Ein Zuschußbetrieb mit hohem Anspruch richtet sich ein
Bei der Betrachtung der Entwicklung der Freien Universität Berlin ö in manchem Text in den sich zu unterschiedlichen Zeitstationen infragestellende "Gänsefüßchen", die das grundlegende Prinzip dieser Gründung fraglich machen wollen ö ist häufig die Beobachtung zu machen, daß die Gründungsgeschichte und die Abläufe, die sich 20 Jahre später auftaten, nachhaltig in den Vordergrund gerückt werden. Die Jahrzehnte davor bzw. danach erlangen nicht immer die gleiche Farbigkeit und Kontur. Das gilt auch für das Jahrzehnt, das der Gründungsfeier folgte. Aus manchem Blickwinkel heraus mag diese Zeit nur als grau ö verstetigte Stagnation oder Restaurationszeit wahrgenommen werden, obwohl dies hinsichtlich der anzutreffenden Entwicklungen und Entscheidungen sowohl global als auch lokal vielleicht eher unzutreffend erscheint. Dies gilt natürlich auch im Falle der hier zu gedenkenden wissenschaftlichen Stätte.
Der gezeigte Unwillen hatte äußerlich mit der Gründung Form und Halt gefunden, es kam nun darauf an, daß der Geist, auf dem sich alles gründete, seine Heimstatt behalten konnte. Der studentische Vertreter war vielleicht schon im Titania-Palast bei der Gründungsfeier Realist genug, wenn er die Wahrung des Gründergeistes beschwor.
Die Lehrerschaft war akademisch gefärbten Folgeordnungen verpflichtet
Er sollte schon recht bald auf einen seiner Widersacher treffen, als er bei der Ausübung eines Mandates im Rahmen der studentischen Beteiligungsrechte bei Berufungsverfahren mit einem Disziplinarverfahren überzogen werden sollte. Die gewonnene Lehrerschaft zeigte sich zum nennenswerten Teil eher traditionellen Rederang ö und anderen akademisch gefärbten Folgeordnungen verpflichtet. Von daher waren die verbrieften studentischen Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte, die sich in den sonst üblichen Universitätsstrukturen nicht fanden, von Beginn an im Streit. Mehr und mehr wurden sie rechtlich oder faktisch-atmosphärisch als milieufremd heruntergefahren. Dies gelang naturgemäß eher bei den nachfolgenden Studentengenerationen, die lebensgeschichtlich nicht den gleichen Stand an Lebensprägung und aktiver Mitgestaltung bei der Gründung dieser Universität vorweisen konnten. Sie gelangten zunehmend unmittelbar von der Schule zur Universität, vieles bisher Selbstverständliche und Mögliche kam abhanden.
Gleichwohl gab es auch für diese neuen Generationen Themen und Grundentscheidungen, die sie mit der Gründergeneration verbanden. Hierzu gehörte die Einstellung zu den Korporationen.
Viele Studierende lebten an der Armutsgrenze
Insbesondere hinsichtlich der schlagenden Verbindungen herrschte die Meinung vor, daß Studierendenstatus und Beschäftigungsverhältnis an der Freien Universität Berlin unvereinbar wären mit der Mitgliedschaft in solchen Gemeinschaften. In der materiellen Notlage für die Studierenden in diesen Tagen ö immerhin lebten viele Studierende an der Armutsgrenze ohne vielversprechende Berufsaussichten nach Abschluß des Studiums ö konnten von hier aus Perspektiven eröffnet werden, wie sie eben traditionell von vernetzten Anbahnungs- und Lebensgemeinschaften diesen Zuschnitts geboten werden konnten. Hier kam es darauf an, durch Gegenangebote ein Gegengewicht zu schaffen, damit diese ihre ö auch mit Blick auf die jüngstvergangene deutsche Geschichte ö Einflußmöglichkeit nicht wieder erlangen konnten. Dieser Kampf ist letztlich auch aufgrund von höchster Rechtsprechung gegen Ende der fünfziger Jahre für dieses Selbstverständnis der neuen Universität Jahre verloren worden, die die Vereinigungsfreiheit des Grundgesetzes höher stellte als widersprechende Satzungsregelungen einer Universität. Eine weitere Konstante stellte das entschiedene Auftreten gegen nazistische Altlasten oder nachwachsende neue Lasten dar. Dies zeigte sich bei Berufungen von Professoren ebenso wie bei künstlerischen Ereignissen, wenn Come-back-Versuche anstanden. Dies galt jedenfalls für den Teil der Studierenden, die willens und fähig sein wollten, das politische Erscheinungsbild der Studentenschaft zu prägen und zu repräsentieren. Das waren ö wie später auch ö nur Wenige. Schon bei der ersten Immatrikulation zum Wintersemester 1948/49 waren von den zugelassenen Studierenden nur ein Viertel, die die Universität in Mitte gegen die in Dahlem tauschen wollten.
