Deutsche Wissenschaftler 1945 auf Auswegen

Erst kommt das Fressen . . .


Als die Sowjetunion mit dem Sputnik im Jahr 1957 ins Raumfahrtzeitalter eintrat, war der Schock im Westen groß. Wie war es möglich, daß diese technologische Hochleistung zunächst im vergleichsweise rückständigen Rußland gelungen war? In Amerika meinte man, eine zynisch-scherzhafte Erklärung dafür gefunden zu haben: "Ihre Deutschen sind besser als unsere Deutschen. " Das war eine Anspielung auf die deutschen Naturwissenschaftler, die nach 1945 in den Dienst der Siegermächte eingetreten waren.

Bereits vor Kriegsende bildeten Briten und Amerikaner technische Sucheinheiten, die im Gefolge der kämpfenden Truppe nach deutschen Wissenschaftlern und Rüstungsingenieuren fahndeten. Es ging den Alliierten zunächst um Neuheiten der deutschen Rüstungstechnik, besonders in der Atomforschung, die im Krieg gegen Japan eine Rolle spielen könnten. Bald wurden weitere Interessen ins Spiel gebracht. Im Zeichen des Kalten Krieges sollten deutsche Rüstungsingenieure möglichst der Sowjetunion vorenthalten werden. Auch in der zivilen Industrie verfügte Deutschland über neuartige technische Verfahren, etwa zur Herstellung synthetischer Rohstoffe, die von hohem kommerziellen Wert waren.

Everybody's darling: 1959 erhält Wernher v. Braun von Präsident Eisenhower die höchste amerikanische Auszeichnung für Zivilisten. Fünfzehn Jahre vorher hatte v. Braun noch für die deutsche Wehrmacht die Terrorwaffe V2 konstruiert.

Deutsche Naturwissenschaftler gingen 1945 meist bereitwillig ins Ausland, um dort für den Feind von gestern zu forschen. Denn die technische Intelligenz des Dritten Reiches, vor allem, wenn sie in der Rüstung tätig gewesen war, sah sich 1945 dem Aus gegenüber. Im Potsdamer Abkommen hatten die Siegermächte im besetzten Deutschland alle Forschungstätigkeiten für militärische Zwecke, besonders in den modernen Gebieten Atomtechnik, Luftfahrtforschung und Raketentechnik untersagt. So konnte die Elite der Waffeningenieure nur im Auftrag fremder Mächte ihre Arbeiten fortsetzen. Über 500 solcher Waffenexperten gingen im Rahmen des geheimen "Project Paperclip" in die USA, darunter der Raketenpionier und spätere Held der bemannten Raumfahrt Wernher von Braun. Die Russen ihrerseits leerten in einer strategisch angelegten Großoperation im Oktober 1946 die SBZ von "ihren" Rüstungsdeutschen. In die UdSSR gelangten meist unfreiwillig 2500 bis 3000 deutsche Fachleute. Nach Frankreich, welches das zweitgrößte Kontingent aufnahm, gingen knapp 800. Hier konnte die französische Rüstungsindustrie auf die Zusammenarbeit mit deutschen Firmen während des Krieges bauen, ein nach wie vor tabuisiertes Thema in Frankreich. Nach Großbritannien gingen lediglich etwa 200 Rüstungsingenieure. Dort war nicht der Aufbau der Rüstungsindustrie, sondern vielmehr die Umstellung der Wirtschaft auf die Produktion ziviler Güter die vorrangige Aufgabe der Nachkriegsregierung. Den Zahlen von abwandernden Deutschen sind die Familienangehörigen hinzuzurechnen.

Deutsche Naturwissenschaftler, die in den Dienst der Siegermächte traten, konnten nicht nur ihre Berufstätigkeit fortsetzen. Sie entkamen auch den Wirren und Entbehrungen im Nachkriegsdeutschland. Wer sich von ihnen nationalsozialistisch engagiert hatte, registrierte mit Erleichterung, daß seine politische Vergangenheit keine Rolle spielte. Die Siegermächte wollten rüstungswissenschaftliche Kompetenz - das politische Profil "ihrer" Deutschen interessierte nicht. Da die SS sich gegen Kriegsende mehr und mehr in die Entwicklung modernster Rüstungsprojekte drängte, kam es zu einer Vielzahl kompromittierender Verbindungen mit in hightech-Projekten arbeitenden Naturwissenschaftlern und Ingenieuren. Während im Nachkriegsdeutschland die Entnazifizierung je nach Besatzungszone mehr oder weniger intensiv betrieben wurde, fanden ausgesuchte Fachleute, auch wenn sie Nazis gewesen waren, gut dotierte Stellen im Ausland. Dazu zählten etwa der wegen seiner Zugehörigkeit zur Waffen-SS nach dem Kriege zunächst internierte Helmut Graf von Zborowski, ein führender Spezialist für Raketenmotoren, der in französische Dienste trat, oder die deutschen Luftfahrtmediziner um Hubertus Strughold, die während des Krieges für grausame, oft tödlich verlaufende Experimente an KZ-Insassen verantwortlich waren. Nach 1945 fand die Strughold-Gruppe in den USA Aufnahme, wo sie noch heute als Pioniere ihres Faches geehrt wird.

Urich Albrecht / Ruth Stanley


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