Eine verhängnisvolle Affäre

"Was ich begehr ist an mir!"


Kaum einem verlautbarten "Ich liebe Dich" folgt nicht irgendwann ein, wenn auch oft nur gedachtes, "Ich hasse Dich". Liebe und - manchmal tödlicher - Haß liegen nicht nur sprichwörtlich nah beieinander. Große Teile der Unterhaltungsindu-strie leben von diesem ach so ans Herz gehende Phänomen.

Die wenigsten Subjekte teilen bisher Jerry Rubins Erfahrung in Growing Up at Thirty-seven. Er veränderte seine Einstellung zu Sexualität und Liebe zu einer gleichermaßen "zufriedenstellenden und schmerzlosen Lösung", nämlich "sich selbst zu lieben, daß ich niemanden mehr brauche um glücklich zu sein". Christopher Lasch, ein amerikanischer Historiker, vermutet hinter derartiger Selbstbezogenheit denn auch weniger Zufriedenheit denn Verzweiflung. Stark an den amerikanischen Verhältnissen orientiert, spricht er gar von einem "Zeitalter des Narzißmus". Der neue narzißtische Persönlichkeitstyp werde, so Lasch, nicht mehr von Schuldgefühlen gequält, sondern von „ngsten. Während er Kooperation und Teamwork preise, verberge er in Wirklichkeit tiefsitzende antisoziale Impulse. Unverzüglich verlangten die neuen Narzißten nach der Befriedigung ihrer Wünsche und lebten zugleich im Zustand eines ruhelosen, ewig unbefriedigenden Begehrens.

Während Psychiatrie und Psychologie sinnigerweise zwischen normalem und pathologischem Narzißmus unterscheiden, trifft Lasch mit seiner soziologischen Trendanalyse durchaus einen Nerv der Zeit. Meterweise Ratgeberliteratur zur Meisterung von Beziehungslosigkeit, -streß, usw. füllt die Büchertische. Therapien zur Selbstfindung als Voraussetzung glücklicher Beziehungen haben Hochkonjunktur. Doch gerade diesen neuerwachten Innerlichkeitskult macht Lasch für ein Fortschreiten der "chao-tisch impulsgetrieben-en" Charaktere verantwortlich, die ihre "Konflikte ausagieren statt sie zu verdrängen oder sublimieren". Vor Wut unfähig Beziehungen einzugehen, meide der neue Sozialisationstypus enge Bindungen, die diese Wut aktivieren könnten und leide weiter unter dem Gefühl innerer Leere. Und gerade dieses Gefühl innerer Leere wird dann zum Motor, eine neue Liebes?beziehung einzugehen, die dann wiederum starke Ängste und Wut vor abermaligen (Selbst)Verlust auslöst usw. usw. Der Beziehungsschlamassel zwischen narzißtischen Subjekten scheint gewiß, und ein Ausweg aus dem Teufelskreis ist nicht in Sicht, auch wenn die wissenschaftlichen Erklärungsansätze sprießen.

Der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan weist anhand des Narcissos-Mythos von Ovid auf den narzißtischen Charakter der menschlichen Selbstfindung hin. Wer die Welt jenseits der Realität nur in Bildern des eigenen Selbst erfaßt, erliegt wie Narziß der Illusion des Eins-sein-Wollens mit sich selbst als einem anderen - dem Spiegelbild. Ein tödliches Ziel. Narziß stürzt sich mit "krankem Sinn" und voller Liebesschmerz in die Fluten als er erkennt: "Was ich begehr ist an mir! (...) Jetzt, jetzt sterben vereint in einem Hauch wir beide."

