In Dahlem arbeitet die größte systematisch-botanische Forschungsstätte Deutschlands

Forschen für die Vielfalt


Taxonomie, Systematik, Biodiversität - drei Worte, die den Kern der Forschung am Botanischen Garten und Museum umschreiben: zwei davon klassische, in den Augen mancher etwas angestaubte Begriffe für Teilgebiete der Biologie, der dritte hochaktuell und in aller Munde, beinahe zum Modewort verkommend, alle drei erklärungsbedürftig.
Die Fouquiera splendens ist nur ein Element der Vegetationsform (Foto: Beat Leuenberger)
Taxonomie und Systematik haben, obschon heute meist deckungsgleich verwendet, ursprünglich etwas verschiedene Bedeutung. Systematik fragt nach Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten, nach deren Bedeutung für das Verständnis der natürlichen verwandtschaftlichen Zusammenhänge zwischen den Lebewesen aufgrund ihrer gemeinsamen Abstammung. Taxonomie ist das Beschreiben der so entstandenen Vielfalt und ihr Ordnen in einem zwar im Grundsatz künstlichen, weil starr hierarchischen, aber für die Verständigung unerläßlichen System. Man könnte auch etwas salopper sagen: taxonomisch ist die Vorgehensweise beim Forschen, systematisch dagegen die Erkenntnis, die dabei herauskommt.
 Biodiversität ist ein neues Kunstwort, das die Vielfalt des Lebendigen meint, die ihrerseits im Kern auf der natürlichen Artenfülle beruht. Die Erkenntnis des grundlegenden Wertes dieser Vielfalt, ihrer Schutzwürdigkeit als Teil des natürlichen Erbes, für das wir Verantwortung tragen, ist nicht neu. Erhaltung der Biodiversität ist für den Biologen seit Generationen ein wichtiges Anliegen, aus wissenschaftlichen wie auch ethischen Gründen. Neu ist die Einsicht, daß die Artenvielfalt auch wirtschaftliche Bedeutung hat und daß sie, die heute so unmittelbar bedroht ist, Voraussetzung sein kann für das Überleben der Menschheit insgesamt. Die UNCED-Konferenz von Rio im Jahre 1992 und die dort verabschiedete internationale Biodiversitäts-Konvention, welcher Deutschland 1993 beigetreten ist, haben bewirkt, daß Biologische Vielfalt als Wert und Problem in das Bewußtsein sowohl der politischen Entscheidungsträger als auch breiter Kreise der Bevölkerung gedrungen ist.
Wirksamer Schutz der Vielfalt unserer Lebenswelt, insbesondere der Pflanzen, die deren Grundlage bilden, setzt naturgemäß voraus, daß man sie kennt. Sollte doch, denkt man, kein Problem sein in Anbetracht der überlieferten Erfahrungen von Jahrtausenden und nach über zweihundert Jahren Forschung mit noch heute gültigen Methoden. Weit gefehlt! Wir wissen noch nicht einmal annähernd, wieviele Arten es gibt: für die Pflanzen schwanken die Schätzungen zwischen 2,5 und 15 Millionen. Beschrieben und benannt sind rund 400.000. Selbst bei diesen angeblich ""bekannten"" Arten wissen wir verzweifelt wenig über Biologie und Ökologie, über ihre Rolle im biologischen Gefüge und ihren potentiellen Nutzen.
Das Ökosystem ist mehr als die Summe seiner Teile - Fouquiera splendens hier im Vordergrund  (Foto: Beat Leuenberger)
Die Rufe nach mehr systematischer Forschung mehren sich. Ein internationales Forschungskonzept ist entstanden und trägt den Namen "Agenda Systematik 2000: Erschließung der Biosphäre". Die "taxonomische Hürde" taxonomic impediment), die den nachhaltigen Schutz der biologischen Vielfalt behindert, wurde neuerdings zum geflügelten Wort. Eine internationale Expertengruppe hat im Februar dieses Jahres im australischen Darwin einen Aufruf zur Beseitigung dieser Hürde verfaßt, und diese "Darwin Declaration" fand jüngst in Bratislava die Billigung der Konferenz der Signatarstaaten der Biodiversitäts-Konvention. Ein weltweites Programm zur Förderung der biologischen Systematik, die "Global Taxonomic Initiative", rollt an und soll sich weitgehend auf nationale Initiativen und Institutionen abstützen. Zeitgleich hat eine Arbeitsgruppe innerhalb der EU ein Forschungsprogramm zum "Verständnis der Biodiversität" vorgelegt, welches die Grundlage für die zukünftige europäische Biodiverstätsforschung bilden wird.

Hinter den Pforten des Dahlemer Botanischen Museums befindet sich, von vielen unbemerkt, die größte botanisch-systematische Forschungsstätte Deutschlands und eine der führenden der Welt. Sie wird sich der Herausforderung stellen, welche die neuen Biotaxonomie-Programme bedeuten, und freut sich auf zusätzliche Aufgaben, die sich daraus ergeben. Die Eingliederung dieser Institution in die FU ist für unsere Universität eine weitere Gelegenheit, ihre Spitzenposition in aktueller, auch praxisbezogener Forschung zu bestätigen.
Werner Greuter, Leitender Direktor des BGBM

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