Neues Projekt der Abteilung für Sozialpsychiatrie

Neue Arbeitsplätze für psychisch Kranke



Sämtliche Blumenkübel im Klinikum sind geputzt, alle Pflanzen vorläufig mit ausreichend Wasser versorgt. Judith Pohler freut sich jetzt auf den ersten Tag, an dem sie draußen arbeiten wird: Das gemähte Gras in den Innenhöfen muß zusammengerecht und weggeräumt werden.
Die 47jährige Erzieherin leidet unter Schizophrenie sowie Depressionen und hat mehrere Klinikaufenthalte hinter sich. Ihren Beruf kann sie nicht mehr ausüben. Kaum zu glauben, aber für die psychisch kranke Frau ist in Zeiten, in denen es in der Bundesrepublik viereinhalb Millionen Arbeitslose gibt, ein neuer Arbeitsplatz geschaffen worden. Seit 1. April diesen Jahres kümmert sie sich zusammen mit sieben anderen chronisch psychisch kranken Patienten um die Beete, Innenhöfe und Grünpflanzen am Universitätsklinikum Benjamin Franklin. Es ist ein bundesweit einzigartiges Projekt der Abteilung für Sozialpsychiatrie am Klinikum in Zusammenarbeit mit dem Verein Platane 19 e.V. (Verein zur Wiedereingliederung psychisch Kranker). Wir bieten den psychisch Kranken eine an der realen Arbeitswelt orientierte Beschäftigung", erzählt Manfred Schönhoff, Initiator des Projekts. Alle psychisch Kranken sind fest bei dem Verein angestellt, der im Auftrag des Klinikums die Gartenarbeit übernimmt. Zu dem Projekt, das ohne die Unterstützung durch die stellvertretende Krankenpflegedirektorin Maria-Anna Bah und den Leiter der Haus- und Grundstücksverwaltung Roland Boldt nicht zustande gekommen wäre, gehören außerdem zwei Landschaftsgärtner und die Sozialpädagogin Susanne Meixner. Die arbeitstherapeutische Maßnahme wird von der Abteilung für Sozialpsychiatrie wissenschaftlich begleitet.

Häufig verrichten psychisch Kranke bei Beschäftigungstherapien, etwa in Behindertenwerkstätten, wirtschaftlich nicht verwertbare Tätigkeiten, wie zum Beispiel Kugelschreiber auseinander- und zusammenschrauben. Und verdienen damit etwa eine Mark in der Stunde. Bei uns stellt der Lohn keine Anwesenheitsprämie dar", betont Schönhoff. Vielmehr werden die Kranken, nachdem sie eine Probezeit von einem Monat bestanden haben, mit einem angemessenen Nettostundenlohn bezahlt. Bei neun bis fünfzehn Wochenstunden können sie auf der Basis der 620-Mark-Gesetzes etwas zu ihrer nicht gerade üppigen Erwerbsunfähigkeitsrente dazuverdienen.
Die frisch ernannten "Gärtnerinnen und Gärtner" am Klinikum Benjamin Franklin leiden an einer chronisch psychischen Erkrankung, vorwiegend Schizophrenien, aber auch manisch/depressiven Erkrankungen und Persönlichkeitsstörungen. Sie erleben Phasen, in denen sie kaum leistungs- und gruppenfähig sind. Dann trauen sie sich nichts zu, haben Ängste und fühlen sich ausgegrenzt. Dazwischen gibt es  aber auch Zeiten, in denen sie sich gesund fühlen. Etwa 800.000 Menschen in Deutschland sind an Schizophrenie erkrankt.
Amerikanische Studien haben gezeigt, daß eine sinnvolle Strukturierung des Tages und vor allem eine reale Entlohnung die Rückfallquoten erheblich senkt und die Lebensqualität der Betroffenen verbessert. Auch die Abteilung für Sozialpsychiatrie, die von Prof. Adolf Pietzcker geleitet wird, hat mit ihren arbeitstherapeutischen Angeboten bereits gute Erfahrungen gemacht: Seit Anfang 1997 recyceln schizophrene Patienten die Antithrombosestrümpfe der Klinik und stellen die Klingelschnüre für Patienten her. Insgesamt sind damit bisher 21 Arbeitsplätze für psychisch Kranke geschaffen worden - 40 sollen es noch werden. Vor kurzem ist das Projekt für die beispielhafte Betreuung schizophrener Patienten" mit dem internationalen Schizophrenie-Reintegrations-Preis der Firma Lilly ausgezeichnet worden.
Selbst Patienten, die von ihren Betreuern als wenig leistungsstark eingeschätzt wurden, waren imstande, die Aufgaben zu bewältigen", berichtet Schönhoff. Die Arbeit trägt offensichtlich zur Stabilisierung der Kranken bei: Keiner der beschäftigten Patienten mußte seit Beginn des Projekts in die Klinik eingewiesen werden. Viele berichten, daß es ihnen insgesamt durch die Arbeit besser geht. Die Patienten sind jedoch noch in psychotherapeutischer Behandlung und nehmen Medikamente ein. Neben dem therapeutischen Effekt entsteht der Klinik ein wirtschaftlicher Vorteil: Das UKBF hat dadurch mittlerweile schon 120.000 Mark eingespart.
Pünktlich zu Ostern sind die 100 Blumenkübel bepflanzt worden, die Teiche gesäubert und die siebeneinhalbtausend Quadratmeter der Innenhöfe aufgeräumt worden. Außerdem hängen 35 Nistkästen an den Bäumen und am Gebäude, wo Meisen, Mauerseglern und Turmfalken eine neue Heimstatt finden können. Als nächstes soll der Rosengarten neu angelegt, Gartenbänke aufgestellt und die Trampelpfade zu richtigen Wegen ausgebaut werden. ?Das Klinikum soll zu einer blühenden Oase werden", wünscht sich Maria-Anna Bah - eine Augenweide für die Tausenden von Menschen, die hier täglich ein- und ausgehen.
Anke Nolte


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