Brief aus Beirut
Was den Krieg überlebte, fällt unter der Abrißbirne - Blick auf ein Nachbarhaus des Orient-Instituts Beirut (OIB)
Leben und Forschen in Beirut - beides ist für Deutsche Wissenschaftler seit dem endgültigen Ende des libanesischen Bürgerkriegs im Jahre 1991 und der Freilassung der letzten deutschen Geiseln 1992 wieder möglich geworden. Mit großen Schritten hat sich die libanesische Gesellschaft seitdem auf den Weg des Wiederaufbaus begeben und dabei Fortschritte erzielt, die es Beirut erlauben, bereits wieder nahezu wie eine normale Großstadt zu funktionieren.
Wie gefährdet die Ergebnisse des Wiederaufbaus immer noch sind, wie trügerisch die äußere Normalität sein kann, zeigen Ereignisse wie die jüngste militärische Eskalation zwischen Israel und der Hizbullah, in deren Gefolge erstmals seit 1991 wieder Teile der libanesischen Hauptstadt bombardiert wurden. Ein weiteres Mal wurde deutlich, daß eine dauerhafte und stabile Entwicklung des Libanon vor Erreichen einer umfassenden regionalen Friedensregelung kaum möglich sein wird.
Von Angelika Neuwirth und Heiko Wimmen / BeirutEinen längeren Forschungsaufenthalt in Beirut anzutreten, enthält somit für deutsche Wissenschaftler immer noch ein Element des Wagnis, für das die vor Ort gegebenen Möglichkeiten reich entschädigen. Besonders für Orientalisten bietet das 1963 begründete Orient-Institut der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft (DMG, der 1845 gegründete Fachverband der deutschen Orientalistik) einzigartige Bedingungen: eine Fachbibliothek mit heute rund 100.000 Bänden und einem Zeitschriftenbestand von etwa 1.200 Titeln und eine preisgünstige Unterkunft für kürzere Forschungsaufenthalte.
Seit August 1994 ist auch die FU an diesem Ort vertreten: Angelika Neuwirth, Professorin am Seminar für Semitistik und Arabistik des Instituts für Indogermanistik und Orientalistik der FU, übernahm das Amt der Direktorin des Orient-Instituts der DMG.
Die Erforschung des Orients; Das hieß für die Orientalistik vor noch nicht langer Zeit keineswegs zugleich Forschung im Orient. Museen und Bibliotheken waren die hauptsächlichen Arbeitsplätze, Reisen in den Orient fanden, wenn überhaupt, zum Studium von Handschriften statt. Und eben auf die Schrift blieb diese Wissenschaft lange fixiert, auf eine Philologie, die sich ausschließlich mit der Vergangenheit beschäftigte und ungefähr mit dem 13. Jahrhundert einen entschiedenen Strich zog: Ab hier beginnt die Dekadenz, danach folgt nichts nennenswertes.
Seit der Gründung des Orient-Instituts Beirut (OIB) der DMG im Jahre 1961 ist ein langer Weg zurückgelegt worden. Die grundsätzliche Kritik der Methoden und Ansätze der Orientalistik konnte auch an einer Institution wie dem OIB nicht spurlos vorbeigehen. Und umgekehrt hat das Institut seinen Teil zu dieser Diskussion beigetragen. Der Gegenwart jener Kultur ausgesetzt zu sein, deren Vergangenheit man in den Handschriften nachspürte, führte bei manchem Forscher der jüngeren Generation zu einer erheblichen Erweiterung des wissenschaftlichen Horizonts.
"In meiner orientalistischen Ausbildung hatte ich gelernt, daß nach dem 13. Jahrhundert keine arabische Literatur mehr existiert, über die zu arbeiten sich lohnt", erinnert sich Prof. Dr. Stefan Wild, heute Leiter des Orientalischen Seminars der Universität Bonn, "in meiner Beiruter Zeit stellte ich fest, daß im Gegenteil eine lebendige, produktive Kulturszene existierte, die aufregende und neue Dinge hervorbrachte."
