FU-Biologen ergründen die Farbwahrnehmung der Biene

Ich sehe was, was Du nicht siehst...


Können Bienen sehen? Das scheint eine dumme Frage zu sein. Natürlich können Bienen sehen. Ihre Facettenaugen sind zwar ganz anders aufgebaut als unsere Augen, aber auch sie dienen dazu, Lichtreize aufzunehmen. Wie wir besitzen die Bienen verschiedene Sorten von Sinneszellen für unterschiedliche Wellenlängenbereiche des Lichts. Während bei uns diese sogenannten Photorezeptorzellen die Farben Blau, Grün und Rot hervorrufen, sind die der Bienen für Ultraviolett, Blau und Grün zuständig. Die Bienen sehen also Licht, für das wir blind sind, andererseits wissen sie mit Licht, das wir als rot empfinden, nicht viel anzufangen. Entsprechend wirken die Blüten auf Bienenaugen ganz anders als auf die unsrigen.

Aber sehen heißt ja mehr, als nur einen Reiz aufzunehmen, ihn dann irgendwie zu verarbeiten und am Ende mehr oder weniger sinnvoll darauf zu reagieren. Unsere Farbempfindungen sind mindestens ebenso sehr eine Leistung unseres Gehirns, wie unserer Augen. Um sie zu erklären, kann man entweder von den physikalischen oder den psychologischen Gegebenheiten ausgehen, und je nachdem, welcher wissenschaftliche Ansatz verfolgt wurde, gelangten die verschiedenen Disziplinen - übrigens bereits im letzten Jahrhundert - zu völlig verschiedenen, zunächst miteinander unvereinbaren Theorien. Der Physiologe und Physiker Helmholtz stellte 1891 - aufbauend auf Arbeiten des englischen Arztes und Physikers Young - die Dreifarbentheorie auf. Sie geht von der Feststellung aus, daß sich durch Mischung der drei Grundfarben Rot, Grün und Blau alle anderen Farben erzeugen lassen. Es fiel leicht, sich vorzustellen, die Augen besäßen die Möglichkeit, jede dieser drei Grundfarben getrennt voneinander aufzunehmen. Unser Gehirn könnte dann die Signale der drei verschiedenen Rezeptorzellen wieder kombinieren und so die gesehene Farbe erzeugen. Erst sehr viel später gelang es dann, diese drei verschiedenen Rezeptorzellen, die Zapfen, im Auge wirklich nachzuweisen. Diese Entdeckung war ein wichtiger Beleg für die Dreifarbentheorie.

Demgegenüber erschien die Gegenfarbentheorie des Arztes und Physiologen Hering, die er erstmals 1886 formulierte, lange Zeit eher suspekt. Sie geht von sechs Elementarfarben (Urfarben) aus, den Gegenfarbpaaren Blau-Gelb und Rot-Grün und dem Gegensatzpaar Schwarz-Weiß. Dieses System beschreibt unsere subjektive Farbwahrnehmung besser als die Dreifarbentheorie, aber da es sich mit den Erkenntnissen über die Physik des Lichtes nur schwer versöhnen ließ, wurde es oft angezweifelt. In letzter Zeit fand man Nervenzellen im Gehirn, die sich genau so verhalten, wie es die Gegenfarbentheorie postuliert. Diese Neuronen sind den Photorezeptorzellen nachgeschaltet, das heißt alle Signale unserer Lichtempfangsorgane kommen bei ihnen an und werden durch sie verarbeitet. Man findet zwei Gruppen von Neuronen, die sich genau entgegengesetzt zueinander verhalten. Eine Gruppe wird durch grünes Licht aktiviert und durch rotes Licht gehemmt, die andere Gruppe durch blaues aktiviert und durch gelbes gehemmt. Ein bestimmtes Licht löst also in den "Gegenfarbenneuronen" jeweils eine bestimmte farbspezifische Erregung aus. Für beide Theorien existieren demnach neuronale Entsprechungen und es sieht so aus, als ob die beiden Theorien lediglich die verschiedenen Seiten ein und derselben Medaille beschreiben würden.

Ähnliche "Gegenfarbenneuronen" wie beim Menschen kennt man auch seit einiger Zeit im Gehirn der Biene. Gibt es also auch für Bienen Elementarfarben, aus denen ihre Farbeindrücke bestehen, sehen sie also wirklich Farben, oder funktionieren sie eher wie Roboter, bei denen ein bestimmter Reiz nur eine Vielzahl komplizierter elektrischer Impulse auslöst, deren Gesamtheit am Ende eine Reaktion zur Folge hat?

