Brief aus Helsinki


Als ich im letzten Sommer nach zehn Jahren zum ersten Mal wieder nach Helsinki kam, war ich ausgesprochen positiv überrascht. Heute ist es mir unverständlich, warum mir die Stadt damals grau und kalt vorkam. In meiner Erinnerung beherrschten mon ströse Granitbauten das Hafengebiet, die keineswegs zum Flanieren, geschweige denn zum Leben auf der Straße einluden. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Innenstadt zeichnet sich durch eine abwechslungsreiche und interessante Architektur aus, bei der im alten Teil der Stadt helle und freundliche Farben dominieren.

Von Claudius Technau, z. Zt. In Helsinki

Helsinki, wie wir es heute kennen, ist eine ausgesprochen junge Stadt. 1812, Finnland war kurz zuvor von schwedischem in russischen Besitz übergegangen, ernannte Zar Alexander I. Helsinki zur neuen Hauptstadt, da ihm die alte Hauptstadt Turku zu nahe an Schweden lag. Helsinki war wenige Jahre zuvor durch ein Feuer vollständig vernichtet worden und konnte daher ganz nach den Vorstellungen des Zaren errichtet werden. Geprägt wird der alte Stadtkern durch die neoklassizistischen Bauten des in Berlin geborenen Architekten Carl Ludwig Engel, der als Hofarchitekt des Zaren auch in Tallinn und St. Petersburg seine Spuren hinterlassen hat. Am liebsten halte ich mich auf dem von Engel entworfenen Senatsplatz auf, der vom Dom beherrscht wird. Bei ein setzender Dämmerung, wenn die Kombination von Kunstlicht, das den Dom anstrahlt, und den letzten Sonnenstrahlen die Wolken noch stärker betont, herrscht auf dem Platz eine ganz besondere Atmosphäre. Von hier ist es nicht weit zur Uspenski K athedrale, der größten orthodoxen Kirche in den nordischen Ländern. Von dort hat man einen wunderbaren Blick auf den Hafen; ganz in der Nähe auch die Esplanade, wo ich auf dem Heimweg gerne noch in einem der unzähligen Café ;s einen Kaffee trinke.

Finnland hatte während des Kalten Krieges eine besondere politische Rolle inne. Einerseits war das Land neutral, andererseits bestand seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges eine sehr enge Beziehung zur Sowjetunion. Ein Verhältnis, das häufig von der Sorge vor dem übermächtigen Nachbarn bestimmt wurde. Aber auch wegen des intensiven Handels mit der Sowjetunion hat es Finnland, das vor dem Krieg keine nennenswerte Industrie besaß und nach 1945 den Aufbau des Landes ohne die Hil fe des Marshall-Plans duchführen mußte, bis Ende der achtziger Jahre zu beträchtlichem Wohlstand gebracht. Nach dem ökonomischen Zusammenbruch des Ostblocks hat die wirtschaftliche Entwicklung des Landes allerdings einen schweren R&uu ml;ckschlag erlitten, denn die Bestellungen aus Rußland blieben von einem zum anderen Tag aus. Zeitweise betrug die Arbeitslosigkeit hier über 20 Prozent. Die günstigen Fahrten nach Tallinn sind daher nicht nur für die Rentner eine wi llkommene Gelegenheit, etwas Abwechslung in den Alltag zu bringen, sondern lohnen sich auch finanziell, wenn man nur genügend Lebensmittel, Alkohol oder Medikamente einkauft.

Mit dem Beitritt zur Europäischen Union hat sich die wirtschaftliche Lage in Finnland geringfügig verbessert. Immerhin scheint es ausreichend finanzielle Mittel zu geben, um jedem Studenten unabhängig vom Einkommen der Eltern, Bafög zu gewähren, welches noch nicht einmal zurückerstattet werden muß. Wie auch in Deutschland, wird das Bafög hier nur für eine bestimmte Zeit gezahlt und von den notwendigen Einsparungen bei den Staatsausgaben sind natürlich auc h die Studenten betroffen. Doch wer hier schnell studiert, kann die staatliche Förderung sogar noch für ein zweites Studium kassieren. Ohne diese großzügige Regelung wäre die Arbeitslosenquote vermutlich noch höher.

