Städtetourismus gehört zu dem sehr beliebten und in den letzten Jahren überdurchschnittlich gewachsenen Segment der Kurzreisen mit einer Dauer zwischen zwei und vier Tagen. Allerdings ist die Gesamtzahl der Reisen u.a. rezessionsbedingt rückläufig (199
4: minus 14%; Quelle: Deutscher Reisemonitor 1994). Von dem Rückgang der Reisehäufigkeit sind besonders die Kurzreisen und in überdurchschnittlich starkem Ausmaß die Städtereisen betroffen (bspw. schrumpften die Besucherzahlen in Paris 1993 um 15%). Auch
Berlin blieb von der Abwärtstendenz nicht verschont: nach den Boomjahren im Anschluß an den Fall der Mauer (Besucherzuwachs 1989: plus 11,9 Prozent; 1990: plus 19,6%) gingen die Ankünfte in Berlin nach einer Phase der Konsolidierung 1993 um knapp 4% zurüc
k.
Sommer an der Havel. Zwei von sechs Säulen für touristische Zielgruppen: "Berliner Lebenskultur" und "Natur in und um Berlin"
Auf der einen Seite sind zweifellos ökonomische und andere globale Rahmenbedingungen an der Entwicklung des Tourismus maßgeblich beteiligt, andererseits ist Tourismusentwicklung ein Feld, das ohne strategische Marketingplanung, flankiert durch eine lan gfristig tragfähige Public- Relations-Strategie, nicht auskommt. Eine Stadt wie Berlin, die in direktem Wettbewerb mit anderen Metropolen wie London, Paris, Mailand, Rom und Wien steht, braucht eine Vision, ein tragfähiges Leitbild und eine daraus abgelei tete einzigartige Positionierung. Darin müssen die Chancen und Stärken von Berlin gegenüber anderen Hauptstädten eindeutig zum Ausdruck kommen, und die Einzigartigkeit der Stadt muß den in Frage kommenden touristischen Zielgruppen immer wieder vermittelt werden, so daß ein unverwechselbares Berlin-Image entsteht.
Vor der politischen Wende lohnte eine Berlinreise allein schon durch die ungewöhnliche Situation der Stadt; hinzu kamen zahlreiche andere Facetten, die einen Berlinbesuch zu einem echten Erlebnis machten. Aufgrund der veränderten politischen Situation mußte die Stadt "umpositioniert" werden; das Motto lautet heute: "Berlin - Metropole im Aufbruch und Umbruch". Die neue Positionierung steht auf sechs Säulen, die mit den Stichworten "Berliner Humor/Gastfreundlichkeit", "Berliner Historie", "Regierungssit z Berlin", "Berliner Lebenskultur", "Innovationen in Berlin" und "Natur in und um Berlin" umschrieben werden können. Diese sechs Säulen sind Ausgangspunkt für die Entwicklung und Weiterentwicklung von Angeboten und Angebotspaketen für touristische Zielgru ppen mit ganz unterschiedlichen Interessen und Bedürfnissen.
Verantwortlich für das neue Marketingkonzept und seine Umsetzung ist die Berliner Tourismusmarketing GmbH. Ob - wie von dieser Seite verlautet - bereits eine "Trendwende" im Berlin-Tourismus erreicht werden konnte, muß offen bleiben. Die positive Tende
nz der Berlinbesucher-Zahlen im Jahre 1994 (plus 3%) macht noch keinen Trend aus; nach wie vor ist ein deutlicher Besucherrückgang aus wichtigen Herkunftsgebieten zu verzeichnen (USA: minus 9,5%; Japan: minus 6%). Jedes neue Marketingkonzept braucht eine
gewisse Zeit, bis es "greift", und dieses hat seine Bewährungsprobe noch vor sich.
Günther Haedrich
Günther Haedrich ist Professor am Institut für Tourismus der FU