Lacan, der selber keine Psychopathologie des Narzißmus erstellt hat, spielt in seinem Aufsatz Das Spiegelstadium als Bilder der Ich-Funktion durch, wie das 6 bis 18 Monate alte Kind die ersten Momente der Beziehungsaufnahme mit einem ganzheitlichen Ich auf fundamental narzißtischer Ebene durchlebt. Hier finden sich bereits all jene Affekte, die sich später im Beziehungskampf leidenschaftlich mobilisieren werden. Das in den Spiegel schauende Kind gewinnt, laut Lacan, ein imaginäres Bild von seinem Körper. Es denkt eine somatische Einheit und Unabhängigkeit seines Körpers und identifiziert sich mit dieser, obgleich seine körperlichen Fähigkeiten noch auf Hilfe angewiesen sind. Vermittelt durch das Spiegelimago bildet das Kind ein "Ideal-Ich", dem es real noch gar nicht entspricht.

Das erste Mal, wenn sich das Kind als autonomes Ganzes erlebt, obliegt es also einer Täuschung, die fortan im Leben ent-täuscht werden will. Denn es ist faktisch unmöglich das Ich im anderen zu spiegeln. Erstarrte das Kind in der Spiegelbeziehung, die den Teufelskreis von Faszination (an der eigenen Grandiosität) - Rivalität (mit den machtvolleren Erwachsenen) - Aggression (über die erfahrene, reale Unvollkommenheit) aussetzt, fände es seinen Ausweg - wie bei Narziß - nur in der Gewaltanwendung oder im Wahnsinn. Bei Lacan ist es die Sprache, die eine wechselseitige Anerkennung unter Verzicht des eigenen Narzißmus ermöglichen soll. Durch sie wird das unstillbare Begehren aus seiner Selbstreferentialität befreit, denn in der Sprache kann das Wort des einen auch das Wort des anderen sein. Die Autonomie des Ich basiert auf einer Täuschung. Dabei bleibt Lacan. Das Ich ist eine "fiktiv imaginäre Einheit, das permanent die faktische Abhängigkeit seiner Entfremdung erfahren muß" (Gerda Pagel), wenn es nicht enden will wie Narziß.

Andere psychoanalytische Theorien argumentieren eher von der Pathologie her und orten narzißtische Störungen gemäß Freuds entwicklungspsychologischem Konzept. Die Triebfeder eines ausgeprägten Narzißmus beim Erwachsenen ortet Bela Grun-berger in den gescheiterten frühen Objektbeziehungen. Auf dem Höhepunkt des kindlichen Narzißmus mit etwa 18 Monaten denkt das Kind in Anfällen von Größenwahn "Ich brauche niemanden, ich bin mir selbst genug." Zwangsweise erfährt es nun zwei Seiten an sich: seine Grandiosität aber auch seine Begrenztheit. Mißlingt es nun, beide Gefühle in Realität und enge Beziehungen zu integrieren, ist der Grundstein für eine narzißtische Persönlichkeitsstörung gelegt, die sich entweder grandios oder minderwertig fühlt. Der narzißtische Konflikt ist perfekt. Folgt man dieser Theorie, treibt eine überfürsorgliche Bezugsperson ebenso wie eine gleichgültige das Kind ins narzißtische Dilemma. Erstere beschwört Haß und Aggressionen hervor, die das Kind der überbesetzenden fesselnden Liebe entgegenbringt. Haß ist laut Freud gerade nicht negative Liebe, sondern demonstriert das "Ringen des Ichs um Erhaltung und Behauptung". Doch Aggression macht Angst und darf oft allenfalls als Depression gelebt werden: Minderwertigkeitsgefühle. Die gleichgültige Bezugsperson hingegen versagt dem Kind Anerkennung, was ebenso Aggressionen hervorruft, die im schlimmsten Fall hart bestraft werden.

Narzißmus - als Rückzug auf die Selbstliebe - kann so gesehen auch als Abwehrmechanismus gegen aggressive Impulse verstanden werden. Oder, wie Horkheimer und Adorno es formulieren, als verzweifelter Versuch des Individuums, wenigstens zum Teil das Unrecht zu kompensieren, "daß in der Gesellschaft des universellen Tauschs, keiner je auf seine Kosten kommt".

