Interview
Viagra - nicht ohne Risiko
Die Potenz-Pille Viagra ist in aller Munde. Zu einigen grundsätzlichen
Aspekten antwortet Privatdozent Dr. Rüdiger Heicappell, leitender
Oberarzt an der Urologischen Klinik und Poliklinik des Universitätsklinikums
Benjamin Franklin, auf die Fragen von Dr. Sylvia Zacharias.
? Der amerikanische Pharmakonzern Pfizer berichtet - laut Bild-Zeitung
- daß sein Produkt Viagra seit der Markteinführung massenhaft
an Männer über 50 verschrieben wurde, die an Herz- und anderen
Krankheiten leiden. Wäre eine derartige Indikationsbreite in Deutschland
ebenfalls denkbar?
Die Indikationen für Viagra sind - in Deutschland wie in den USA -
die organisch bedingte sowie die gemischt psychisch und organisch bedingte
Impotenz. Wie alle stark wirksamen Medikamente kann Viagra in Wechselwirkung
mit anderen Arzneimittel treten. Bei Patienten, die für die Behandlung
ihres Herzleidens Nitrate einnehmen, kann Viagra zu einer gefährlichen,
plötzlichen Blutdrucksenkung führen. Für diese Patienten
bleibt die Potenzpille eine absolute Kontraindikation.
? Haben Sie an Ihrer Klinik bereits Erfahrungen mit Viagra gesammelt?
Wir haben in unserer Poliklinik bisher etwa 15 Patienten behandelt, die
überwiegend an organisch bedingter Impotenz leiden, beispielsweise
bedingt durch Diabetes mellitus. Bei diesen Patienten besteht auch ein
erheblicher Leidensdruck. Da Viagra voraussichtlich erst im Herbst in Deutschland
zugelassen wird, muß das Mittel derzeit über die internationale
Apotheke beschafft werden.
? Inwiefern stellt Viagra für Ihre Patienten eine Therapieverbesserung
dar?
Um eine für den Geschlechtsverkehr ausreichende Gliedsteife zu erreichen,
mußte bisher vor dem Verkehr mit einer sehr kleinen Nadel ein gefäßwirksames
Medikament in den Schwellkörper des Penis injiziert werden. Man kann
sich leicht vorstellen, daß die Einnahme einer Tablette von den Patienten
als sehr viel angenehmer empfunden wird.
? Wie wirkt Viagra im Vergleich mit der Injektion? Handelt es sich bei
Viagra um ein erotisches Stimulans oder Aphrodisiakum?
Für eine gewisse Zeit hemmt der Wirkstoff von Viagra (Sildenafil)
den Abbau von zyklischem Guanosinmonophosphat (cGMP) im Schwellkörper;
dieses Enzym wird für die Erektion benötigt. Im Gegensatz zu
den direkt in den Penis injizierten Pharmaka tritt die Wirkung von Viagra
nicht unabhängig von der sexuellen Erregung ein.
?Am Anfang steht also die Lust?
Die sexuelle Lust wird von Viagra nicht begünstigt, wie bei einem
Aphrodisiakum. Wo diese fehlt, bleibt der Effekt der Pille aus.
? Wie wird Viagra eingenommen?
Die Wirkung einer Tablette von Viagra tritt nach etwa 60 Minuten ein und
hält bis zu vier Stunden an. Die Standarddosierung beträgt 50
mg. In Absprache mit dem behandelnden Urologen muß die Dosis gegebenenfalls
verändert werden.
? Wie steht es mit den Nebenwirkungen?
In einer kürzlich im New England Journal of Medicine publizierten
klinischen Studie mit 532 Patienten wird die Rate der Nebenwirkungen -
in Abhängigkeit von der Dosierung - mit 6-18% angegeben. In vorangegangenen
Dosisfindungsstudien wurden Dosen von bis zu 800 mg verabreicht. Dabei
war die Zahl der Probanden, die Nebenwirkungen verspürten, höher.
Die Nebenwirkungen selbst waren jedoch die gleichen wie in den klinischen
Studien mit Dosen von 25, 50 oder 100 mg.
? Um welche Nebenwirkungen handelt es sich überhaupt?
Vor allem berichteten die Patienten dieser Studie über Kopfschmerzen,
Hitzewallungen und Verdauungsstörungen. In anderen Studien klagten
die Patienten über Sehstörungen wie etwa die Wahrnehmung von
Farbschleiern.
? Könnten die sechs Todesfälle, die mit dem Potenzmittel in Verbindung
gebracht werden - wie am 22. Mai über United Press International verbreitet
- durch falsche Anwendung verursacht worden sein?
Das ist möglich, aber bisher unbewiesen. Die amerikanische Arzneimittelbehörde
FDA (Food and Drug Administration) ist gerade dabei, die Todesfälle
aufzuklären. Wir werden in wenigen Wochen Näheres wissen.
? Und der Sex als solcher: Könnte er insbesondere älteren Männern,
die dank Viagra nach längerer Enthaltsamkeit allzu plötzlich
wieder aktiv sind, zum Verhängnis werden?
Der Tod während des Geschlechtsverkehrs (Mors in coitu) ist offensichtlich
für die Medien von außerordentlich hohem Interesse. In Zusammenhang
mit Viagra sind zu diesem Thema seriöse, wissenschaftlich fundierte
Aussagen nicht möglich, da dazu noch keine Daten vorliegen.
? Ist das sehr teure Mittel von den Krankenkassen überhaupt finanzierbar?
Die Behandlung aller medizinisch indizierten Fälle würde 40%
des Gesamtbudgets der Kassen ausmachen.
? Fassen wir zusammen: Die Goldgräberstimmung am Schwarzmarkt der
Erotik erhielt durch die Meldung über die Todesfälle einen Dämpfer.
Auch als Happy-pill für ältere Herren ist Viagra nicht gedacht:
Auf Rezept gibt es Viagra nur bei Vorliegen einer zumindest organisch mitbedingten
Impotenz?
Richtig. Viagra ist auf keinen Fall als "Lifestyle-Droge" einzuschätzen,
sondern als hochwirksames Medikament. Vor einem unkontrollierten Gebrauch
- mit oder ohne Rezept - muß gewarnt werden.
Eine gründliche Untersuchung und Indikationsstellung durch einen
Facharzt für Urologie sollte jeder Verschreibung des Mittels vorausgehen.