Die studentische Selbst- und Mitverwaltung wurde nur von Wenigen praktiziert, was schon früh Vokabeln wie "studentische Berufsfunktionäre" oder in der Frühzeit "Gründungsclique" aufkommen ließ, dabei war die Wahlbeteiligung zu den Konventswahlen im Vergleich zu heutigen Wahlgängen außerordentlich hoch. Aber mit der zunehmenden Einsicht in die rückläufigen Einflußmöglichkeiten ihrer Vertreter in den Entscheidungsprozessen trat auch hier zunehmend ein Rückgang ein. Das Aufeinandertreffen von nicht-öffentlich tagenden akademischen Entscheidungsgremien kleineren Zuschnitts am jeweils längeren Hebelende konnte ein anders gegründetes, im Prinzip auf Öffentlichkeit gerichtetes, plebiszitär-repräsentatives studentisches Gegenüber nur als Fremdkörper betrachten. Dies galt insbesondere auch für die Auseinandersetzung anläßlich politischer Äußerungen und Verhaltensweisen von AStA, Konvent oder Sprechern in Zentralen ö und Fakultätsgremien, wenn diese den besonderen politischen Konsens, der sich im Westteil Berlins unter dem Eindruck der Entwicklungen im "Umland" herausgebildet hatte, verließen. Hier waren es die Wehrverfassung, die Fragen der atomaren Ausstattung der Bundeswehr, Stellungnahmen zu Kolonialkriegen von Besatzungsmächten oder eine als unzureichend empfundene antikommunistische Haltung, die Anstöße schufen. Auch die studentische Selbstverwaltung erfuhr rein praktisch Schwächung dadurch, daß ihr Bereiche entzogen wurden, in denen sich die Tatkraft der Gründungsstudenten zeigen konnte. Zum Teil haben Gründungsstudenten die bisher wahrgenommenen Aufgaben nun als hauptberufliche Beschäftigte einer Behörde erledigt. In zwei weiteren Feldern ö Beteiligungsrecht bei Berufungsentscheidung und im Zulassungswesen für das Studium ö traten zunehmend Kompetenz- und Intensitätsverluste ein. Am Ende blieb ein kunstvoll eingerichtetes System der verfaßten Studentenschaft, das Manchem bzw. Mancher Bühne und Gelegenheit zur Übung für Bühnen größeren Zuschnitts bot.
Die Sonstigen hatten keine "Bürgerrechte"
Man kann sie zuweilen noch heute an entscheidenden Stellen agieren sehen. Nun sind die Studierenden sicherlich immer ein wichtiger Teil einer Universität, zumal einer mit studentisch geprägtem Anteil bei der Gründung, aber die anderen Mitglieder der Universität waren mindestens in gleicher Weise tätig und erhielten dann doch nicht eine dem entsprechende Stellung im Rahmen der neuen Einrichtung. Hierzu zählen die Assistenten, die in den Gremien nicht vertreten waren. Ihre zaghaften Versuche, dies zu ändern, scheiterte auch an den Studierenden. Sie wurden im überlieferten Stil auf das besondere Schutz- und Vertrauensverhältnis, das sie zu ihren jeweiligen "Chefs" zu unterhalten hatten, verwiesen. Von den Anderen oder Sonstigen muß hier nicht gesprochen werden, sie hatten ohnehin kein "Bürgerrecht", in ferneren Tagen hießen sie daher z. B. "Schutzverwandte". Allen beteiligten Gruppen war gemeinsam, daß sie ein vehementes Interesse hegten, die neue Einrichtung mit Leben zu erfüllen und am Leben zu erhalten. Dies war nicht garantiert, trotz der Feierlichkeit des Gründungsaktes. Die finanzielle Ausstattung zur Gründung war zwar gesichert, aber schon für die unmittelbar anschließende Zeit war noch alles offen. Alle grundlegenden Notwendigkeiten einer Universität ö Bücher, Räume, apparative Ausstattung, Personal ö mußten erst noch beschafft werden. Die umgebende Stadt Berlin war von der sowjetischen Land- und Wasserstraßenblockade heimgesucht. Die Kriegsfolgen waren noch weithin sichtbar. Die unmittelbarsten Fragen materieller Existenzsicherung standen nach wie vor im Vordergrund. Die Bundesrepublik Deutschland ö ein künftiger Mitfinanzierer ö befand sich ebenfalls noch im Gründungsstadium. Die kurzzeitig wechselnden Verantwortlichen, insbesondere bei der im Prinzip wohlmeinenden und finanzkräftigen Besatzungsmacht, mußten oft langwierig erneut überzeugt werden, die neue Universität eigenständig am Leben zu erhalten. Die knappen Mittel förderten Verhaltensweisen und Entscheidungslagen herbei, die auch heute wieder beobachtbar sind.