Die Sehnsucht nach Liebe, beziehungsweise die Sucht geliebt zu werden wird heute allenthalben beklagt. Ob Wilfried Wiek mit, Männer lassen lieben, oder Robin Norwood mit Frauen, die zu sehr lieben helfen wollen, es geht immer um das gleiche: die Bestätigung der eigenen Grandiosität durch den Partner oder die Partnerin. Das primäre Bedürfnis nach Liebe und Anerkennung (versagt in der Kindheit; als Sehnsucht nach dem Paradies quasi immer schon vorhanden; als Reaktion auf eine entfremdete Gesellschaft - wählen Sie Ihr persönliches Erklä-rungsmuster) schlägt um in das Verlangen geliebt zu werden. Die Inszenierung der Liebe zur wechselseitigen Befriedigung narzißtischer Bedürftigkeit kann beginnen. Doch solange der narzißtische Fluch wütet: "So mög lieben er selbst und so, was er liebt nicht erlangen!" (Ovid), ist Erlösung nicht zu erwarten. Unersättlich verspeist das durch Liebe verklärte grandiose Selbst die Liebe, indem es dem anderen komplementär zu erfüllen aufgibt, was es selbst nicht hat. Der Preis der Liebe ist die Spaltung, die sie doch überbrücken sollte: zumindest dann, wenn das Liebesobjekt im Sinne "narzißtischer Objektwahl" (Freud) nach dem Vorbild der eigenen Person gewählt wird. Denn dieses Ich ist aus einer Täuschung hervorgegangen, die nun auf das Liebesobjekt projiziert wird. Gleich Narziß, der die Realität des Wassers verleugnete, ist der Preis der narzißtischen Liebe die Verleugnung des Anderen in seinem Anderssein. Beziehungen mit realen Personen bergen so zwangsläufig ein enormes Konfliktpotential, das die narzißtische Verstrickung von Imagination und Realität zwanghaft wiederholt und den Idealisierungen oder den Aggressionen nicht standhalten kann.

Das Grundthema narzißtischer Beziehungen ist immer wieder die existentielle Frage, ob Liebe und Beziehung gleichbedeutend sind mit Selbstaufgabe und Tod. Josephine Harts Roman Verhängnis, der von Louis Malle verfilmt wurde, beginnt mit der Feststellung: "Es gibt eine innere Landschaft, eine Struktur der Seele, nach deren Umrissen wir unser ganzes Leben suchen." Der Ich-Erzähler findet Sie - Anna - und eine obsessive Liebesbeziehung auf Leben und Tod nimmt ihren Lauf. "Anna, bitte sprich mit mir, wer bist du?" fragt Er nachdem sie "den Kampf gegen die Barrikaden des Körpers" beendet hatten. "Ich bin, was du begehrst", antwortet Sie. "Und um jedes unserer Treffen spann sich das Band der Gewißheit, daß mein Leben bereits beendet war."

Liebe, Faszination, Rivalität, Aggression, der Roman lebt von diesen widersprüchlichen Gefühlen. In Beziehungsjargon übersetzt handelt es sich um eine Nähe-Distanz-Problematik, die die Illusion der lebenslangen Symbiose wie eine Seifenblase zerplatzen läßt. Vielleicht liegt darin eine Chance, oder wie Jean Baudrillard in seinem Essay über extreme Phänomene schreibt: "Der Andere ist jener, der mir erlaubt, mich nicht endlos zu wiederholen."

Elke Heitmüller

Elke Heitmüller hat an der FU Psychologie studiert. "Zur Genese sexueller Lust - Von Sade zu SM" ist der Titel ihrer letzten Veröffentlichung. Zur Zeit arbeitet sie als Suchttherapeutin und bereitet eine Dissertation zum Thema Aggression, Sadismus und Gewalt vor.


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