Brief aus São Paulo


Die Glastür scheppert leise, wenn Vovò Zilda sie öffnet, um in ihre Wohnung im oberen Stockwerk eines Mehrfamilienhauses in São Paulo zu treten. Stolze Indianerfiguren sehen ihr reihenweise entgegen, die neben katholischen Heiligen auf einem Regal stehen, das mit weißer Spitze geschmückt ist. Tiefer stehen - auch in der Hierarchie - die 'Preto Velhos', zu Heiligen gewordene afrikanischstämmige Sklaven aus Brasiliens Kolonialzeit. Einsam über ihnen thront, in der Höhe des Altars, eine Jesusfigur, auch sie R epräsentation Oxalàs. Diese synkretistische Gleichsetzung, die Überlagerung des afrobrasilianischen Inhalts mit der christlichen Form, stammt aus der repressiven Kolonialzeit und später den Militärdiktaturen (bis 1984), die diese afrobrasilianischen Religi onen verfolgten.


Von Inga Schatz Scharf/
z.Zt. in São Paulo


Um ihren schwarzen Göttern auch in der Neuen Welt Reverenz zu erweisen, wurden die Götter der Yoruba im brasilianischen Candomblè, die (männlichen) Orixàs und (weiblichen) Iyabàs, durch ihre katholischen 'Entsprechungen' versteckt. Erst in der jungen Umban da, die in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts aus verschiedenartigen religiösen Strömungen entstand (so u.a. dem Kardezismus), sind beide Konzepte ineinander verschmolzen. So hat sie die Orixàs und Iyabàs in der katholischen Interpretation der brasilianis chen Gesellschaft ins Substanzlose gerückt. Unsichtbar wie der monotheistisch verstandene Gott der Christen, sind die den Menschen sonst nahen und ähnlich afrikanischen Götter des Candomblè in den bunten Gipsfiguren der heiligen Barbara (Iansã), des heilig en Hieronimus (Xang'), der Gottesmutter Maria (Oxum und Yemanjà), des heiligen Georg (Oxòssi oder Ogum) u.a. transformiert. Die brasilianische Funktion der Orixàs und Iyabàs als Persönlichkeitsspiegelung des Menschen wurde in der Umbanda auch auf die Caboc los (die Indianerwesen) übertragen.

Rechts vom Pantheon hängen an der Wand viele Glas- und Fruchtkernketten zusammen mit schillernden Federn. In der Ecke steht eine Trommel mit einer Schleife um den Bauch in Rot und Weiß, den Farben Xang's, Orixà des Gewitters und der Gerechtigkeit.

Langsam füllt sich der kleine Raum mit dem Rauch des Kräuterdufts, den Vovò Zilda vor den Caboclos entzündet hat. Auch wird es eng. Viele Besucher treten ein, nehmen bescheiden und stumm auf den schmalen, hellblau angemalten Holzbänken Platz.

Bald erscheint Vovò Zilda aus der Küche in weißer, schlichter Kleidung als Mãe-de-Santo in ihrer Kultstätte, dem Terreiro des "Umbandomblè". Da sie im Candomblè-de-Angola (das in Brasilien die Götter der Yoruba übernommen hat) als Filha-de-Santo von Xang' initiiert ist und sieben Jahre in der Funktion der Ia' - der Lernenden - war, um selber einen Terreiro leiten zu können, hat sie in ihrer Umbanda viele El emente aus dem Candomblè bewahrt und ein Umbandomblè gebildet. Das ist in São Paulo durchaus nicht ungewöhnlich.

Das von Trommeln begleitete Singen der Lieder und Legenden leitet die durch Trance erwirkte Besessenheit der Medien durch die spirituellen Wesen ein. Nicht die Orixàs und Iyabàs (wie im Candomblè), sondern die stereotypisierten Caboclos, Preto Velhos und z u Heiligen gewordene Marginalisierte der modernen Welt nehmen sich der Körper der Menschen an, um durch ihre Münder mit dem Hilfesuchenden zu sprechen - um Krankheiten mit Hausmitteln zu bekämpfen, einen Arbeitsplatz zu erhoffen oder Familienstreitigkeiten zu schlichten. In magischen Ritualen werden der Streß und die starke Luftverschmutzung, die seelische Isolation in der Industrie-Megametropole São Paulo mit ihren 16 Millionen Einwohnern abgestreift.

Symbolisch bringt der Caboclo durch seinen gellenden Ruf die Natur zurück, die die Menschen vom Land hinter sich gelassen haben. Heute wohnen in Brasilien fast 80 Prozent der Bevölkerung in Städten, besonders - zu etwa 50 Prozent - in den Ballungsgebieten des Südostens. So sind auf der mythischen Ebene der Umbanda in den 60er Jahren z.B. auch die vom Norden nach Süden binnenmigrierenden Bahianer als eigenständige Gruppe in das Glaubenssystem integriert worden. Im Kult tanzen sie und trinken Zuckerrohrschnap s, um sich dann lautstark mit den Besuchern zu unterhalten. Als alle gegangen sind, wartet Vovò Zilda bis die gelbe Kerze Oxumus, Iyabà der Wasserfälle und der Liebe, heruntergebrannt ist.

Im Bewußtsein Brasiliens ist der Synkretismus, nicht nur der zwischen den Religionen, grundlegend. Doch die Vereinigung von - für Europäer allgemein so empfundenen - Gegensätzen wird im evolutionistischen Weltbild negativ bewertet oder abgestritten. Vor al lem das afrikanische Erbe des Landes wird in Zeiten (wirtschaftlicher) Globalisierung entweder mit dem Etikett folkloristisch versehen oder als überholt interpretiert - als Widerstand gegen wirtschaftliche Entwicklung. So wird nicht nur der Mensch in seine r Erscheinung - durch Hautfarbe, Haarstruktur etc. - sondern vor allem in seiner Kultur - im besonderen seiner Religion, die die Entzifferung seiner sozialen Wirklichkeit zeigt - wahrgenommen, bis z.B. auch die Identität einer Weißen durchaus schwarz sein kann und umgekehrt.

Doch ist es charakteristisch für das historisch dominierte Candomblè bzw. Umbanda, andere Religionen (Katholizismus, Judaismus, Buddhismus etc.) nicht auszuschließen, sondern nach Belieben mehrere Religionen gleichzeitig zu kultivieren. Sie können sich als oral tradierte Kulte nicht wie die schriftlich festgelegten Religionen auf Doktrinen oder 'Wahrheiten' berufen, vielmehr befinden sie sich in ständigem Wechsel, in immerwährender Neubefragung ihrer Vorlagen. Sie sind Spiegelbild Brasiliens.

Inga Schatz Scharf (25) studiert seit 1994 Ethnologie und Kunstgeschichte an der FU. Sie hat ein Jahr in Salvador de Bahia, im Nordosten Brasiliens, an der Universidade Federal de Bahia Anthropologie studiert und führt zur Zeit eine kleine Lehr-Feldforschung in einer Umbandomblè-Kultstätte in Sã Palo mit der dortigen Universität durch.


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