Vorderasiatische Altertumskunde

Quo Vadis Assyria ?



Das ,,Rote  Haus`` (Fotos: Hartmut Kühne (privat))
Das erste altorientalische Weltreich, das Reich der Assyrer, existierte immerhin etwas mehr als 300 Jahre, von 932 - 612/610 vor Christus. Es erlag nach längeren Thronstreitigkeiten und einer dadurch bedingten inneren Schwäche schließlich einer Koalition zwischen Medern und Babyloniern, die das Reich in einer Zangenbewegung von Osten her aufrollten. Die Assyrer verschwanden buchstäblich von der politische Weltbühne aber auch aus dem täglichen Leben, - so die Schulmeinung - weil nach 612/610 von ihnen keine schriftlichen oder materiellen Zeugnisse mehr überliefert waren. Einige Historiker haben dies durchaus als die gerechte Strafe für den vorher von ihnen zur Schau getragenen Hochmut empfunden. In letzter Zeit sind jedoch zunehmend Zweifel an dieser Geschichtsinterpretation aufgekommen. Die Freie Universität Berlin beteiligt sich an dieser Diskussion mit dem von ihr getragenen Forschungsprojekt ,,Ausgrabung in Tell Schech Hamad in Nordost-Syrien`` an vorderster Stelle und hat dieses Bild als Geschichtsklitterung entlarvt.

Im Verlauf der Ausgrabungskampage 1998 des Seminars für Vorderasiatische Altertumskunde unter der Leitung von Prof. Dr. Hartmut Kühne, die von Anfang August bis Mitte Oktober dauerte, wurde zwischen dem 29.8. und 15.9.1998 ein Archiv von 550 Texten geborgen, das in die zweite Hälfte des 7. Jahrhunderts v.Chr. datiert. Es ist das größte assyrische Privatarchiv, das bis heute außerhalb des assyrischen Kernlandes entdeckt werden konnte; auch im Vergleich mit den aus Assyrien bekannten Privatarchiven ist es eins der umfangreichsten.


Gerichtsurkunde aus dem Archiv des Schulmu Scharri
Die Ausgrabungen hier  werden seit 1978 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. Sie gelten dem assyrischen Zentrum Dur-Katlimmu, das seit dem Beginn des 13. Jahrhunderts v.Chr. bis zum Zusammenbruch des assyrischen Weltreiches im Jahre 612 v.Chr. wichtiger Verwaltungs- und Residenzsitz im unmittelbaren Hinterland des assyrischen Kerngebietes war. Im 8. Jahrhundert v.Chr. wurde die Stadtanlage um eine großzügige Unterstadt erweitert und ausgebaut, so daß sie eine Siedlungsfläche von insgesamt ca. 110 Hektar einnahm. Seit 1984 konzentrieren sich die Ausgrabungen auf diese Unterstadt mit dem Ziel, die stadtgeographische und funktionale Gliederung eines assyrischen Provinzzentrums exemplarisch zu untersuchen. Bisher wurde eine Fläche von ca. 45.000 qm ausgegraben. Seit 1993 wird schwerpunktmäßig ein Gebäude untersucht, das wegen seiner rot getünchten Raumwände  das ,,Rote Haus`` genannt wurde. In diesem Jahr konnte der Grundriß vollständig erfaßt werden. Das Gebäude bedeckt eine Fläche von etwa 7.000 qm. Es ist als palastartige Residenz hoher Würdenträger zu deuten.

