Bleibt der Urwald auf der Strecke?

FU-Ökonomen erkunden Chancen der ökologischen Landwirtschaft in Brasilien


Mehrere Jahrzehnte brauchte der tropische Regenwald bei Belm, im Norden Brasiliens, um sich von der Abholzung zur Zeit des Kautschukbooms (ca. 1900-1920) zu erholen. Heute wächst um die Millionenstadt nahe der Amazonasmündung "Sekundärwald", der durch immer häufigere Rodung bedroht ist. Ökologen warnen darum vor einer "Degradation" der Böden, d.h. vor dem Verlust der Bodenfruchtbarkeit, negativen Auswirkungen auf den Wasserhaushalt und einer Beeinträchtigung der Artenvielfalt, die sich zwar nicht bis zum Niveau des Primärwaldes, aber immerhin deutlich erholt hat.


Pfefferplantage von Kleinbauern an der Transamazonica

Brasilianische und deutsche Wissenschaftler forschen bereits seit mehreren Jahren in diesem Raum über den biologischen Aufbau und die Erhaltung des Ökosystems "Sekundärwald". Gleichzeitig sehen sie, wie der Wald immer häufiger geschlagen und der Boden landwirtschaftlich genutzt wird: Großbetriebe richten Rinderweiden oder Plantagen ein, und kleine Siedler kultivieren gemischte Jahres- oder Dauerkulturen auf kleinen Flächen. Beide Wirtschaftsweisen können rasch zum fast völligen Verlust der Bodenfruchtbarkeit führen, so daß auf den verlassenen Flächen nur noch ein tertiärer Busch hochkommt. Bei "guter Bewirtschaftung" entsteht an einigen Orten jedoch eine nachhaltige, agroforstliche Kulturlandschaft, und zwar vor allem bei kleinbäuerlichen Betrieben! Die Abholzungen im Amazonas führen also nicht immer und geradewegs "Von der Grünen Hölle zur Roten Wüste". Dieses gängige Bild verschweigt die wenigen Fälle, in denen die sogenannte degradierten Flächen das Bild eines bäuerlichen Kultur- und Lebensraumes bieten - mit den auch bei uns bekannten Konflikten zwischen bäuerlicher Landwirtschaft, städtischer bzw. agroindustrieller Erschließung und klassischem Naturschutz.

Es gibt drei große Interessengruppen: die Konservationisten, die kleinbäuerlichen Nutzer und die großbetrieblichen Nutzer. "Jeder versucht, Naturschutz auf seine Fahnen zu schreiben. Jeder weist den anderen Schuld zu", sagt Professor Manfred Nitsch vom Lateinamerika-Institut (LAI) der Freien Universität. Vor sechs Jahren wurde die Weltöffentlichkeit durch den Mord an dem Latexzapfer Chico Mendes auf den brutalen Konflikt um die unterschiedlichen Nutzungsformen des Regenwaldes aufmerksam.

Nitsch und Albrecht Kasper wollen nun in den kommenden drei Jahren unterschiedliche sozio-ökonomische Konzepte von "Schutz und Nutzung tropischer Regenwälder" auf ihre Nachhaltigkeit hin untersuchen. Die Arbeiten werden gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen vom interdisziplinären Institut für Höhere Amazonische Studien (NAEA) der Bundesuniversität von Par in Belm durchgeführt, sowie im Verbund mit anderen deutschen Universitäten (Göttingen, Tübingen).

Den politischen Rahmen bietet das seit 1991 laufende deutsch-brasilianische Programm zur Erforschung des tropischen Regenwaldes: SHIFT ("Studies on the Human Impact on Floodplains and Forests in the Tropics"). Das Programm fördert damit, neben den naturwissenschaftlichen und geographischen Arbeiten, nun auch ein wirtschafts- und sozialwissenschaftliches Projekt.

Finanziert wird die Studie durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). 539.000 DM erhält das LAI für das dreijährige Vorhaben. Den institutionellen Rahmen für das BMBF-Projekt bildet der Kooperationsvertrag zwischen der Bundesuniversität von Par in Belm und der Freien Universität.