Eine Zäsur für die Geschichte der Freien Universität
So gab es Rivalitäten um die Einrichtung von Fachgebieten, eine Mehrfachangebotsdebatte und die Forderung nach abgestimmtem Kooperationsverhalten zwischen der Technischen Universität Berlin und der Freien Universität Berlin. Auch die Begrenzung des Studienplatzangebotes ist in den 10 Jahren, die auf die Gründung folgten, immer wieder von den verschiedenen Geldgebern thematisiert worden. Zunächst war die Zahl von 5.000 Studienplätzen eine orientierende Vorgabe, späterhin war es die Zahl 10.000. Aber auch bei diesen Zahlen kam schon der Begriff "Massenuniversität" auf, verständlich zumindestens, wenn ein Rektor bei der Immatrikulationsfeier 1957 die Hände von 1.200 Neuimmatrikulierten zu schütteln hatte. Wegen der empfundenen Verpflichtung, Studienbewerbern aus dem anderen Teil Berlins und dem "Umland", die aus eher gesellschaftspolitischen Motiven heraus dort keinen Studienplatz erhalten konnten, eine Chance in Dahlem zu eröffnen, waren die Zugangsmöglichkeiten von "Landeskindern" aus den drei Westsektoren eingeschränkt. Bis 1961 stammten 30 % bis 40% der Studierenden von dort. Als die Wege versperrt waren, entfiel dieser gewichtige Anteil an der Studentenschaft. Für die Geschichte der Freien Universität, zumindest aber der Studentenschaft bedeutete dies eine Zäsur.
Die Amerikaner waren nicht durchweg angetan
Aber trotz aller Lasten und Widrigkeiten gelangte die neue Bildungsstätte auf den Weg des Wachstums, der Beseitigung von Provisorien und der Konsolidierung. Das Fakultätenspektrum wurde erweitert bzw. entfaltet, dabei fast eine ganze Fakultät ö die veterinärmedizinische - von der Humboldt-Universität übernommen. Die dortige Nachfolgefakultät hat unter dem Stichwort "Fusion" dann in unseren Tagen ebenfalls den Weg nach Düppel nehmen müssen.
Ohne die nachhaltigen finanziellen Zuwendungen aus den Vereinigten Staaten von Nordamerika wären diese Schritte jedoch nicht möglich gewesen. Bittreisen von Regierendem Bürgermeister und Rektor waren nötig, aber auch erfolgreich. Visitationen von Beauftragten verschiedener Geldgeber reisten im Gegenzug an.
Bei allem Wohlwollen, teilweise auch begeisterter Berichterstattung, klingt allerdings hin und wieder an, daß sie nicht durchweg angetan waren von dem Grundzug der eingeschlagenen Entwicklung. Hierzu gehört auch, daß die Professoren in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit berufen wurden und die Universität das Recht erhielt, eigene Lebenszeitbeamte zu haben. Wollte man im Vergleich mit den übrigen westdeutschen Hochschulen in den Berufungskarussellen konkurrenzfähig werden, blieb hier nur ö wie in anderen Feldern auch öder Weg der nahtlosen Angleichung. Von einigen Eigenheiten abgesehen, die mit zunehmendem Zeitabstand Außenstehenden manchmal nur noch als historisch bedingte Besonderheit von Zeit- und Ortsumständen erklärt werden konnte, schien die Freie Universität Berlin auf dem Weg einer normalen Volluniversität zu sein.
Bernhard Fechner
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