50 Jahre FU

Die antiautoritäre Revolte an der FU




Am 15. Februar 1963 stand es fest: stud. jur. Eberhard Diepgen war wegen seiner Mitgliedschaft in der schlagenden Burschenschaft "Saravia" als 1. AStA-Vorsitzender der FU in einer studentischen Urabstimmung abgewählt. Eine Ära zehnjähriger rechter Studentenvertretung war zu Ende: Die Riege verschworener CDU-Studenten um Diepgen, die "eigentlichen 68er" (so Landowski heute) zog sich zurück, um Parteikarriere zu machen, mit Erfolg, wie man weiß. Die letzte Bescherung dieser alten Männerfreundschaft war Wissenschaftssenator Radunski.
In den folgenden Jahren entwickelten sich die Studenten der Freien Universität Berlin nach links. Wenn der Avantgarde-Anspruch Berlins als Hauptstadt nach 1945 überhaupt je eine Berechtigung hatte, dann als Hauptstadt der Studentenrevolte.

Warum Berlin?



Studenten hatten hier 1948 die Freie Universität gegründet, gegen die von der SMAD und der SED betriebene Umwandlung der Berliner Universität in eine reine Parteihochschule, die sich später - ein zum Himmel schreiender Etikettenschwindel! - den Namen "Humboldt-Universität" gab. Mit zahlreichen z.T. militanten Demonstrationen bis hin zur Ausstellung "Ungesühnte Nazijustiz" des SDSlers Reinhard Strecker protestierten die Studenten West-Berlins gegen die Lebenslüge von der bewältigten Vergangenheit. (Strecker zahlt übrigens heute noch die Schulden ab, die er damals für sein Engagement machen mußte.)
Die Berliner hatten ihr Trauma, den Einmarsch der Russen 1945, und sie hatten die sie bedrohenden Kommunisten um sich herum. Die Westberliner pflegten beides weiter als Droge gegen die Erinnerung an die deutschen Kriegsverbrechen. 1961 wurden sie "eingemauert", kein Kontakt mehr zu den Kommunisten "von drüben", deren Rolle sie nun auf die Studenten übertrugen, die "Totengräber der Freiheit", wie sie Springer genannt hatte, als einige von ihnen den direkten Dialog mit Pankow gefordert hatten. Die wollten partout nicht verstehen, daß die Amerikaner in Vietnam die Freiheit West-Berlins verteidigten! Der Regierende Bürgermeister Brandt legte 1967 die politische Linie fest: "Alle Welt weiß, daß wir mit solchen Elementen und den sie unterstützenden SED-Leuten nichts zu tun haben."
Aber auch an der Uni gab es Zoff, z.B. im Sommersemester der 'drei K' 1965: Erich Kuby durfte nicht an der FU sprechen, da er die innere "antithetische Bindung" an die unfreie HU im Namen der FU als "äußerstes Maß von Unfreiheit" bezeichnet hatte; der Vertrag des FU-Assistenten Krippendorff wurde nicht verlängert, weil dieser eine - später zurückgenommene - Behauptung zu Karl Jaspers Einladung zum 8. Mai weitergegeben hatte; und schließlich forderte auf dem 10. Deutschen Burschentag der FU-Professor Bettermann die versammelten 5000 Waffenstudenten und Alten Herren in Anwesenheit des FU-Rektors und des Regierenden Bürgermeisters auf: "Machen Sie einen neuen Anfang, bringen Sie uns unsere Universität wieder in Ordnung. In diesem Sinne rufe ich: Burschen heraus!"
Der AStA machte diese Skandale öffentlich, diskutierte die bürokratischen Maßnahmen der Universitätsspitze mit der Studentenschaft und erzeugte so nicht nur eine universitäre Öffentlichkeit, sondern zugleich ein politisiertes Widerstandspotential. Jeder, der sich in dieser Situation gegen die Politik des AStA ausgesprochen hätte, wäre damit als Gegner der studentischen Interessen und objektiver Agent der Ordinarienuniversität entlarvt worden.

...stürmt die Festung Universität!



Als im Sommersemester 1966 an den Hochburgen der Korporationen, der Juristischen und Medizinischen Fakultät, die befristete Immatrikulation eingeführt und eine Urabstimmung der Studenten über die "Zwangsexmatrikulation" verboten wurde, beschlossen ca. 3000 Studenten - vom SDS bis zu den schlagenden Verbindungen - auf dem sit-in vom 22./23. Juni 1966 eine Resolution, in der es hieß:
"Wir kämpfen nicht nur um das Recht, längere Zeit zu studieren ... Es geht uns vielmehr darum, daß Entscheidungen, die die Studenten betreffen, demokratisch nur unter Mitwirkung der Studenten getroffen werden.
Was hier in Berlin vor sich geht, ist ebenso wie in der Gesellschaft ein Konflikt, dessen Zentralgegenstand ... der Abbau oligarchischer Herrschaft und die Verwirklichung demokratischer Freiheit in allen gesellschaftlichen Bereichen (ist). ...
Es gilt, die Freiheit der Universität als Problem zu sehen, das über den Rahmen der Universität hinausweist."
Das hieß nicht mehr und nicht weniger als eine neue Republik, und die Universität sollte Vorbild dafür sein.
Dafür mußten die Studenten mobilisiert und politisiert werden. Schriftliche Eingaben waren bis zu zehn Jahre lang unbeantwortet geblieben, während ein Schriftstück, in das ein Stein eingewickelt war, sofort zur Kenntnis genommen wurde. Das förderte die Einsicht, daß Steine zwar keine Argumente sind, diese aber beflügeln können.
Die Kommune I entwickelten neue Aktionsformen: Polit-Happenings, Verkleidungen, neue Lebensformen, Wohnkommunen und auch Auflösung von Zweierbeziehungen, die Studenten und Jungarbeiter faszinierten. Ihre "Spaziergangsdemonstrationen" gegen den amerikanischen Krieg in Vietnam im Dezember 1966 machten den Demonstranten Spaß und die Polizei lächerlich. (Übrigens wollen heute ca. 500 SPDler Mitglieder der Kommune I gewesen sein, so etwas ist dort wieder 'in'.)

