Studiengebühren

Wer rettet die Uni?

Liebe FU-Mitglieder,7. Oktober 1996

zwar möchte ich Sie alle und besonders die zahlreichen neuimmatrikulierten Studierenden zum Semesterbeginn wieder mit dem Wunsch begrüßen, daß der Schwung eines neuen Anfangs Sie mit geistiger Kraft und Neugier in ein interessantes a kademisches Leben an der FU führt. Aber das hängt jetzt mehr als früher von Ihnen selbst ab, weil die Lehr- und Forschungsverhältnisse wie die allgemeinen Arbeitsbedingungen zunehmend schlechter und belastender werden. Das Land Berlin hat sich nämlich in den letzten Jahren mit dem besonders geförderten "Aufbau Ost" zur Angleichung der innerstädtischen Lebensverhältnisse derart finanziell verausgabt, daß jetzt alle zur "Konsolidierung" des L andeshaushalts herangezogen werden. Bei den Hochschulen und hier vor allem bei den Universitäten wird sogar überproportional eingespart, so als ob der Stadt nichts lästiger wäre.

Schon seit 1992 sind die Universitäten im Westteil drastisch gekürzt worden, und seit 1996 trifft das alle Hochschulen. In bloßen Zahlen ergibt sich bisher ein Kürzungsvolumen von 400 Mio DM, und der gleiche Betrag ist nach vorgege benen Haushaltsentscheidungen des Landes noch einmal von 1997 bis 2003 einzusparen, so daß Berlin in der Summe eine große Universität weniger finanziert. Ausmaß und Tempo bei diesen Kürzungen sind so hoch, daß es übe rall unvermeidbar zu Mangelwirtschaft und Schäden kommt. Das trifft vor allem die "flexiblen Posten", also die befristeten Verträge des akademischen Mittelbaus und der Studentischen Hilfskräfte sowie die Bibliotheken und Labors.

In Studienplätzen bedeutet das einen Abbau von früher 115.000 auf vielleicht noch 85.000, also um über 25 %. Wegen der besonders hohen Kürzungen in diesem Jahr hat es während des Sommersemesters anhaltend erhebliche Proteste un d Demonstrationen von allen Hochschulen gegeben, die aber keinen Pfennig zurückerhalten haben. Statt dessen planen die Berliner Koalitionsparteien noch zusätzliche Kürzungen für die nächsten Jahre, weil sie vor allem "das Hau shaltsloch" und nicht die mit den Kürzungen angerichteten Schäden sehen.

Dahinter steht eine politische Haltung, die die Hochschulen in erster Linie als Haushaltslast behandelt, die abgebaut werden muß, und zwar vom Personal über die Studienplätze bis zu den Studierenden. Daß Berlin im Verhältnis zur Bevölkerungszahl nur noch halb so viele Studienplätze wie etwa München, Frankfurt oder Köln und in absoluten Zahlen nicht einmal mehr doppelt so viele Studienplätze wie etwa Münster behalten will, ist mit einer hauptst&au ml;dtisch-metropolen Entwicklungsperspektive unvereinbar. Hochschulen sind schließlich wichtige Zukunftsinvestitionen und beleben eine Stadt in jeder Hinsicht, auch mit internationaler Attraktivität, so daß eine kurzatmige Kürzungspo litik mehr langfristigen Schaden als Haushaltskonsolidierung mit sich bringt. Gleichzeitig werden aber Milliardenmittel zur Investition für die Wissenschafts- und Wirtschaftsstandorte Adlershof und Buch und für die Sanierung der Charité v erwendet - alles traumhafte Projekte, die in dieser Zeit nur mit erheblichen Schäden anderenorts erkauft werden können. Darin zeigt sich gleichfalls, daß nicht allein die leere Staatskasse, sondern eine politische Vorentscheidung dafü r maßgebend ist, wo wieviel gekürzt oder ausgegeben wird.

Die ab Mitte Oktober anstehenden Senatsbeschlüsse zur Haushaltsplanung für 1997 ff werden zeigen, was die Stadt mit ihren Hochschulen vorhat. Der zuständige Senator Radunski plädiert ständig für die Einführung von Stu diengebühren und lädt damit geradezu zu weiteren Kürzungen ein, auch wenn er erklärt, daß diese Einnahmen den Hochschulen verbleiben sollten. Daß die politische Wirklichkeit anders läuft, haben wir bei der in diesem Se mester erstmals vorgeschriebenen Gebühr von DM 100.- bei Rückmeldung und Immatrikulation erfahren; denn der Zuschuß der Hochschulen wurde von vornherein um diese erwarteten Einnahmen abgesenkt. Inzwischen ist diese Gebühr vom Verwaltu ngsgericht als rechtmäßig bestätigt worden. Die Hochschulen müssen deshalb jetzt säumige Zahler exmatrikulieren, werden aber alles zurückzahlen, wenn die Gebühr in letzter gerichtlicher Instanz keinen Bestand haben soll te.