Nach dem Stand der Planung wird Kasper zwei Mal neun Monate in der Region Bragantina um Igarap-Au (östlich von Belm) verbringen. "Wir interessieren uns für die möglichen Ansätze nachhaltiger Entwicklung: Warum gelingt es einigen Bauern, die Bodenfruchtbarkeit ihrer Flächen zu erhalten, anderen nicht?"

In der Politik und in der Wissenschaft verlieren die Kleinbauern gerade erst das Image der uneffektiven Landzerstörung. Neue Studien erkennen vielmehr, daß gerade diese Wirtschaftsweise Möglichkeiten der ökologischen Landwirtschaft in den Tropen bietet. Doch welchen Spielraum lassen der Bodenpreis, die Vermarktungschancen und die Gefahr der Verschuldung für eine kleinräumige, ökologische Landwirtschaft in der Bragantina?

Ein ganzer Komplex von Fragen richtet sich auf die politische Artikulation ökologischer Ziele im Spannungsfeld der wirtschaftlichen Interessen in der Region: Wie wirkt sich die Zonierung der Gegend durch Flächennutzungspläne aus? Wo und wie formiert sich das unterschiedliche Wissen über die Nutzung der Wälder? Wer sind in der Planung und in der Verwaltung der Region die Träger ökologischer Ziele? Durchaus einem Vorurteil entsprechend, wissen die internationalen Pilotprogramme zur Rettung des Waldes bisher wenig über die kleinbäuerliche Nutzung auf lokaler Ebene. Kasper wird eine Langzeitstudie über die Landnutzung durch bäuerliche Familienwirtschaften erstellen, die nach Grenzen und Möglichkeiten des Konzeptes "Schutz durch Nutzung" tropischer Wälder fragt.

Bodenkundler und Tropenökologen der Universität Göttingen haben bereits die Nutzung der Flächen in der Region beschrieben, die Bedingungen für eine Regeneration des Waldes sowie für den Anbau von Fruchtbäumen und Bäumen für die Holzgewinnung untersucht. Dabei haben sie eine Reihe von Ansätzen und Möglichkeiten alternativer Nutzung beschrieben und auch die zitierten ökonomischen Fragen aufgeworfen.

Betreut von Professor Nitsch soll aus der Studie auch eine Doktorarbeit werden. Der Arbeitstitel dazu lautet: "Kleinbauern in Amazonien. Wechselbeziehungen zwischen Ökosystem und Sozialsystem bei Schutz und Nutzung tropischer Regenwälder". In der Forschung geht es auch um die Anpassung der politisch-administrativen Instrumente, mit denen sich die Beteiligten gemäß den Regierungserklärungen zur UN-Konferenz 1992 in Rio de Janeiro auf eine nachhaltige Entwicklung der Tropenwälder verständigen sollen, vor allem um die Zonierung Amazoniens in Flächennutzungsplänen. Gerade an dieser Stelle setzen intelligente Lösungen genaue Kenntnisse über das gegenseitige (Un)Verständnis der Beteiligten in Wirtschaft, Politik und Verwaltung voraus. Nitsch hat darüber bereits im Fall der Zonierung des Bundesstaates Acre ein Gutachten verfaßt.

Aus der Studie hofft das BMBF auch Erkenntnisse über die Konflikte bzw. Möglichkeiten der Umsetzung BMBF-geförderter Forschung auf wirtschaftlicher und politischer Ebene zu gewinnen. So ist nicht auszuschließen, daß die mit den Forschungen verbundenen Intentionen des BMBF auch mißdeutet und politisch instrumentalisiert werden: Wenn etwa, wie geschehen, das BMBF Studien über Wachstum und Entwicklung von Eukalyptus- oder Mahagonie-Holzarten im Plantagenbau fördert, sehen ortsansässige Großgrundbesitzer dies gelegentlich als internationale, wissenschaftliche Bestätigung ihrer Interessen an der Genehmigung solcher Holzplantagen - zum Erstaunen der Wissenschaftler und des Ministeriums. Die Ökonomen interessiert in diesem Sinne denn auch "weniger die Botanik als ihre Vermittlung in die Politik", so Nitsch.


J.Z.


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