Der 2. Juni 1967



Die Erschießung des FU-Studenten Benno Ohnesorg durch den Polizeiobermeister Kurras während der Demonstration gegen den Schah von Persien war ein Wendepunkt in der Geschichte der studentischen Protestbewegung: Der Funke sprang auf die Bundesrepublik über. Die Studenten wurden kriminalisiert. Die Polizei, die die Studenten vor der Oper nach dem "Leberwurstprinzip" ("in der Mitte hineinstechen und nach den Seiten ausdrücken", so der Polizeipräsident später) niedergeknüppelt hatte, die als schon bekannt war, daß ein Polizist einen Studenten erschossen hatte, die Nachricht verbreitete, die Studenten hätten einen Polizisten erstochen und in der Nacht weiterhin Jagd auf Studenten machte ("Füchsejagen"), verschwieg hartnäckig die Wahrheit, bis der vom AStA der FU eingesetzte studentische Untersuchungsausschuß Funktionen der Dritten Gewalt übernahm und die Halb- und Unwahrheiten der Polizeiaussagen widerlegte.

Auch innerhalb der Universität organisierten sich die Studenten selbst: Aus der vom SDS initiierten "Kritischen Universität" manifestierte sich in einer Reihe von Veranstaltungen und Demonstrationen, von denen die Kampagne gegen den Springer-Konzern und der maßgeblich von Rudi Dutschke gestaltete Internationale Vietnam-Kongreß im Februar 1968 in West-Berlin die bekanntesten waren.
 (Der Plan des damaligen Präsidenten Johnson, deutsche Soldaten nach Vietnam zu schicken, wurde nicht zuletzt wegen der studentischen Proteste in West-Berlin und der Bundesrepublik fallengelassen!)
Auf Gegenkundgebungen der "aufrechten Berliner" zeigte die vor allem von der Springer-Presse bereitete Pogromstimmung Wirkung: "Dutschke Volksfeind Nr. eins" hieß es auf selbstgefertigten Plakaten und "Politische Feinde ins KZ".
Nach dem Attentat auf Rudi Dutschke am Nachmittag des 11. April 1968 brannten die Zeitungswagen des Springer-Konzerns in der Kochstraße - ein Werk des Berliner Innensenators. Er hatte seinen in die Kommune I eingeschleusten Spion Peter Urbach mit einem Dutzend Molotowcocktails dorthin geschickt, mit denen dann die Fahrzeuge angezündet wurden. Die "Zeitungswagen in Flammen" wurden zum Fanal für die deutsche und französische Studentenbewegung. Aber trotz der Straßenschlachten während der Osterfeiertage wurden am Dienstag danach BILD-Zeitung und BZ ausgeliefert, gekauft und konsumiert wie eh und je, eine weitere Erfahrung der Ohnmacht für diese Studentengeneration.
Am 4. November 1968 demonstrierten etwa 1000 Studenten aus Solidarität mit dem bekanntesten Rechtsanwalt der Außerparlamentarischen Opposition, Horst Mahler, gegen den ein Ehrengerichtsverfahren beantragt war. Axel Springer hatte Mahler - und nicht Innensenator Neubauer - auf Zahlung von DM 506 696,70 (vor allem für die Zeitungswagen) verklagt. Nach dem 2. Juni, nach dem Attentat auf Rudi Dutschke und nach der Verabschiedung der Notstandsgesetze, gegen die sie mit Besetzungen der Institute, Vorlesungsstreiks und dem "Marsch auf Bonn" vergeblich protestiert hatten, glaubten die Studenten in der "Schlacht am Tegeler Weg" bei ihrem Angriff mit Pflastersteinen auf die Polizei das erste Mal für kurze Zeit, "aus der Lage des duldenden Opfers" befreit zu sein: 130 Beamte und 21 Demonstranten wurden verletzt. Doch bereits am Abend desselben Tages war sich der SDS darüber im klaren, daß beim nächsten Angriff die Polizei von ihren Waffen Gebrauch machen würde und eine solche Konfrontation in letzter Konsequenz Bürgerkrieg bedeutete. Die linken Studenten wollten aus der Uni hinaus in die Stadtteile und dort arbeiten. Sie gaben den AStA auf. Die Revolte verebbte, der SDS löste sich auf.

Was ist geblieben?



Sicher hat die studentische Revolte die politische Kultur der Bundesrepublik in den 60er Jahren stärker geprägt als alle anderen Ereignisse. Die Studentenschaft war erstmals in diesem Jahrhundert  links. Die Linke hat seitdem das Monopol auf die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Ein neues Verhältnis zur Dritten Welt, antiautoritäre Kindererziehung, Bürgerinitiativen, Sensibilität für die Zerstörung der Umwelt sind einige der wichtigsten Resultate, die heute selbstverständlicher Alltag sind. Die Situation an den Hochschulen ist reifer denn je für eine neue Revolte. Die Frauen, die sich mit der Einrichtung von Kinderläden (und dem mystifizierten Tomatenwurf auf die SDS-Größen) zu emanzipieren begannen, machen wahrscheinlich noch lange den Etablierten zu schaffen.

Siegward Lönnendonker


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