Patientengeschichte
Neue Mobilität für rheumakranke Finger
Hannelore Gerlang* hat sehr schöne, schlanke Hände. Es ist kaum vorstellbar, daß sie sich den Ehering vom Finger sägen lassen mußte, weil sie an rheumatoider Arthritis, kurz an Rheuma, leidet. In Form von Schüben treten dabei an den Extremitäten stark schmerzende Schwellungen auf. "Als Metallarbeiterin habe ich viel mit den Händen gearbeitet, habe gebohrt, gestanzt, Rohre und Schraubengewinde geschnitten", berichtet die 57jährige.
So stützte ein Orthopäde seine Diagnose auf die These, daß das Rheuma bei der Patientin eine Abnutzungungserscheinung sei. Dr. Ulrich Eggens, Rheumatologe im Universitätsklinikum Benjamin Franklin, zu dem der Hausarzt Hannelore Gerlang überwies, ist jedoch anderer Meinung: "Es handelt sich um eine Autoimmunerkrankung mit familiärem Hintergrund." Denn: Sowohl die Mutter als auch die beiden Schwestern seiner Patientin sind rheumakrank. Besonders bei Schwester Lydia kam es schon früh zu einer katastrophalen Entwicklung: Bereits mit 37 Jahren mußten bei ihr einige Fingergelenke durch Endoprothesen ersetzt werden. "Zu mir sagte Lydia oft: "Du hast Glück!" Doch mir stand ihre Krankheit immer drohend vor Augen. Ich ließ mich deshalb regelmäßig auf Rheumafaktoren untersuchen", erzählt Hannelore Gerlang. Darum war sie vorbereitet, als die Krankheit sie einholte - zwanzig Jahre später als ihre Schwester.
Am Steglitzer Klinikum wurde als erstes eine umfassende Rheumadiagnostik bei der Patientin durchgeführt. Dr. Eggens fand bei ihr das gleiche Risikoprofil vor wie bei der Schwester. Hauptmerkmale: heftiger Ausbruch der Erkrankung an vielen Gelenken, starkes Krankheitsgefühl. Die Fahndung nach Rheumafaktoren und nach speziellen HLA-Antigenen - das sind genetisch determinierte Lymphozyten-Oberflächenmerkmale - ergab positive Befunde. Auch Veränderungen an den Knochen bahnten sich bereits an. Angesichts dieser "höchst ungünstigen Prognose" entschloß sich Eggens, der Patientin "die Mitwirkung in einer neuen vielversprechenden Studie vorzuschlagen." So wurde Hannelore Gerlang seine "Pilotpatientin", also die erste von 60 Probanden mit rheumatoider Arthritis im Frühstadium. Bei ihnen sollte eine unkonventionelle Medikamententherapie zum Einsatz kommen.
Ausgangspunkt für diesen Therapieversuch war laut Eggens die Beobachtung, "daß irreparable Behinderungen entstehen, wenn die Patienten in den ersten zwei Jahren nicht stringent genug behandelt werden. Denn das ist der Zeitraum, in dem das Gelenkknorpelgewebe regelrecht wegschmilzt. Der Knorpel ist durch nichts zu ersetzen, außer durch Kunstgelenke." Auf dieser Basis entschieden die Rheumatologen am Klinikum: "So früh wie möglich - so aggressiv wie nötig!" Das heißt auch, daß der Einsatz starker Mittel nicht schrittweise, sondern konzentriert gleich zu Beginn der Erkrankung erfolgt.
Im einzelnen bedeutet dies: In einer Kombination werden zwei Immunsuppressiva, also immundämpfende Mittel verabreicht. Ihr ursprüngliches Einsatzgebiet waren die Tumortherapie bzw. die Tranplantationsmedizin. Die Rheumatologen versprechen sich Hilfe von diesen Mitteln - die eine dämpfende Wirkung auf die Immunabwehr entfalten -, weil bei Rheuma eine "Autoimmunstörung" vorliegt. Bei den sogenannten Autoimmunkrankheiten, so Eggens, "baut der Körper Abwehrkräfte gegen seine eigenen Strukturen auf - wie er sie beispielsweise gegen die fremden Strukturen eines Transplantats entwickelt -, und diese Störung ist gerade in den Gelenkschleimhäuten und anderen Schleimhäuten sehr häufig".
Etwas skeptisch weist die Patientin auf ihren handgeschriebenen Erinnerungszettel, auf dem fünf Namen von Medikamenten stehen. "Als Nebenwirkung der Rheumatherapie bekam ich hohen Blutdruck, dagegen muß ich ebenfalls mit einer Pille behandelt werden", seufzt sie. Dr. Eggens dazu: "Der Teufelskreis "starke Wirkung - Nebenwirkung" ist das kleinere Übel. Die Patienten sind im Irrtum, wenn sie meinen "An Rheuma stirbt man nicht"!" Sie sollten sich wegen der Mittel nicht mehr sorgen als wegen der Krankheit. Rheuma verkürzt das Leben genauso wie eine koronare Herzkrankeit. Denn das gestörte Immunsystem greift nicht nur die Gelenke an, sondern verursacht darüber hinaus schwere Schäden an Nieren und Gefäßen.
Einen gänzlichen Verzicht auf die Medikamente kann Eggens seiner Patientin nicht in Aussicht stellen: "Da es ihr jetzt gut geht und die Entzündungsparameter rückläufig sind, werden wir die Dosis langsam reduzieren. Eines der starken Mittel wird sie auf jeden Fall langfristig benötigen." Eine Unterbrechung der Therapie wäre riskant, weil der Körper danach nicht mehr so gut auf die Substanz anspricht.
Ironie dieses Erfolgs: Weil man ihren Händen von der schlimmen Krankheit nun nichts mehr ansieht, befürchtet Hannelore Gerlang, die Amtsärzte könnten glauben, sie simuliere nur und würden ihr darum womöglich die Erwerbsunfähigkeitsrente verweigern. Doch ihr Arzt ist der Überzeugung, sie könne auf keinen Fall wieder in ihren alten Beruf zurück. Und so überlegt Hannelore Gerlang auch, was sie dann mit der wiedergewonnenen Mobilität ihrer Finger anfängt.
Sylvia Zacharias
* Name von der Redaktion geändert
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