Man könnte meinen, solche Fragen müßten von den Naturwissenschaftlern ins Reich der Metaphysik verdammt werden, dem ist aber nicht so. Vielmehr beschäftigt sich Dr. Werner Backhaus vom Institut für Neurobiologie der FU Berlin zur Zeit mit genau dieser Frage. Er hat sich der theoretischen Biologie verschrieben, die als Disziplin lange Zeit ein Mauerblümchen-Dasein fristete. Dies hat sich inzwischen geändert: Backhaus hat sich nicht nur als erster in diesem Fach an der FU habilitiert, sondern auch bereits zehn Mitarbeiter für seine Arbeitsgruppe gewinnen können. Vor nicht allzu langer Zeit ist es ihm gelungen, das Farbwahrnehmungssystem der Bienen durch ein relativ einfaches mathematisches Modell überzeugend zu erklären. Dieses Modell entspricht der Heringschen Gegenfarbentheorie für den Menschen und paßt demzufolge auch sehr gut zu dem Fund der Gegenfarbenneuronen im Bienengehirn. Es erklärt allerdings die verfügbaren Daten wesentlich vollständiger, als dies beim Menschen bislang möglich ist. Werner Backhaus kann mit sehr hoher Genauigkeit prognostizieren, wie sich die Bienen in seinen Experimenten den angebotenen Farben gegenüber verhalten werden.

Wie untersucht man nun die Sehleistungen der Bienen? Zwar ist Werner Backhaus theoretischer Biologe, dennoch kommt er nicht ganz ohne Experimente aus. Der experimentelle Ansatz ist dem bei den psychologischen Untersuchungen zum Farbwahrnehmungssystem des Menschen ähnlich: Wie viele verschiedene Farbtöne kennt die Biene und wie ähnlich bzw. "unähnlich" erscheinen ihr diese? Da Bienen allerdings nicht reden können und auch keine Fragen verstehen, sind zur Beantwortung dieser Frage einige Umwege nötig.

Wie untersucht man nun die Sehleistungen der Bienen? Zwar ist Werner Backhaus theoretischer Biologe, dennoch kommt er nicht ganz ohne Experimente aus. Der experimentelle Ansatz ist dem bei den psychologischen Untersuchungen zum Farbwahrnehmungssystem des Menschen ähnlich: Wie viele verschiedene Farbtöne kennt die Biene und wie ähnlich bzw. "unähnlich" erscheinen ihr diese? Da Bienen allerdings nicht reden können und auch keine Fragen verstehen, sind zur Beantwortung dieser Frage einige Umwege nötig.

Zuerst konditionierten die Wissenschaftler die Bienen auf einen bestimmten Farbreiz: In einer grauen Versuchsarena wurde eine Papierscheibe mit dieser Farbe wiederholt mit einem Tropfen Zuckerwasser versehen, den sich die Biene abholen durfte. Die Biene lernt dadurch, daß diese Farbe mit einem Nahrungsangebot verknüpft ist. Dieser Versuchsansatz ist nicht so unnatürlich, wie es scheinen mag, denn auch in der Natur ist die Biene über längere Zeit einer bestimmten Blütenart "treu", und ein wichtiges Erkennungsmerkmal neben dem Geruch ist dabei die Farbe.

In einem zweiten Versuchsteil gab es dann kein Zuckerwasser mehr, stattdessen lagen noch weitere, anders gefärbte Papierscheiben in der Versuchsarena. Nun muß gezählt werden, wie oft die Biene die erlernte "richtige" Scheibe und wie oft sie die einzelnen anders gefärbten, also "falschen" Scheiben anfliegt. Die relative Häufigkeit der "Fehlflüge" zu einer Scheibe in einer anderen Farbe dient dann als Maß deren Ähnlichkeit zu der "gelernten" Farbe. Dem liegt die Annahme zugrunde, daß der Biene ein Farbenpaar um so ähnlicher erscheint, je öfter sie die entsprechenden Farbscheiben verwechselt.

Mit Hilfe dieses Experiments und ähnlicher Versuchsanordnungen entstanden Tabellen, in denen für jede Kombination von Farben festgehalten ist, wie ähnlich bzw. verschieden den Bienen diese Kombination erscheint. Auf der Basis dieser Ähnlichkeitswerte konstruierte Werner Backhaus sein Modell. Er ordnete alle Farben in ein System von vier Elementarfarben ein, das dem Elementarfarbensystem des Menschen formal entspricht. Die Gegenfarbenpaare entsprechen dabei reinem UV und einer Mischung aus unserem Blau und Grün bzw. reinem Blau und einer Mischung aus UV und Grün. Dies hatte man nach den Messungen an den Nervenzellen auch bereits erwartet. Interessanterweise besitzen die Bienen dabei allerdings nicht das Gegensatzpaar Schwarz-Weiß, das heißt, sie unterscheiden nicht verschiedene Helligkeitsstufen einer Farbe.

Ob den Elementarfarben bei den Bienen eine ähnliche Bedeutung wie beim Menschen zukommt, ist natürlich eine sehr komplizierte Frage: Der Mensch erkennt zum Beispiel in den verschiedenen Blautönen die Elementarfarbe Blau zu verschiedenen Anteilen wieder. Trotz der verschiedenen Signale, die in den Photorezeptoren hervorgerufen werden, erkennt er in den Farbempfindungen das gemeinsame Merkmal Blau. Kann dies auch die Biene? Erkennt sie beispielsweise in verschiedenem UV-Licht ihre artspezifische Elementarfarbe Ultraviolett wieder? Kann die Biene eine solche Elementarfarbe als Futtersignal erlernen? Erste Hinweise, daß die Biene das tatsächlich vermag, konnte Werner Backhaus bereits beobachten. Doch eine Biene macht noch keinen Sommer. Für seine Arbeitsgruppe am Neurobiologischen Institut gibt es hier noch viel zu untersuchen.

Thomas Fester


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