, des Lebens tiefste Lektionen zu lernen".
Daniela S. Krause
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