Der Einsatz rechnergestützter, interaktiver Lerntechnologien - oft auch als Multimedia oder Hypermedia bezeichnet - steckt noch in den Kinderschuhen. Trotzdem bleibt keine Zeit, mit dem Laufenlernen zu warten. Christian Zick, Mitarbeiter der Zentraleinrichtung für Audiovisuelle Medien (ZEAM), berichtet von den ersten Gehversuchen der Freien Universität auf diesem neuen Feld des Lernens und Lehrens.


Prof. "Virtual" steckt noch in den Kinderschuhen


Immer mehr Dozenten der FU bieten ihren Studierenden und der breiten Öffentlichkeit interaktive Lernsoftware auf noch nicht völlig stabilen Hardware-Plattformen mit modernster Ausstattung an. Dabei setzen sie sich dem Risiko aus, daß bis zu einem völlig ausgereiften inhaltlichen Zustand einer Anwendung die benutzte Technik schon wieder veraltet ist. Sollte man deshalb mit dem Einsatz rechnergestützter, interaktiver Lerntechnologien warten, bis die Technik perfektioniert ist? Keineswegs! Wer jetzt nicht die Initiative ergreift, läuft angesichts des rasanten Tempos in der Hard- und Software-Entwicklung Gefahr, den Anschluß zu verpassen. Wichtige Argumente für den Einsatz von Multimedia sind:

Das wohl zur Zeit größte Multimedia-Projekt an der FU wird mit einer Reihe von Mitarbeitern im Rechenzentrum des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften realisiert: Interaktive Informations- und Lerneinheiten sollen im Hochgeschwindigkeitsdatennetz BRTB für alle angeschlossenen Wirtschaftswissenschaftler zugänglich gemacht werden. Allein die Tatsache, daß dies in dem eher "abstrakten" Fach Wirtschaftswissenschaften stattfindet, spricht für die fast unbegrenzten Einsatzmöglichkeiten interaktiven Lernens auch an der Universität.

Im Bereich Veterinärmedizin werden Erfahrungen gesammelt, wie in einem Team, das aus einer Fachwissenschaftlerin, einer Bildschirmdesignerin und einem System- und Datenbankdesigner besteht, interaktive Lerneinheiten optimal gestaltet werden können. Ein motivierendes und dem Inhalt angepaßtes Bildschirm-Design, ein vollständiger wissenschaftlicher Inhalt und eine saubere, flexible und auch schnell funktionierende Programmierung einer interaktiven Lerneinheit können nur selten von einer einzigen Person erzielt werden.


Bilder aus der virtuellen Welt des interaktiven Lernens.

Für die Anatomie wird in der ZEAM ein Informationssystem zum Thema der Herzentwicklung und für die Phoniatrie des Universitätsklinikums Benjamin Franklin ein umfangreiches Lernprogramm zu Kehlkopferkrankungen und -behandlungen entwickelt. Und in der Informatik findet mit der Untersuchung tutorieller Systeme die Grundlagenforschung für das interaktive Lernen der Zukunft statt.

In der Meteorologie werden seit längerem Seminare zur Erstellung interaktiver Informations- und Lerneinheiten angeboten und auch weltweit existierendes Material, basierend auf Bildplatten der ZEAM und amerikanischer Herkunft, stehen den Studierenden in einem Rechnerraum zur Verfügung.

Das Institut für Publizistik und Informationswissenschaften bereitet zur Zeit ein Virtual College vor, an dem im SS 96 mehrere Berlin-Brandenburgische Universitäten aktiv teilnehmen werden. Interessant werden in diesem Rahmen nicht nur Video-Konferenzen, E-mail- und Live-Videointeraktionen zwischen Dozenten und Studenten, sondern auch Teilnahme- und Leistungsnachweise sein. Im selben Institut wird ein Seminar zu dem Autorenwerkzeug "Macromedia Director" durchgeführt. Tutorenwerkzeuge - wie z.B. auch "ToolBook" - integrieren äußerst heterogenes Quellmaterial in einer ästhetisch ansprechenden Oberfläche. Im Bereich Geschichtswissenschaften strukturieren Studenten die überwiegend bildhaften Quellmaterialien und machen die Ergebnisse auf CD-ROM zugänglich. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Geschichts- und Kunstwissenschaften einerseits und der Meteorologie andererseits hat im Nachlauf einer Tagung zu einem gemeinsamen CD-ROM-Projekt zum Thema "Wolken" geführt, das an der ZEAM realisiert wird. - Wie solche Produkte einschließlich auf den Lernenden und den Lernprozeß wirken, wird in dem Projekt "Weltformel" im Bereich Medienpsychologie untersucht. Zu dem Informationsprogramm entwickeln verschiedene Studierende Zusatzmodule, um Lernerfolg, Motivation oder interaktive Zugangsmöglichkeiten zu testen.

Es gibt sicher noch mehr solcher Projekte an der FU. Aber diese kurze Auflistung verdeutlicht, daß sich praktisch in jedem Bereich akademischen Lehrens und Lernens interaktive Lerneinheiten einsetzen lassen.

Interaktiven Unterricht an der FU gibt es noch nicht in ausgeprägter Form. Vielmehr handelt es sich bei den einzelnen Initiativen um Test- und Entwicklungsphasen. Da alle aufgezählten Initiativen von Professoren getragen werden, ist es schon sehr unwahrscheinlich, daß zukünftig die lehrcnden Professoren durch interaktive Lernmaterialien überflüssig werden. Vielleicht wird ja sogar der akademische Mittelbau von Lehrverpflichtungen entlastet? Trotz CD-ROMs oder Lernmaterialien im InterNet werden Bücher künftig nicht überflüssig. Aber beide Technologien, nur unterschieden in Speicherung, Übertragung, Aktualität und Verwaltung von Datenmaterial, werden dem Lernprozeß der Zukunft neue Qualitäten und Dimensionen verleihen. Auf CD-ROM, einem langfristig stabilen (so sagt man jedenfalls) Datenträger dürfte eher das langfristig stabile Wissen - z.B. Grundwissen - seinen Platz finden, während im Netz variables Wissen mit hohem Aktualitätsbedarf angeboten werden wird.

Die Eigenschaft eines (guten) Dozenten besteht darin, einen plausiblen Weg durch die Fülle und Vieldimensionalität des Fachwissens aufzuzeigen und darin wichtige Fixpunkte aufzuzeigen, von denen aus der Student sein Wissen in verschiedene Richtungen vertiefen und so die Tiefe des jeweiligen Wissensraums sich selbst aneignen kann. Ich behaupte nun, daß die universitären interaktiven Lernmaterialien der nahen Zukunft nicht aus Lernkursen im Sinne eines Tutoriums bestehen werden, sondem vielmehr aus vieldimensionalen Informationseinheiten bestehen werden, in denen eine Guided Tour bei Bedarf Vorschläge zur Orientierung macht.

Eine breite Akzeptanz von interaktivem Lernen wird sich erst einstellen, wenn eine gute Qualität und eine ausreichende Quantität von Lernmaterialien angeboten werden können. Die hohen Entwicklungskosten für gute Programme verlangen nach synergetischen interuniversitären Aktivitäten und einer gezielten Förderung von konkretem Engagement in der Entwicklung. Know-how und Hard- und Software für die Entwicklung stehen in der FU unter anderem in der ZEAM zur Verfügung.

Zusammen mit dem in den Fachbereichen vorhandenen Fachwissen ist die Universität geradezu prädestiniert, neue Lernqualitäten zu entwickeln, zu erproben und anzubieten.

Christian Zick


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