Nun ist es keine Neuigkeit, daß in Finnland der Staatshaushalt anders verteilt wird als in Deutschland und meine Überraschung über die großzügige Förderung der Studenten hiel t sich demnach auch in Grenzen. Ganz anders waren meine Reaktionen jedoch, als ich zum ersten Mal einen eher flüchtigen Blick auf das finnische Mediensystem warf. Als Publizist und begeisterter Zeitungsleser erlebte ich geradezu einen Schock, als zum ersten Mal die größte finnische Tageszeitung Helsingin Sanomat auf meinem Frühstückstisch lag: Auf der Titelseite fand ich nicht, wie man vielleicht vermuten könnte, die wichtigsten Nachrichten des Vortages, sondern eine ganzsei tige Anzeige, auf der dem noch etwas müden Leser überdimensionale Fleisch- und Wurstwaren in den kräftigsten Farben angepriesen wurden. Mittlerweile weiß ich, daß es sich damals keineswegs um eine Ausnahme oder einen Produktions fehler gehandelt hat, sondern nur um die sehr eigenwillige Finanzierungsform eines Printmediums. Auch das finnische Fernsehsystem zeichnet sich durch eine ungewöhnliche Form der Finanzierung aus. Damit das staatliche Fernsehen werbefrei senden kann, wird nicht nur eine Rundfunkgebühr erhoben, sondern der einzige private Kanal, MTV 3, muß zudem noch einen Teil seiner Einnahmen der staatlichen Fernsehanstalt überlassen.


Nur für den Schn ee muß niemand nach Helsinki fahren, für den Dom (im Hintergrund) schon


An den langen Winterabenden ist Fernsehen durchaus eine Möglichkeit, sich von der Kälte draußen abzulenken. Es gibt auch Alternativen zum Fernsehabend, denn Helsinki verfällt keineswegs in einen kulturellen Winterschlaf - auch wenn di e Menschen in diesen Monaten natürlich nicht so viel auf den Straßen sind wie im Sommer, insbesondere im August. Dann finden während der Festwochen in vielen Cafés Konzerte statt, auf der Straße wird eine Kinoleinwand aufgeste llt und die Galerien machen mit besonders interessanten Ausstellungen auf sich aufmerksam. Mit der Unterstützung der Stadtregierung wird das Angebot noch weiter zunehmen, denn die Bewerbung Helsinkis als Europäische Kulturhauptstadt im Jahr 2000 war erfolgreich und bereits im Vorfeld möchte die Stadt beweisen, daß die Entscheidung des Auswahlkomitees richtig war. Man darf somit gespannt sein, was sich Helsinki alles einfallen lassen wird, um sich Europa von der besten Seite zu zeigen, zumal in fünf Jahren auch die 450-Jahrfeier ansteht.

Im Telefonieren mit Handy sind die Finnen jedenfalls schon Europameister: Ob im Bus, im Kaufhaus oder auf der Straße - überall trifft man jemanden, der sich eine Hand ans Ohr hält und vor sich hinspricht. Es scheint, als ob in Helsinki ir gendein unbekanntes Ohrleiden ausgebrochen wäre.

Claudius Technau

Claudius Technau hat sein Studium der Publizistik, Politikwissenschaften und Spanisch 1994/95 an der FU mit Magister abgeschlossen. Jetzt ist der 30jährige auf der Suche n ach einem Promotionsthema in Helsinki. Seine Magisterarbeit schrieb er über das Thema "Das Fernsehsystem im demokratischen Spanien", jetzt möchte der Publizist die finnische Medienpolitik der vergangenen Jahre analysieren.

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