Nach drei Monaten im Amt fühlt sich Brandenburgs Finanzministerin Wilma Simon in Potsdam rundum wohl. Nach langen Arbeitstagen empfindet sie das Leben an der Peripherie Berlins in ihrer sanierten Altbauwohnung am Park Sanssouci als wohltuend. "Wenn ich mich an den Wochenenden mal mit Freunden in Berlin getroffen habe oder im Theater war, genieße ich es, in die Stille hier zurückzukommen. Das ist für mich ein ganz neues Gefühl, denn ich habe immer in Großstädten gelebt."
An ihre Zeit in Berlin erinnert sich die gebürtige Dortmunderin besonders gern ö hier studierte sie von 1968 bis 1971 Politikwissenschaften und Geschichte. Wilma Simon gerät ins Schwärmen: "Wir haben das Otto-Suhr-Institut mehrfach besetzt und umgetauft in Rosa-Luxemburg-Institut. Wir wollten neue Inhalte in das Politikwissenschaftsstudium integrieren ö weg von den ganz klassischen, außenpolitisch orientierten und hin zu bildungs-, rechts- und familienpolitischen Fragestellungen. Das war eine außerordentlich spannende Zeit."
Nach dem Studium war es zunächst weniger aufregend. Als wissenschaftliche Referentin arbeitete sie im Gesamtschulversuch Nordrhein-Westfalen und promovierte über politische Bildung für Arbeiterkinder. "Ich fand es furchtbar langweilig, so einsam vor der Schreibmaschine zu sitzen und war mir sicher, daß ich so etwas nie wieder machen würde", erinnert sie sich. Simon machte stattdessen Gewerkschaftsarbeit und wechselte 1979 in die Hamburger Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales.
Wilma Simon begeistert: "Wir haben das Otto-Suhr-Institut mehrmals besetzt und umgetauft in Rosa-Luxemburg-Institut."
Seit dem 1. Oktober ist die 50jährige SPD-Politikerin als Nachfolgerin von Klaus-Dieter Kühlbacher die "Kassenwartin" des am höchsten verschuldeten ostdeutschen Bundeslandes. Zwei Wochen dachte sie über das Angebot der Brandenburger nach, wobei die Schwierigkeit für die engagierte Sozialpolitikerin nicht in der Entscheidung für Berlin-Brandenburg lag, sondern im Ressortwechsel. "Ich war zwar sehr sicher, daß ich's können würde, aber nicht sicher, ob ich's können wollte." Denn als Finanzministerin sieht sie sich überwiegend in der "ablehnenden Rolle". "Ich muß ja meistens nein sagen. Das ist unglaublich anstrengend. Jeder möchte in seiner Arbeit wertgeschätzt werden, und das läuft meist über Positives." Ausschlaggebend für ihren Wechsel war letztlich die anstehende Fusion von Berlin und Brandenburg, die ihrer Meinung nach "ein Beispiel mit Signalwirkung für ganz Deutschland" werden kann. "Die Kleinstaaterei in Deutschland ist historisch so überholt ö es hat mich immer geärgert, daß wir nicht vier leistungsstarke Bundesländer bilden anstelle von Bundesländern, die nicht leben und nicht sterben können." Fachlich fühlt sich die Finanzministerin auf sicherem Boden, schließlich hat sie über viele Jahre den größten Einzeletat des Hamburger Haushalts mitverwaltet. In fast allen Bereichen wird gespart werden müssen, weiß Simon, die Hochschulen und auch der "Wachstumsfaktor Wissenschaft" sollen jedoch möglichst glimpflich davonkommen.
Eine Herausforderung auf einem ganz anderen Gebiet sieht sie darin, sich in die Mentalität ihrer dreihundert, überwiegend ostdeutschen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen einzufühlen. "Die Sozialisation der Menschen ist wirklich sehr anders gelaufen. Die Ostdeutschen haben andere Denkstrukturen und Erwartungshaltungen. Ihre Empfindlichkeiten muß ich erst einmal kennenlernen ö häufig bewege ich mich dabei auf ganz dünnem Eis."
In der kurzen Zeit ihrer Amtsführung ist Wilma Simon wenig kritisiert worden. Zwar freut sie sich darüber, doch das Lob aus den Reihen der CDU empfindet sie fast als unheimlich.
Anett Szab—