Eine genauere funktionale Zuweisung ist jetzt vielleicht durch das neu entdeckte Archiv möglich. Es wurde in einem der letzten auszugrabenden Räume entdeckt, war mit großer Sicherheit im oberen Stockwerk in Tonkrügen aufbewahrt worden und bei Einsturz des Hauses in den darunter liegenden Raum heruntergefallen. Es konnten bisher vor Ort nur etwa 200 der insgesamt 550 Einheiten des Archivs von der Altorientalistin Dr. Karen Radner, z.Zt. Universität Helsinki, gesichtet und vorläufig inhaltlich zugewiesen werden: Es handelt sich demnach um ein Privatarchiv eines gewissen Schulmu Scharri, der Leibwächter des letzten großen assyrischen Königs Assurbanipal (669-629 v.Chr.) war. Es ist zu vermuten, daß das ,,Rote Haus`` die eindrucksvolle Residenz der Familie dieses hohen militärischen Würdenträgers war. Das Archiv beurkundet vornehmlich Käufe und Verkäufe von Immobilien und Menschen, die Schulmu Scharri tätigte. Die Texte sind überwiegend in assyrischer Sprache und in Keilschrift auf Tontafeln eingeritzt; ein kleinerer Teil ist in aramäischer Buchstabenschrift und Sprache verfaßt, die jetzt häufiger in Tinte geschrieben sind. Ferner sind die Siegel der am Kauf beteiligten Personen auf den Texten abgerollt oder abgedrückt, je nach dem, ob es sich um Roll- oder Stempelsiegel handelt.
Die historische Bedeutung des Archivs liegt darin, daß die Funktion der Stadt nunmehr mit Hilfe eines weiteren in den Texten genannten Leibwächters und eines Streitwagenbesitzers als die einer Granisonsstadt gedeutet werden kann. Sie beherbergte offensichtlich hohe militärische Ränge und deren Familien, von denen der Vater und der Sohn des Schulmu Scharri im Archiv erwähnt sind. Diese waren an der Verwaltung und Regierung der Stadt beteiligt und besaßen offensichtlich das Privileg, in eigenem Namen Geschäfte zu tätigen.
· Der größte Teil der Texte datiert in die kritische Endphase, die sogenannte postkanonische Zeit des assyrischen Reiches, der jüngeren Regierungszeit des Königs Assurbanipal (668-626 v.Chr.) und seiner Nachfolger (625-610 v.Chr.), sowie in die Zeit des Zusammenbruchs dieses ersten altorientalischen Weltreiches und ist geeignet, eine dunkle historische Phase des Reiches und der Geschichte des Alten Vorderen Orients aufhellen zu helfen.
· In einigen Texten scheint das Geschick der Stadt nach dem Zusammenbruch der assyrischen Zentralregierung unter der militärischen Koalition der Meder und Babylonier beleuchtet zu werden: Die assyrischen Würdenträger der Stadt nahmen die Amtsgeschäfte der Zentralregierung selbst wahr und vergaben eigene Jahresdaten, bis sie sich gezwungen sahen, den neuen Souverän, den berühmten babylonischen König Nebukadnezar II. (604-562 v.Chr.), anzuerkennen und nach ihm zu datieren. Umgekehrt scheint der babylonische Souverän nicht im Geringsten daran gedacht zu haben, die assyrischen Würdenträger durch babylonische zu ersetzen, im Gegenteil, er bediente sich ihrer und ihrer lokalen Kenntnisse, was in der Kontinuität der Namensnennung der assyrischen Familien in den Texten bezeugt ist. Dadurch blieb aber auch der Verwaltungsapparat ein assyrisch geprägter, und in der materiellen Kultur liegen Kontinuität und Neuerung dicht beieinander und werden sich hier beispielhaft studieren lassen.

Mit der Evidenz des ,,Roten Hauses`` in dem assyrischen Provinzzentrum Dur-Katlimmu kann daher erstmalig der Nachweis geführt werden, daß die Assyrer nach dem Zusammenbruch ihres großen Reiches  n i c h t  sang- und klanglos von der Weltbühne abgetreten waren. Es wird von noch nicht abzuschätzender historischer Bedeutung sein, die Zusammenhänge und den Assimilationsprozess dieser assyrischen Oberschicht an die neuen politischen Verhältnisse genauer zu studieren.
Hartmut Kühne


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