Der Sitz des OIB: eine Beiruter StadtvillaZudem erfordert die zunehmende Verknüpfung der orientalistischen Forschung mit Ansätzen der modernen Sozialwissenschaften teilweise umfangreiche Feldforschung vor Ort, für deren erfolgreiche Durchführungen Kontakte notwendig sind, die ein auf sich allein gestellter Wissenschaftler kaum bekommt. Hier kann das OIB Hilfestellung geben: Über drei Jahrzehnte hinweg aufgebaute Kontakte zu libanesischen Universitäten, Wissenschaftlern und Intellektuellen sowie kulturellen Institutionen ermöglichen es in den meisten Fällen, die richtigen Ansprechpartner zu vermitteln.
Die mit dem geographischen Begriff "Naher Osten" bezeichnete Region ist seit etwa 200 Jahren Schauplatz weitreichender, teilweise tiefgreifender Veränderungen. Soweit diese in Europa überhaupt wahrgenommen werden, erscheinen sie dem Betrachter als eine komplexe Vielfalt widersprüchlicher Tendenzen. Als ein möglicher Zugang hat sich in der Arbeit des Instituts über die letzten Jahre die Untersuchung des Problemkomplexes "Normenbildung und Normenwandel" herausgestellt. Gemeint sind damit Prozesse, die zur Veränderung von Wertmaßstäben, zur Herausbildung von Identitäten und zur Neubewertung oder Schaffung sozialer Formationen führen: sei es auf dem Gebiet der Kunst und Literatur ("fremde" Formen vs. "authentische"), der Religion (Kodifizierung kultischer Praktiken, mündliche und schriftliche Formen der Traditionsvermittlung), Soziologie und Politik (Formation von Solidargemeinschaften, Elitenbildung) oder im Bezug auf soziale und juristische Normen (religiöses und ziviles Recht).
Der speziellen Situation der Region als Interaktionsraum verschiedenster Kulturen soll der z.Zt. in Zusammenarbeit zwischen der FU Berlin und dem OI mit seinen beiden Standorten Beirut und Istanbul im Aufbau befindliche Forschungsschwerpunkt "Levante" Rechnung tragen. "Levante", einmal positiv gewendet: ein Begriff, der als Paradigma stehen soll für die - nicht immer friedliche - Koexistenz verschiedener Völker in einem gemeinsamen Kulturraum und die Bedingungen und Möglichkeiten von interkultureller Kommunikation.
Voraussetzung für die erfolgreiche Arbeit des Orient-Instituts war und ist die möglichst dichte Vernetzung mit hiesigen Intellektuellen und Institutionen. Das Institut bemüht sich daher seit der Wiederaufnahme der wissenschaftlichen Aktivitäten im Jahre 1993, sich durch gemeinsame Projekte mit hiesigen Organisationen und Institutionen aufs Neue in die Kulturlandschaft zu integrieren. Es erscheint nur recht und billig, dem Gastland Libanon, das durch seine offiziellen Vertreter das Institut stets in seiner Arbeit unterstützt hat, diese gastfreie Aufnahme zumindestens ein Stück weit zu vergelten, in dem mit lokalen Institutionen zusammengearbeitet und deren Initiativen unterstützt werden.
Der Wiederaufbau einer vom Bürgerkrieg schwer geschädigten Gesellschaft wie der libanesischen braucht mehr als nur die Rekonstruktion und Rehabilitation der technischen Infrastruktur: Die psychologischen Schäden wiegen oftmals ebenso schwer wie die materiellen - 17 Jahre Teilung in erbittert verfeindete Lager haben eine monologische Kultur der stereotypen Rechtfertigung nach außen und Selbstbestätigung nach innen hervorgebracht.
Einen offenen, demokratischen Diskurs zu schaffen, braucht Zeit und Orte der Begegnung, des Austauschs und der Auseinandersetzung. Das Orient-Institut bemüht sich, im Rahmen seiner Möglichkeiten, ein solcher Ort zu sein und so einen bescheidenen Beitrag zum Wiederaufbau der demokratischen Kultur des Libanon zu leisten.
Angelika Neuwirth / Heiko Wimmen
Angelika Neuwirth, Professorin am Seminar für Semitistik und Arabistik der FU, übernahm 1994 das Amt der Direktorin des Orient-Instituts der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft in Beirut.
Heiko Wimmen hat Islamwissenschaft, Germanistik und Politologie an der FU studiert. Von Oktober 1994 bis März diesen Jahres war er am OIB tätig und dort vor allem für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Zurück in Deutschland arbeitet er jetzt an seiner Dissertation zum Thema " Jabra Ibrahim Jabra und der arabische Roman seit dem Zweiten Weltkrieg".
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