Immerhin gibt es einen kleinen "Lichtblick", wenn auch die Koalitionsparteien den Hochschulen wieder "Planungssicherheit" geben und mit ihnen einen "Vertrag" zur Begrenzung der Haushaltskürzungen und zur Entwicklung v on Struktur- und Reformmaßnahmen schließen wollen. Nach eingehenden Beratungen haben auch die Leitungen aller Berliner Hochschulen einen solchen Vertrag gefordert und dafür einen Entwurf vorgelegt. Darin werden die bereits vorgegebenen K& uuml;rzungen nicht mehr in Frage gestellt, aber die höheren Kürzungsraten auf die späteren Jahre verschoben, wenn sie erst strukturell erträglich zu bewältigen sind. Zusätzliche Kürzungen und Studiengebühren werden nicht vorgesehen. Gleichzeitig versprechen die Hochschulen erhebliche Reformen, vor allem bei Lehre und Studium, sowie strukturelle Veränderungen durch eine hochschulübergreifend "verbundene" Planung bei Forschung, Lehre, Dienstleistun g und Verwaltung. Eine solche "Verbundplanung" ist schon deshalb unerläßlich, weil sonst die Kürzungen überall nur Schäden zur Folge hätten.

So liegt in diesem Vertragsentwurf ein "Kompromiß" zwischen der zweifellosen Haushaltsmisere des Landes und der nötigen Existenzsicherung mit Reformaufgaben für die Hochschulen. Diese müssen in jedem Falle zur Selbsterhal tung alle Anstrengungen unternehmen, um mit erheblich geringeren Haushalten auszukommen. Gleichwohl führen massiven Kürzungen zwangsläufig zu schlechteren Studien- und Forschungsverhältnissen, und zwar vom Abbau des wissenschaftlichen Personals einschließlich der Studentischen Hilfskräfte bis zu den Bibliotheken, auch wenn wir mit der Planung neuer Strukturen und Mittelverteilungen die schlimmsten Folgen zu verhindern suchen.

Wir werden auch gemietete Gebäude zur Kostenersparnis oder wegen erfolgter Kündigung räumen sowie im Eigentum der FU oder des Landes stehende Villen und Wohngebäude aufgeben müssen, um uns räumlich zu konzentrieren und vie lleicht am Erlös des Verkaufs beteiligt zu werden. Deshalb sind Verlagerungen von Fächern bis zur dichteren Besiedlung des Standorts Lankwitz nötig, wobei dem Nachteil einer größeren Entfernung vom FU-Campus der Vorteil einer bes seren Ausstattung gegenübersteht. Ideal wäre die Zuweisung des früheren US-Hauptquartiers in unmittelbarer FU-Nähe, das aber "der Bund" als Eigentümer für seine Zwecke verwenden will.

Überall sind also Veränderungen unabweisbar. Das müssen alle einsehen, selbst wenn es ihnen persönlich nicht paßt. Wir können nicht mehr jeden individuellen oder fachlichen "Besitzstand" gewährleisten, den die Institution selbst auch nicht mehr hat. Bei der vorgegebenen Sicherheit des ˆffentlichen Dienstes und des Studienplatzes müssen alle mit mehr eigener Anstrengung ihren Aufgaben nachgehen, um der Herausforderung dieser Zeit gerecht zu werden - auc h wenn wir gleichzeitig gegen unmäßige Kürzungszumutungen angehen.

In einer Universität zu sein, ist trotz schlechterer äußerer Umstände immer noch ein Wert. Hier hängt auch mindestens ebensoviel am akademischen Geist und Gemeinschaftssinn wie vom Haushalt ab. Die "Hochschullandschaft&qu ot; in Berlin (und auch mit Potsdam) ist insgesamt noch so vielfältig und attraktiv, daß mit der Planung neuer "Verbünde" in Forschung und Lehre ein wissenschaftliches Angebot von Qualität bleiben kann, selbst wenn manche ge wohnte Selbstverständlichkeit nicht mehr bleibt. Äußere Beschwernisse lassen sich leichter meistern, wenn sich alle, insbesondere Lehrende und Studierende, zu einer akademischen Gemeinschaft zusammenfinden. In diesem Sinne kann ich Ihnen d och ein erfolgreiches Semester wünschen.

Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Johann W. Gerlach

Präsident


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